September 18th, 2019

UNTERM DURCHSCHNITT/RECORDS&ME (#111, 2005)

Posted in interview by Thorsten

Mit Andreas von Unterm Durchschnitt und Lennart und Hannes die RECORDS&ME machen, habe ich Ende Februar ein Doppel-Interview über ihre jeweiligen Labels geführt:
Auf der einen Seite Unterm Durchschnitt Schallplatten, welches mitlerweile schon im sechsten Jahr existiert und sich in dieser Zeit vom Kleinstlabel zum bekannteren Underground-Indie-Label entwickelte, wo unter anderem sehr schöne Platten von jet*black, den peters und Katzenstreik veröffentlicht wurden. Zum Label gehört auch ein Mailorder und, ganz selbstverständlich, politisches Engagement.
Die gleiche Ausrichtung haben auch Hannes & Lennart von RECORDS&ME. Allerdings ist ihr Label um einiges jünger, wurde es doch erst im Frühsommer 2004 ins Leben gerufen.

Mit der ersten Band, einer dazugehörigen EP und Release-Tour stößt man auf wachsendes Interesse und für die Zukunft sind die Ziele klar formuliert: Eine „kleine aber feine Familie aus Musikern, Label und Musikfanatikern“, wolle man aufbauen, so Lennart, einer der Label-Gründer. Mit den Bands und den Leuten im Labelumfeld „mehr Freund als Geschäftspartner“ sein und bei der Auswahl der Veröffentlichung vor allem auf Kreativität, Innovation, Liebe zur Musik und Live-Qualitäten achten, denn auf „das schnelle Ding, oder wie man es sonst noch nennen mag“, haben sie mit Unterm Durchschnitt gemein.

Andreas, die Gründung deines Labels liegt ja nun schon ein paar Jahre zurück. Du bekommst doch jetzt allerdings auch die Entwicklung bei RECORDS&ME ganz gut mit. Vielleicht könntest du zum Einstieg ein mal erzählen, wie der Anfang von U – D im Gegensatz zu dem Label von Hannes & Lennart war. Welche Möglichkeiten du damals hattest … bzw. nicht hattest, auf die, die beiden, aber heute zurückgreifen können. Und was du vielleicht anders gemacht hättest im Nachhinein, UNTERM DURCHSCHNITT betreffend.

ANDREAS: Also es gab nicht diesen Stichtag, an dem ich dachte: „Hey, ich mache ein Label“. Ich habe einfach einen Antrieb für andere etwas zu organisieren. Damals über meine eigene Band hinaus auch für andere Combos. Hätten mich dann letztlich die burning leaves,..? nicht gefragt, die Platte von ihnen rauszubringen… an so was wie Business dachte ich nicht im geringsten, fällt mir auch heute noch schwer, Unterm Durchschnitt als eine Wirtschaftseinheit wahr zu nehmen. Organisation und Koordination waren einfach die Notwendigkeit, um Bands die ich liebe, zu helfen. Verstehe das bis heute nur als Aufgabe, die Bands die ja auch Freunde sind, zu entlasten … aber sie und ihre Entscheidung nicht zu ersetzten. Das war mir war von Anfang an wichtig, möglichst alle Schritte mit den Bands abzustimmen, mich von ihren Ansprüchen und zielen treiben zu lassen und das Label daran auszurichten anstatt umgekehrt. Gibt genug Labels die das so nicht praktizieren und sich als den Part sehen, den die Bands brauchen. Ihr sehe das mehr als unser gemeinsames Ding und das Label wäre nichts, wenn die Bands nicht wären wie sie wären.. Von den Musikern hängt alles ab, von den Möglichkeiten die du ihnen einräumst, sich zu entfalten. Ich versuche nur dann aufzutreten, wenn es gewünscht ist oder wenn Erfahrung gefragt ist und versuche die Bands sonst frei zu halten von meinen Erwartungen. Wobei das sicher krass klingt wenn du das abdruckst – heißt ja nicht dass ich da nichts zu sagen habe oder sagen möchte. Ist halt so nen Ding, wie unter Freunden halt. Man quatscht einfach drüber auf welche Reise man fährt ohne dass es jetzt der Kumpel, der das Auto hat, den Captain spielt. Im Prinzip ist Unterm Durchschnitt ne AutofahrerInnenvereinigung und da ich den Leuten eh zu schnell fahre, muss ich sie nicht mal zwingen, auch mal nen paar Kilometer sich ans Steuer zu setzten … (lacht)

