September 23rd, 2019

AMANDA PALMER & THE GRAND THEFT ORCHESTRA aus #164, 2014

Posted in interview by Jan

AMANDA PALMER & THE GAND THEFT ORCHESTRA

Viele Menschen kennen Amanda Palmer noch als die Hälfte der Dresden Dolls, die laut eigener Aussage wohl auch bald eine Reunion feiern könnten. Andere kennen sie immer noch gar nicht, und das, obwohl es in letzter Zeit nicht gerade ruhig um sie war. Nachdem Roadrunner Records Amandas Bauch aus einem ihrer Videos schnitt, da dieser angeblich zu groß sei, startete sie eine Gegenaktion und machte sich von allen früheren Verbindungen frei. Allen, bis auf die zu ihren Fans, die für das im letzten Jahr erschienene Album ‚Theatre is evil‘ über Crowdfunding, 1,2 Millionen US-Dollar im Voraus beitrugen.

Bis hierhin klingt es wie eine (eher uninteressante) Erfolgsgeschichte, dann aber folgten Aktionen Amandas auf diversen sogenannten sozialen Medienplattformen und plötzlich war sie bei einigen Leuten durch und konnte niemandem mehr etwas recht machen, vor allem nicht den Medien. Dort ist sie nach eigenem Empfinden zu einer der meistgehassten Frauen der Zeit geworden. Ihre Fans scheint das wenig beeindruckt zu haben – sie sind ihr weiter treu. Schon um 14 Uhr stehen sie vor dem Auftrittsort und bitten um Autogramme. Im Café in dem ich mich mit Amanda treffe, bleibt sie aber unerkannt, obwohl sie kurz die Theorie hat, auch die Kellnerin würde sie hassen.

Im März hätten ihre Auftritte bereits stattfinden sollen, aber im Zeichen der gläsernen Künstlerin, zu der sie sich gemacht hat, sagte sie die Tour mit der Begründung ab, ihr bester Freund sei an Krebs erkrankt. Jetzt wird die Tour nachgeholt und bedarf scheinbar keiner Werbung, da die meisten Menschen ihre Karten behalten haben und das Konzert binnen kürzester Zeit wieder ausverkauft ist. Eine so enge Bindung zwischen sich selbst und dem Publikum herzustellen ist Amandas Erfolgskonzept.

“Meine Infrastruktur ist echt beschissen. Ich habe das Management gewechselt. Ich mache das jetzt schon so lange, dass ich keinen Glauben in irgendwas anderes mehr als meine Fans setze. Die Konzerte werden etwas anders als sie gewesen wären. Ich habe einen neuen Schlagzeuger. Außerdem war zu Beginn der Tour die Show noch viel stärker geskriptet. Wir hatten Projektionen und andere Zusätze, aber wir haben uns dann entschieden, dass wir das alles nicht brauchen. Wir haben diesmal auch keine zusätzlichen Musiker_innen pro Stadt. Es war zwar cool, als es funktioniert hat, aber es hat die Konzerte jetzt nicht besser gemacht und nach der Kontroverse schien es auch unpassend. Jherek und Chad sind froh, dass sie nicht noch zwei Stunden pro Abend damit verbringen müssen den Leuten die Lieder auf dem Klo beizubringen. In den Läden, in denen wir gespielt haben, gab es noch nicht mal Backstagebereiche, wo so etwas hätte stattfinden können. Wir haben festgestellt, dass je weniger wir die Konzerte durchgeplant hatten, sie desto besser wurden.”

