Checkpoint Charlie (#221, 2023)
Musikgeschichtlich ist das Interview mit dem Checkpoint Charlie-Sänger Uwe von Trotha, für mich einer der interessantesten Interviews die ich bisher für das TRUST geführt habe und Uwe dürfte mit seinen 81 Lebensjahren, auch einer der ältesten Interviewparter des TRUST sein. Denn inhaltlich geht es noch deutlich weiter zurück als in die Punkära der späten 70er und 80er und durchleuchtet mit der aus der 68er Bewegung hervorgehenden Anarcho-Agit-Politrockband Checkpoint Charlie eine Epoche, die im TRUST bisher nur selten seine Erwähnung fand.
Dabei leistete und baute die radikale Linke zu ihrer Zeit Vorarbeit in Sachen Protestkultur, selbstverwaltete Auftrittsorte, Hausbesetzungen usw.. Checkpoint Charlie gründeten sich 1967 und waren mit Floh De Cologne die erste deutschsprachige Anarchoband. Die Leute um Checkpoint Charlie, Embryo und Ton Steine Scherben leisteten zudem auch Pionierarbeit in der unabhängigen Labelführung, denn nachdem ihre erste LP „Grüß Gott Mit Hellem Klang“ (1970) auf dem Erlanger Independent-Label CPM Records erschienen ist, folgten ihre restlichen
Veröffentlichungen:
„Frühling Der Krüppel“ (1978)
„Selftitled“ – oder „Die Unsichtbare“ (1979)
„Krawall Im Schweinestall“ – 1981
„Feuer & Flamme“ – 1982
„Echtes Liveblocking Gurglersinfonie“ – 1990
… allesamt über Schneeball Records, aus dem später Indigo entstehen sollte. 1976 gegründet war Schneeball Records einer der ersten Independentlabels in Deutschland.
Für Leute, die zum Krautrock nur einen geringen Bezug haben, mögen Checkpoint Charlie vielleicht etwas anstrengend oder langatmig wirken, indem sie in bis zu 20-Minuten langen Songs vor sich hin dudeln. Dennoch bauen sie auch Spannungen auf und einige Songs kommen gut auf den Punkt, wie z.B. „Karl Heinz Arsch“, „Du sollst dein Leben nicht den Schweinen geben“, „Nieder mit dem Packeis“, „Der fette Tod“, „Hexenlied“ oder „Gesetze, Gesetze“.
Die Musik dient hier in der Tradition der Agitrockbands vor allem als ein Transportmittel für ihre reichlich vorhandenen provokanten, textlichen Botschaften oder besser gesagt verbalen Angriffen auf das Establishment. So sang Uwe von Trotha bereits in den 70ern von der stupiden Konsumgeilgeilheit, der ignoranten Umweltzerstörung und auch das Militär, die Staatsmacht, die Politiker, Bullen und das Spießertum stehen im Visier seiner bissigen und angriffslustigen Songtexte.
Ihr Debüt ist auch noch ziemlich krachig und kann neben der politischen Aussagekraft auch musikalisch als Proto-Punk bezeichnet werden. Die restlichen Alben sind bis auf ihr Spätwerk „Echtes Liveblocking Gurglersinfonie“ etwas sauberer und differenzierter eingespielt und daher auch leichter konsumierbar.
Unter dem Titel: „Aus dem Leben eines Bastards – Erinnerungen eines Linksversifften“ schrieb Uwe Von Trotha einen autobiographischen Roman über Checkpoint Charlie und sein bewegtes Leben. Bisher sucht Uwe noch nach einem Verlag! In dem Fall kann ich nur eine Empfehlung, einen Aufruf an Hirnkost, dem Ventil Verlag etc. aussprechen! Denn die Geschichte dürfte überaus interessant, geschichtsträchtig und spannend werden.
Als Kemptener haben für mich Checkpoint Charlie auch persönlich einen hohen Stellenwert, indem mir immer wieder mit großen, leuchtenden Augen von ihrem Konzert 1979 auf der Burghalde in Kempten erzählt wurde, wo sie wegen eines Pappschweins das auf den Namen „Franz Josef“ hörte und anderen diversen Staatsverunglimpfungen, vom Kemptener Landgericht zu 16.000 DM Strafe verdonnert wurden.
Dieser Skandal sorgte für weitere werbeträchtige Publicity, die es letztendlich bis in das US-Magazin „Time“ unter der Überschrift „Polemik und giftige Blüten“ schaffte. Die Einnahmen ihrer folgenden LP „Krawall im Schweinestall“, wo im Beiblatt ausführlich über das Konzert berichtet wurde, gingen u.a. für die Gerichtskosten drauf.
