März 12th, 2007

YOUR CHOICE RECORDS (#89, 08-2001)

Posted in interview by andreas

Ich hab ehrlich gesagt immer ein wenig ein Problem mit Labelfeatures. Nicht selten sind die abgefeierten zum „Kult“ (Igitt!!) erhobenen Labels es eigentlich nicht wert. Im vorliegenden Fall, nämlich YOUR CHOICE RECORDS ist natürlich alles ganz anders – logisch :-).

Vermutlich steht eh in jedem halbwegs gut sortierten Haushalt mindestens eine Scheibe von YCR, somit dürfte einigen der Name ein Begriff sein. Meine erste Scheibe aus dem Hause YCR war die VERBAL AssAULT – LP. Sound-qualität und Aufmachung überzeugten mich derart, dass ich mir im Laufe der Zeit fast das ganze Programm angeschafft habe.

Auf der anderen Seite stehen Gerüchte und Ungereimtheiten, die es endlich mal verdienen, ausgeräumt zu werden. Nachdem es seit einiger Zeit recht Ruhig um Tobby und sein Label wurde, soll es jetzt weiter-gehen. M. E. Grund genug, mich mal mit dem Chef auszutauschen. Here we go!

Wer mit Tobby in Kontakt treten möchte, kann dies am einfachsten übers Weltnetz (tobby.ycr@t-online.de)

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Erzähl doch bitte zunächst einmal, wie, wann und warum alles mit YCR angefangen hat.

Tobby: Ich bin in einem kleinen Dorf, 12 km von Mainz, aufgewachsen und es gab da nicht wirklich ein grossartiges kulturelles Angebot. Mit ca. 14 Jahren, also vor 16 Jahren habe ich zum ersten Mal etwas von Punk-Rock und Hardcore mitbekommen.

Ich bin mit einigen Freunden regelmässig zu Konzerten gefahren, oft sehr weit, es gab damals nicht viel, alles war in den Startlöchern, eine Szene und ein selbst-organisiertes Netz entstanden. Ich war fasziniert. Der Underground lebte. Fern von Musikindustrie und korruptem Musik-business entstand da was ganz Besonderes, Idealistisches, und ich hatte einen grossen Drang, dabei kreativ mitzuwirken.

Wir haben in diesem Dorf, Nieder-Olm, dann auch in unserem kleinen Jugendhaus, dem JUHUBUHAUS angefangen, Konzerte zu veranstalten, Proberäume einzurichten, Bands zu gründen. Ich habe dann irgendwann ein Split-album mit meiner eigenen und einer befreundeten Band produziert und eines schönen Tages kam mir dann die Idee für die Serie von Live Alben.

Wie alt warst du damals?

Tobby: Mit dem Label habe ich 1988 angefangen und ich war damals noch 17 Jahre alt. Meine Mutter musste noch die ersten Verträge für mich unter-schreiben, weil ich ja noch nicht voll geschäftsfähig war.

Was ist derzeit noch von YCR erhältlich?

Tobby: Ich habe im Moment keinen Vertriebsdeal für das Label. Ich habe auch nur noch sehr kleine Restbestände der alten Platten. Von einigen Scheiben (z.B. NOTWIST, NEUROSIS) habe ich selbst sogar nur noch Einzelstücke. So wie es aussieht, werden auch keine der alten Platten noch mal neu aufgelegt. Es gibt aber sicherlich noch Chancen, viele der Scheiben in dem Backstock von irgendeinem coolen kleinen Mailorder zu finden. Wer ganz verzweifelt nach einem bestimmten Release sucht, mailt mir am besten einfach mal selbst.


Erläutere bitte, das System bzw. Konzept, das hinter den Veröffentlichungen stand.

Tobby: Der Grundgedanke war, verschiedene Bands aus der Punk/HC-Szene in einer Serie hoch-qualitativer Liveplatten mit einem Konzept-cover mit Wiedererkennungswert zu vereinen. Ausserdem sollte der Verkauf der Scheiben die „Animal Rights“-Szene unterstützen. Aus der eigentlichen Idee, die Serie auf 12 Veröffentlichungen und eine abschliessende Compilation (mit unveröffentlichtem Material der 12 Bands) zu beschränken, wurde dann später ein Gesamtkonzept von 50 Veröffentlichungen, unterteilt in drei Hauptteile.

