September 2nd, 2019

YAGE aus #152, 2012

Posted in Allgemein by Jan

Yage

Als ich Yage kennenlernte, war es zu spät ihre Alben auf Vinyl zu bekommen, da sich die Band bereits aufgelöst hatte, die Alben längst vergriffen waren und nur noch bei Ebay aufblitzten, um für viel Geld den Besitzer zu wechseln. Um so größer war die Freude, als eines meiner derzeitigen Lieblingslabels die komplette Diskografie von Yage zum Ende des Jahres 2010 auf Vinyl veröffentlichte. Damit wird ein kompletter Einblick in die Tiefe der Songs möglich, was mich wiederum veranlasste nach diversen Interviews zu suchen, um mehr von der Band zu erfahren.

Dabei hat mir Dolf ein Interview mit der Band aus der Trust Nr. 82 zukommen lassen, das ich ziemlich interessant fand, da dort Perspektiven und Vorstellungen vom Leben behandelt wurden, die ebenfalls in den Texten von Yage verarbeitet werden. Die Fragen, was möchte ich sein, was sind meine Ideale und wie kann ich mit beidem im Einklang leben, beschäftigen mich seit ein paar Jahren. Yage haben sich bereits aufgelöst und ich habe mich gefragt, ob die Perspektiven geblieben oder sogar umgesetzt wurden. Bei der Suche nach Antworten hat mir Marcel von Altin Village & Mine geholfen, bei dem ich mich noch mal bedanken möchte, da er mir den Kontakt zur Band und damit das Interview ermöglicht hat. Dieses fand via E-Mail statt, wobei es eine Weile (bis Mai 2011) gedauert hat, bis alle Antworten komplett waren.

Yage waren Daniel Reuß (Bass), Marc Bowinkelmann (Drums), Nikita Lavrinenko (Gitarre), Oliver Krebs (Gesang) und Stephan Weinand (Gitarre).

Warum habt ihr euch damals aufgelöst?
Marc: Die Gründe für die Auflösung waren vielfältig. Im Vordergrund stand die Diskussion darüber, wie viel Zeit wir jeweils in die Band und ins Touren investieren konnten bzw. wollten. Das wiederum war mit den elementaren Fragen verschiedener Lebensentwürfe verbunden, da wir damals eigentlich alle an Wendepunkten unserer Lebens standen. Nicht zuletzt lief es musikalisch nicht mehr ganz so glatt, da es immer schwerer wurde, unsere Ansprüche an Musik mit den vorhandenen Mitteln umzusetzen. Es dauerte immer länger, bis wir ein Lied für fertig befanden, wodurch sich der Kreis wieder schloss – wir brauchten sukzessive mehr Zeit, hatten aber immer weniger davon. Der Olli plante zu diesem Zeitpunkt eine Weltreise, so dass eine Entscheidung her musste.

Stephan: Nach dem letzten Album sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir wirklich glücklich waren und danach kam so etwas wie ein kreatives Loch. Nicht so ganz typisch, aber trotzdem war es irgendwie schwieriger musikalisch etwas neues auf die Beine zu stellen, mit dem wir wirklich zufrieden sein konnten. Das war natürlich eine schwierige Phase für uns. Hinzu kam auch, dass mehr und mehr die zeitliche Komponente innerhalb der Band problematisch wurde. Wir konnten nicht einfach für längere Zeit touren. Irgendwie war der Stecker draußen und wir haben es gemerkt. Da war es Konsens innerhalb der Band, dass ein gutes Ende her musste. Das letzte Konzert in Köln war dieses gute Ende. Es war wirklich gelungen.
Wie kam es, dass eure Platten noch mal aufgelegt wurden?
Oliver: Da im Grunde alle Veröffentlichungen ausverkauft waren und anscheinend noch Nachfrage bestand, wurden wir nach einer Compilation unserer Stücke gefragt. Da wir dieses Projekt dann mit unseren Langzeitfreunden Marcel und Oliver von Altin Village machen konnten, war das ganze eine runde Sache für uns!
Was denkt ihr, wenn ihr heute eure Musik hört?
Marc: Es ist eine seltsame Mischung aus Nähe und Distanz. Einerseits sind die meisten Lieder mit Unmengen Erinnerungen, Bildern und Erlebnissen verknüpft und ich glaube sogar, dass viele Bewegungsabläufe und Songstrukturen noch fest in meinem musikalischen Unterbewusstsein stecken. Andererseits gehört das alles in eine Zeit, die heute nicht mehr meine Realität ist – die Wochenenden im Bulli, die Abende im Proberaum, das gemeinsame Beraten, was wir wie als nächstes machen usw. Etwas Nostalgie schwingt dabei immer mit, aber heute würde das alles aus verschiedenen Gründen in der Form nicht mehr funktionieren, da wir uns als Menschen weiterentwickelt haben und sich auch das uns Umgebende verändert hat.