Weil ich von der Geschichte so angetan war und ich sowieso von Punk, Hardcore und Anarchorock zugleich sozialisiert wurde, war es für mich als Heranwachsender eine Selbstverständlichkeit mit meiner damaligen Akustikband Widerschall ihren wohl punkigsten Song „Karl Heinz A. (Arsch)“ zu covern bzw. ihnen Tribut zu zollen, dessen Songtext hier nochmal seine Erwähnung finden soll:
KARL HEINZ ARSCH
Ja Leute dies ist die Geschichte
von Karl Heinz Arsch dem Superwichte
Er fing als kleines Baby an
und endete als deutscher Mann
Brav, Karl Heinz brav
dein Vater war ein Arsch
ein echter, deutscher Spießer
ein Chefarschlochgenießer
Befehle hielt er eilig,
für richtig, recht und heilig
Dich wird er auch erziehen
Zum Schnauze halten, Schwanz einziehen
damit auch aus dir werde
ein Arschloch in der Herde
friss, friss, friss
Karl, Heinz friss den Beschiss
still Karl, Heinz still
ein junger Arsch braucht Drill
Musst lernen, lernen, lernen
in den Schulkasernen
eil Karl Heinz eil
nur keine Drängelei
in dieser Menschenfalle
ist doch Platz für alle
Lirum, Larum Löffelstill
Friss doch Arsch
und frag nicht viel
Schling es rein
färb dir dein Hirn
häng ein Brett vor deine Stirn
drück dir ein Haufen Bildung rein
werd zum Fachidiotenschwein
Schweinefleisch ist wichtig
werde groß und tüchtig
Friss, friss, friss
Karl Heinz und vergiss
Geh Karl Heinz Geh
bald tut´s nicht mehr weh
brauchst dich nicht mehr weiterquälen
darfst jetzt befehlen
Bist 18 Jahre
N´geschniegelter Bengel
suchst dir n´Job bei der Polizei
Ist krisensicher mit Spaß dabei
Roboter, Roboter
mit Eigenheim
Roboter, Roboter
mit Eigenheim
Anbei möchte ich mich noch bei Mella bedanken, denn ohne Sie wäre der Kontakt zu Checkpoint Charlie nicht zu Stande gekommen.
Hallo Uwe, kommen wir erstmal zu deinem außergewöhnlichen Namen Uwe von Trotha. Du hast mir bei unserem kurzweiligen und überaus interessanten Telefonat davon berichtet, dass du ursprünglich in der DDR bis zu deinem 10. Lebensjahr in einer Adelsfamilie großgeworden bist. Wie können wir uns als Außenstehende diese Adels-Szene vorstellen? Denn ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dich dieser spießige, versnobte Lebensstill in deinen späteren Lebensjahren politisch geprägt hat.
Natürlich hat das geprägt. Das ist ein komplexes Thema und würde hier den Rahmen sprengen. In meinem gerade beendeten autobiographischen Roman „Aus dem Leben eines Bastards – Erinnerungen eines Linksversifften“, gehe ich da ausführlich drauf ein. Eine Funktion des Adels in der Geschichte immer die militärische Elite darzustellen, wirft da ein Schlaglicht auf ein frühkindliches Erlebnis. Das muss sich im Sommer 1944 zugetragen haben.
Mein Onkel Otto Gebhardt, kurz „OGeb“ war ein Hauptmann und Kompaniechef und hatte einigen seiner Soldaten, die in den Heimaturlaub fuhren, gesagt: „Wenn Ihr Euch an Obst satt essen wollte, geht zu meinem Vater und bestellt schöne Grüße“. Da saßen sie plötzlich in unserem großen Obstgarten auf den Bäumen und ließen sich die Birnen schmecken. In der Folge stiegen sie wieder herunter und blockierten die zwei Toiletten der Villa.
Die Mägen der armen Kerle, nur an Kommisbrot gewöhnt, streikten. Das Bild der dünnschissigen, hungrigen Soldaten könnte ein früher Wegweiser zur späteren pazifistischen Haltung, ja vielleicht sogar zu meiner differenzierenden, im erweiterten Sinne linken Einstellung, wie sie später im CPC Text „Lass mich Deinen Dünnschiss gurgeln, sagte der Bundeskanzler und steckte seine Rübe in den Arsch des Großindustriellen“, zum Ausdruck kommen.
Ihr habt Checkpoint Charlie bereits 1967 gegründet, damit dürftet ihr mit der Ausnahme von diversen Liedermachern einer der ersten deutschen Bands aus dem Linksradikalen Milieu gewesen sein, die deutschsprachige Songs gesungen haben. Oder welche Bands fallen dir aus den späten 60ern noch ein?
Wir waren die Ersten. Dann kamen Ton, Steine, Scherben mit „Macht kaputt was Euch kaputt macht“. Deutschsprachig fallen mir nur noch `Ihre Kinder´ ein.
Wie kam es zu eurer Bandgründung und gab es Bands oder politischen Aktivisten die euch beeinflusst haben?
Ich hab ja mal einen Beruf erlernt, nämlich Schauspieler. Während der Ausbildung in Heidelberg hatte ich in den damaligen vier Jazzkellern mit Jazz und Lyrik Vorträgen erste spannende Erfahrungen mit Text und Musik. Mein Lieblingsdichter war Francois Villon. Dieser mittelalterliche Rebell ist zeitlos und gab mir einen Vorgeschmack auf CPC.
Ein kleiner Auszug aus der „Ballade, in der ich meine Mitmenschen um Verzeihung bitten möchte“: „Die dicken Fresser in Kamelhaarkutten, die frommen Nonnen und die Kardinäle mit ihren parfümierten Luxusnutten, Minister, Mamelucken und die Generäle mit Blech verklebt vom Nabel bis zum Ohr, eventuell auch noch der königliche Mohr Ninostam, das alte Schwein, sie alle mögen mir mein Lästermaul verzeihen. Nur der verdammte Bürgermeister nicht. Dem Sauhund rotz ich lieber ins Gesicht, der hat mich um mein letztes bisschen Brot betrogen, mir das bisschen Suff genommen, der Sauhund soll mir ja nicht in die Quere kommen, den schlag ich mausetot.“
Nach der Ausbildung war ich sechs Jahre in Karlsruhe am Theater, was aber immer mehr langweilte und teilweise hochgradig spießerbesetzt war. Der Widerspruch im Theater alles sagen zu können, was in anderen Öffentlichkeit mit Strafe verfolgt wurde, wie sich bei CPC später zeigte, gipfelte in der Aufführung der „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke.