Jeder dieser Teile besteht aus 12 Veröffentlichungen, hat sein eigenes Konzeptcover, seine eigene Dramaturgie, die aus der Zusammenstellung der Bands in Verbindung mit dem Artwork entsteht. Jeder Teil wird mit einer (wie schon oben erwähnten) Compilation abgeschlossen. Das ergibt dann also zusammen erstmal 39 Veröffentlichungen.

Parallel dazu habe ich neun 7″`s produziert. Die sind aber alle limitert und bereits vergriffen, deshalb wird es noch eine Compilation-Cd mit allen 7″`s geben, angereichert mit vielen unver-öffentlichten Bonustacks. Damit sind wir bei 49 Veröffentlichungen. Die fünfzigste Veröffentlichung bildet das Ende des Projekts. Es wird ein Dokumentar-Film über die YOUR CHOICE LIVE SERIES sein und auf VHS vertrieben werden.

Ein paar Infos über Lynx und warum gerade sie von YCR profitieren sollten.

Tobby: Massentierhaltung, Missbrauch und Ausbeutung von Tieren haben mich schon immer sehr empört. Die Existenz der Pelzindustrie ganz speziell konnte ich nie begreifen. Ich habe damals, mit 16-17 einfach nicht verstehen wollen, dass es so was überhaupt gibt… Deshalb war für mich klar, etwas zu unter-nehmen, die Leute zu informieren und aufzurütteln, Kontakte herzustellen und etwas Gutes zu tun. LYNX war die coolste Organisation in dieser Richtung, die ich damals kannte.

Sie haben unglaublich gute Arbeit gegen die Pelzindustie geleistet (u.a. auch geniale Gross-plakatkampagnien und sogar TV-Werbespots). Das hat mich alles sehr beeindruckt… Später habe ich dann auch noch Organisationen wie die VEGAN SOCIETY oder die ANIMAL LIBERATION FRONT-SG entdeckt und auch sie unterstützt. So wurde der zweite Teil der Serie der VEGAN SOCIETY und der dritte Teil der ALF-SG gewidmet.

Die VEGAN SOCIETY beschränkt sich darauf, die Menschheit aufzu-klären, dass man auch ohne tierische Produkte gut leben kann. Die ANIMAL LIBERATION FRONT ist da im Gegensatz viel radikaler. Sie unternimmt illegale Tierbefreiungsaktionen und Sabotageakte aller Art, um den Missbrauch an Tieren zu verhindern und agiert hierbei mehr im Unter-grund. Die „SUPPORTERS GROUP“ unterstützt diejenigen, die durch ihre Teilnahme an solchen Unternehmungen gesetzliche Konsequenzen zu tragen haben.

Es gab ja diverse Unterbrechungen im Veröffentlichungsfluss bei YCR. Wie kamen die zustande?

Tobby: Da ich mein eigener Boss bei YOUR CHOICE RECORDS bin, habe ich immer versucht, mir die Freiheit zu nehmen, Platten zu machen, wann ich will. Ich habe mich eigentlich auch nie unter Druck gefühlt, in regelmässigen Abständen Releases präsentieren zu müssen.

Ich halte das Projekt YOUR CHOICE LIVE SERIES ausserdem für ziemlich zeitlos und habe ja auch nie eine so verantwortungsvolle Rolle übernommen, wie sie im Vergleich ein normales Label übernimmt, das sich kontinuierlich um seine Bands kümmern muss. Die Unterbrechungen kamen durch meine anderen Aktivitäten zustande.

Zum Beispiel die drei Monate lange und erste Europatour mit GREEN DAY, bei der ich den Bus als Tour-begleiter durch ganz Europa gefahren habe; weitere fünf Wochen lange Touren mit z.B. INSIDE-OUT, SHUDDER TO THINK, SAMIAM und anderen Bands, bei denen ich den Bus gefahren oder auch mal den Tourmanager gemimt habe. Andere Unterbrechungen entstanden aber auch durch private Veränderungen (z.B. mein Umzug nach Berlin) oder einfach finanzielle Eng-pässe.

Du willst ja YCR jetzt reaktivieren. Welche Veröffentlichungen stehen an?

Tobby: Ja, nach 4 Jahren Berlin mit viel Drum&Bass, Technoschrott und wenigen guten HC-Bands hat es mich vor zwei Jahren durch meine Freundin nach Bochum verschlagen. Dort habe ich einen Rock`n`Roll Club (das BLACKOUT) eröffnet und auch wieder viele Konzerte veranstaltet.