Die Art ein Label zu gründen war bei Hannes und Lenni glaube ich anders. Alleine schon deshalb, weil sie das Label zu zweit gegründet hatten und sich da ganz anders drüber bewusst werden mussten, sich absprechen mussten und diese Entscheidung auch irgendwann mal aussprechen. Ich hab mich ja nicht vor den Spiegel gestellt und gesagt: Chakka, du schaffst es. Das ist einfach so gekommen wie es heute dasteht, mitlerweile so ne kleine abstrakte Werkstatt für mich in die ich mich zurück ziehen kann und die mich aber auch manchmal zurück zieht … Antje hat mir einfach geholfen weil wir zusammen sind und nicht weil sie jetzt große Lust auf „Rockbusiness“ verspürte, Rampenlicht oder idealistische Selbstverwirklichung.

Wo sich dann direkt die Frage an euch anschließt: Du, Hannes, legst ja gelegentlich auf, Lennart macht DIY-Videos/Filme mit „Von Bis Nach Seit“. Was macht ihr noch so nebenher bzw. was habt ihr vorher gemacht und gab den Ausschlag für RECORDS&ME?
Da gibt es ja z.B. Leute, okay das ist jetzt ein bisschen sehr Klischee vielleicht, die über Jahre auf den selben Konzis rumhängen, für die Band X mal den Merchstand auf ’ner Tour machen und für Band Y dann den Bus fahren, dann irgendwann ein Label gründen, so als logischen Schritt, weil man eh schon so lange dabei ist. Oder einfach Leute die das nie so geplant hatten und dann ist da plötzlich diese eine Band die einem sehr gut gefällt, die aber noch keinen gefunden haben, der ihre Platten herausbringt. Und so weiter, gibt ja viele Möglichkeiten. Wie war das bei euch und, falls das sich nicht aus der obrigen Frage ergibt: Wie habt ihr Cartridge eigentlich kennen gelernt ? Vielleicht auf deren ersten Hamburg – Gig Ende Mai letzten Jahres?

LENNART: Ich fang am besten mal mit der einfachsten Antwort an: Vor RECORDS&ME / VON BIS NACH SEIT hab ich nichts besonderes gemacht, also rumgehangen, gejobbt und viel auf Konzerte gegangen. Filme und Musik waren schon immer meine Leidenschaften.Ich hab in einigen Bands gespielt aber da war bisher leider nie das wirklich richtige dabei. Hannes und ich haben übrigens auch mal in einer Band zusammengespielt, dadurch haben wir uns auch kennengelernt, dass waren sehr sehr schöne Zeiten, aber die Band ist dann irgendwann im Sande verlaufen, warum, wissen wir beide gar nicht so genau. Später habe ich mir dann meine erste Kamera gekauft und die ersten kleinen Musikvideos gemacht. Das Filmemachen wird jetzt langsam auch größer, vor allem, weil die ersten Dokumentarfilmprojekte in Planung sind.

HANNES: Wir haben uns wie schon gesagt durch unsere gemeinsame Band kennengelernt. Aus der wurde zwar nichts richtiges, es kam nichtmal zu einem einzigen Auftritt, aber das hat uns natürlich noch näher an befreundete Bands gebracht. Die nächsten Jahre haben wir dann einfach, relativ unabhängig voneinander, all diese Bands begleitet. Insbesondere zum Beispiel PETERS, die ja bei Andreas auf Unterm Durchschnitt sind. Ich hab dann, als ich mit dem Zivi fertig war, ein Praktikum bei einem großen Majorlabel gemacht – eigentlich mehr, weil ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte. Und da hat sich dann auch ziemlich schnell die Idee entwickelt ein eigenes Label zu gründen. Dazu fehlte eigentlich nur eines – eine Band. Kontakte habe ich ja wärend meiner Zeit bei besagtem Label viele sammeln können, und auch danach noch, als ich ein weiteres Praktikum bei einem Indie-Vertrieb gemacht habe. Allerdings habe ich diesen Gedanken auch nicht wirklich weiter fokusiert, da mir a Band, und b jemand der mich unterstützt fehlte.