Trotz übelster Beschimpfungen wurden wir mit Beifall bedacht. Das ging mir so auf den Keks, dass ich entgegen der Inszenierung an einem Abend ins Publikum sprang und mir bekannt Karlsruher Persönlichkeiten unter anderen einem Bauspekulanten Du Arschloch, Du Kapitalist, Du Syphilitiker und mehr in seine Ohren schrie. Das führte zu Beschwerden und einer Abmahnung. Ich hatte mich aber schon vorher nach Rockbands umgeschaut und „Die Misfits“ gefunden. Diese spielten die Stones nach, waren aber gleich davon angetan mit deutschen Texten etwas aufzuziehen. Das war ein fließender Übergang.
Die späten 60er, 70er und auch die 80er waren eine bewegte Zeit. Wie würdest du das politische und gesellschaftliche Klima und die Aufbruchsstimmung die vorherrschte umschreiben? Oder auch anders gefragt was hat dich dazu bewegt, das du solch radikale, provokante Songtexte geschrieben hast?
Den Ursprung für die Texte würde ich schon in den 50er Jahren verorten. In der Teenager und Halbstarkenphase. Mit der mehr oder weniger kriegstraumatisierten Eltern und Lehrergeneration herrschte ein fast kompletter Kommunikationsstau. Vor allem was in dem Alter besonders interessiert, Sexualität, herrschte gähnende Ödnis. Über die Zusammenführung der Geschlechtsorgane, ficken genannt, hinaus war Unwissen angesagt.
Nach der 1953 gewonnen Fußballweltmeisterschaft fand die dumpfe Verdrängungsphase der Alten ein Ventil: „Wir sind wieder wer“ und die sich schnell entwickelnde Konsumgesellschaft förderte eine objektfixierte Spießersexualität um künstliche Bedürfnisse, die sich bis heute fortsetzt und unseren Planeten fortschreitend in eine Müllkippe verwandelt.
An den Wochenenden konnte man überall die Leute beim Autoputzen beobachten und dadurch den Eindruck gewinnen, dass sich ihre Liebesfähigkeit auf ihre Autos übertragen hatte. Abspritzen, sorgfältiges Polieren mit Autowachs, das Gesicht nur wenige Millimeter über dem Autoblech fixiert, ließ keinen Fliegenschiss unentdeckt.
So war das Bild des sein Auto ableckenden Besitzers durchaus realitätsnah. Dieser Zustand hatte sich Ende der Sechziger nicht groß verändert und somit diente es als Inspiration für einen der ersten CPC Texte auf der LP „Grüß Gott mit hellem Klang“. „Die Geschichte von Herrn Müller wie er seinen VW ins Auspuffrohr fickte und zurück.“
In dieser spießigen Miefigkeit und der nach dem Krieg verbliebenen kärglichen Restmoral von Ordnung und Sauberkeit brachte der Rock´n Roll für viele Jugendliche ein befreiendes Lebensgefühl. Für die Alten Krach, Urwald- oder Negermusik. Ereignisse wie eine Deutschlandtournee von Bill Haley, bei welcher mehrere Konzertsäle zerschlagen wurden, wo kein Stuhl oder Fenster seine ursprüngliche Form behielt, trugen auch nicht zur weiteren Imagepflege bei.
Eure erste Platte „Grüß Gott Mit Hellem Klang“ erschien 1970. Die Eröffnungsrede des ersten Songs „Nancartan“ beginnt schon vielversprechend mit den Worten: „Die Checkpoint Charlie sind wieder da. Wir werden euch den Stachel unters Sitzfleisch reißen. Wir sind der gesunde Aussatz, wir sind die schärfsten Gegner des parfümierten Klosettpapiers, wir kotzen in alle Sirupbecher und vergewaltigen das Zuckermärchen von der keimfreien Milch ohne Rücksicht auf Zustände. Wir werfen unser trauriges Fleisch euch zu Füssen. Blumen, rotes Wachs oder Verwandlung in Plastik. Ihr Schmetterlingsmörder – Aaarrgh!“ Dannach disst ihr gegen die scheinheilige Christenheit, den Vietnamkrieg usw. usf. Die Platte als Gesamtwerk gleicht einem Wortgewitter an provokanten Aussagen, was verbunden wurde mit einem noch dilettantischen und oftmals lärmigen Sound. Was kannst du über die Entstehung der Platte sagen?
Schon Anfang der 70er gab es Bestrebungen in der Musikszene sich von der kommerziellen Plattenindustrie unabhängig zu machen. Ein Pionier war das Label „CPM“ – Club für progressive Musik. Bestehend aus Günther Tannhäuser und Besitzer einer alten Telefonzelle. Mit dieser und einem Vierspur Uher-Tonbandgerät, als technologischem Know how hat er die einzigen drei LP´s seiner Firmengeschichte produziert.
Die Aufnahmen wurden bei einem gemeinsamen Konzert mit Missus Beastly und Amon Düül an der Uni Erlangen gemacht. Amon Düül waren zwar schon bei einer Plattenfirma, aber sehr unzufrieden und wollten sich im Schwarzverkauf ein Zubrot verdienen. Nachdem wir Tannhäuser geholfen hatten die Telefonzelle auf die Bühne zu wuchten und ein paar Mikrophone aufzuhängen, wurde das ein tolles Konzert. Nur die Liveatmosphäre kommt auf der LP leider kaum rüber.
In den frühen 70ern befassten sich Checkpoint Charlie in der Rock-Operette „Scheiße“ bereits sehr früh mit den Problemen des Umweltschutzes. Inwieweit war der Umweltschutz oder auch der Vegetarismus und Veganismus, der heute in den Mainstream vorgedrungen ist, früher ein Bestandteil der Szene?
1972 gab es den Bericht des „Club of Rome“, die Grenzen des Wachstums. Darin werden die Auswirkungen der kapitalistischen Konsumgesellschaft auch auf das Klima in der Zukunft geschildert. In der Politik wurde diese Prognose von der Elite der Wissenschaft kaum reflektiert. Ein CDU Abgeordneter namens Herbert Gruhl schrieb ein Buch „Der Planet wird geplündert“ und wurde daraufhin aus der Partei ausgeschlossen.