Im BLACKOUT ist dann ein supergenialer Livemitschnitt von JIMMY EAT WORLD entstanden und in Berlin habe ich vor kurzem einen mindestens ebenso gelungenen Mitschnitt von THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY ermöglicht. Wann und wie die Scheiben veröffentlicht werden, ist im Moment aber noch etwas unklar. Einige weitere feine Recordings sind aber trotzdem bereits in Planung.

Wie werden sich die in das Konzept einfügen? Werden die alten Serien aufgefüllt, oder gibt es eine neue. Wieso wurden die Serien nicht zuerst komplettiert, bevor neue gestartet wurden – das gilt besonders für die 2. Serie?

Tobby: Die neuen Platten werden natürlich in die alten Serien eingefügt. Dabei geht es mir aber weni-ger um eine chronologische Abfolge, sondern mehr darum, dass die Bands zueinander passen. Im dritten Teil werden wohl auch weiterhin internationale Punk, HC und R`n`R-Bands veröffentlicht, während ich dem zweiten Teil auch ein paar schräge experimentelle Bands zutraue.

Den zweiten und dritten Teil habe ich übrigens nach der Komplettierung des ersten Teils parallel angelegt, weil es mich damals sehr gereizt hat weiter zu machen und es mir realistisch und spannend erschien, aus dem erreichten Ziel von 13 Veröffentlichungen gleich ein neues Ziel, ein grosses Gesamtkonzept von 50 Releases zu machen. Es wird deshalb auch keinen 4. Teil geben, sondern das Projekt YOUR CHOICE LIVE SERIES wird mit der #50 abgeschlossen.

Hinsichtlich der 1. Serie kann man mit fug und recht behaupten, dass hier ein sehr gutes Spiegelbild, gerade der europäischen Szene zum damaligen Zeitpunkt, geliefert wird. Wieso hast du ausgerechnet diese Bands genommen?

Tobby: Ich bin Europäer, das war damals mein Leben / meine Szene und diese Mischung war mit ein Grundgedanke der Idee YOUR CHOICE LIVE SERIES. Es ging und geht mir um die Sache und nicht um Geld oder Ruhm. Es war nicht interessant für mich, die bekanntesten Bands zu vereinigen, sondern die für mich wichtigen, auch wenn mir klar war, dass sich einige der Bands nicht wirklich gut verkaufen würden.

Gab es auch Bands, die nicht mit dir zusammenarbeiten wollten? Wenn ja, welche?

Tobby: Sicherlich gibt es Bands, die prinzipiell keine Live-Veröffentlichungen machen wollen (z.B. DINOSAUR JR.) und dafür auch gute Gründe haben. Andere wollen vielleicht einfach ihrem Label 100% die Treue halten (z.B. FUGAZI) oder sie haben sich vertraglich bereits so verkauft, dass sie, selbst wenn sie so etwas machen wollten, gar nicht mehr könnten (z.B. SONIC YOUTH).

All diese Bands habe ich gefragt und habe auch noch etliche andere Absagen bekommen. BUILT TO SPILL z.B. haben lieber ihre Live-Scheibe auf dem eigenen Label gemacht als bei mir. KYUss hatten scheinbar einfach keinen Bock. Sehr oft hatte ich bei Absagen aber leider auch das Gefühl, dass diverse Bands zu viel über ihre Karrierelaufbahn nachgedacht haben, statt einfach eine coole kleine Sache auf einem klei-nen Indie zu machen. Einige dieser Bands gibt es inzwischen gar nicht mehr und heute würden sie, und viele Fans, sich sicherlich über ein schönes Livealbum freuen.

Besonders bemerkenswert war bisher das liebevolle Artwork. Was hat es damit auf sich?

Tobby: Das Artwork ist ein wichtiger Bestandteil des Ganzen. Es geht bei der YCLS eben darum, im Idealfall ein zeitloses Kunstwerk zu kreieren, ein Dokument eines speziellen Moments. Im Hintergrund stehen nicht nur ein professioneller und aufwendiger Mitschnitt und die dazugehörige Nachbearbeitung im Studio, sondern auch die Zusammenarbeit mit guten Photographen, Graphikern und Künstlern, um den bestmöglichen optischen Output zu er-reichen.

