September 25th, 2019

BLACKFIRE (#117, 2007)

Posted in interview by Thorsten

Nicht erst, seit die Country-Heroen TRUCK STOP herausgefunden haben, dass der Wilde Westen eigentlich schon hinter Hamburg beginnt, muss das klassische Bild von Amerika gerade gerückt werden. Dass es neben Tequila, einsamen Helden und Lagerfeuerromantik auch unschöne Seiten am heute nicht mehr ganz so wilden Westen gibt ist zwar bekannt, aber weniger Stoff für Träume. Amerikanische Träume können auch Alpträume sein – so die Erfahrung der nordamerikanischen Ureinwohner, der indianischen Bevölkerung. Der Komplex „native-americans“ ist sehr umfassend und zeigt sich als zutiefst politisch: Völkermord, Entwurzelung, politische Gefangene, Perspektivlosigkeit in Reservaten, die als atomare Müllbehälter der sogenannten Freiheit und Nation benutzt werden. Im Gebiet der Navaho im Südwesten von Arizona sind die drei Geschwister der „alter-native“ Punkrock-Band BLACKFIRE aufgewachsen. Untrennbar mit der Musik der Band verknüpft ist der lange Kampf der Navaho um ihre Land- und Menschenrechte.

Auf ihrer diesjährigen Europa-Tour haben wir uns nach dem Konzert in Bochum mit den drei Geschwistern zusammengesetzt und zu ihren Beweggründen ausgequetscht. Die Kinder eines traditionellen Medizinmanns und einer polnischstämmigen Mutter wirkten von Kleidung und Verhalten westlich, im Gespräch offenbarte sich aber ihre Bindung an indianische Traditionen. In einem Land, wo höchstens noch das eigene Auto als heilig gilt, mag die spirituelle Weltsicht befremdlich erscheinen. Tatsächlich gibt es für das indianische „heilig“ keine angemessene Übersetzung, die nicht über mehrere Absätze geht. Das Interview geben wir ansonsten unkommentiert wieder und schließen uns einer zentralen Forderung von Blackfire an ­ nämlich andere Kulturen zu respektieren.

Indianische Kultur gehört mit zu Blackfire. Mit Eurem Vater tretet ihr auch gemeinsam als „Jones Benally Family“ auf traditionellen Tanzshows auf. Wie seid ihr zum Punkrock gekommen?

Jeneda: Punkrock ist ein Gefühl. Wenn man aufwächst und sieht wie Menschen, Tieren und der Umwelt all dieses gegenwärtig passierende Unrecht zustößt, dann führt dies zu den Gefühlen, die wir ausdrücken wollen. Daher brauchen wir Musik, die direkt aus dem Herzen kommt. Diese Musik ist stark und intensiv, deswegen schätzen wir sie und deshalb klingen wir so.
Clayson: Einige Leute spielen Liebeslieder. Wir haben eine andere Vorliebe. Wir sind an jedem Tag begeistert, den wir als indigene Menschen verbringen. Dazu gehören unsere inneren Kämpfe, unser Widerstand. Wir sind aufgewachsen mit Protesten, wo unsere Großmutter, eine traditionellen Navaho, mit den Fäusten dem BIA drohte, dem Büro für Indianer-Angelegenheiten: „Ihr werdet mich nicht von meinem Land vertreiben! Dies ist meine ursprüngliche Heimat! Ich habe das Recht zu leben!“ Das hat uns stark geprägt. Wer uns kennt, weiß es: Wir haben gelernt unsere Stimmen zu benutzen und diese Stimmen bekommen Verstärkung über elektrische Gitarren, laute Trommeln und Punk.

Mit welchen Bands habt ihr ein freundliches und politisches Verhältnis?

Jeneda: Die Ramones waren wirklich hilfreich. C.J., der Bassist der Ramones, produzierte unsere erste CD und auch unser letztes Album „One Nation Under“. Joey Ramone hat einige Gesangseinlagen für dieses Album beigesteuert, was übrigens auch seine letzten Aufnahmen waren. Wir haben viel Inspiration und eine Menge Hilfe durch die Ramones bekommen.
Clayson: Wir haben eine Menge interessante und einzigartige Kontakte. Wir haben einen Woody-Guthrie-Folk-Song gemacht. Er ist jetzt schon länger verstorben, aber es gab eine Zusammenarbeit mit seiner Familie. Sie gab uns Texte und wir haben die Musik dazu komponiert. Wir haben mit weiteren Folk-Musikern gearbeitet. Dazu kommt noch mehr, von klassischer Musik zu Folk und hin zu Hardcore Punk.
Letztes Jahr waren wir mit auf der Warped-Tour und haben dabei mit einer Menge bekannter Punk-Gruppen wie Bad Religion und Anti-Flag gespielt. Wir haben Fugazi ins Navaho-Gebiet gebracht. Wir spielen schon seit 15 Jahren zusammen als Gruppe.