LENNART: Ein Label war natürlich auch immer ein Traum von mir, aber irgendwie hat es sich nie wirklich ergeben. Bis eben letzten Sommer, als wir Cartridge kennengelernt haben. Das ist eine tolle Geschichte und sie wird langsam zu meiner Lieblingsgeschichte, Also gut, fange ich mal an, wie das mit Cartridge war: Cartridge haben sich einen Bully gekauft, um drei Monate lang durch Europa zu touren. Gebucht waren nur ganz wenige Shows, der Rest sollte sich spontan ergeben. Nun denn: Sie waren gerade mal ein paar Tage unterwegs und schon hatten sie in Hamburg eine Panne.
Fuchs, der Basser von Peters, hat sie dann durch Zufall kennengelernt, deren Auto repariert und Cartridge auch gleich auf Peters-Releaseparty in Hamburg spielen lassen. Das war nämlich gerade zu dem Zeitpunkt, als auf Unterm Durchschnit die einfach grandiose Peters 7inch „Strukturanalyse Posteingang irgendwas“ erschienen ist. Da war also die Releaseparty in Hamburg und Hannes und ich sind gute Freunde von Peters und wir kennen sie schon sehr lange. Wir waren also auch da und sahen Cartridge und waren begeistert. Ich hab mir dann natürlich gleich eine CD gekauft (eine selbstgebrannte übrigens), hab sie 2 Wochen durchgängig gehört, dann hab ich Hannes angerufen, wir haben kurz geschnackt und der Plan stand. Am nächsten morgen ging dann eine Mail an Cartridge raus, die zu dem Zeitpunkt irgendwo in Frankreich waren. Diese Tage waren schon sehr nervenaufreibend, denn wir hatten keinen Plan, was wir erwarten sollten. Ich meine, wir hatten noch kein Label, nur diesen Traum und das Versprechen, Cartridge mit ganzem Herzen zu unterstützen. Cartridge haben dann geantwortet und waren hellauf begeistert. Und wie sagt man doch so schön: Der Rest ist Geschichte.

Mittlerweile habt ihr euch den Label-Traum erfüllt und es scheint ja auch soweit alles ganz gut zu laufen: Die erste Platte, gute Konzerte und eine erste Release-Tour mit Cartridge Ende März. Wollt ihr euch jetzt in Zukunft erst mal nur auf Cartridge konzentrieren? Vielleicht an einer kompletten LP arbeiten, in ein paar Monaten eine längere Tour organisieren und ähnliches, oder gibt es schon, mehr oder weniger, konkrete Pläne, für neue Veröffentlichungen bzw. erst mal ein neues Signing? Vielleicht eine Band die ihr auch schon länger … seit vor dem Label kennt oder eine, die ihr erst dadurch kennengelernt habt?

HANNES: Also es soll nach der EP und der Tour auf jeden Fall gleich weitergehen. Sowohl mit Cartridge als auch mit anderen Bands/Künstlern. Da gibt es auch schon relativ konkrete Pläne: Neben dem Cartridge-Album, das für ende des Jahres geplant ist, veröffentlich wir jetzt erstmal in den nächsten Wochen die Vinyl-Version von Clickclickdecker „Ich habe keine Angst vor…“. Clickclickdecker ist auch ein Freund von Lennart, ist also auch jemand aus unserem Umfeld. Natürlich wäre es schön, wenn alle unsere Bands aus unserem Freundeskreis kämen, so a la Saddle Creek, aber ich denke, dass man, wenn man sich das als Grundsatz nehmen würde, damit zu viele tolle Künstler ausschließen würde. Und Cartridge wären dann ja auch schon die erste Ausnahme… was wir allerdings schon als Grundsatz festhalten wollen ist, dass wir ausschließlich junge, unbekannte Bands signen werden. Peters. wären sicher auch eine band, mit denen wir gerne was machen würden, aber da war Andreas ja schneller…
Nach clickclickdecker steht zwar noch nichts genaues fest, aber es wird noch mindestens ein weiteres Release vor dem Cartridge-Album geben, da verrate ich aber noch nicht mehr…
es wird also noch jede menge passieren, in der nächsten zeit. eine Cartridge-Tour zum Album ist natürlich auch noch geplant!

