Betrunkenes Betragen – Eine ethnologische Weltreise, Craig MacAndrew & Roberet B. Edgerton
Galiani Verlag, Friedrichstraße 119, 10117 Berlin, www.galiani.de
Das englische Original erschien bereits 1969 ( Drunken Comportment. A Social Explanation), wurde aber damals kaum beachtet, geschweige denn ins deutsche übersetzt, dies ist nun nach über 50 Jahren geschehen. Zum Glück hat Jakob Hein, der das Buch wiederentdeckt und auch übersetzt hat, ein wirklich passendes Vorwort geschrieben. Denn natürlich galten damals ganz andere Maßstäbe als heute und auch die Wissenschaft war eben nicht da wo sie heute ist. Ohne das Vorwort würde man zurecht auf einige rassistische, sexistische und vor allem eurozentrische Sichtweisen und deren umgehen damit stolpern. Die sind durch das Vorwort nicht verschwunden, aber der Übersetzer hat klar gestellt, das er damit auch nichts anfangen kann.
Ich will hier nicht weiter drauf eingehen, da ja alles im Vorwort steht. Die Autoren lassen keinen Zweifel daran das Alkohol in der Lage ist die sensomotorischen Eigenschaften des Menschen, teils erheblich, zu beeinflussen. Aber wie ist es mit dem Rest: Die vermeintliche „Enthemmtheit“, wenn Menschen aggressiv werden, herumbrüllen, sich aufführen als ob sie den Verstand und jegliche Kontrolle über ihre Triebe verloren hätten. Liegt es gar nicht am Alkohol wenn Menschen plötzlich nach ausschweifendem Sex dürstet? Ist es vielmehr eine geplante Auszeit von dem ständig unter „Kontrolle“ zu haltenden Leben? Die beiden amerikanischen Autoren erläutern das hier mit massig Original-Berichten (was natürlich nicht heißt, das es sich genauso zugetragen hat) anhand von Fallbeispielen aus der ganzen Welt, wo sich Menschen eben nicht, durch den Alkohol enthemmt zeigen. Natürlich auch, aber eben auch fröhlich sind und nicht aggressiv. Das es auch ganz anders geht, zeigen die vielen superaggressiven Vorfälle wo nicht selten viele Tote zu verzeichnen waren. „Witzigerweise“ wurde das dann immer auf den Alkohol geschoben, also traf den Ausführenden, keine Schuld – das gilt ja zum Teil noch bis heute. Irre wie viel und lange auch schon früher gesoffen wurde. Ebenso lang gilt ja die „Erkenntnis“ das Alkohol – vereinfacht gesagt – enthemmt. Die Theorie der beiden Autoren ist nun, das dies nicht stimmt, sondern das „Betrunkenes Verhalten“ immer erlernt oder „trainiert“ ist. Oder wie es Hein in einem Interview ausdrückt: „Dass es keine objektive psychologische Wirkung des Alkohols gibt, sondern dass wir durch Trinken nur zu dem werden, was wir glauben, durch Trinken zu werden.“ Das wäre natürlich interessant und es bleibt zu hoffen das sich entsprechende WissenschaftlerInnen mit der neurologischen Wirkung von Alkohol mal jetzt intensiv auseinander setzen.
Und der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Andreas Heinz, schreibt in seinem Nachwort unter anderem: „Deshalb ist eine der entscheidenden Pointen der Arbeit von MacAndrew und Edgerton, dass die vermeintliche Unfähigkeit der Ureinwohner Amerikas, mit Alkohol umzugehen, auf das (schlechte) Beispiel der europäischen Kolonisatoren zurückzuführen ist und eben nicht auf eine vermeintlich kategorial (rassisch) andere Biologie. Zu derart rassistischen, falsch generalisierenden biologischen Erklärungen gibt es bis heute immer noch viel zu wenige kritische Erwiderungen, und die vorliegende ist in dieser Hinsicht ein ganz entscheidender Text.“ Für die heutige Zeit war mir das ein wenig zu viel Text um die Kernthese zu bekräftigen. Aber, das heißt nicht das diese keine Brisanz hat – denn wenn es tatsächlich genau so ist, dann würde das nochmal ein ziemlich schwaches Bild auf uns Menschen werfen. Nämlich das wir nicht selbst (oder der Alkohol) entscheiden wie sich zu Verhalten ist, sondern wir es einfach nachmachen. Wem das hier als Info genügt, muss das Buch nicht lesen, allen anderen sei empfohlen das dringend zu tun, denn hier werden noch so viele Aspekte aufgegriffen die ich hier nicht behandeln will. Und historisch interessant ist es allemal. 294 Seiten, Gebunden, 24,00 Euro, (dolf)
Isbn 978-3869713038
[Trust #227 August2024]