März 21st, 2020

ASTRÖM aus #94, 2002

Posted in interview by Jan

Vom Leben und Leiden an und mit sich selbst
Kristofer Åström & Hidden Truck

Dass der Mann den Blues hat, wissen wir spätestens seit der letzten Platte seiner Band Fireside. Allein und ohne den mäßigenden Einfluss seiner Fireside-Kollegen, pflegt er diesen Ausdruck noch reiner, einen Schmerz, der scheinbar allgegenwärtig ist. Sein Album „Northern Blues“ ist ein delikates Singer/Songwriter-Album, nicht ohne Tendenz zur Selbstzerfleischung, zu einer Nachdenklichkeit, die sich schon in der Abbildung auf dem Frontcover andeutet, wo Åström ernster Mine vor einer Berglandschaft zu sehen ist.

„All Lovers Hell“
Der erste Song –

„I’m not the first to sleep beside you in this bed / it’s poisoned with some other idiotic guy’s smell / and even though you tell me that your love for him is dead / i always keep preparing to go through all lovers hell“

– singt in vordergründig optimistischem Duktus eine Geschichte über die Probleme des monogamen Mannes, der in seiner Sehnsucht nach der „wahren“ Liebe noch die Verflossenen zu Nebenbuhlern kürt und sich selbst beschwört:

„I gotta start believing that you really love me“

Damit formuliert Åström mustergültig und auf die Spitze getrieben den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit der seriellen Monogamie. Ich würde gar von einer gewissen Einfalt sprechen, wäre diese nur nicht so schlecht beleumdet. Wie bei Fireside: Die Klage darüber, dass es so wie es ist, nicht schön ist, verbunden bisweilen mit der Hoffnung, irgendwer oder irgendetwas möge bitte dafür sorgen, dass der Schmerz aufhört.

„Es scheint mich zu verfolgen, diese Sehnsucht, dass der Schmerz aufhört. Aber wenn ich Texte schreibe, neige ich dazu sie dann zu schreiben, wenn es mir nicht so gut geht, was natürlich nicht immer ist. Aber ich schreibe sie lieber, wenn ich nicht so glücklich bin. So kann ich den Rest der Zeit damit verbringen, Spaß zu haben“, lacht Åström leise.

Leaving Songs
In Schweden erschien ein paar Monate vor „Northern Blues“ das Album „Leaving Songs“, laut Åström ein Lebenszeichen, das in zwei Tagen aufgenommen und nur ganz rasch und roh abgemischt wurde, um den Fans etwas zu geben, derweil sie auf „Northern Blues“ warteten, das in einer über zwei Jahre währenden, immer wieder unterbrochenen Prozedur entstand.

Für Åström muss das eine wahre Qual gewesen sein, schreibt er doch eigenen Aussagen zu Folge einen Song in zehn bis fünzehn Minuten, weil er es nicht abwarten kann, das fertige Ergebnis zu haben. „Northern Blues“ ist nicht nur wegen unwillkommener Unterbrechungen wie Krankheiten oder dem Umzug des Studios ein aufwändiges Album geworden, sondern vor allem hinsichtlich der Arrangements, die den schlichten Songs mit ihren ebenso schlichten und sich so gar nicht gegen eine Deutung sperrenden Texten einen Farbenreichtum geben, der zumindest mich ein wenig an Bands wie Isolation Years, Bear Quartet oder Hederos & Hellberg erinnert, die – vom Hardcore bzw. Rock kommend – mittlerweile ihr Mittel der Wahl nicht zuletzt in der Verwendung akustischer Instrumente, Klavier sowie Streicher- und Bläser-Arrangements und folkigen Musizierweisen gefunden haben.

„Die Art, Songs zu schreiben und damit umzugehen ist ähnlich wie bei Punkrock“, findet Åström. „Punkrock ist simpel, so wie Country-Musik. Es sind nur drei Akkorde, aber es gibt mehr Möglichkeiten, etwas aus dem Song zu machen. Obwohl ich denke, dass nichts einen guten Punkrock-Song schlagen kann.“

Und setzt nach: „Ich habe mir neulich nochmal meine erste Punk-Band Superdong angehört, und es war nicht wirklich gut. Wahrscheinlich sollte ich nie wieder Punkrock spielen.“

Davon ist er mittlerweile ohnehin weit entfernt, nimmt man auch das tolle letzte Album von Fireside. Aber es könnte sein, dass die nächste Fireside doch wieder etwas kräftiger wird: „‚Elite‘ war eine Reaktion auf das, was die Leute von uns gedacht haben. Wir wollten weg davon, die Hardcore-Band Fireside zu sein. Wir nehmen gerade eine neue Platte auf, und die geht mehr in Richtung Rock, ist weniger experimentell. Wir werden sehen, was passiert, aber es scheint eher Rock’n’Roll als ‚Elite‘ zu sein.“

Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette…

„I spent too little time on myself / it’s all just work and no play / i spent too many hours on planes / thanks for listening to my complaints“

Ganz zart am Klavier, die Stimme hier wirklich ein wenig ans Timbre von Mark Hollis erinnernd. Diesen Beschwerden ist schön zuhören, wenn die Stunde richtig ist.

stone

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