Ihr macht das Label zusammen, als Kontaktadresse ist aber Hannes Anschrift angegeben und auch sonst kommt es für mich, und vielleicht noch andere Außenstehende so rüber, das Hannes „mehr macht.“
Wie sind die Aufgaben bei euch verteilt, wer kümmert sich um welche Bereiche?

HANNES: Hm, also das mit der Adresse liegt einfach daran, dass die Leute ja irgendwo Ihre Demos hinschicken müssen… Ansonsten ist das eigentlich ziemlich ausgeglichen, es ist auf keinen Fall so, dass einer mehr macht als der andere. Es ist eher so, dass wir uns ziemlich gut ergänzen. Lennart versteht halt sehr viel mehr von Buchhaltung und so einem Kram, er hat unsere Homepage gestaltet und hält die am laufen. Das sind alles Sachen von denen ich überhaupt nichts verstehe, die aber immens wichtig sind. Ich nutze halt die Kontakte die ich schon aus meiner Zeit vor RECORDS&ME habe und mache die meiste Promo, buche Konzerte und was halt so anfällt. Alle Entscheidungen treffen wir allerdings komplett zusammen, unsere Aufgabenbereiche sind zwar relativ klar abgesteckt, aber Entscheidungen treffen wir grundsätzlich zusammen, übrigens meistens auch nach Absprache mit den Bands. Und dass sich unsere Aufgaben unterscheiden hat sich einfach so ergeben, jeder macht halt was er am besten kann, von daher sind wir, glaube ich, ganz schöne Glückspilze, weil wir uns wirklich großartig ergänzen und die gleichen Ideen teilen.
LENNART: Haha, Stimmt genau.

Andreas, du kommst ursprünglich aus Göttingen und dort scheint es ja eine recht ausgereifte Szenestruktur zu geben, wenn ich mal überlege, welche Bands, Labels etc. mir von dort einfallen. Illmenau und die Region drumherum scheinen da doch eher Niemandsland zu sein, oder?! Und jetzt in Köln bist du in einer der bedeutensten Medienstädte Deutschlands und davon abgesehen hat man in einer Großstadt ja noch ganz andere Vorteile. Ist für dich der Standort deines Labels wichtig, oder das vollkommen egal und macht keinen Unterschied ob man nun in der Provinz wohnt, oder in einer Metropole, so lange man eben die nötigen Kontakte, gute Vertriebswege etc. hat? Das es gar nicht so auf die Stadt ankommt, denn auch div. Leute die überall im Land verteilt sind, können einem ja helfen und die angefallene Arbeit erledigt man ja heutzutage meistens eh per PC / Telefon, ist es da ganz egal, ob nun draußen die Kleinstadt ist oder der Kölner Medienpark? Oder hast du schon mal überlegt woanders hinzugehen, zum Beispiel auch näher an deine Bands, die sich ja, bis auf wenige Ausnahmen, eher im Norden verteilen? Und bist jetzt nur da, wo du bist, wegen Uni, Job etc. ?