Stephan: Ich höre die Platten eher selten. Wenn ich sie höre, dann fühle ich mich definitiv wohl mit dem, was wir da geschaffen und erlebt haben. Aber viel größer ist ganz ehrlich gesagt die Trauer in mir, dass diese Zeit vorbei ist und es so nicht mehr kommen wird in diesem Leben. Was mich immer am meisten beeindruckt, ist die Power mancher Lieder. Das überrascht mich manchmal und dann sehne ich mich zu dieser Quelle der Energie, zu den ersten Proben und Konzerten, wo alle nur durch den Raum sprangen und flogen, wo einfach nur die Musik klang und die Energie sich breit machte, zurück. Oft werden die Gedanken von Bildern überholt, die dann wiederum mit wundervollen Geschichten gefüllt werden. Wie du merkst, denke ich recht viel, wenn ich dann mal die Platten auflege.
Steht ihr immer noch dahinter?
Stephan: Oh ja, hinter Yage stehe ich immer noch, wenn ich das so sagen kann. Die Ideen hinter der Band trage ich immer noch in und an mir! Das lustige ist, dass gerade in meiner Arbeitswelt, die ich nun mittlerweile um mich aufgebaut habe, dieser DIY-Gedanke, der für uns damals sehr, sehr wichtig war, noch voll gelebt wird. Natürlich teilweise anders, aber trotzdem schwingt er tagein tagaus mit!
Daniel: Definitiv kann ich mich immer noch mit der Musik von Yage identifizieren. Allerdings ist über die Jahre auch eine gewisse Distanz gewachsen, die einfach durch die menschliche Weiterentwicklung und den Lebenswandel beispielsweise in meinem Fall bedingt ist. So steht für mich persönlich Yage auch für einen Lebensabschnitt, welcher hinter mir liegt. Trotzdem stehe ich voll dazu und sehe ihn als Teil von mir. Für mein weiteres Leben hat mich Yage inspiriert, beeinflusst und Lebenserfahrungen geschaffen, welche alles überdauern werden.

Oliver: Exakt.
Im damaligen Interview mit dem Trust ist Stephan der Meinung auch noch in zehn Jahren Hardcore zu hören. Wie sieht es bei euch aus? Noch Interesse am Genre?
Stephan: Hmmm, schwierige Frage. Interesse ist generell noch da, aber irgendwie fehlt etwas. Etwas, was mich wirklich motiviert weiter diese musikalische Richtung zu hören. All die Versuche neue, interessante Bands zu finden, die guten Hardcore spielen, sind für mich irgendwie gescheitert. Ich fand das meiste oft langweilig und abgedroschen. Irgendwie halt nichts Neues. So kam es, dass dann in den letzten Jahren halt keine neuen Scheiben diverser Hardcorebands auf dem Plattenteller lagen, sondern eher alte Kracher halt. Ich hab es manchmal versucht mir neue Sachen anzuhören, aber es geht doch nichts über die Power von Orchid oder mal ganz fein und laut auf dem Rad Portrais of Past zu hören (die neue Scheibe von denen ist übrigens gar nicht so schlecht!!!)

Oder Catharsis mit der richtigen Lautstärke zu Haus. Das sind Momente, wo ich mich definitiv an die gute Zeit erinnere und diese auch zurück wünsche. Klingt jetzt richtig altbacken oder? Mal schauen vielleicht geht es nächste Woche zu Converge, um mal wieder auf der Bühne und im Publikum Energie zu spüren. Falls du übrigens gute Empfehlungen hast, lass es mich wissen. Ich hänge nicht mehr viel in Plattenläden rum und im Netz nach Musik zu suchen ist mir zu nervend. Zähle da oft auf meine Mitmenschen oder diverse Druckmagazine!

Daniel: Zugegeben, das hat sich bei mir etwas verschoben und ist wechselhaft. Von Desinteresse würde ich aber nicht sprechen. Ich war nie der die-hard Hardcoremensch, da meine Sozialisation (also die Jahre der Adoleszenz zwischen 14 und 20) auch nicht über Hardcore, sondern über Deutschpunk und Grindcore/Metal lief. Zuletzt war ich demnach beispielsweise auf einem Konzert der Deathmetalband Obituary.