Die Kontroverse, die sie in einem Nebensatz anspricht, hat sie viel an künstlerischer Glaubwürdigkeit gekostet und einen wütenden Kommentar von Steve Albini eingebracht. Nach der Crowdfunding-Aktion suchte sie nach Mitmusiker_innen, die sie mit Umarmungen anstatt mit Geld bezahlen wollte. Angeblich hat sie das Geld nämlich direkt komplett in das Album gesteckt und war dann wieder pleite. Die Radikalität ihrer Kunst als Personifizierung ihrer selbst, lässt das durchaus glaubwürdig erscheinen. Dennoch führte dieser Aufruf und andere möglicherweise nicht ganz durchdachte Posts auf ihrem Blog dazu, dass sie die meiste Energie in das Reagieren auf negative Presse stecken musste, anstatt Musik zu machen, und das alles, während sie im Krankenhauszimmer auf die Besserung des Krankheitsverlaufs ihres besten Freundes wartete.

“Es war schwer. Es geht im gerade gut, er ist in Remission, aber mit Krebs ist das immer etwas komplizierter. Du kannst gesund seien aber der Krebs kann trotzdem wiederkommen. Er lebt. Er arbeitet. Er ist Psychotherapeut und empfängt wieder Patient_innen. Er geht schwimmen. Wir reden immer noch ständig miteinander, aber es war ein interessantes Kapitel in unserer Freundschaft. Ich weiß nicht, ob ihm klar ist, dass es auch für mich vieles verändert hat, im Guten wie im Schlechten. Wenn ich die Tour nicht abgesagt hätte, hätte ich den TED-Talk niemals so gut machen können. Als ich zugesagt hatte, wäre ich direkt aus Australien dort hingeflogen.

Stattdessen hatte ich Zeit zu Hause buchstäblich durch meinen Keller zu tigern, meine Freund_innen anzurufen und den Vortrag umzuschreiben und so wurde er zu einem kleinen Theaterstück. Unterwegs habe ich für sowas gar keine Zeit. Ich kann noch nicht mal eine Zeitschrift lesen. Ich bin jetzt seit 10 Jahren eine tourende Musikerin, und jedes Mal denke ich wieder, diesmal werde ich etwas zustande bringen. Ich meine heute konnte ich immerhin joggen und bin dann schwitzig in den Dom, weil ich ihn Thor zeigen wollte, aber etwas intellektuelles schaffe ich hier nicht.

Es gibt Leute, die das können, so wie David Byrne, die die Disziplin dafür haben. Aber wenn du das Konzert gleich sehen wirst, dann sind das vier Stunden voll mit Tanzen, Trinken, Erschöpfung, und dann gebe ich noch eine Stunde oder zwei Autogramme – das fühlt sich wie ein Marathon an. Ich wache um 13 Uhr auf und mache dann den ganzen Tag Pressearbeit. Ich habe kaum Zeit meine E-Mails zu checken. Wenn wir mal einen Tag frei haben, hänge ich nur rum, ruhe meine Stimme aus, lese vielleicht ein Buch, schreibe E-Mails und gehe um zehn Uhr schlafen.

Das wäre also auf jeden Fall spannend, zu wissen, was die alternative Realität meines TED-Vortrags gewesen wäre, wenn ich davor jeden Tag dieses Tourleben gehabt hätte. Es wäre auf jeden Fall total chaotisch geworden. So war ich total auf den Punkt. Seitdem werde ich in den USA auf der Straße erkannt. Zwar nicht wegen der Band, aber in dem Vortrag ging es ja um das Musiker_innendasein”.

In dem sagenumwobenen TED-Vortrag ging es genauer noch um Amandas Philosophie, dass Fragen eine Kunst ist, und das Menschen einen gerne unterstützen wollen sollen anstatt dazu gezwungen zu werden. Als Straßenkünstlerin hat sie den Menschen, die sie finanziert haben, ihren Dank geschenkt, und das tut sie jetzt auch noch, obwohl sie mittlerweile eine Art Rockstar geworden ist.