ANDREAS: Meine Kühe, Meine Schafe, Meine Hühner, Meine Schweine, Meine Scheune … ehrlich gesagt ist es mir egal wo ich bin und fühle mich nirgendwo fest verwurzelt falls du so was meinst. Gibt nette Leute in fast jeder Stadt und auch viele gründe, diese Stadt irgendwann wieder zu verlassen. Und um mit Menschen oder Bands Kontakt zu halten ist der Wohnort ja nun egal, ich hab gehört das es mittlerweile auch schon Erfindungen über das gute alten Dosentelefon hinaus geben soll. Will mir demnächst auch mal so ein Ding holen, das soll irgendwie mit Strom gehen (lacht). Nee ich sag jetzt gar nicht mehr viel, weil ich hasse leute die über „Ihre“ Stadt so nen lokalen Heimatkult bedienen. Gerade die Kölner sind ja echt krank, was das angeht – jedenfalls die linksrheinischen.. Bin froh das ich im Prinzip so weit außerhalb wohne, dass ich nicht mehr als notwendig in die City muss. Wusstest du das die diese Stadt in zwei hälften geteilt haben? Einmal die Rechtsreihnische, wo die Arbeitermilleus sind, auch noch nen paar okaye Leute wohnen und die Linksreihnischen, die die andere Seite „schällsick“ nennen und sich einen darauf anprosten, dass sie auf der besseren Hälfte wohnen. Da wohnen aber auch nen paar okaye Leute. Ich hab ja schon viele Gartenzaunkriege zwischen Städten oder Käffern mitbekommen, aber derart? Ich glaube, die Kelly Family hatte deshalb auch einen solchen Erfolg, weil sie einfach auf der Grenze gewohnt hatten, dem Rhein, und sie so jeder toll finden durfte … (lacht)

Hamburg ist ja nicht weit entfernt von Dänemark und durch Cartridge seit ihr über die Indie-Szene dort vielleicht ein wenig auf dem Laufenden. Ich kann mir vorstellen, das es Abseits von den großen Städten schwer ist, als Band etwas auf die Beine zu stellen, oder allgemein als Kulturschaffender, überhaupt erst mal wahrgenommen zu werden. Wisst ihr vielleicht was über die Gegebenheiten in Dänemark von Cartridge oder aus eigenen Erfahrungen? Falls ihr euch da ein bisschen auskennt, beobachtet ihr dort die „Szene“? Ob da vielleicht eine Band dabei ist, die für eine Veröffentlichung durch RECORDS&ME in Frage käme?

HANNES: Hm, also so richtige Dänemark-Experten sind wir jetzt sicher nicht… das mit Cartridge war ja eher ein Zufall.

LENNART: Aber nach ihren Erzählungen von auszugehen scheint die Musikindustrie und auch –Presse eher geschlossen als offen gegenüber unbekannten Bands zu sein. Allerdings kommen, wie du schon sagst, Cartridge aus einer eher ländlichen Gegend, wo die Szene möglicherweise nicht so stark etabliert ist wie sagen wir mal in Kopenhagen oder so. HANNES Wir haben aber auch ein paar Demo’s von anderen dänischen Bands geschickt bekommen, was mit Sicherheit an Cartridge liegt. Das meiste waren auch wirklich schöne Sachen, aber nichts, was für uns in Frage kommt. Es ist ja auch als so kleines Label nicht einfach, mit einer Band zu arbeiten, die nicht aus dem eigenen Umfeld kommen. Cartridge wohnen ja mittlerweile in Aalborg, das ist ziemlich weit in Dänemarks Norden, und die Entfernung macht doch einiges sehr viel komplizierter und vor allem auch teurer. Man kann sich halt nicht mal eben treffen um noch mal etwas zu besprechen, und per Mail entstehen doch auch schnell mal Missverständnisse.
Aber zum ersten Teil der Frage zurück: Ich denke schon, dass es so etwas wie eine „Indie-Szene“ in Dänemark gibt. Zum einen habe ich ja schon auch mit einigen Leuten in Dänemark gesprochen und da bekommt man zumindest einen kleinen Überblick, lernt andere Labels kennen, zum anderen sieht man ja auch, dass immer mehr Bands aus Dänemark nach Deutschland rüberkommen: Figurines, Tiger Tunes etc.

