Dezember 3rd, 2019

VOETSEK aus #137, 2009

Posted in interview by Jan

Voetsek

Ich gestehe, ein Banause zu sein. Die amerikanische Thrashcoreband Voetsek sollte zweimal im Zuge ihrer Europa-Tour in meiner Stadt spielen und ich bin nicht hingegangen. Ich kannte die Band vorher nicht und mein Urteil über die paar Songs bei Myspace fiel eher gering aus. Somit besuchte ich am ersten Tag der Show eine Party, um am darauffolgenden Tag, mir die Band aus San Franzisco zu Gemüt zu führen. Nach zwei Vorbands (unter anderem mit Cold War aus Berlin, die zusammen mit Voetsek eine Split veröffentlicht haben) wurde mir gesagt, dass die Band weiter nach Hamburg ist und nicht mehr spielen sollte.

Pech gehabt und nie wieder daran gedacht. Im Zuge des Deutschlandreleases des aktuellen Albums „Infernal Command“ stoße ich wieder auf die Band und bin begeistert. Die kurzen Tracks der CD lassen mein kürzlich infiziertes Thrasher-Herz höher schlagen und meine Hand ins Gesicht. Verdammt, diese Band habe ich verpasst. Wenn ich also nicht die Möglichkeit habe mir eine Show anzuschauen und mit der Band live zu sprechen, dann muss halt das Telefon her und nach einigen Missverständnissen bezüglich des Interviewtermins erreicht mich Scott (Drummer) am Abend an der Strippe.

Ich habe kaum etwas über euch im Internet gefunden. Lass uns deshalb bitte mit einer Standartfrage anfangen. Wie habt ihr euch gegründet?
Scott: Es ist eine kurze Geschichte, denn wir bestehen seit dem Jahr 2001/2002 als Band, jedoch haben wir erst mehr Beachtung durch das letzes Album bekommen. Unsere Bassistin hat das Label „Six Weeks Record“ gegründet und die Platte dort veröffentlicht. Ansonsten haben wir in den letzten drei Jahren in vielen amerikanischen Kellern gespielt und waren im letzten Jahr in Japan auf Tour.

Dort wurden wir inspiriert und haben uns weiter entwickelt, denn die Bands dort drüben sind ganz anders und die Szene ist viel professioneller als hier. Wir verstehen uns als eine amerikanische Punkband und als wir wieder nach Hause kamen, begann unsere zweiter Gitarrist am neuem Album zu arbeiten und somit haben wir einen anderen Sound entwickelt. Das ist dass, was wir jetzt sind und wenn die Leute uns jetzt hören, hören sie einen neuen Sound. Einige die das neue Album mögen, wollen sich nicht mehr mit dem alten Songs beschäftigen, aber ich denke, es ist wichtig, denn das ist unsere Entwicklung.

Auf eurer Myspaceseite habe ich einen Song vom alten Album gefunden und dieser ist noch viel punkiger als die Thrashsongs von ‚Infernal Command‘.
Scott: Die Sache ist, dass wir auf dem ersten Album sehr schnell spielen und vierzig Songs drauf haben. Damals wollten wir so schnell wie möglich sein und die meisten Tracks hatten eine Länge von dreißig Sekunden und weniger. Wir hatten eine witzige Zeit, denn wir haben nur Songs geschrieben und geschrieben und hatten somit über hundert Stück, konnten aber nicht alle auf unser Album packen, geschweige denn proben.

Zum Thrashsound: Wir haben unsere Einflüsse nicht geändert, vielmehr haben wir den Weg geändert, wie wir sie benutzen. Wir haben gemerkt, dass der Sound umfassender klingt, wenn wir ab und zu langsamer werden und ein paar Moshparts und Gitarrensoli hinzufügen.

Du sagst, dass dich viele Bands beeinflusst haben. Welche sind das genau?
Scott: Ich denke, eine Hauptrolle spielen die Fastcorebands aus den neunziger Jahren, wie Spazz oder Capitalist Casualties. Natürlich spielt auch jegliche Art von obskuren Thrash, wie Megadeath und so, eine entscheidende Rolle. Eine lange Zeit haben mich viele schnelle Punkbands beeinflusst. Mich faszinieren auch achtziger Jahre Hardcorebands und das ganze Drumherum. Es zeigt sich nicht so sehr in unseren Songs, aber in unserer Attitüde.