“Der Begriff Rockstar bedeutet heute etwas ganz anderes als früher. Es hat nichts mehr mit Musik zu tun. Du kannst ein Literatur-Rockstar sein, oder ein Kunstrockstar. Ich fühle mich nicht als Rockstar sondern als Hippie, der Musik macht. ‚Do it with a rock star‘ ist eine Persiflage darauf. Es geht um eine unsichere Sängerin, die hofft, dass sie mit Leuten rumhängen darf. Sie ist ein Anti-Rockstar. Auf der Bühne fühle ich mich schon als Rockstar, vor allem seitdem ich Frontfrau dieser Band bin, mich gebare wie Mick Jagger und Lieder wie ‚Killing Type‘ singe. Das ist die Rolle des Rockstar und Leuten gefällt es, wenn du sie spielst. Wenn ich nicht auf der Bühne bin, fühle ich mich schlunzig”.

Das heißt allerdings nicht, dass Amanda nicht auch neben ihrer Tätigkeiten als Musikerin gerne für Furore sorgt. Sie beteiligt sich dann an öffentlichen Diskussionen zu der Entwicklung von Miley Cyrus oder dem Anschlag auf den Boston Marathon und muss auch hier oft selber Federn lassen. Ihr Motto diesbezüglich hat sie passenderweise auf ihren Körper geschrieben: Wir sind die Medien.

“Ich habe das Gefühl da eine sinnvolle Rolle einzunehmen, es ist aber nicht meine Pflicht. Ich mache das, weil ich Lust darauf habe. Je mehr ich mir die Mainstream-Kultur anschaue und je mehr Informationen ich über Alternativen dazu bekomme, desto glücklicher bin ich dem Teenager-Mädchen sagen zu können ‚Schau mal, so geht’s auch. Du kannst diese Entscheidungen treffen, aber du musst es nicht‘. Es ist genau das gleiche, was ich auch durch meine Musik tue. Ich mache was ich will, und ich habe das Gefühl, das reicht auch. Das sollten alle so machen.

In der letzten Ausgabe von New Statesman, in dem ich auch einen Beitrag hatte, und der von Russell Brand mitherausgegeben wurde, sollten Leute über das Thema Revolution schreiben. Es gab einen Artikel von Naomi Klein, in dem sie feststellt, dass wenn nicht irgendetwas ganz drastisches bald passiert, dieser Planet in den nächsten 50 Jahren Geschichte ist. Wenn du darüber nachdenkst und dir dabei die Leute in diesem Café anschaust, die in ihrem mondänen Leben Törtchen herstellen, fragst du dich, was diese drastische Sache sein könnte. Die Wissenschaft sagt, dass wir vor 15 Jahren die Möglichkeit gehabt hätten, die Erde zu retten.

Ich bin nicht die Art Mensch, die das bedrückt. Da alles schon aus der Balance geraten ist und vertrauenswürdige Quellen das bestätigen, und es gerade ein Wiederaufleben des Feminismus gibt, denke ich mir: Es gibt echt viele Frauen, mehrere Milliarden, dort könnte die Revolution passieren. Wenn alle Frauen jetzt sagen würden, Jungs, ihr habt’s versucht, es hat nicht geklappt, wir nehmen euch eure Kreditkarten und Alkoholflaschen weg und schicken euch in’s Bett und jetzt schmeißen wir den Laden für ein paar Tage – das würde die Welt retten. Das ist bloß schwierig zu organisieren. Frauen nutzen ihre Macht meistens nicht, aber wenn jede Frau davon unterrichtet würde was gerade mit unserer Welt passiert und sie vor die Wahl stellt es zu ändern oder nicht, würde etwas drastisches passieren.”

Interessanterweise ist Amanda Palmer nicht dafür bekannt, viel mit anderen Frauen zusammengearbeitet zu haben. Ihre Mitmusiker_innen waren immer männlich. Sie ist nicht die einzige, die das so macht, aber es scheint bei ihr im Gegensatz zu Menschen wie Courtney Love, die das früher gemacht haben und jetzt nicht mehr tun, keine Entwicklung zu sein.