LENNART: Dänemark ist schon ein heißes Pflaster, garantiert. Mir fallen jetzt spontan noch die famosen Lack ein, die, wenn ich mich recht erinnere, auch aus Kopenhagen kommen, und deren geiles Debut „Blues Moderne:Danois Explosifs“ auf Novarecordings, also auch einem deutschen Label, erschienen.
Wie Hannes schon sagte, die Entfernung macht vieles schwieriger. Aber durch Cartridge haben wir halt schon einige Kontakte zu Leuten aus Dänemark bekommen. So langsam, wenn auch überwiegend übers Internet, kommen wir auch ein wenig in die Szene rein und beobachten die natürlich auch.

Wie sieht die Unterstützung für Cartridge in Dänemark aus? Erstmal von dem Band-Umfeld, den Leuten da und natürlich auch von euch? Könnt ihr von Hamburg aus, oder kann man generell eine ausländische Band in ihrem Heimatland gleich gut betreuen, wie eben in dem, wo man selbst lebt, arbeitet, das Label sich befindet? Da gibt’s doch sicherlich auch gewisse Anlaufschwierigkeiten für besonders ein neues, unbekanntes Label, oder liege ich da falsch? Vielleicht beim Booking, beim Vertrieb, Promotion oder so?

LENNART: Als es sich verbreitet hatte, das Cartridge auf einem deutschen Label ihr Debut veröffentlichen werden, da haben einige Leute wohl überrascht aufgeschaut. Wir hatten unsere Webseite gerade mal einen Monat online und alles war noch backfrisch, da hatte sich ein Typ bei Cartridge vorgestellt, der schon einige Bands managent und viele gute Kontakte hat. Das ist ein sehr netter Typ, der Cartridge und somit auch uns viel untertstützt. So werden Cartridge zum Beispiel auf dem dänische Spot11-Festival spielen. Das soll ein sehr etabliertes Festival für dänische Nachwuchsbands sein und wenn’s klappt, dann werden Hannes und ich auch da sein und natürlich unsere Augen offen halten. Sogar die Figurines werden dort möglichweise spielen und es ist sehr schön, wenn wir das erleben dürfen.

HANNES: Es gibt da noch diese Organisation, ROSA heißt die, die unterstützen dänische Bands, die in Deutschland touren, finanziell und helfen auch beim Booking und so. Was unsere Unterstützung für Cartridge in Dänemark anbelangt: Wir konzentrieren uns eigentlich ausschließlich auf Deutschland. Es ist ja schon schwer genug als junges Label hier in Deutschland Beachtung zu finden, und dann in einem Land in der man sich weder mit der Presselandschaft noch der Musikszene richtig auskennt. Durch diesen von Lennart schon erwähnten Manager, er macht das alles auf freundschaftlicher Basis, ist uns schon um einiges geholfen. Sieht auch alles soweit ganz gut aus, wäre natürlich schön, wenn Cartridge auch dort ein Label oder einen Vertrieb finden würden. Alles was darüber hinausgeht können wir leider weder finanziell, zeitlich oder logistisch übernehmen. Da haben wir ja schon genug in Deutschland zu tun.Immerhin sind wir ja noch ganz am Anfang und lernen auch jeden Tag neu dazu!

Noch mal zurück zu Unterm Durchschnitt. Andreas, du siehst das Label als, und ist auch ein, non-profit – DIY – Indie-Label. Nun ist es durch deine Kooperation mit einigen Indie-Vertrieben möglich einige ausgewählte UNTERM DURCHSCHNITT Tonträgern in Deutschland in großen Elektrohandelsketten zu erstehen. Dies dürfte auch für eure Vertriebe in CH / A gelten. Wie lässt sich das vereinbaren, mit zum Beispiel diesem Grundsatz deines Labels, welcher auf der Webseite zu lesen ist:
„…dabei sehen wir uns als teil einer selbstverwaltenden subkulturellen szene und möchten mit unserer kulturellen arbeit linke, soziale, selbstbestimmende, unabhängige und unkommerzielle bewegungen unterstützen.“

