Juni 22nd, 2016

VOIVOD (#56, 02-1996)

Posted in interview by Jan

In der zweiten Hälfte der Achtziger tauchte in Metallerkreisen des Wort ‚voivodmäßig‘ in etwa so häufig auf, wie bei Punkrocks der Begriff ‚hüskermäßig‘. Das war relativ oft und Indiz für einen gewissen Einfluß der jeweiligen Band.

‚Hüskermäßig‘ war/ist natürlich, wenn Bands die verzerrten Gitarren mit poppigen, wenngleich traurigen Melodien vermählten (daß natürlich dieser Begriff inflationär gebraucht wurde, versteht sich). ‚Voivodmäßig‘ indes war es, wenn Bands ihrem Metal einen bis mehrere schräge Akkorde und/oder krumme Takte angedeihen ließen (daß auch dieser Begriff nur zu oft Dinge bezeichnen sollte, die mit der Band Voivod nicht wirklich zu tun hatten, ist auch keine bahnbrechende Erkenntnis).

Genau wie Hüsker Dü klangen Voivod am Anfang nicht so richtig nach sich selbst. Wo ‚Land Speed-Record‘ ein ziemlich desperates Geknüppel fernab jeder Vorstellung von Pop, da ist ‚War & Pain‘ (’84) ein ziemlich desolater Thrash-Metal, schnell, straight, selbst wenn Gitarrist Piggy schon damals so komische Töne in seinen Riffs hatte. Und jetzt lassen wir endlich mal diese Hüsker-Analogien beiseite und widmen uns Voivod. Die also waren irgendwann mit ‚Dimension Hatröss‘ bei dem angelangt, was eben das voivodmäßige ausmacht.

Eine ziemlich spaceige Metal-variante, bei der man dann auch mal die Vorliebe der Band für Punk und Industrial raushören konnte. Snake, der Sänger, hatte singen gelernt und beschränkte sich nicht mehr nur auf eine Lage, war aber gleichzeitig meilenweit von Kastraten wie Joey Belladonna (Anthrax) oder dem Typen von Mekong Delta entfernt. Die Texte folgten einem merkwürdigen Konzept, einer Geschichte, in der es um irgendwelche Voivods und bizarre Welten geht. Das beste war aber noch zu kommen: 1989 erscheint ‚The Nothingface‘. Die hat eigentlich nicht soviel mit Metal zu tun, treibt die Voivodschen Eigenheiten noch weiter, birgt zwischen hochkomplizierten Riffereien immer wieder Oasen von entzückenden kleinen Melodien, ’seasons die, winding walk‘, etc.pp.

War den meisten Rockern zu verkopft (bis vielleicht auf die Pink Floyd – Coverversion). Großartig, fragte sich bloß, wie man um alles in der Welt denn auf sowas kommt. 1991 waren Voivod dann auf einmal bei ’nem Major und kamen mit hochmelodischen, ziemlich geraden Rock-Songs daher. ‚Angel Rat‘ war im Grunde eine Pop-Platte mit dem einen oder anderen 70er Jahregeschwulst, wirkte extrem abgeklärt und ist, man gestatte mir den Ausdruck, wunderschön. Das war das Ende der Originalbesetzung. Bassist Blacky (ja, die hatten damals alle noch so komische Namen) widmete sich fortan anderen Dingen und die restlichen drei nahmen ‚Outer Limits‘ auf. Wieder mit Pink Floyd-Cover, ähnlich wie ‚Angel Rat‘, nur härter und nicht mehr gar so straight. Nach dieser Platte kamen Voivod dann auch endlich mal wieder auf Tour nach Deutschland, u.a. in Hamburg.

Dann allerdings hörte man seltsame Geschichten über Verbleib und Verlust von Sänger und Deal und wie man hörte hätten sie fast aufgegeben. 1995 nun überraschten sie uns mit neuer Platte, neuem Sänger und einer Tour, die auch wieder nach Hamburg führte. Die neue Platte heißt ‚Negatron‘ und erinnert stark an ‚Killing Technology/Dimension Hatröss‘-Zeiten. Der neue Sänger ist gleichzeitig der neue Bassist, heißt Eric Forrest und sein Gesang erinnert stark an ‚Killingsieheoben-Zeiten. Die neue Tournee war Anlaß für dieses Elaborat.