Der dritte Teil der Serie ist zum Beispiel eine komplette Comicstory (zwölf Cover werden zu einer Geschichte), die CHRIS SCHEUER (Comicfreaks werden ihn sicherlich kennen) für das Projekt entworfen und gezeichnet hat. Die meisten Photos sind von ACHIM FRIEDERICH, einem der wohl besten Bühnenphotographen in Deutschland, der auch schon seit den 80ern überall mit dabei ist und der sich einen unglaublichen Fundus an Erfahrung und Bild-material erarbeitet hat.

Was ist eigentlich deine Lieblingsveröffentlichung auf YCR?

Tobby: Nun, ich denke die Livescheibe von SCREAM ist ein absoluter Oberhammer, ein Traum von Livescheibe. Da stimmt einfach alles. Hör Dir die SCREAM mal genau an und Du verstehst, warum ich mich auf Livescheiben spezialisiert habe.

Meine Lieblinksscheiben sind die VERBAL AssAULT und die ARTICLES OF FAITH. Zum einen sicherlich, weil sie mir soundtech-nisch näher stehen als die zu dem Zeitpunkt schon recht rockigen SCREAM, zum anderen, weil ich es schon sehr schade finde, diese beiden wirklich grossartigen Bands nie live gesehen zu haben (trifft zwar auch auf SCREAM zu, aber siehe oben 🙂 ). Gerade auch die Linernotes von Vic Bondi finde ich grosse klasse.

Tobby: Oh ja, die finde ich auch klasse. Bei den Konzerten hast Du echt was verpasst. Besonders VERBAL AssAULT waren live der totale Hammer. Die Livescheibe von POISON IDEA ist übrigens auch ganz gross. Fetter Sound. SCREAM fand ich persönlich aber nie „zu rockig“…

Welche Scheibe würdest du nicht noch einmal machen bzw. nicht in der Form?

Tobby: Ich habe mich sehr über das Split-Release von SAMIAM/TEXAS IS THE REASON geärgert, weil da auf einmal Bandmitglieder einer Band gegen das Release waren und es plötzlich doch nicht mehr auf dem Markt sehen wollten. Diese und auch zwei andere Geschichten haben mir aufgezeigt, dass es manchmal doch recht gut sein kann, vorab einen genaueren Vertrag zu machen.

Eigentlich gebe ich nicht so viel auf Verträge und bin mit fast allen Bands auch ohne diese sehr gut ausgekommen. Die MELVINS z.B. haben sich aber Jahre nach der Veröffentlichung ihrer YCLS auf einmal ungerecht bezahlt gefühlt, wozu sie eindeutig keine Berechtigung hatten. Obwohl da der genaue Ver-tag fehlte, konnte ich ihnen ihren Irrtum doch schnell klar machen. Bei dem Release von NOTWIST gab es im nachhinein Meinungsverschiedenheiten über die Artwork.


Welche Band würdest gerne rausbringen? Traumbands – gerne auch welche, die es nicht mehr gibt.

Tobby: Da gibt es so viele und doch wieder keine. Wenn ich eine Band frage und merke, dass sie das Konzept und die Idee, die dahinter stehen begreift und daran interessiert ist, dann und nur dann kommt sie für mich überhaupt erst in Frage. Um aber trotzdem Deine Frage nach der Traumband zu beantworten: Sehr gerne hätte ich eine Ausnahmeband wie TALK TALK mit einem Livemitschnitt eines ihrer letzten Kon-zerte vor ihrer Auflösung in die Serie aufgenommen. THE LAUGHING STOCK zählt immernoch zu einer meiner absoluten Lieblingsplatten.

Wie sieht ein deal zwischen der band x und YCR aus?

Tobby: Du meinst jetzt mit „Deal“ speziell die Kohleverteilung? Es gibt da nicht den „einen“ Deal. In den letzten 15 Jahren ist extrem viel passiert und ebenso viel hat sich verändert. Vor NIRVANA hätte doch niemand wirklich gedacht, dass man mit solcher Musik überhaupt Geld verdienen kann, dementsprechend war damals auch alles anders. Die meisten Bands waren superfroh, dass überhaupt jemand eine Liveplatte von ihnen herausbringen wollte.