Auch in den Medien war das Thema noch kaum präsent. Nach dem Lesen des Berichts brannte mir die Geschichte so unter den Nägeln, dass ich in einer Woche das ganze Programm „Rockoperette Scheiße“ schrieb. Vegetarismus gab es praktisch nicht. Wir waren jedoch damit konfrontiert, denn unser Pianist war Vegetarier und hatte einen Exotenstatus, der ihm den Spitznamen „Salat“ einbrachte. Bei der Bemühung seine Ernährung zu gewährleisten spielten sich des Öfteren groteske Szenen ab.
In Speisegaststätten, nach den Gigs oft in Autobahnraststätten war sein Vegetarismus selten zu erklären. Fragen wie: „Auch kein Würstchen oder Speck usw.“ brachten ihn als Choleriker an den Rand der Verzweiflung. Oft war dann trotz allen Erklärens irgendwas Fleischliches dabei, wie Speck in den Bratkartoffeln oder im Salat. Von Vegetarismus hatte noch kaum einer was gehört.
Auf Wikipedia heißt es: Die „Notwehr“ Tournee sollte vom Verband der Kriegsdienstverweigerer finanziert werden, dieser sprang jedoch kurz vor Beginn ab, was große finanzielle Probleme zur Folge hatte. Trotzdem spielte Checkpoint Charlie in kleinerer Besetzung in über 100 Städten der BRD, lösten sich aber vorerst 1973 auf. Weshalb beteiligte sich der Verband der Kriegsdienstverweigerer nicht an der Tour? War ihnen eure Attitüde zu derbe? Und wieso lösten sich Checkpoint Charlie zu jener Zeit auf?
Der Vorstand vom VK kam auf uns zu. Wir hatten antimilitaristische Texte im Programm und schienen die Richtigen zu sein, um eine Kampagne für die Kriegsdienstverweigerung zu starten. Die Bedingungen versetzten uns in eine rauschhafte Erwartungseuphorie. Neben einer gut organisierten großen Tournee durch die BRD bei der jeder Auftritt mit VK Infoständen und Aufklärern begleitet werden sollte, wurde eine neue Anlage und ein großzügiges 6-wöchiges Probecamp auf der Burg Waldeck versprochen.
Verwirklicht hat sich nur das Probecamp auf der Waldeck. Nach vier Wochen kam der Kontaktmann vom VK Vorstand und unterbreitete uns, dass sich in ihrer Organisation ein interner Machtkampf abgespielt habe, der Vorstand jetzt gestürzt und von DKPisten übernommen worden sei. Bei denen passten unsere teilweise Spaßguerilla Texte nicht ins ideologisierte Kleinbürgergehirn. Sie sollen sich unter anderem an Flugblatttexten gestört haben.
Beispiel: „Wir haben den kalten Kriegern, den verkalkten Offizieren, den legitimierten Lust- und Meuchelmördern, ganz bestimmten Politikern mit den Unterleibern von Käthe Kruse Puppen, den „Kapitalverbrechern“ den Kampf angesagt“. Zugegeben etwas plakativ, aber Aufmerksamkeitserregend. Somit wurde nichts mit der neuen Anlage und weiterer Finanzierung, was für uns Glück im Unglück bedeutet, weil die Tour teilweise schon organisiert war. Bis zu Beginn fanden wir Unterschlupf bei Freunden in Bünde/Westphalen.
Nach der Tour in ständigem Kampf mit einer Schrott-Anlage, einem Schrott-Auto und mageren Gagen durch den kalten Herbst und Winter war das nur wenig Lustgewinn. Der Erfolg der Tour war aber groß. In zahlreichen Städten gründeten sich VK Gruppen. Viele Veranstalter und Leute verbanden politische Musik mit der Vorstellung, dass man dafür nicht zu bezahlen braucht. Das stresste und wir hatten die Schnauze voll, weil wir manchmal kaum was zu beißen hatten. Dazu kamen noch Schulden.
Ohne großes Tam Tam lösten wir uns erst mal auf. Den Proberaum haben wir nicht gekündigt, wohl aus dem Gefühl heraus, dass die CPC Geschichte noch nicht zu Ende ist. Ich machte noch einen Ausflug ans Theater in Heidelberg und spielte dort einige Monate in einem Fassbinder Stück. Die nächsten Jahre bis 1977 sind gekennzeichnet durch ständige Versuche die Band wiederaufzubauen.
Sporadische Auftritte wechseln sich ab mit längeren Zeiten der Stagnation. Einmal kam eine Anfrage für drei gutbezahlte Gigs und nur Hesse Werner, unser Gitarrist war verfügbar. Wir brauchten das Geld und taten uns mit einer Karlsruher Band namens Fuckingham Palace zusammen. Der Name ist vielversprechend, aber es passte gar nicht. Für uns war es selbstverständlich, dass es manchmal zu Auseinandersetzungen mit dem Publikum kam, auch handfester Art.
Es kam vor, dass welche „Aufhören“ schrien, die anderen „Weitermachen“. Wir hörten dann auf und ich sagte den Leuten wir würden uns jetzt hinter die Bühne verziehen und erst weiterspielen, wenn sie sich geeinigt hätten. Es freute mich, dass dabei immer die „Weitermachen Fraktion“ siegte. Die Fuckingham Palace hatten nun das Pech besonders aufgeregte Veranstaltungen zu erleben. Auch einige Gegenstände, wie Bierflaschen flogen auf die Bühne. Also die haben sich beinahe in die Hosen gemacht und damit war es ihr letzter Ausflug in unsere Gefilde.