Von eurer Attitüde habe ich leider nicht viel mitbekommen, da ich die Chance verpasst habe euch live zu sehen. Ihr wart auf einmal weg, weil am nächsten Tag das Flughafenpersonal streiken sollte.
Scott: Das war ein anstrengender Tag, denn wir waren seit vier Wochen in Europa auf Tour und wir haben an diesem Tag Touristen in Berlin gespielt und mussten dann herausfinden, wohin wir fahren müssen. Wir haben von dem Streik nur zufällig etwas mitbekommen, weil unsere Bassistin in Berlin mit einem Freund Bus gefahren ist und auf dem Monitor die Meldung über den Streik lief. Wir wollten in der Nacht noch spielen und dann am nächsten Morgen los, aber wir sind dann sofort gefahren.

Wir haben zwar die letzte Show verpasst, aber wenn wir nicht am Flughafen gewesen wären, hätten wir nicht zurückfliegen können, denn der Streik war für zehn Uhr Vormittags angesetzt und geöffnet hatte der Flughafen aber schon um fünf Uhr Morgens. Du hast die letzte Show unsere Tour verpasst, es ist… lustig, denn es wäre die Show gewesen, bei der wir uns von unseren Freunden verabschiedet hätten. Aus unserer Sicht haben wir auch eine Show verpasst.

Eure Musik war der Grund gewesen, mich genauer mit der Thrashcoreszene auseinander zusetzen, denn ihr habt diese Punk-Attitüde, die ich vorher noch nicht gesehen habe.
Scott: Das sich Hardcore in Crossover verwandelt hat, war der einfachste Weg, weil die Musiker besser wurden, so wie wir auch. Ich bin in die Band gekommen und spiele seitdem Schlagzeug, aber ich war damals nicht so gut. Wir mussten erst ein paar Erfahrungen mit unseren Instrumenten sammeln und sechs Jahre später waren wir andere Musiker.

Unser Gitarrist Ben hatte schon vorher Erfahrung gesammelt und mit uns zusammen das Album aufgenommen und das erste, was er mich gefragt hat, war, ob ich jemals mit einem Metronom geprobt habe oder ob unsere Bassistin überhaupt zu Hause probt. Wir meinten zu ihm ‚Wovon redest du? Wir sind eine Punkband!‘ Was nicht heißen soll, dass du nicht der Meister deines Instruments sein kannst. Das war also ein guter Stoß in die richtige Richtung.

Wir nennt ihr eure Musik eigentlich? Thrashmetal oder Thrashcore?
Scott: Wir nennen es „Bay-Area-Fast“. Das Wort Thrash wurde zwar von den Punks genutzt, aber nachdem Thrashmetal in den frühen neunziger Jahre gestorben ist und Grunge und so kamen, ging der Thrash unter und die Punks haben die Bezeichnung übernommen. Wir nannten es Thrash von Anfang an, aber ich glaube wir spielen heute keinen traditionellen Thrash mehr.

Am Anfang des Jahres 2000 wurden Bands, die ihre Musik wie Minor Threat spielten, als Thrash bezeichnet und jetzt holte sich Metal das Wort zurück. Wir verbinden unsere Thrashmetal-Einflüsse, aber wir würden es nicht als „Bay-Area-Thrash“ bezeichnen, denn wir können nicht diesen exzessiven gewalttätigen Stil spielen. Niemand in unserer Band legt Wert auf Style oder Fashion, deswegen wissen Leute, die uns nicht kennen und uns auf einem Gig sehen, nicht was auf sie zu kommt.

Jemand hat mir mal erzählt, dass es vor ein paar Jahren einen Thrashhype in Deutschland gab. Kannst du mir sagen, wie eure Shows in Europa nach dem Hype angekommen sind?
Scott: Ich fand die Tour sehr gut und es war eine der besten, die wir jeweils geführt haben. Wir haben einige unserer besten Shows als Band gespielt und viele Erfahrungen gemacht. Ansonsten war es eine interessante Tour, denn Deutschland hat diese aussagekräftigen Venues. Es fallen viele besetze Häuser auf einen Punkt und da wir im Sommer da waren, konnten wir auch mit Bands aus Brasilien, Amerika oder auch mit deutschen Bands zusammen spielen. Es touren so viele Bands im Juli durch Deutschland, dass jede Show, die wir gespielt haben ein schönes Lineup hatte.

Egal woher die Bands kamen, es war immer eine schöne Thrash-Punknacht. Der Vipe war immer gut, denn die Deutschen trinken während einer Show, was uns hilft besser zu klingen. [Gemeinsames Lachen] Wir hätten normalerweise keine Zugaben gespielt, da wir auch keine Headlinier-Band sind, aber in Deutschland wollten die Leute trotzdem eine Zugabe sehen. Wir hatten schon alle Songs gespielt, die für die Tour angedacht und geprobt haben, also sind wir zurück auf die Bühne und haben den ersten Song nochmal gespielt. Alle waren so betrunken und hatten viel Spaß.