Bei den ersten zwölf Scheiben habe ich mit allen Bands einen Festbetrag vereinbart, unabhängig von den Verkaufszahlen: Ein Risikogeschäft für beide Seiten, bei dem ich leider in fast allen Fällen eher schlecht abgeschnitten habe. Der Festbetrag wurde übrigens immer im Voraus gezahlt. Bei 7″`s gab es statt einer Bezahlung nur Freiexemplare. Später habe ich dann oft andere Deals gemacht. Sehr oft den wohl üblichsten: Prozentualer Split nach Break Even. Ansonsten ist es mir immer sehr wichtig, dass die Bands möglichst viel an der Veröffentlichung mitarbeiten.

Das geht von der Auswahl der Songs und deren Reihenfolge, über die Auswahl der Photos bis zur Erstellung eines eigenen Textblattes. Toll ist es auch, wenn die Band sich langfristig auf die Live-Scheibe vorbereitet und sich Gedanken über Songs in veränderten Versionen, über Cover-versionen, Exklusiv-Material oder einfach nur gute und spannende Ansagen macht.

Wie sind die Deals zustande gekommen bzw. wie kommen sie zustande?

Tobby: Ganz einfach. Ich frage die Bands und erkläre ihnen das Konzept. Sie überlegen sich das Ganze, fragen ihr Label um Einverständnis und dann wird die Sache geplant. Das ganze Projekt hat überhaupt nur begonnen, weil fast alle Bands, die ich damals gefragt habe, von der Idee begeistert waren. Auch heute mache ich nur weiter, weil ich merke, dass es viele coole Bands gibt, die das Projekt seit Jahren kennen, mögen und gerne ein Teil davon werden möchten.

Ich frage nur, weil ich gehört hab, dass du um eine band zu überzeugen, sagen wir recht „energisch“ bist. So sollen in Einzelfällen, Bands sich schliesslich zur Zusammenarbeit bereit erklärt haben, nur um endlich ihre Ruhe zu haben. 🙂

Tobby: Ha,ha,ha… Also wenn ich mir die gesamte Diskographie ansehe, fallen mir zu diesem Thema nur die MELVINS ein. Die musste ich vielleicht ein wenig „energisch“ von ihrem Glück überzeugen, aber wenn ich das Endergebnis betrachte, brauche ich mich dafür auch nicht schämen. Sonst waren aber alle Bands recht begeistert mit bei der Sache. Es musste aber schon einige Male nach der gemeinsam geplanten Recording und der zum Teil gemeinsamen Arbeit im Studio neu über das Release diskutiert werden. So kam es z.B. bis heute nicht zum Release der YCLS von den YOUNG GODS.

Die waren einfach nicht von den Aufnahmen bzw. ihrer Tagesform bei den Aufnahmen überzeugt. Nicht so schön für mich, da ich ja die Auf-nahmen und den Mix immer mit vollem Risiko vorfinanziert habe. Auf der Kippe stand aus ähnlichen Gründen auch das Album von SHUDDER TO THINK, die ich dann aber zum Glück doch umstimmen konnte.

Nie veröffentlicht wurden ausserdem die Mitschnitte von GREEN DAY, KONG und GIRLS AGAINST BOYS. Bei GREEN DAY kam der Majordeal dazwischen, bei KONG der Konkurs meines damaligen Vertriebs und der daraus resultierende finanzielle Engpass meinerseits. GIRLS AGAINST BOYS wollten sogar nach einer zweiten Recording auf einmal doch kein volles Livealbum mehr veröffentlichen. Deshalb gibt es nur eine 7″.

Hinsichtlich des geschäftlichen Aspekts soll es ja zu Unregelmässigkeiten gekommen sein. So sollen Bands keine oder nur einen teil der Kohle bekommen haben, die ihnen nach Verkaufszahlen zugestanden hätten. Bitte eine Stellungnahme zu den Vorwürfen.

Tobby: Diese Vorwürfe sind total unbegründet und es nervt voll ab, dass irgendwelche Leute immer wieder solchen Mist verzapfen. Wie schon oben erklärt, gab es bei den ersten 12 Scheiben die Kohle sogar im voraus. Bei den 7″`s gab es kein Geld sondern nur Naturalien (Belegexemplare) und bei den folgenden Produktionen kam es durchaus vor, dass kein Gewinn erwirtschaftet wurde, sodass es bei diesen Scheiben auch nichts aufzuteilen oder auszuzahlen gab.