Zwischen eurem Debüt und eurer zweiten Platte „Frühling der Krüppel“ vergingen acht Jahre. Inzwischen wart ihr musikalisch schon wesentlich ausgereifter. Anscheinend habt ihr die ganze Rhythmussektion ausgewechselt. Was geschah in der Zwischenzeit dieser zwei Platten?
Wie vorher erwähnt war CPC fragmentarisch immer präsent. Allerdings nur mit Hesse Werner, Salat und mir. Unser Sänger Harald hatte sich einer kommunistischen Mini-Partei angeschlossen und seinen Lebenssinn im agitieren der Arbeiter in einer Nähmaschinenfabrik gefunden. Malte hatte ein Studium zum Lehrer aufgenommen. 1976 ging uns auch mein bester Freund Hesse Werner durch Mitgliedschaft in einer Linken Sekte verloren. 1977 liefen uns dann drei Musiker zu, die schon CPC Fans waren und so ergab sich alles wie von selbst.
Alle hatten schon Erfahrungen in anderen Rockbands gesammelt und spielten in Amiclubs. Sänger und Bassist war Jürgen Bräutigam, Schlagzeuger Lothar Stahl und Gitarrist Wilfried Sahm. Letzterer spielte der Kohle wegen noch in einer Unterhaltungs- und Faschingsband. Mit ihm entwickelte sich bis heute eine enge Freundschaft. Gleich zu Beginn unseres Kennenlernens lud er mich, mit der Bemerkung als professionellem Schocker müsste ich jedem Schock gewachsen sein, zu einem Auftritt jener Band ein. Es war Faschingszeit.
In einem rammelvollen, mit Faschingsdekor ausgeschmückten riesigen Brauereisaal quetschte ich mich an eine Wand um nicht den grölenden, schunkelnden Massen hilflos ausgesetzt zu sein. Die Lieder die ich mir dann anhören musste, machten mich völlig kirre. Nach einer Stunde verließ ich die Veranstaltung mit tiefem Mitleid und großem Respekt vor dem Cognac saufenden Willi, der die Tortur bis in die frühen Morgenstunden überstehen musste, was ihm den Beinamen Asbachwilli eingebracht hatte. Hier ein paar jener Liedtexte, die sie gesungen haben.
Willi hat sie mir aus Anlass des Interviews wieder ins Gedächtnis gerufen: „Lesbisch, lesbisch und ein bisschen schwul. Wir bumsen hier wir bumsen da hundert nackte Weiber auf dem Männerpissoir“. „Alle Buben haben, alle Buben haben einen kleinen Zinnsoldaten. Alle Mädchen haben einen kleinen Schützengraben“. Zwischendurch wurden Witze gemacht wie: „Alle Mann aufs Dach, der große Hund ist los“. Oder: „Jeder Mann hat 100000 Schuss, wenn die weg sind ist nichts mehr“.
Die Nazirepublik durfte auch nicht fehlen mit dem Lied: „Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bist auch du“. Willi hätte noch einiges an Texten draufgehabt, aber mit „Trara, trara, wir fahren ins Puff von Barcelona“ will ich es genug sein lassen. Diese Texte sagen mehr über ein Ausmaß des Spießertums aus, als mir in Ekel an dieser Spezies an Beschreibung einfallen könnte. Das ist was, wo bei mir die Entscheidung zwischen Lachen und Weinen ständig aus dem Gleichgewicht gerät.
Wieso denkst du dass sich eure dritte Platte „Die Durchsichtige“ am besten verkauft hat?
Die Platte hatte die radikal differenzierten Texte und außerdem gab es viel zu lachen. Die Musik mit unserer ganz eigenen zappaesken Comixstil, hatte da auch ihre Höhepunkte. Titel wie: „Du sollst dein Leben nicht den Schweinen geben“, „Smogalarm“, „Folter für John Travolta“, „Hitler in Dosen“ und andere Stücke waren über lange Zeit unsere Renner.
Weißt du noch bei all den vielen Konzerten, in welchen Städten oder Bundesländer in der damaligen BRD eine besonders stark ausgeprägte Szene oder ein besonders euphorisches Publikum vorhanden war?
Das ist schwer zu sagen. Ob Stadt oder Land war in den 70ern einiges an autonomer Bewegung, z.B. die Jugendzentren. Offiziell gab´s da Jugendpfleger oder Sozialarbeiter. Aber wenn es nicht passte, wurden die rausgeschmissen. Wichtig waren auch die „Umsonst und Draußen Festivals“. Es gab überall undergroundige Stadt und Landzeitungen. Für uns vom Schneeball Vertrieb waren die Plattenläden wichtig. Sie waren selbst in kleinen Orten zu finden. Bei den Konzerten lernten wir oft Leute kennen, die sich bereit erklärten unsere LP´s zu verkaufen. Die zogen dann mit einem vollen Pappkarton ab. Obwohl für sie da nur wenig zu verdienen war, kann ich mich nicht entsinnen, dass da einer mal beschissen hat.
Andernfalls kann ich mir auch gut vorstellen dass sich viele Spießer oder ländliche Bauerndeppen über eure Texte maßlos aufgeregt haben. Wie waren die Reaktionen aus dem konservativen Kreis?
Klar. Beleidigungsklagen und Strafbefehle gehörten zum Alltag. Als Beispiel drohte dem Jugendzentrum Dachau die Schließung und sie baten uns um ein Solidaritätskonzert. Der Bürgermeister hieß Reitmeier und ich fragte mich beim Auftritt assoziativ, ob er überhaupt wisse wie schön Reiten sein könne, da er doch weiß blau gefärbte Bayerneier zwischen den Beinen trage. Der Strafbefehl wegen Beleidigung kostete dann 500 DM. Die Skandale hatten auch positive Seiten. Nur so kam was in der Bürgerpresse und förderte unsere Bekanntheit.