Wenn wir nochmal zurück kommen, dann hätte ich mal Lust vor deutschen Metalheads zu spielen, anstatt vor Punks. Ich arbeite für Municipal Waste, somit war ich schon mehrmals in Deutschland und habe viele Metalcrowds gesehen. Ich würde es bevorzugen, wenn die Leute wissen, dass wir eine Art Metalstyle spielen, denn ich mag es mehr, wenn lange Haare umherfliegen und die Leute Headbangen und so.

Besteht eine Möglichkeit, dass ihr nochmal zurück kommt?
Scott: Ich weiß nicht so genau. Wir gehen im April erstmal zurück nach Japan und dann spielen wir ein paar Konzerte hier und dann kommen wir vielleicht mit Municipal Waste im Juli nach Europa.

Wow!
Scott: [lacht] Wir haben noch eine Neuigkeit. Kaum jemand weiß das bis jetzt, aber bevor wir zurück kommen, werden wir erstmal an einem neuen Album arbeiten. Nachdem wir mit dem Aufnahmen für „Infernal Command“ fertig waren, hat unser ehemaliger Gitarrist Jeff die Band verlassen und er kam auch nicht mit nach Europa. Wir hätten zwar einen weiteren Gitarristen und könnten zu fünft spielen, aber nachdem wir zu viert getourt sind, haben wir uns entschieden zu viert weiter zu spielen. Wir sind sehr zufrieden mit der Richtung, die wir bei der Arbeit am aktuellen Album eingeschlagen haben. So dachten wir uns, dass wir erst mal weniger touren und weiter arbeiten und dafür später einige größere Konzerte spielen. Somit sind wir beim Metalfestival im Sommer in Kalifornien mit dabei und spielen auch in Japan.

Na da kann man gespannt sein.
Scott: Es ist zwar noch nicht zu einhundert Prozent sicher, aber der nächste große Schritt für uns, wird sein, dass wir mit einem richtigen Produzenten ins Studio gehen, der uns etwas pushen kann.

Ihr habt euer letztes Album selber aufgenommen?
Scott: Ja, jetzt wollen wir einen Produzenten haben, der unseren Sound kennt und weiß wohin wir gehen wollen. Vorher haben wir zusammen mit Freunden und unseren ehemaligen Gitarristen das Album aufgenommen. Ich bin sehr glücklich darüber, denn wir haben uns gegenseitig im Studio gepusht. Wir haben uns sonst nie gegenseitig ermutigt, denn wir haben unsere Songs immer im Studio geschrieben, haben diese dann abgemischt und waren fertig. Wir wollten es laufen lassen, weil die Leute wissen, dass wir weiter gegangen sind. Sie gaben uns Feedback und dadurch arbeiteten wir noch härter.

Wie kam eure Musik in Japan an?
Scott: Wir waren erstaunt über Japan. Die japanischen Bands sind so vertrackt und aggressiv. Ich denke, amerikanische und europäische Bands sollten mal rüber gehen und ein paar Gigs spielen, denn das japanische Publikum schaut mehr nach dem was auf der Bühne passiert und sie erwarten, dass du einhundertzehn Prozent gibst. Ich habe mit den Bands im Backstagebereich gesprochen und dort haben sie sich vor dem Konzert selber ins Gesicht geschlagen, sich gegen die Wand geschmissen und die ganze Zeit geschrien.

Als ich gefragt habe, was sie da machen, meinten sie, dass das ‚The Burning Spirit‘ ist und dass sie die Show am Abend wie ihre letzte Show spielen. Als würde das Vermächtnis der Band in diesem nächtlichen Gig liegen. Das ist das Beste, was ich je über die Art ein Konzert zu spielen, gehört habe. Wir haben versucht uns auf der Bühne zu pushen und Ami [Sängerin] war die dickste Frontfrau in Japan und das hat die meisten sehr beeindruckt.

Sie hat die meiste Aufmerksamkeit vom Publikum bekommen und dadurch, dass unsere Bassistin aus Japan kommt, lief die Kommunikation sehr gut und wir konnten mit jedem reden. Unser Gitarrist hat die ganze Zeit Spin-Kicks von sich gegeben und seine Zunge rausgestreckt und ich habe versucht so hart wie möglich auf die Drums zu schlagen, meinen Kopf gebangt und die meiste Zeit laut geschrien, denn es geht wirklich nur um die Bühnenperformance, die bei der japanischen Masse ankommt.

Nun bin ich gespannt zurück zu gehen, denn wir haben die Energie auf der Bühne, sind jetzt aber zehn Mal tighter. Ich weiß, dass sie nichts gegen die Gitarrensolos sagen werden. Ich weiß, sie lieben den Scheiß.

