Dezember 31st, 2021

Akne Kid Joe (#206, 2021)

Posted in interview by Jan

„Eine Sache sei an dieser Stelle mal erwähnt: ich bin Sarah, eine Frau und spiele auch in einer Band“. Mit diesen Worten leitete die Gitarristin das zweite Album der Nürnberger Band Akne Kid Joe ein. Wer würde da besser in die Reihe #PunkToo passen als Sarah? Im Interview geht es um die Geschlechterverteilung auf und vor den Bühnen im Punk und auch um die Zukunft von Akne Kid Joe.

Hallo Sarah, danke dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Zunächst einmal die offensichtliche Frage: Wie läuft es im Zeitalter des Virus für Akne Kid Joe?
Es läuft ganz ok würde ich sagen. Anfangs war es natürlich schon sehr krass, kurz vor dem Albumrelease der 1. Lockdown, erst wurde die Tour abgesagt, dann Stück für Stück der Festivalsommer, dann die Herbsttour. Umso länger es dauerte umso mehr wurde uns allen klar, dass diese Sache noch sehr lange dauern wird. Irgendwann wurden die Konzertabsagen normal, da resigniert man auch einfach mit der Zeit. Im Herbst haben wir dann fünf pandemiegerechte Konzerte gespielt und im Nachhinein glaube ich, dass diese Zeit extrem wichtig für mich persönlich, aber auch für uns als Band war. Obwohl auf diesen Konzerten natürlich auch alles anders war als normalerweise, waren diese 1,5 Monate auf jeden Fall die beste Zeit, die ich dieses Jahr hatte.

Es war ein bisschen wie Urlaub von der Pandemie innerhalb einer Pandemie. Mit der Band unterwegs zu sein, viele bekannte Leute nach so langer Zeit wieder sehen zu können und auch zu merken, dass das Publikum super dankbar und glücklich ist, mal wieder auf ein Konzert gehen zu dürfen – das war einfach sehr schön. Jetzt sind wir wieder mittendrin, der Winter ist da durch den erneuten Lockdown wurden uns wieder Konzerte abgesagt, die schon pandemiegerechte Ersatzveranstaltungen für die ausgefallenen regulären Konzerte hätten sein sollen, das ist natürlich alles bitter. Aber wir arbeiten mit großen Schritten am neuen Album und sind auch schon weit gekommen. Ich glaube, dass die Konzerte im Herbst bei uns auf jeden Fall wieder zu mehr Motivation und Hoffnung geführt haben. Es hat einfach gezeigt, dass man auch innerhalb dieser Zeit etwas Sinnvolles machen kann.

Die Interview Reihe heißt #PunkToo. Das heißt, es geht um Sexismus und Gender im Punk Rock. Wie bewertest du die Situation für nicht-männliche Personen in der Subkultur?
Ich bin froh, Teil einer Subkultur zu sein, die sich für das Thema interessiert und die diskriminierungsfreie Werte als Grundlage ihres Selbstverständnisses begreift. Schon allein deshalb ist die Situation hier vermutlich besser als in vielen anderen Szenen. Allerdings heißt das natürlich nicht, dass alles perfekt ist. Ich bin z.B. oft genug trotzdem noch die einzige weibliche Person im Backstage. Und das hört ja bei Bands nicht auf, das gilt genauso für die Leute, die Konzerte veranstalten, Technik machen, usw. Man sieht das Ungleichgewicht an jeder Ecke.

Und sexuelle Übergriffe gibt es auch in unserer Szene leider immer noch, wenn ich mich da z.B. an die Spannervorfälle mit versteckten Kameras auf Festivals erinnere, dann wird mir echt schlecht. Und das ist ja auch nur ein Beispiel von vielen. Ich empfinde das fast als noch schlimmer, sowas von Orten zu hören, die man eigentlich als absolute Safe Spaces wahrnimmt. Man wird dadurch wieder aus seiner kleinen Wohlfühl-Bubble herausgeholt und erkennt, dass auch bei uns die oberflächlich schöne Welt oft richtig beschissen ist. Trotzdem sehe ich, dass sich in den letzten Jahren viel getan hat, Awareness Teams sind inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, viele Veranstalter*innen achten beim Booking auf Ausgewogenheit, es gibt Projekte, die Frauen* einen niedrigschwelligen Zugang zu eher männlich dominierten Bereichen, wie z.B. Veranstaltungstechnik, schaffen, usw. Es geht also was voran, aber es dauert noch bis alles gut ist.