Du hattest auch erwähnt dass ihr auf dem selbstorganisierten U&D Festival bei Vlotho vor 100.000 Leuten gespielt habt. Ich hatte zuvor noch nie davon gehört, was war das für ein Festival?
Das Jugendzentrum Vlotho war der Gründer der „Umsonst und Draußen“ Bewegung. Der kleine Beginn auf dem dortigen Sportplatz entwickelte sich innerhalb von sechs Jahren zum größten antikommerziellen Festival in Europa. Die Idee zusammen mit den Bands unabhängig von der Musikindustrie, nach den eigenen Bedürfnissen was aufzuziehen war inspirierend. Die Öffentlichkeit entwickelte sich erstmal durch einen Aufruf, indem alle dort spielenden Bands das ganze Jahr über und bei jedem ihrer Auftritte Flugblätter verteilten.
Mit der Zeit sprach sich das auch durch Berichte in Stadtzeitungen und von Mund zu Mund Propaganda immer mehr herum, dass dort ein großes Fest gefeiert wird. Was zusammen von allen Teilnehmern organisiert wurde.
Schon drei Tage vor Beginn des Festivals trafen sich Jugendliche, die Musiker, Leute die Essen, Getränke, Bücher, LP´s, Kunst und Kunsthandwerk verkaufen wollten. Gemeinsam wurde dann vorbereitet. Bühnenaufbau, Beleuchtung, Anlage, Stände, WC´s etc. Das Finanzielle wurde durch Spenden und prozentualer Beteiligung an den Einnahmen der Verkaufsstände geregelt.
Anfangs noch bescheiden, konnten sich bei späteren Festivals Veranstalter und Bands über gute Einnahmen freuen. Da war es uns ganz recht dass der Kommerz schnell Lunte gerochen hatte. Rund um die riesige ehemalige Kiesgrube des Festivalgeländes, hatten sich Wurst-, Eis- und sonstige Buden aufgebaut. Das wurde nur genehmigt für die Abgabe von 10% ihres Tagesumsatzes. Es fiel allerdings schon früh auf, dass da nur lächerliche Summen rüberkamen und sie sich weigerten mehr abzugeben. Dem musste abgeholfen werden. So wurde organisiert das an jedem Stand sich stündlich abwechselnde Freaks, die Tageseinnahmen beobachteten und abschätzten. Jetzt bestimmten wir den Preis.
Die wollten natürlich nicht zahlen. So wurde ein größerer Trupp zusammengestellt und mit der Ankündigung die Stände zu zerlegen, fingen wir an daran zu rütteln. Damit war das Thema erledigt. Sie zahlten und sind daran nicht verarmt. Sie hätten ja auch abbauen können. Es werden sich viele fragen, wie das überhaupt möglich war ein Festival zu organisieren das von Jahr zu Jahr immer mehr Besucher angezogen hatte und zum Schluss 100.000 Leute kamen. Ohne Ordner, ohne Zäune und vor allem einem Riesenhaufen Kohle. Allein der ganze Müll der da anfällt. Das wurde bei uns von der Bühne aus geregelt.
Alle paar Stunden wurden von der Bühne aus Müllsäcke ausgegeben und es meldeten sich immer viele die die Aufgabe des Sammelns übernehmen wollten. Innerhalb von zwei Jahren breitete sich die U & D Idee über ganz Deutschland aus. Es gab auch Zusammenarbeit mit anderen U & D´s. Daraus entwickelte sich ein Fond um Festivals, die durch Verengung auf ihren Kosten sitzen blieben, zu unterstützen. Während der ganzen Jahre in Vlotho gab es keine einzige Schlägerei und ganz viel friedvolle Zu Gewandtheit und Solidarität. Weitgehend unbemerkt von der Konsumgesellschaft hat das größte Festival Europas bei mir die Ahnung von der Möglichkeit einer Utopie hinterlassen.
Checkpoint Charlie gründeten auch die „Familie Hesselbach Kommune“ im nordpfälzischen Bisterschied. Die Familie Hesselbach beruht ja auf die gleichnamige Nachkriegs-TV-Serie. Wieso benannte sich diese Kommune nach jener Sendung? Und was hatte es mit dieser Kommune auf sich?
Die Kommune benannte sich weniger nach der bekannten Fernsehserie, sondern nach dem badischen Dialektwort „Hessel“, was Streit, Auseinandersetzung, Unruhe, Bewegung bedeutet. Das gab´s bei uns als ungeschriebene Regel immer so lange, bis wir uns geeinigt haben und das positive Gefühl hatten einen Schritt weiter zu sein.
Wir wollten nicht nur Kritik an der bestehenden Gesellschaft üben, sondern eine Alternative in der Praxis erleben. Daraus entstand eine Landkommune mit 20 Menschen, Landwirtschaft, Selbstversorgung, Lederwerkstatt, Musik, Kindertheater. Die Erfahrung daraus hat uns lange stark gemacht. Die Geschichte der Kommune ist in meinem besagten Buch ausführlich erzählt. Sobald sich ein Verlag findet, vielleicht auch über dies Interview, weiß man mehr.
Du warst 1962 auch in München bei den Schwabinger Krawalle anwesend, von denen ich schon öfters gelesen oder gehört habe. Was kannst du uns von diesem Aufstand erzählen?
Schon seit den 50er Jahren hatte sich der Geist der amerikanischen Beatdichter bei vielen Jugendlichen verbreitet. In einem der Hauptwerke „On the Road“ von Jack Kerouac wurde der Sinn des Lebens im Reisen und in sich verändernden Begegnungen, Erfahrungen in Philosophie und Spiritualität beschrieben und gesucht. Das Ganze natürlich möglichst mit Trampen, Schwarzfahren usw.