Ich denke keine der Bands, mit denen ich gearbeitet habe, hat einen Grund, sich ernsthaft zu beschweren. Sicherlich ist manches schief gelaufen und ich habe auch Fehler gemacht; wenn es Unklarheiten gab, wurden diese aber immer schnell geklärt.

Und wie sieht das in Bezug auf Nachpressungen aus? Ein teil der alten Sachen wurde ja später auch auf CD herausgebracht.

Tobby: In der Vergangenheit wurden, ausser bei den 7″`s im Vorfeld keine limitierten Auflagen oder die Limitierung auf einen bestimmten Tonträger mit Bands vereinbart. Das Album von JIMMY EAT WORLD wird aber, auf Wunsch der Band selbst, insgesamt (Cd und LP) nur 4000 mal erhältlich sein. In der Vergangenheit wurden zwei Platten erst im nachhinein auf CD gebrannt und zwar VERBAL AssAULT und SCREAM.

Zur Zeit der Erstveröffentlichung der LP waren CDs einfach noch nicht so angesagt wie heute. Mein damaliger Vertrieb (SEMAPHORE) hatte mich dann später gefragt, ob sie denn nicht die Herstellung und den Vertrieb dieser beiden CDs übernehmen dürfen. Dem hatte ich nichts entgegenzusetzen.

Welche auflagen haben die Scheiben so?

Tobby: Die 7″`s waren alle auf 2000 limitiert. Bei den anderen Scheiben ist von ein paar Hundert bis zu ein paar Tausend alles dabei. Ganz oben in der Liste der Verkaufszahlen steht die Scheibe der MELVINS, dann kommt RIPCORD und dann lange nichts. Ganz unten dann Scheiben wie TARGET OF DEMAND, NONOYESNO und leider auch die Doppel-10 Inch-Compilation, die ja eigentlich auf 3000 Einheiten angelegt war.

Insgesamt muss man auch sagen, dass sich Livealben heute viel, viel schwerer verkaufen als früher. Deshalb ist bei einigen Bands, die ich heutzutage gerne machen würde, ein Release einer YCLS wirtschaftlich gesehen leider absoluter Wahnsinn.

Auch LYNX soll nie was von dem Geld bekommen haben. Stimmt das? Wenn ja, warum?

Tobby: LYNX hat natürlich Geld von mir bekommen, es ist allerdings richtig, dass LYNX nicht den kompletten Betrag, der ihnen zustand erhalten hat. Das liegt aber an einer Vereinbarung, die wir damals getroffen haben. LYNX hat irgendwann auf regelmässige Zahlungen verzichtet um die Weiterentwicklung des Labels zu unterstützen.

Das Geld für LYNX wurde zur Realisierung weiterer Scheiben verwendet und wir haben vereinbart, die Auszahlung des gesamten fälligen Betrages nach dem Verkauf der ersten Compilation zu tätigen. Zu dem Zeitpunkt waren LYNX aber schon in einen schweren Gerichtsprozess verwickelt, den sie dann in Millionenhöhe verloren haben. Das war dann das Ende von LYNX. Zeitgleich haben auch bei mir finanzielle Probleme begonnen. Meine Aussenstände von etlichen Mailorder-Vertrieben mir gegenüber wurden immer grösser.

Die Zahlungsmoral dieser Vertriebe war haarsträubend. Ich habe extrem viel Geld einfach nie gesehen. Die Compilation war superteuer und hat sich sehr, sehr schlecht verkauft und mein Vertrieb hat mich gekickt. Das ganze wurde mehr und mehr zu einer finanziellen Katastrophe und glaube mir, das alles hat damals nicht wirklich Spass gemacht.

Wie stellst du sicher, dass dies in Zukunft nicht mehr geschieht?

Tobby: Ganz einfach. Ich werde in Zukunft nur noch mit einem zuverlässigen und renommierten Partner zusammenarbeiten, der Promotion, Herstellung und Vertrieb der nächsten Scheiben übernimmt. Dieser Partner wird in Zukunft auch das Finanzielle regeln und ich werde mich „nur noch“ um alles andere kümmern.

Nicht wenige Leute halten Livescheiben für überflüssig. Wie stehst du zu Livescheiben und warum veröffentlicht YCR nur Live-material?