Erst mal: Du sprichst die Labelphilosophie an, die ich schon seit Wochen mal umschreiben möchte, weil ich diese Schlagwörter in der Selbstdarstellung gerade überdenke, Stichwort „Indie Mythos“. Für was diese Begriffe stehen und was wird mit ihnen verbunden. Sie suggerieren anderen, auf einer wohlmöglich guten Seite zu stehen. Auch wenn ich es so nicht meine. Die selbsternannten „Unabhängigen“ unterscheidet im Kern doch nichts von anderen. Wir befinden uns alle im selben System Kapitalismus. Indie zu sein ist dabei aber keine Freiheit im Sinne von sich außerhalb des Systems bewegen zu können, nur weil man toll indie ist. Diese Gesellschaftsform bringt diesen begrenzten Spielraum mit sich, um ihn vom gesellschaftlichen Planungsprozess füllen zu lassen. Also wer sich indie gibt ist genauso eingebunden in die Gesellschaft und bedient einen unglaublichen Mythos, den Kapitalismus alleine schon deshalb verändern zu können, nur weil man sich besser fühlt oder anders gibt.

Nun unterstützt du ja Firmen bzw. bewegst dich in deren Strukturen, die so rein gar nichts mit dieser Label-Philosophie am Hut haben. Siehst du da keinen Widerspruch?

Na ja, das machst du ja schon wenn du nen Kugelschreiber kaufst oder kaufst du den beim politische korrekten Bürobedarf? Also mit unserem Vertrieb … den sehe ich da nicht und denke, andere Projekte oder Initiativen lassen sich auch oder sogar besser unterstützen trotz das wir mit einem Vertrieb zusammen arbeiten. Für eine Band selbst ist das vielleicht egal, doch als Label – wie unterstützt man als Label andere? Durch Kontakte, durch Geld oder durch mitarbeiten oder von allem ein bisschen? Ich finde letzteres am spannensten und nun kommt hinzu, dass ich seit neueren sogar noch ne ganz nette Struktur bieten kann. wenn mir ein Projekt gefällt wie der sampler für „turn it down“ (www.turnitdown.de), dann kann ich einen deutschlandweiten Vertrieb anbieten, was solchen Projekten die auf sich aufmerksam machen wollen ganz gut nützen kann. Vorausgesetzt sie wollen aus ihrem Szenebrummkreisel raus, was ja nicht bei allen Projekten sinnvoll oder gewünscht ist. In so einem Fall haben wir aber keine Fußfesseln und Maulkorb um. Wir unterschreiben jedenfalls keinen Vertrag oder machen keine Vereinbarungen mit Menschen, mit denen wir nicht geredet haben, reden können und die uns nicht nur ein gute Gefühl, sondern auch einen seriösen Eindruck machen, wodurch mehr als nur „zusammenarbeiten“ sondern auch gegenseitiges Vertrauen entsteht. Und wie für uns selbstverständlich hab ich den Bands nicht nur ne Mail geschrieben, sondern mich um Fragen zu klären intensiv auseinandergesetzt, Fragen und Probleme angehört, geklärt oder Zweifel bestätigt. Da musste auch jede Band ja sagen und wollen. Na und wenn du die jet black Platte im Mediamarkt kaufen möchtest, wird daraus nichts. Die Katzenstreik Platte bekommst du da hingegen. Das zeigt ja, dass bei uns die Uhren jetzt nicht völlig gleichgeschaltet laufen. Und jetzt kann ich mich einfach wieder auf Sachen konzentrieren, auf die ich wirklich Lust habe und weshalb ich nach der burning leaves Platte so einen Spaß daran fand: Platten rausbringen, mich auf den Release und die Bands selbst zu konzentrieren damit da alles glatt läuft und cool wird und das Gefühl untereinander nicht zu verlieren. Ich hab einfach keine große Lust, meine Platten einzig und allein über die gute alte Plattenkiste zu verticken. Das macht zwar auch Spaß, aber eigentlich nur wenn die Bands schlecht sind die spielen. Und dann gehe ich lieber erst gar nicht aufs Konzert. Überhaupt bin ich froh das es Annike und Britta von ysklnari gibt – wenn die nicht das letzte halbe Jahr mich so toll vertreten hätten auf Konzerten…

Außerdem ist es mit den Vertrieben, und natürlich auch wieder den großen Handelsketten, ja auch so, das man nicht beeinflussen kann, welche Labels/Bands die Vertriebe sonst noch unter Vertrag haben und bei den großen Fachmärkten ist es schon von vorne rein klar, das sich die eigenen CD’s neben anderen wiederfinden, von Interpreten die so gar nicht zur eigenen (Label)Einstellung passen.