Das hatte mich nach München verschlagen und da spielte sich in Schwabing auf der Leopoldstraße ein buntes Leben ab. Die Straßenmaler und Musiker, alle möglichen Verkaufsstände von Freaks vermischten sich mit Touristen und jenen von den Bürgern als „Gammler“ bezeichneten Jugendlichen.
Dieses Treiben vor den teilweise Schicky Micky Läden, die um ihr Geschäft fürchteten, massenhaften Übernachtungen im Englischen Garten und einer Hausbesetzung führte zu den Krawallen. Diesem anarchistischen Zustand musste die CSU Regierung mit knüppelnden und berittenen Polizisten ein abruptes Ende machen. Dem hatten die Freaks leider nur wenig entgegenzusetzen.
Sehr krass war der Vorfall bei dem Burghaldefest in Kempten (Allgäu), wo Checkpoint Charlie u.a. wegen eines Pappschweins namens Franz Josef (eine Anspielung auf Franz Josef Strauß) von der Staatsanwaltschaft zu 16.000 DM verklagt wurde. Kannst du uns nochmal den Vorfall mit eigenen Sätzen umschreiben? Und brachte die Band das viele Geld wieder herein?
Unser Pappschwein „Franz Josef“, welches wir als Maskottchen mit uns führten, aber mit Sprüchen umschrieben haben die ohne je den Namen Strauß auszusprechen, eindeutig auf diesen hinwiesen, brachte die erste Beleidigungsklage in Kempten ein. Danach wurden wir ein Jahr lang bei Gigs in größeren Städten vom Verfassungsschutz observiert, die sich dabei Zeugen wie Feuerwehrleute und Hausmeister aussuchten und die später beim Prozess durch ihre völlig unterschiedlichen Aussagen für Lachstürme sorgten.
Der blödsinnige Höhepunkt der Beobachtungen durch den Verfassungsschutz reichte bis in unser Dorf. Gegenüber von unserem Hof war die Dorfkneipe mit gutem Einblick zu uns. Da wollten sie sich einnisten, wurden vom Wirt aber rausgeschmissen. Daraufhin stellten sie sich mit ihrer Karre vor unserem Eingangstor. Nachdem wir an ihre getönten Scheiben geklopft und ihnen Kaffee angeboten hatten, zogen sie endlich Leine. Zum Prozess in Kempten hatten wir seit der Termin feststand alle möglichen Leute eingeladen und es kamen eine Menge Fans.
Die Verteidigung stellte ständig Anträge, dass die Öffentlichkeit nicht gewährleistet sei. Dann musste das Publikum ausgewechselt werden. An Bewegung fehlte es nicht. Überhaupt war das Ganze ein einmaliges Happening und es herrschte der Gott des Gelächters. Die Geldstrafe bezog sich übrigens auch noch auf einen Strafbestand namens „Verunglimpfung staatlicher Symbole“. Mit einer deutschen Fahne bekleidet hatte ich einmal darauf herumgetrampelt.
Das war noch teurer als das Schwein. Das Geld kam durch Aufrufe in Stadtzeitungen sogar mit Überschuss wieder rein. Nach dem Prozess bastelten wir wieder neue Schweine, die mehrmals von der Polizei beschlagnahmt wurden. Dieses ganze Geschehen ist im Inlett der LP „Krawall im Schweinestall“ freudebringend behandelt. Bei mir im Keller ist noch ein Stapel davon gelagert und ist käuflich zu erwerben.
Gab es vor oder nach den Konzerten von Checkpoint Charlie auch politische Aktionen, wie Demonstrationen oder Hausbesetzungen?
Nicht wenige. Einschließlich mit Beschlagnahme der Anlage durch Hundertschaften. Herausragend war das abräumen bei der Antiatomkraft Demo in Kalkar, Münchener Kunstzone und Startbahn West in Frankfurt.
Bis auf die erste LP „Grüß Gott Mit Hellem Klang“ erschienen alle Veröffentlichungen auf April Records und dem Schneeball Vertrieb, aus dem wiederrum später der EFA (Energie Für Alle) und Indigo-Vertrieb wurde. An der Gründung waren auch Embryo und Ton Steine Scherben beteiligt. War diese Label und Vertriebstätigkeit mit viel Arbeit verbunden? War es schwer sich gegen den Mainstream durchzusetzen und inwieweit waren die Platten von April / Schneeball in den Plattenläden erhältlich?
Da Label und Vertriebstätigkeit Sinn und Spaß machte, wurde das nie als Arbeit im negativen Sinn empfunden. Das Anliegen war nicht mit dem Mainstream zu konkurrieren, sondern ihn zu bekämpfen. Die Frage wie schwer das sei stellte sich nicht. In den Bereich der kommerziellen Musikindustrie waren unsere Platten nur ausnahmsweise zu bekommen. Das beschränkte sich auf den damals noch zahlreich vorhandenen kleinen Szeneläden.
1982 erschien die letzte und sehr gute Checkpoint Charlie LP „Feuer und Flamme“, die eher in kürzeren Songs agierte und wo auch Frauen mitgesungen haben. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Das ergab sich einfach aus dem Zusammenleben. Die Frauen die das noch heute bestehende „Rotznasentheater“ für Kinder gegründet hatten, wo auch mit Songs gearbeitet wurde, arbeiteten im gleichen Spirit.
Aus welchen Gründen lösten sich Checkpoint Charlie auf? Und wie hast du allgemein die Zeit mit Checkpoint Charlie in Erinnerung behalten?
Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei. Ich kann eine so komplexe Phase in meinem Leben nicht allgemein erklären. Hier wieder der Hinweis auf´s Buch.