Tobby: Das ist reine Geschmackssache. Ich persönlich liebe Live-Platten, wenn sie gut sind. Sicherlich ist da immer ein grosses Risiko dabei, wenn man nicht die Möglichkeit hat, 100 Konzerte mitzuschneiden, sondern, wenn eben an einem Abend alles stimmen soll… aber wenn alles stimmt, dann gibt es meiner Meinung nach nichts schöneres als eine Livescheibe. Keine Studio-scheibe kommt dem dann nahe.

Viele Bands (z.B. SHELLAC) spielen ihr Material ja auch für die Studioplatte im Studio live ein, aber wenn dann noch ein perfekter Konzertort mit einem guten Publikum und der richtigen Atmosphäre dazukommt… wow, dann ist so eine Platte ein einzigartiges Kunstwerk. Schon deshalb lohnt sich für mich immer wie-der der Versuch, diesen Idealfall zu erreichen.

Ich habe aber streng genommen gar nicht nur Livescheiben gemacht. Ein paar der 7″`s sind Studioproduktionen. Dabei handelt es sich um befreundete Bands wie WASTELAND und HEADROOM, denen ich weiterhelfen wollte, und für die ich mich damals auch in Management-Tätigkeiten versucht habe.

Welche Folgen hatte für dich die Pleite von SEMAPHORE, die deine Platten ja vertrieben haben?

Tobby: Die Pleite von SEMAPHORE war ein sehr schwarzes Kapitel in der Geschichte des Labels YOUR CHOICE. Neben schon erwähnten extrem grossen Aussenständen und anderen Desastern hat mich der Konkurs von SEMAPHORE am allerschlimmsten belastet. SEMAPHORE hat über einen sehr langen Zeitraum meine Platten verkauft, ohne mich dafür zu bezahlen.

Ausserdem haben sie einige Scheiben hergestellt und vertrieben, ohne mir jemals Abrechnungen zukommen zu lassen. Dadurch entstand ein unüberschaubares Chaos. Ich habe von einigen Scheiben nichtmal die Masterbänder und Filme zurückbekommen und weiss bis heute nicht, ob und wie oft sie einzelne Scheiben verkauft haben. Ist die YCLS der HARD-ONS z.B. auf LP erschienen? Ich weiss es nicht.

In der Endphase von SEMAPHORE habe ich irgendwann mal einfach so zwei Lp-Cover der Scheibe bekommen. Nicht mehr und nicht weniger. Andere Labels hätten in so einer Stituation sicherlich sehr schnell das Handtuch geworfen. Ich bin da wohl etwas anders, ich habe mich durch diese Umstände nie endgültig unterkriegen lassen, sondern versucht meine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen fortzusetzen.

Welche anderen Projekte hast/hattest du am Start? Gib doch bitte ein paar Infos zum JUHUBUHAUS und zum BLACKOUT.

Tobby: Ich habe, wie schon erwähnt, sehr viele Konzertveranstaltungen in Nieder-Olm, Mainz, Taunusstein, Alzey und Bochum gemacht. Ich hatte meine eigene Band und mit ihr die Ehre, Verbal Assault Ende der 80er im Vorprogramm zu beglücken. Ausserdem habe ich viele Touren begleitet (s.o.) und auch gebucht (z.B. eine Kurztour mit NOTWIST und SCHWARZE FEUER vor ca. 10 Jahren).

Im JUHUBUHAUS (Kapazität ca 150-200 Zuschauer), dem damaligen Jugendhaus in Nieder-Olm, habe ich mit meinen Freunden Ende der 80er, Anfang der 90er Konzerte mit Bands wie H.D.Q., R.K.L, NO MEANS NO (erste Europatour), L.U.L.L., SOULSIDE (später GIRLS AGAINST BOYS), SPERMBIRDS, NEUROTIC ARSEHOLES, TROTTEL, SO MUCH HATE, LIFE-BUT HOW TO LIVE IT? veranstaltet, bis es wegen extremer Lärmbelästigung und anderen Exzessen nach einem letzten Konzert mit URGE und NONOYESNO geschlossen wurde. Das war eine sicherlich wichtige und prägende Zeit für viele aus dieser Gegend. Mit dem BLACKOUT, meinem eigenen Club (Kapazität ca. 450) habe ich hier in Bochum versucht, das Nachtleben und die alternative Szene neu zu beleben.

