Juli 29th, 2022

Nachruf auf mich selbst – Harald Welzer

Posted in bücher by Dolf

S.Fischer Verlag, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt, www.fischerverlage.de

Im Prinzip ist die Kernaussage des Buches: Das wir alle anfangen müssen mit dem aufhören und das sich das sehr schwierig bis unmöglich wird gestalten lassen. Ähnliches, nur nicht in diese konkrete Stoßrichtung, hat der Autor auch schon in seinem letzten Buch 2019 (Alles könnte anders sein) aufgeschrieben. Was diesmal wohl anders ist, das sich sein Lebensfokus verändert hat, weil er einen schweren Herzinfarkt hatte, aber dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen ist. Das kann natürlich mit einem was machen und hat es in diesem Fall wohl auch. Zumindest ihn dazu gebracht die ganzen Geschichte mal aufzuschreiben.

Und auch sonst stehen viele andere gute Texte hier versammelt, wo es eigentlich fast nichts zu widersprechen gibt. Soweit so gut, das liest sich prima. Im zweiten Teil spricht, beziehungsweise beschäftigt sich Welzer mit ein paar mehr oder weniger Bekannten Menschen die es schon geschafft haben mit dem aufhören, zumindest denken sie das alle. Das ist meist ganz schön zu lesen, aber hätte man sich irgendwie auch sparen können – ansonsten schadet es nicht zu lesen was bei den Gesprächen und dem Beschäftigen mit Reinhold Messner Jan Vermeer van Delft, Timo Sehgals, Jan und Tim Edler, Johannes Heimrath, Katja Baumgarten, Thomas Kessler, Christiane zu Salm, Hans-Dietrich Reckhaus, Peter Sillem, Klaus Wiegandt und „Slicky Baby“ raus gekommen ist. Viel Brain Food. Apropos Essen, das ist schon wieder kein Thema hier und auch die Religion, aber das schrieb ich ja schon in der letzten Rezension. Spannend wird es dann nochmal im III. Teil „Nachruf auf mein zu lebendes Leben“ wo er fünfzehn mal Antwort auf diesen Wunsch gibt: „Ich möchte das in meinem Nachruf steht“: Er konnte gut Zeit verschwenden – Er hatte gelernt, das Optimieren zu lassen – Er hat sich stets bemüht, gute Fehler zu machen – Er war albern, unernst, interessant, anregend, arrogant, ärgerlich, lehrreich, ungerecht, aber nie banal – Er war immer radikal, aber doch jederzeit bereit inkonsequent zu sein – Er hat einen Unterschied gemacht – Er hat Menschen Handlungsspielräume eröffnet – Er war bereit, die Dinge ernst zu nehmen, ohne sich dabei zu verspannen – Er war beim Skat nie so gut, wie er selbst glaubte, aber er war bei Gott ein Skatspieler – Er hat kein Entscheidungen getroffen oder mitgetragen, die zukünftigen Menschen in ihrer Entfaltung beeinträchtigen – Er hat immer versucht, die Dummheit zu bekämpfen – Er fand gar nichts dabei, zu sagen was er dachte – Er war stets von Schönheit verführbar – Er hielt die richtigen Fragen für wichtiger als die falschen Antworten – Er hatte gelernt keine Angst vor dem Tod zu haben. Zu jedem Punkt gibt es auch ein paar Seiten. Merksätze scheinen sein Ding zu sein, am Ende gibt es nochmal zwölf davon, zur Beantwortung der Frage: „Wer will ich gewesen sein“. Viel gutes steht hier drin, der ganze stattfindende Irrsinn der stattfindet wird beim Namen und mit Beispielen benannt, das kann man immer mal machen. Aber, das sei hier auch gesagt, die Leser, außer sie haben sich mit den verschiedenen Materien noch nie beschäftigt, werden hier wenig Neues finden, aber immerhin wurde das im Grunde Bekannte prima aufgearbeitet und zusammengefasst. Leider ist es so, das es nicht gelingen wird mit dem aufhören anzufangen, zumindest nicht der Gesellschaft, einigen Individuen vielleicht schon, obwohl ich da auch widersprechen würde wenn er schreibt das es immer gut ist aufzuhören wenn man am besten ist, weil es sonst banal wird. Aber das müssen wir hier nicht diskutieren, bleiben wir beim Buch, das muss man nicht lesen, aber kann das auf jeden Fall tun. 288 Seiten, gebunden, 22,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3103971033

[Trust # 214 Juni 2022]

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0