Oliver: Grundsätzlich ist Musik einer der wichtigsten Bestandteile in meinem Leben und so begründet sich natürlich auch das weitere Interesse an Hardcore, wenn man diese Sparte überhaupt noch eindeutig eingrenzen kann. Die Ideologie, die ich damals verfolgt habe, hat mich geprägt und besteht. Jedoch hat sich das Interesse an Musik an sich natürlich auch immer weiter entwickelt.
Wie seht ihr die Veränderungen der „Hardcore-Szene“?
Oliver: Uiii, für mich eine tatsächlich recht schwierige Frage, da ich im Grunde nicht mehr so sehr in der „Szene“ verankert bin. Mein Leben hat sich früher durch Umfeld und Band wesentlich mehr auf den Bereich Hardcore bezogen. Aus meiner Sicht hat sich da alles viel weiter geöffnet und ist verschmolzen, so dass es mir schwer fällt konkret von einer Hardcoreszene zu sprechen. Meine Freundschaften aus dieser Zeit bestehen natürlich immer noch und sind irgendwo auch durch die damalige Zeit und die Ideologie getragen…

Stephan: Veränderungen??? Krieg ich nicht mit, da ich lang nicht mehr auf einem 100% Hardcorekonzert war!. Aber ansonsten mag ich Veränderungen! Ich hoffe unsere Platten haben auch immer einen diversen Grad an Veränderungen aufgezeigt.
Hat Screamo heute noch Potential ein politisches Bewusstsein zu transportieren, nachdem es vor ein paar Jahren eine neue Definition („Emobands“ die von der Trennung von ihrer Freundin singen und mehr einen Style als eine Botschaft transportieren) des Subgenres Emo gab?
Daniel: Im Prinzip hat jede Musik dieses Potential, es muss nur genutzt werden.
Könnt ihr euch Martin Büssers These (Emo: Porträt einer Szene) anschließen, dass (der heutige) Emo das Potential hat das „Anti“ (anti maskuline Härte, anti definierte sexuelle Ausrichtung etc.) einer Jugendgeneration zu sein?
Daniel: Das war eigentlich das, was mich an Emo so fasziniert hat und mich mit dieser Musik (war damals z.B. die Band Kassiopeia) hauptsächlich in Berührung gebracht hat. Mir ging diese ganze harte Männertour, die in der Punk- und Metalszene weit verbreitet war, ziemlich auf den Nerv. Immer den harten Typen raushängen zu lassen, ohne wirklich rebellisch zu sein. Eine total nervige Attitüde. Die Idee, als Junge/Mann auch Schwäche zeigen zu dürfen und dies in der Musik auszudrücken, fand ich für meinen Teil revolutionär. Dagegen waren in meinen Augen damals diese ganzen Punk/Metal-Typen, die einen auf dicke Hose machen reaktionäre Spießbürger.

In Emo sah ich daher ein rebellisches Potential, welches nicht nur im Sinne von Aufbegehren gegen soziale Missstände, sondern auch als ein Aufbegehren gegen die gesellschaftlich geltenden Geschlechterrollen vorhanden war. Im Lauf der Jahre ist dies mit größerer Popularität der Emoszene wieder verblasst und tatsächlich kam es mir bei manchen Bands so vor, als ob die Gitarre nur dazu dient ein Mädchen rumzukriegen. Das ist dann wieder genauso nervig und reaktionär.
Im selben Trust-Interview stellt ihr eure Lebensperspektiven vor. So wollte Stephan nach seinem Geographiestudium versuchen ans Meer zu ziehen, während Oliver Halt bei Freunden findet und bemerkt, bereits zur breiten Masse zu gehören. Wie sieht es heute aus? Inwieweit könnt ihr rückblickend sagen, dass ihr eure Ideale heute noch vertretet oder gibt es aus der Resignation heraus Abstriche an Leben und damaligen (politischen?) Idealen?
Daniel: Ich habe bald drei Kinder, bin verheiratet und lebe in einer 4,5-Zimmer-Wohnung mitten in Köln, dazu arbeite ich in einem bürgerlichen Beruf. Ich lese immer noch die Jungle World, bin Vegetarier und habe utopische Ideen im Kopf, aber sicherlich bin ich mittlerweile eher der linke Spießer über den Slime in ihrer Platte „Alle gegen Alle“ singen. Für mich geht es im Leben, im Gegensatz zu vielen anderen, nicht darum den Weg der absoluten Konsequenz zu gehen, sondern eher den des Kompromisses zu finden. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, hat Bowie einmal zitiert und dies passt darauf ganz gut.