Um noch mal auf Europa zurück zu kommen: Ich habe mit unserem Tourbooker gesprochen und ihm einige Namen von japanischen Thrashmetalbands gesagt, mit denen ich gerne spielen möchte, denn dort haben wir mit den besten Punkbands gespielt, aber ich möchte vor anderen Crowds spielen, denn sie haben eine andere Fanbasis.

Kannst du mir ein paar japanische Thrashbands nennen?
Scott: Ja, da gibt es Abigail und Sabbat, dass sind zwei Favoriten mit denen ich spielen möchte. Es gibt auch ein paar Doombands, aber unser Stil ist nicht langsam genug. Da gibt es Coffins, Gallhammer oder Corrupted, aber ich glaub wir würden nicht zusammen passen.

Kennst du die Band Rumpelstilskin Grinder?
Scott: Wen?

Rumpelstilskin Grinder von der Ostküste. Eine Thrashband von Relapse Records, aber mit einer Stimme aus dem Hardcorebereich.
Scott: Ach Rumpelstilskin Grinder, die Municipal Waste Rip-Off-Band.

Der Gitarrist sagte mir bei einem Interview, dass in Amerika Thrashmusik wieder modern wird und besonders an der Westküste sich junge Bands gründen. Kannst du das bestätigen?
Scott: Es geht hier gerade ein riesiges Retro-Thrash-Ding ab. Mit White High-Tops [Chucks] und etwas von dem Metalstil, der Deutschland nie verlassen hat. Rückenpatshes und jeder lässt seine Haare lang wachsen. Jeden Tag gibt es zehn neue Bands die alle wie Destruction klingen wollen. Wir versuchen, nicht Teil dieser Szene zu sein, versuchen aber mit der Szene zu spielen, denn wir haben als Band angefangen, als uns Municipal Waste das erste mal gesagt haben, dass wir Megadeath auschecken sollen.

Es ist anders, denn die Kids starten ihre Retrobands in der High-School und es ist der erste wirkliche Push der Underground-Musikszene, die nun eine neue Identität bekommt und gerade versucht herauszufinden, was sie ist und wohin es gehen soll. Das gute daran ist, dass wenn wir mit Thrashbands zusammen spielen, die Kids kommen, mit den Köpfen bangen und die Windmühlen mit ihren Haaren machen. Gleichzeitig können wir mit Hardcorebands zusammen spielen, da haben wir Circle-Pits und so weiter. Was wir versuchen und was bis jetzt in der Bay-Area noch nicht ganz geklappt hat, ist das Zusammenführen von diesen beiden Szenen und das passiert hier gerade.

Wir spielen unterschiedliche Shows, bei denen diese Stile jetzt gemischt werden. Wenn dieses Thrash-Revival-Ding wirklich größer werden sollte, dann wollen wir erreichen, dass die Punk Wurzeln nicht vergessen werden. Es gibt auch Newcomerbands, die so spielen, als wäre es Crossover, aber es hat einen Punk-Hintergrund. Wir wollen, dass sie sich daran erinnern und es behalten. Weist du, als es zum ersten Crossover hier kam, gab es viele Kämpfe zwischen den Hardcorkids und den New-School-Thrashmetal-Kids und dann gab es Ärger mit Skinheads und so ein Scheiß. Ich glaube, eine Band wie Voetsek versucht den Kids von beiden Seiten zu sagen, dass wir hier aus dem gleichen Grund hier sind.

Ich bin soweit durch mit meinen Fragen…
Scott: Eine Sache, die ich noch zu der Deutschland- oder Europatour im Allgemeinen hinzufügen möchte. Die meiste Aufmerksamkeit haben wir bekommen, weil wir nicht so aussahen wie jede andere europäische Punk- oder Metalband. Ich habe Freunde, die ihre Freunde überredet haben zu unserer Show an einem Montagabend zu kommen, als sie am nächsten Tag wieder arbeiten mussten.

Sie haben niemals eine Band so spielen gesehen, die auch so aussieht. Mit der dicken lesbischen Frontfrau, der asiatischen Lehrerin am Bass, dem kleinen weißen Typen am Schlagzeug, der die ganze Zeit seine Zunge rausstreckt und dem „Motor Mouth“-Juden an der Gitarre der Moshpart bringt. Menschen, die aufgeschlossen sind, waren begeistert uns zu sehen, denn wir unterscheiden uns von den Punk- und Metalbands, die sie bisher gesehen haben.

Interview: Matthias Lehrack
Fotos: Voetsek
Dank an: Artur & Martin

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