Der Song „Sarah (Frau, auch in ner Band)“ ist eine ordentliche Kampfansage an den Status Quo. Wie ist das Lied entstanden?
Das Genderthema spielte bei der Gründung von AKJ anfangs überhaupt keine Rolle, wir waren einfach nur vier sehr gute Freund*innen und wollten zusammen Musik machen und eine gute Zeit haben. Es hat lange gedauert, bis wir gemerkt haben, dass das für andere Leute anscheinend ein großes Thema ist, also gar nicht unbedingt negativ gemeint. Es passiert z.B. total oft, dass ich nach Konzerten von Frauen* angesprochen werde, die mir erzählen, dass sie auch gerne in einer Band spielen würden, aber sich bisher nicht getraut haben. Einfach nur, weil sie denken, dass sie dafür sowieso zu schlecht seien, obwohl sie teilweise schon seit mehreren Jahren Gitarre spielen, aber eben allein.

Und dass sie aber jetzt nochmal neuen Mut fassen und das Projekt in Angriff nehmen wollen. Das ist alles total krass und war mir vorher in dieser Dimension überhaupt nicht bewusst. Ich habe natürlich schon von der Bedeutung von Vorbildern bzw. Personen, mit denen man sich identifizieren kann, gehört, aber das live zu erleben hat mir echt nochmal ein bisschen die Augen geöffnet. Und dann hab ich eben auch angefangen darüber nachzudenken, wie das alles bei mir war und wieso es überhaupt so lange gedauert hat, dass ich auch mal selbst in einer Band spiele, obwohl ich seit ich 15 bin mehr oder weniger aktiver Teil dieser Szene bin, usw. So kam es dann letztendlich zu diesem Song, ein autobiographischer Abriss meines Werdegangs plus Zukunftsappell.

Lauren Tate von Hands Off Gretel hat vor einem Jahr angeprangert, dass die ersten Reihen und der Moshpit auf Punk Rock Konzerten oft von großen männlichen Fans beansprucht werden. Siehst du auf euren Konzerten auch, dass nicht-männliche Fans eher an die Seiten oder die hinteren Reihen verdrängt werden?
Ich habe das Gefühl, dass bei unseren Konzerten überwiegend gutes Klima herrscht, aber es gab auf jeden Fall schon Situationen, in denen mir das aufgefallen ist, ja. Es gibt einfach Typen, die dann so aufdrehen und gar nicht merken, bzw. es ihnen vermutlich egal ist, dass ihr Verhalten dazu führt, anderen Leuten das Konzert bzw. den ganzen Abend zu versauen. Im Übrigen ist das oft nicht nur vor der Bühne unangenehm, auch auf der Bühne. Solche Leute haben oft einen krassen Geltungsdrang, sind total besoffen und rufen z.B. ständig irgendeinen Bullshit auf die Bühne.

Es ist total schwer mit solchen Menschen umzugehen, sich nicht provozieren zu lassen, ihnen nicht noch mehr Raum und Aufmerksamkeit zu geben und gleichzeitig weiter eine coole Show abzuziehen. Solche Typen gehen mir richtig auf die Nerven. Aber was mir wichtig ist zu sagen: ich bin ja oft bzw. eigentlich sogar überwiegend in männlicher Gesellschaft, meine ganze Band besteht z.B. aus Männern und die sind von sowas genauso genervt wie ich. Daraus ergeben sich für mich zwei Schlussfolgerungen: diese aufgeblasene Männlichkeit und das unangenehm zur Schau gestellte Mackertum schadet uns allen, nicht nur den nicht-männlichen Personen, auch wenn die natürlich am meisten davon betroffen sind.

Zweitens ist es anscheinend möglich, ein Mann zu sein und sich trotzdem nicht wie ein Arschloch aufführen zu müssen. Also was bitte ist so schwer daran, sein scheiß Ego mal in den Hintergrund zu stellen und ein Konzert so zu genießen, dass man am Ende nicht der einzige vor der Bühne ist, weil alle anderen inklusive der Band entnervt den Raum verlassen haben?