Der Kompromiss ist keine Selbstaufgabe, sondern eine Notwendigkeit des Zusammenlebens und zum Teil auch des Überlebens. Mit drei Kindern im Hintergrund, für die ich verantwortlich bin, sinkt natürlich die Risikobereitschaft und das lähmt viele zum Teil auch zeitintensive politische Aktivitäten. Ich bin überhaupt nicht resigniert, lebe nur einer ganz anderen Lebensrealität als vor 7 Jahren, in der ganz andere Dinge Priorität haben. Dinge, von denen ich vorher nicht mal wusste, dass sie überhaupt existieren…

Stephan: Ja, also das mit dem Meer hat erst mal nicht geklappt! Das knabbert ziemlich oft an mir! Aber dafür kamen andere Dinge die auch einen wichtigen Platz in meinem Leben eingenommen und die gut in meine Lebensperspektive gepasst haben. Immerhin habe ich nach Yage auch endlich mein Studium mit wundervollen 19 Semestern (Touren sei Dank) geschafft. Klar gibt es Abstriche, aber trotzdem finde ich von meinen politischen und persönlichen Einstellungen noch viel in meinem Leben wieder. Zwar wurde ein wenig die Engstirnigkeit abgelegt, was manchmal gut tut, aber auch frustrierend sein kann, trotzdem finde ich mich auch heute im Leben oft wieder, wo ich schon seit meiner späten Jugend stehe.

Der Punk in mir ist immer noch da, zwar anders und verändert, aber trotzdem ist das Nein, das Dagegen, das andere Leben, das kritische Hinterfragen, Betrachten und vor allem das Selbstreflektieren immer noch da. Und das sehe ich als enorm wichtig an. Mittlerweile sieht es ja auch so aus, dass ich Kinder bzw. junge Mitbewohner um mich herum habe, mit denen ich ein „Anderes Leben“ versuche zu gestalten und zu leben. Auch befindet sich meine Arbeitswelt (was für ein scheiß Wort!!!) fernab der breiten Masse. Ich leite und lebe einen kleinen, gemeinnützigen Verein in Köln, der Umweltbildung vor allem für Stadtmenschen betreibt. Das mache ich zusammen mit FreundInnen mit einem Schrottbüro bei uns im Keller und in der Natur rund um Köln.

Und wie gesagt, ist dieser voll auf der DIY-Ethik aufgebaut, die ich seit langem kenne und schätze. Hört sich jetzt alles ein wenig zu rosig an, oder? Klar, bin auch ich alt und gesetzt geworden und habe manche politischen und persönlichen Entscheidungen gemacht, die ich so vor Jahren nicht gemacht hätte. Veränderungen halt und mit denen muss und möchte ich leben. Wichtig ist mir bei den ganzen Lebensperspektivendiskussionen, die damals und noch viel mehr heute geführt wurden, dass ich immer noch Musik mache (Urban Homes heißt das neue musikalische Projekt). Denn dabei finde ich so unglaublich viel, was mein Leben nährt und begleitet. Musik zu machen und zu hören, ist mir heute noch immer genauso wichtig wie zu Yage-Zeiten oder auch davor und dies wird sich wohl nie ändern.
Hopefully! Energy is running!

Oliver: Bei mir hat sich durch mein Kind der Fokus auch weiter auf die Familie geschoben, jedoch besteht weiterhin der Wunsch und das Ziel möglichst „frei“ von Konventionen zu leben. Dies zieht sich durch mein Leben, allerdings verändern sich die Herausforderungen immer wieder, aber das ist ja Leben, oder?
Habt ihr noch etwas zu sagen?
Oliver: Danke an die Menschen, die unsere Zeit so großartig haben werden lassen. Danke an Yage für das was ich erleben, erfahren und erlernen konnte…

Stephan: Danke für deine unglaubliche Geduld. Und falls du das Interview nicht mehr verwenden magst, weil wir zu verpeilt und zu langsam waren, dann kann ich das vollkommen nachvollziehen. Das ging zu Yage-Zeiten schon ein bissl schneller! Danke auch noch an Marcel für die Energie, die er in unsere/seine Yage-Comp.-Platte gesteckt hat! Das Ergebnis ist eine Hommage an eine unglaublich intensive und wundervolle Zeit. Umarmung an ihn von mir/uns.

Interview: Matthias Lehrack

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