Lasst uns einen Blick in die Vergangenheit werfen: Während des zweiten Weltkriegs arbeiteten 400 Navaho Funksprecher für die US-Marines. Sie benutzen ihre eigene Sprache, um militärische Nachrichten zu übermitteln und halfen damit, die Faschisten in Japan zu beseitigen. Den Japanern gelang es niemals, die Funksprüche der Navaho-Indianer zu entschlüsseln.
Ira Hayes, ein Pina native-american brachte die US-Flagge nach Ivo Jima. Für alle diese Solidarität gab es hinterher fast keine Anerkennung und Entschädigungen bzw. Rentenansprüche.
Unterstützen native americans die Politik eines George Bush und ziehen in den sogenannten Krieg für Freiheit?

Klee: Viele unserer Freunde und Verwandten dienen gegenwärtig im Irak oder in Afghanistan. Die grösste Bedeutung dabei hat was „poverty draft“ genannt wird, also „Einberufung durch Armut“. Es gibt keine Einberufung und keine Wehrpflicht in den Vereinigten Staaten, aber wegen der wirtschaftlichen Seite und den Ausbildungsmöglichkeiten durch das Militär sagen viele Leute, dass es die einzige Möglichkeit ist, die sich ihnen bietet. Denn es gibt kaum Erwerbsarbeit und Verdienstmöglichkeiten in den Reservaten.
Zweitens: Du hast die code talkers, die Funksprecher, genannt. Die Leute sind sehr stolz auf die Funksprecher der Navahos. Sie empfinden dabei (zumindest wurde es mir so von einigen Älteren erklärt), dass wir dafür verantwortlich sind, unser Land zu verteidigen. Zum Militär zu gehen ist dafür eine Möglichkeit. Zumindest sehen es diese Leute so, ich sehe das anders. Doch das Interessanteste ist: Während die code talkers 1945 noch im Einsatz waren, war es noch üblich, an Internaten unsere Leute zu schlagen, wenn sie ihre eigene Sprache gesprochen haben. Es war immer noch üblich, unsere Leute zu verfolgen. Bis 1948 hatten wir noch nicht einmal das Recht zu wählen. Wir wurden nicht wahrgenommen als Staatsangehörige und daher denke ich, dass viel von dem Stolz auf die code talkers und den Militärdienst von dem Gefühl rührt, als Bürger anerkannt zu werden. Nicht unbedingt als Bürger von Amerika sondern überhaupt als Menschen mit anerkannten Rechten.
Aus meiner heutigen Sicht gibt es viele Gemeinsamkeiten von dem, was unserem Volk passiert ist mit den gegenwärtigen Konflikten im Irak oder in Afghanisten und anderen Kriegen, die um Rohstoffe geführt werden. Es ist genau das Gleiche ­ man besetzt ein Land wegen der Rohstoffe. Das erste, was Colin Powell nach der Besetzung des Irak angekündigt hat: Das Öl wurde an vertrauensvolle irakische Menschen übergeben. Wir kannten das, denn auch unsere Rohstoffe werden vertrauensvoll verwahrt, unser Land wird vertrauensvoll verwahrt, die Reservate werden vertrauensvoll verwahrt… Wir bekamen über das Büro für Indianerangelegenheiten durch die Einführung von Stammesräten eine Demokratie verpasst. Demokratie herstellen, Regierungen bilden, genau das Gleiche passiert bei uns. Das ist ein permanter Kampf, den die Menschen als Imperialismus bezeichnen.
Jeneda: Wir kämpfen heute noch für unsere religiöse Freiheit. Wir versuchen immer noch, das Land zu schützen, das uns gestohlen wurde und versuchen immer noch unser Anrecht auf Wasser wiederzuerringen, unser Anrecht auf Land, auf Rohstoffe, unser Anrecht zum Überleben. Das passiert heute in den Vereinigten Staaten unter Bush und seiner Regierung. All diese Dinge um die unsere Leute kämpfen, die indigene Bevölkerung, und wofür die Amerikaner im Irak kämpfen: Das ist genau der gleiche Kampf wie bei uns.

Am 12. September 2005 wurde Leonard Peltier 61 Jahre alt. Bereits die Hälfte seines Lebens, beinahe 30 Jahre, verbringt er im Gefängnis. Er wurde verurteilt, weil er 1975 während eines Feuergefechts auf einem Reservatsgelände angeblich zwei FBI-Agenten erschossen haben soll. Selbst amerikanische Gerichte geben inzwischen zu, dass während der Verhandlung von Seiten der Anklage Zeugenbeeinflussung, Meineide, Verfälschung von Beweismitteln und Zurückhaltung von wesentlichem Beweismaterial für Peltiers Unschuld stattfanden.
Was für eine Bedeutung haben Leonard Peltier und andere politische Gefangene wie Mumia Abu Jamal?