Habt ihr schonmal schlechte Erfahrungen mit Veranstaltenden oder anderen Bands gemacht? Also, mit Personen deren Einstellungen fragwürdig oder einfach daneben sind?
In der Regel versucht man ja immer im Vorfeld schon ein bisschen was herauszufinden über z.B. den Ort, in dem das Konzert stattfinden soll oder die anderen Bands, die da noch mit dabei sind, usw. Deshalb gab es noch nie so richtig negative Überraschungen. Ansonsten sind bisher natürlich die Klassiker passiert, z.B. dass man in eine Location kommt, in der man spielen soll, und Personen, die zur Venue gehören oder andere Bands denken, dass ich kein Teil der Band bin und begrüßen mich deshalb nicht. Warum denken sie das?

Das Einzige das mich von meinen Bandkollegen unterscheidet ist das Geschlecht, also wird das wohl der Grund sein. Ich versuche sowas immer sarkastisch zu kontern, funktioniert mal besser, mal schlechter. Oft regen mich solche Situation in dem Moment so sehr auf, dass mir die geile schlagfertige Antwort leider erst 2 Stunden später einfällt. Und dann gibt es natürlich auch Bands, die sich z.B. auf Social Media als emanzipierte Vorzeige-Linke präsentieren, bei denen man dann aber vor Ort im Backstage schnell merkt, dass ihr Verhalten im Reallife erheblich von ihrer digitalen Darstellung abweicht, in Bezug auf einen respektvollen Umgang untereinander.

Es soll natürlich auch um Musik gehen. Ihr habt mit eurem zweiten Album ordentlich abgeräumt. Ihr habt es vom Proberaum unter anderem zum Bayerischen Rundfunk geschafft. Was ist euer Erfolgsrezept?
Das klingt ja so, als wäre der Bayerische Rundfunk das Nonplusultra, dabei ist er einfach nur deshalb gut, weil man in der Familien-Whatsapp Gruppe mehr Anerkennung für einen Radiobeitrag im BR bekommt als für ein Interview im Trust Fanzine haha. Aber zurück zu unserem „Erfolgsrezept“, wie du es nennst. Ich denke es besteht zum einen aus einer großen Portion Selbstironie, Menschen, die Fähigkeiten besitzen, die für eine Band nützlich sind (z.B. ein Album selbst aufnehmen oder Grafiken erstellen zu können) und natürlich Glück. Wenn ich da z.B. an die Geschichte denke, wie wir zu unserem Label Kidnap Music gekommen sind (Labelinhaber und PASCOW Sänger Alex entdeckte durch Zufall unsere 1. EP auf Bandcamp und fand sie so gut, dass er uns seine Hilfe anbot, da hatten wir erst ein Konzert gespielt), hat uns das auf jeden Fall Türen geöffnet hat, von denen wir zu dieser Zeit nicht mal wussten, dass es sie gibt.

Und wie geht’s weiter? Kommt mit Album Nummer 3 der Griff nach den Sternen?
Album Nummer 3 wird kommen, ja. Aber bevor es soweit ist werden wir hoffentlich im Frühling/Sommer wieder ein paar pandemiegerechte Sitzkonzerte spielen. Und es wäre natürlich ein Traum, wenn dann bis Herbst 2021 alle soweit durchgeimpft sind, dass man langsam in die Normalität zurückkehren kann. Mal sehen. Ich freu mich jedenfalls schon auf den Tag, an dem das 1. Konzert ohne Hygienekonzept stattfindet.

Gibt es einen Traum, den du dir mit deiner Musik und mit Akne Kid Joe gerne erfüllen möchtest?
Was ich mir von AKJ erwartet habe und was dann daraus geworden ist, ist im Prinzip schon der wahrgewordene Traum. Eine Sache gibt’s allerdings noch: diese Band wurde eigentlich nur gegründet, um einmal auf der Fusion spielen zu können. Dieses Jahr hatte es fast geklappt – und dann kam Rona. Das ist also noch abzuhaken, ansonsten bin ich wunschlos glücklich.

Vielen Dank für das Interview! Abschließend überlasse ich das Wort ganz dir.
Ich danke dir! Und ich möchte mit einem Impfaufruf enden: lasst euch bitte alle den Stoff in die Venen pumpen – sobald und so viel wie möglich.

Interview: Raphael Lukas

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