“Frauen können zusammenarbeiten. Vier Tage bevor sie gestorben ist hat Janis Joplin ein Interview gegeben, in dem sie gefragt wird, warum sie nur mit Männern unterwegs ist, und sie antwortet, dass sie auch so schon genug Probleme hat. Sollte ich eine Frau kennenlernen, die eine großartige Schlagzeugerin ist, würde ich sie lieber engagieren als jeden Mann, weil es auch keinen Spaß macht die einzige weibliche Energie im Tourbus darzustellen. Bei unserer Vorband spielt eine Frau mit und bei uns verkauft eine Frau das Merchandising und ich mag es mich mit diesen Frauen zu umgeben. es ist aber für uns schwieriger miteinander auszukommen als uns mit Männern zu verstehen, weil man bei denen immer weiß, wo man dran ist.

Bei Frauen ist es fast so als ob, wenn wir nicht in einem Dorf zusammen auf unsere Babies aufpassen, wir keine Überschneidungslinien miteinander haben. Wir werden dazu erzogen uns in Konkurrenz zueinander zu sehen. Mit Courtney Love kommt aber glaube ich fast niemand klar. Gestern habe ich einer Dänin, die einen Dokumentarfilm über den Mangel an Frauen im Musikbusiness macht, ein Interview gegeben. Wenn eine Frau für eine Sekunde denkt, sie möchte eine Technikerin, oder Bassistin werden, und sich das Spielfeld ansieht, sieht es nach sehr nerviger Arbeit aus. Dieser Teufelskreis macht es zum Club.

Und wenn du Bassistin werden willst, denkst du ja selber auch nicht, dass du ein weiblicher Bassist sein, sondern einfach nur Bass spielen willst. Gestern saß ich im Flugzeug, und ich habe bestimmt schon 6000 Flüge hinter mir, und zum ersten Mal in meinem Leben, gab es eine Pilotin. Als ich ihre Stimme gehört habe, dachte ich, scheiße, ist das wirklich das erst Mal, dass es eine Frau ist. Diese Frau muss so sehr über ihre Wirklichkeit definiert sein, weil sie die einzige ist, und alle nur sagen, sie ist PilotIN! und nicht, dass sie Flugzeuge steuert, und das ist das Problem. Jede, die in einen Herrenclub will, wird auf ihre Weiblichkeit reduziert werden, und das nervt.“

Mit einigen dieser Erkenntnisse wird auch Amanda jetzt ihre Repertoire erweitern und schreibt zur Zeit an ihrem ersten Buch.

“Es werden keine Memoiren, es wird um den TED-Vortrag gehen, um Fragen, darum wie wir einander helfen können, jetzt wo alles anders ist, meine Erfahrungen. Es ist eine Art Manifest des Fragens und der Kunst, die Verantwortung, die Künstler_innen und das Publikum übernehmen müssen, damit der Scheiß funktionieren kann, Digitalismus. Ich glaube es ist nicht gut über Authentizität zu reden oder zu schreiben, man muss es machen.”

Singen tut sie aber schon irgendwie darüber, über die Jungsbands, die so tun als würden sie über Gefühle singen aber eigentlich nur so tun, weil sie wissen, dass solche Lieder Groupies anziehen.

“Das ist total authentisch, so lange sie ehrlich ihre Motive zugeben. Ich schreibe Lieder weil ich möchte, das Menschen dazu einen Bezug aufbauen und mich lieben. Man sollte nicht lügen und behaupten man mache Musik für sich selber. Das kaufe ich keinem ab. Natürlich sind alle Künstler_innen unterschiedlich gestrickt. Darum wird es auch in dem Buch gehen, die Idee, dass es den Persönlichkeitstyp Musiker_in gibt und alle Darsteller_innen wären. Es gibt welche die exhibitionistisch sind, andere sind aber schüchtern und fühlen sich unwohl und würden am Liebsten nur durch ihre Musik kommunizieren und nie mit jemandem reden. Alle diese Ansätze sind legitim und deswegen hasse ich Rezensent_innen. Sie wollen den Künstler_innen die Legitimation für ihre Musik entziehen. Das macht mich fertig.”

Text/Interview: Alva Dittrich

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