Beim Interview zugegen waren: Denis D’Amour (git), Michel Langevin (dr) und Eric Forrest, der sich mächtig freut, jetzt bei einer seiner Lieblingsbands zu spielen.

Mit der neuen Platte geht ihr ein paar Schrittte zurück? Warum?

Michel (Away): Wir wollten wieder härtere Musik machen. Wir waren auf ‚Nothingface‘, ‚Angelrat‘ und ‚Outer Limits‘ sehr experimentell und wir waren fertig mit unseren Studio-Experimenten. Wir hatten alles gelernt, was wir wollten, um das Wissen zu haben, eine neue Platte aufzunehmen, was das Enginee-ring betrifft, usw., aber wir vermißten etwas in der Musik. Wir schrieben härtere Songs und als Eric zu uns kam, paßte das sehr gut. Es ist die Musik, die uns jetzt Spaß macht.

Bei Voivod gab es meistens eine Art Konzept, das sich durch die Songs zog. Wie wichtig ist das für euch?

M.: Es gibt einen roten Faden. Das ist wichtig für die Kohärenz des Albums. Die Texte und die Musik haben die gleiche Richtung, so ist die Wirkung des Ganzen stärker.

Auf der neuen Platte sind die Texte ja nicht abgedruckt… (sage ich, da drückt mir Michel ein Textblatt in die Hand, als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet) Auf die schnelle steig‘ ich da jetzt bestimmt nicht durch. Ich fand die Texte von Voivod eigentlich immer ziemlich unbegreiflich.

M.: Es ist ein bißchen surrealistisch, aber es basiert auf der Realität. Die Realität ist sur-real…

(ich kann mich ganz offensichtlich einer gewissen Ratlosigkeit nicht erwehren und sage:)

Ähmm…

(Ganz so ernst scheint es dann doch nicht gewesen zu sein, der Heiterkeit nach zu urteilen.)

Das Konzept der ersten fünf Platten ist aber jetzt erledigt?

M.: Es ist wie bei ‚Outer Limits‘, wo wir so weit ‚into space‘ gingen, daß es redundant gewesen wäre, weiterzugehen, langweilig. So ähnlich war es mit dem Charakter des Voivod. Die fünf Kapitel waren eine geschlossene Geschichte. ‚Angel Rat‘ war so eine Art The-rapie um das aus dem Kopf zu kriegen. ‚Angel Rat‘ ist völlig anders. Jemand meinte mal: Da gibt es Voivod und dann gibt es auch noch ‚Voivod auf Angel Rat‘.

Ihr meint also, musikalisch hättet ihr nicht weitergehen können?

M.: Nach ‚Jack Luminous‘ (ca. viertelstündiger Space-Epos auf ‚outer Limits‘, d.V.)…Du denkst, was wir jetzt machen, ist nichts wirklich neues?

Ja.

(Verwirrung setzt ein, und die Musiker murmeln betreten)

Denis: Es ist einiges neu. Für uns. Besonders rhythmisch. Die Rhythmen sind anders als auf den anderen Platten. Das war uns wichtig. Es gibt nicht soviele Gitarreneffekte, es ist ‚closer to the core‘, die Betonung liegt auf den Rhyth-men.

M.: Ich finde neu ist, daß es klingt wie Voivod ’95. Es klingt nicht nach den Achtzigern. Hätten wir wiederholt, was wir in den Achtzigern gemacht haben, dann würde es alt klingen (was ja eine zirkuläre Logik ist, d.V.). Ich finde es klingt nach neuen Voivod.

D.: Das ist, was wir wollten. Von den alten Platten ist die Härte und die seltsamen Har-monien, aber weniger die Geschwindigkeit.

Stimmt es eigentlich, daß euer Ex-Sänger nach seinem Ausstieg in einem Imbisswagen durch die Gegend fuhr?