Was ist aus den ehemaligen Bandmitgliedern von Checkpoint Charlie geworden? Sind sie noch musikalisch oder politisch aktiv?
Hesse Werner, Salat und Jürgen haben schon die Reise in andere Dimensionen angetreten. Lothar spielte lange bei Embryo und hat jetzt eine eigene Band. Willi betreibt eine Musikschule.
Nach Checkpoint Charlie hast du noch mit der Allgäuer Band The BLECH gewirkt, die ziemlich innovativ, vielseitig und Genreübergreifende Musik gemacht haben. Wie kam der Kontakt zu Stande und was gibt es über die Zeit mit The BLECH zu erzählen?
The Blech habe ich über Salat kennengelernt. Der hatte nach der Ur-CPC Zeit Kompositionsstudium an der Musikhochschule in Karlsruhe absolviert und sich schnell einen Namen als Komponist für „Neue Musik“ gemacht.
Der Beethovenpreis der Stadt Bonn, ein einjähriger Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom und mehr waren die Folge dessen. In dem Zusammenhang hatte er auf einen Text von mir für die „Darmstädter Tage für neue Musik“ was komponiert. Für die Umsetzung hatte er „The Blech“ engagiert und mich als Sprecher. Das war ein Erlebnis der besonderen Art und Begründung einer Freundschaft die bis heute anhält. Nach dem Ende von Blech gab es Anfang 1990 mit Rupi und Therofal noch ein CPC Revival und die letzte LP „Gurglersinfonie“.
Auf Wikipedia heißt es: „The Blech tourten 12 Jahre durch Westeuropa, Nord- und Südamerika, Kanada, Japan, die Ostblockstaaten, Russland und Sibirien.“ Für eine Undergroundband war das ein ziemlich großer Auftritts-Radius. Wie kam es zu diesen internationalen Konzerten? Und wie kamen The Blech in diesen Ländern an?
Begonnen hat das glaube ich mit einer Connection zum Goetheinstitut. Unter anderem spielten sie da auch in deutschen Enklaven. In Brasilien landeten sie einmal in einem original bayrischen Dorf, wo ihr Musik natürlich auf größtes Unverständnis stieß. Das waren glücklicherweise Ausnahmen. Alles andere ist auf die genialen Kontaktfähigkeiten ihres Schlagzeugers Hubl und die einmalige Qualität ihrer Musik zurückzuführen.
Du hast auch mal Rio Reiser getroffen. Als was für einen Menschen hast du Rio in Erinnerung behalten? Und was für einen Stellenwert, oder welchen Einfluss hatten Ton Steine Scherben auf dich und Checkpoint Charlie?
Rio habe ich nur dreimal getroffen. Das erste Mal bei einem Festival in Wuppertal war er im Publikum und hörte sich die „Rockoperette Scheiße“ an. Das zweite Mal bei einem Schneeballtreffen und beim dritten Mal bei einer Übernachtung auf ihrem Hof in Fresenhagen. Eine tiefergehende Kommunikation ergab sich nicht.
Durch seine einmalige Begrüßungsworte „Hallo Rockoperette Scheiße“ fühlte ich mich allerdings sehr geehrt. Eine gute Verbindung bis heute, habe ich zu Nikel von Ton Steine Scherben. Dem Mitbegründer von EFA und später INDIGO. An dieser Stelle möchte ich sein gerade erschienenes Buch „Das schillernde Leben des Nikel Pallat von Ton Steine Scherben bis Adel“, welche er übrigens vor 50 Zuhörern in einem Club in Hamburg entdeckt hatte, allerwärmstens empfehlen.
Nun wurde die Zeit nach Checkpoint Charlie nicht wirklich besser und viele Freiheiten für die ihr gekämpft habt, scheinen heutzutage wieder ihre Bedeutung zu haben – oder eigentlich haben sie nie an Bedeutung verloren. Wie z.B. das Aufrüsten, die Überlegung von der Wiedereinkehr der Wehrpflicht, das Atomstrom als nachhaltige Energie angesehen wird, die Rückwärtsgewandtheit konservativer Werte, die fortschreitende Umweltzerstörung usw. usf.. Ist diese Entwicklung frustrierend für dich?
Nach dem heutigen Stand bin ich leider immer mehr der Auffassung, dass die Menschheit mehrheitlich irgendwie etwas Übles, Krankhaftes, Schmieriges für die Welt geblieben ist. Es widert mich an das es fünfzig Jahre gedauert hat bis die Erkenntnisse des „Club of Rome“, aufgeschrieben in „Die Grenzen des Wachstums“ und unterstrichen von Reaktionen der Natur in Form von Katastrophen und Seuchen, ein größeres Bewusstsein geschaffen haben. Es wäre meine größte Freude wenn die Aussagen von „Rockoperette Scheiße“ nicht eingetreten wären.
Die wirklich wieder mal größte Hoffnung sind die Kinder und Enkel, an die vor lauter Fress und Konsumsucht nicht gedacht wurde. Sie haben das sinnlose, zerstörerische Treiben erkannt und kämpfen radikal für eine gleichberechtigte Verbindung mit allem Leben dafür, dass unser Planet blau bleibt und liebevoller wird.
Was hast du in den letzten Jahren gemacht, machst du noch Musik, wie verdienst du dir deinen Lebensunterhalt und wie alt bist du eigentlich inzwischen?
Einige Jahre nach CPC habe ich mit Willi zu mittelalterlicher Musik Francois Villon rezitiert und mit Ruppert Volz ein scharfes Musikkabarett gemacht. Von Villon gibt´s auch eine CD. Aktuell bin ich Maler und Gärtner, 81 Jahre alt.
Noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto…
Ratschläge oder Lebensmottos habe ich keine, außer: Jeder muss im Leben 8 geben.
(Bela)