Klee: Leonard Peltier wurde zu einem Symbol für das Opfer, das unser Volk gebracht hat um unsere Rechte und unser Land zu verteidigen. Meine persönliche Meinung zu Mumia Abu-Jamal und anderen politischen Gefangen in den Vereinigten Staaten ist: Als „Native People“ sind wir alle in den Vereinigten Staaten politische Gefangene. Wir haben nicht die Möglichkeit, die Zukunft nach unseren Vorstellungen zu gestalten: Keine eigene Freiheit, keine Möglichkeit als ein Volk mit einer eigenen Kultur zu gedeihen. Indigene Menschen werden ständig bedroht und verfolgt. Wir versuchen unsere heiligen Stätten zu schützen und die Gesetze geben diesen Schutz nicht her. Wir können kämpfen, aber oft enden die Menschen einfach nur hinter Gittern. Die privaten Gefängnisse gehören zu den schlimmsten Dingen, die wir heute in den Staaten haben. Der industrielle Komplex um die Gefängnisse ist jetzt ein Geschäft, sie verdienen Geld damit Leute einzusperren. Die Unternehmen schließen Verträge dafür ab und damit wird es lukrativ, in Gefängnisse zu investieren. Je mehr Gefängnisse, desto größer das Geschäft. In Gefängnisse zu investieren ist das Gleiche, wie in die Zukunft von Verbrechen zu investieren. Das bedeutet, es werden keine wirklichen Lösungen geschaffen, es wird nicht das Problem bei den Wurzeln gepackt. Es gibt offensichtliche Gründe, weswegen Leonard Peltier und Mumia Abu Jamal im Gefängnis stecken und die Gefangenenzahlen ständig steigen. Die Gründe sind zahlreich und haben einen ökonomischen Hintergrund.

Im Textbuch eurer CD schreibt ihr: „This music is not political, this is our life struggle“. Was wollt ihr den Menschen auf euren Shows mitgeben? Darunter sind oft Menschen, die ein bequemes Leben haben können und nicht wie ihr um ihr Leben kämpfen müssen?

Jeneda: Bequemlichkeit und Luxus entstehen aus Unbequemlichkeit und Unrecht anderer Menschen. Normalerweise sind das indigene Menschen, deren Rohstoffe weggenommen werden. Strom oder Wasser laufen zu lassen ist ganz normal. Zu tun als gäbe es endlose Reserven ist falsch, es gibt keine endlosen Reserven. Wir müssen daran denken, dass diese unterschiedlichen Ressourcen nicht als selbstverständlich angesehen werden. Wasser ist heilig, auch Elektrizität und alles weitere. Auch bei unserer Kleidung sollte uns bewusst sein, woher die Materialien dafür stammen. Wer hat sie gemacht: Ein kleines Kind weit weg, das ein paar Pennies für seine Arbeit bekommt? Bei allen diesen Konsumentscheidungen, diesen life style choices, die wir aus Bequemlichkeit und Luxus treffen, müssen wir uns dieser Kosten bewusst sein.
Klee: Was sind die wahren Werte? Schätzen wir die Gesundheit unseres Geistes, unseres Körpers, unserer Seele? Die Gesundheit der Gemeinschaft, der Familien und der Mitwelt? Oder geht es nur um die Anhäufung von Materiellem? Nur zu konsumieren und zu nehmen? Wir müssen einsehen, dass es eine Stelle gibt, an der wir zurück ins Gleichgewicht müssen. Zurück zur Harmonie von uns und der Natur.
Ich hoffe, dass die Leute aufwachen und sich selbst irgendwie aufraffen. Um sich mit der Erde rückzuverbinden, sich zum Heiligen rückbesinnen und dass wir in Gesundheit und Harmonie leben können; dass wir uns erinnern an unsere gemeinsamen Wurzeln: Wir sind alle Brüder und Schwestern! Diese Wurzeln reichen tief in die Erde und sie sind als Brüder und Schwestern miteinander verbunden. Wir brauchen mehr als nur Einigkeit und gemeinsames Leiden, mehr als ein Gefühl, dass wir uns vorwärtsbewegen. Eine große Vorstellung ist es, wenn alle verstanden haben, dass wir alle an einem Weg der positiven Veränderung teilhaben können. Ein Weg, der die Verletzungen in unserer Gemeinschaft heilt und wobei jeder von uns mitzieht und handelt.
Jeneda: Ich hoffe, dass unsere Auftritte das Gefühl mit auf den Weg geben, Teil des indigenen Widerstands gegen Kolonialisierung und Angleichung sein zu können. Ich hoffe, dass die Leute unsere Konzerte gestärkt verlassen, indem sie einsehen, dass sie Veränderungen in dieser globalen Gemeinschaft bewirken können. Sogar wenn das nur lokal oder nur in der eigenen kleinen Gemeinschaft funktioniert. Wenn wir eigenständig entscheiden, dass wir eine Wende zum Positiven in der Welt bewirken können, dann können wir es auch tun und es klappt. Ich hoffe, dass wir den Leute dieses Gefühl der Bestärkung mitgeben.

Interview: Rainald Ötsch von Radio BonteKoe & Heval Botan von Radio El Zapote
Übersetzung: Radio BonteKoe
Homepage: www.bo-alternativ.de/rbk

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