M.: Ja, das war ein Sommerprojekt, um zu Ruhe zu kommen, aus der Stadt rauszukommen. Er mußte mal raus. Im Winter hat er sich ein Haus im Wald gemietet. Es war offensicht-lich, daß er Dinge in seinem Kopf klären mußte. Jetzt ist er wohl in Ordnung. Er hat eine neue Band. Ich weiß aber nicht den Namen und was für Musik sie machen.

Zwei von euch, Michel und Denis, kommen aus der Provinz Quebec, wo es ja jüngst dieses Memorandum gab…

M.: Der Antrag ist nicht durchgekommen. Weißt du, eigentlich hat uns das nicht so interessiert. Wir haben es im Fernsehen gesehen, und es war mehr wie ein Hockeyspiel, liegt jetzt ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ vorn. Es war eher spaßig. Aber ich denke, das ist alles dumme Politik. Wir denken eher über unsere Musik nach. Es sei denn, es handelt sich um so etwas wir Reagans Starwars-Projekt, oder Chiracs Nukleartests, damit beschäftigen wir uns schon. Das sind Probleme, die man lösen sollte. (ähem, d.V.)

Davon fühlt ihr euch eher betroffen?

M.: Man sollte sich lieber um die Ozonschicht und um die Atomwaffen kümmern. Seit eineinhalb Jahren hört man jetzt von diesem Memorandum. Es gibt wichtigere Sachen.

(Denis erklärt dann noch, daß die Seperationsbestrebungen eher den sprichwörtlichen kleinen Mann auf der Straße ansprächen, wohingegen zum Beispiel Geschäftsleute nicht soviel damit am Hut hätten)

Das war’s eigentlich. Wollt ihr noch was sagen? (ich wollts echt nicht fragen, aber der Mann von der Interviewpolizei zwang mich)?

Eric: Buy the new record!

Die habe ich schon.

E.: Das meinte ich aber nicht…

Schon verstanden.

Bobo: Dolf soll sich die Haare wieder wachsen lassen. Das sieht Scheiße aus mit kurzen Haaren.

(Bobo war wohl als Faktotum mit von der Partie, verkaufte T-Shirts gegen Bares oder auch mal Harziges für die Band, und was weiß ich)

Später dann, nachdem Power Of Expression, die Voivod auf der Tour unterstützten, gespielt haben (übrigens nix von Blast), spielen Voivod. Laut, ziemlich laut sogar, im wesentlichen neue Stücke, aber auch alte Hits von ‚War & Pain‘ über ‚Tribal Convictions‘ bis zu ‚Astronomy Domine‘ letzteres natürlich dem neuen alten Bandsound leicht angeglichen. Es waren zwar noch weniger Leute da als zwei Jahre zuvor (da waren sie noch ganz die souveräne, superabgehobene

Spacerockband, die zwar auch Songs von den ersten Platten spielte, dies aber mit dem jüngeren Sound, was interessante Ergebnisse zeitigte, mit einem brillanten Snake und bunten Lichtern), aber die Stimmung war gut, eher so ein Familientreffen (Oh Mann, und da war wirklich so ’ne Metalkleinfamilie mit inzwischen stirnglatzigem, kurzhaarigen Vater, der sich zur Feier des Tages nochmal die Kutte angezogen hatte, das Göhr mit Slayer hintendrauf, samt getreuem Weibe, welches am Rande stand und liebe- und sorgenvoll, verständnisinnig darniederblickte und ihrem Manne übers kahle Haupt strich). Voivod also deutlich härter als beim letzten Mal, und Denis D’Amour, formerly known als Piggy, ist schon ein brillanter Gitarrist, war mir letztes Mal gar nicht so aufgefallen. Immer noch eine große Band.

Ihr könnt der Band unter folgender Adresse schreiben und auch die Texte der neuen Platte bekommen:

Michel Langevin

P.O. Box 62 Station A

Mtl. QC Canada

H3C 1C5

(Rückumschlag und Irc beilegen)

Text/Interview: Andreas Schnell

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