Innerhalb von einem Jahr haben im BLACKOUT über 160 Bands gespielt (u.a. SUPERSUCKERS, MAKE UP, AT THE DRIVE-IN, BAMBIX, HOT WATER MUSIC, DOWN BY LAW, MILEMARKER, EA80, MUFF POTTER, JIMMY EAT WORLD, ZEN GUERRILLA…) und wir haben ausserdem super viele gute Partys gefeiert (nicht zuletzt wegen Superstar-DJ`s wie: Lefty, Martini und Alexandra oder A. Schmitz) und lange Filmnächte bei leckeren Cocktails verbracht. Leider hat der Laden sich nur ein Jahr gehalten. Das BLACKOUT war echt ein toller Club, Bochum aber nicht der richtige Ort.

Und was machst du jetzt so? Nach der BLACKOUT-Pleite, bist du ja erst mal mit den Veranstaltungen umgezogen. machst du jetzt überhaupt noch was in der Richtung?

Tobby: Ich habe nach der überraschenden Schliessung des BLACKOUTs alle bereits gebuchten Konzerte in die Discothek PLANET verlegt und hatte auch angedacht, dort weiterhin Konzerte zu machen. Das PLANET ist aber inzwischen Konkurs gegangen und geschlossen worden.

Die beste Party aus der BLACKOUT-Zeit (jeden Mittwoch: MAN`S RUIN PARTY) habe ich in den ROBBESPIERRE-Club verlegt. Das ROBBESPIERRE ist allerdings so ziemlich zeitgleich mit dem PLANET platt gegangen und seitdem auch dicht. Einige andere schöne Läden (Kneipen etc.) mussten in den letzten Monaten ausserdem dran glauben.

Bochum wird mehr und mehr zu einer Geisterstadt (was die alternative Szene angeht) und ich habe vom Veranstalten erstmal genug und muss mich auch intensiv darum kümmern, irgendwie die entstandenen Schulden zu begleichen. Was die Zukunft sonst so betrifft? Ist doch ganz klar: Heiraten, Kinder zeugen, Bausparvertrag abschliessen, schicke Anzüge tragen und wegkoksen, was geht. Ein Stadtwechsel ist hierbei auch nicht auszuschliessen.

Zum Schluss noch die komplette Diskographie von YCR bitte:

YCR 000 PESTILENCE / TAUSEND AUGEN LP

YCLS 001 SO MUCH HATE LP

YCLS 002 RIPCORD LP

YCLS 003 LIFE-BUT HOW TO LIVE IT? LP

YCLS 004 VERBAL AssAULT CD / LP

YCLS 005 ARM LP

YCLS 006 TARGET OF DEMAND LP

YCLS 007 RAPED TEENAGERS LP

YCLS 008 PULLERMANN LP

YCLS 009 KINA LP

YCLS 010 SCREAM CD / LP

YCLS 011 NONOYESNO LP

YCLS 012 MELVINS CD / LP

YCLS 013 IT’S YOUR CHOICE 2x 10INCH

YCLS 014 NEUROSIS – „EMPTY“ „LIVE“ 7INCH

YCLS 015 STEEL POLE BATH TUB „LIVE“ 7INCH

YCLS 016 PARTY DIKTATOR „LIVE“ 7INCH

YCLS 017 WASTELAND – „LOST POWER“ 7INCH

YCLS 018 HELIOS CREED CD / LP

YCLS 019 STEEL POLE BATH TUB CD / LP

YCLS 020 THE NOTWIST CD / LP

YCLS 021 SHUDDER TO THINK CD / LP

YCLS 022 ARTICLES OF FAITH CD / LP

YCLS 023 LEATHERFACE / JAWBOX CD / LP

YCLS 024 POISON IDEA CD / LP

YCLS 026 HARD-ONS CD / LP (?)

YCLS 027 LARS HOLZAPFEL CD / LP

YCLS 028 WOOL CD / LP

YCLS 029 SAMIAM „LIVE“ 7INCH

YCLS 030 PLEXUS – „SEE THE FEELING“ 7INCH

YCLS 031 HEADROOM – „BE A GOD“ 7INCH

YCLS 032 OVERDOSE – „HIDE YOUR SOUL“ 7INCH

YCLS 033 GIRLS AGAINST BOYS – „B.P.C / SATIN DOWN“ „LIVE“ 7INCH

YCLS 037 SAMIAM / TEXAS IS THE REASON CD

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Fragen: Sebastian

Questions: Sebastian

Links (2015):
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