Hattest du dir nicht im Sommer mit deiner Freundin die Sonderangebote vom Saturn durchgelesen und wolltest dir da ne CD von abgreifen? Also ich meine, da geht doch jeder mal hin, das boykottiert doch niemand ernsthaft – jedenfalls niemand der mir spontan einfällt. Und wenn du nicht in Köln sondern im Harz aufgewachsen bist, lernst du die Märkte wie DrogenMüller oder Edeka schätzen und freust dich, wenn die mal deine Platte ordern können oder nen Mitarbeiter überhaupt Bock hat sich extra Stress zu machen für Platten, die nicht automatisch angeliefert werden weil sie „Highlight der Woche“ sind, wenn du weißt was ich meine. Wobei das Internet da natürlich schon viel verschoben hat musst du da ja auch erst mal gefunden werden im weltweiten Datenfluss binären Wahnsinns. Letzten Endes ist es mir wichtig, weshalb ich mich auch zu einer Zusammenarbeit mit Broken Silence entschieden habe, die Verfügbarkeit der Platten zu verbessern und Unterm Durchschnitts tollste Musik auch aus der abstrakten virtuellen Welt anfassbar zu machen. Mit den bisherigen Platten müssen wir uns ja nun auch nicht verstecken und es ist für die Leute sicher cool, mal das 7inch Cover aufgeklappt, das Booklet durchgeblättert oder die selbstgedruckte Hülle gefühlt zu haben beim anhören. So was bietet dir mp3 halt nicht, ein Glück, und auch kein Papier-Only-Mailorder. Unsere neuste Kampagne „i can´t relax in deutschland“ (www.icantrelaxin.de) ist vielleicht gerade wegen unserer aufgebauten überregionalen Strukturen erst möglich bzw. sinnvoll geworden.

Zur nächsten Frage zitiere ich ein mal von eurer Webseite:
„ … kein plumper x-beliebiger linker Selbstzweck Sampler, den dann alle im Schrank stehen haben und sich selbstzufrieden auf die Schulter klopfen können“ soll „i can’t relax in Deutschland“ werden, ein Sampler + Buch – Projekt, an dem du z. Z. mit einigen anderen arbeitest. Neben vielen wegweisenden deutschen Indiebands, beteiligen sich an dem Projekt auch Autoren linker, etablierter Zeitungen, die ihre Beiträge zu dem dazugehörigen Buch beisteuern und viele andere Menschen mehr. Alles in allem kann man den Sampler sicher als ein noch nie dagewesenes Projekt bezeichnen. Erzähl doch einfach mal ein bisschen etwas über Inhalte, Ziele und die Fortschritte der Arbeit an „ i can’t relax in Deutschland“.

ANDREAS: Ja also auf unterm durchschnitt erscheint im Sommer ein Buch mit CD. An dem Buch schreiben zahlreiche Journalisten und Autoren, u.a. Martin Büsser (taz, intro, testcard) und Roger Behrend (jungle world, testcard) sowie Zusammenhänge aus diversen Städten, die sich kritisch mit in Popmusik codierten Nationalismus oder Antisemitismus auseinander setzten. Also insgesamt interessante leute mit interessanten Meinungen, die auch mir viel gebracht haben, neue Impulse, Anregungen und Theorien. Auf der Compilation sind Tocotronic, Mouse on mars, Goldenen Zitronen, Kante, Peters. von unserem Label, Von Spar, Räuberhöhle, Einstürzende Neubauten, Knarf Rellöm, Notwist, Lalipuna und viele mehr. Insgesamt werden es 20 Bands sein. Das Buch wird richtig in buchbindeleinen mit Prägdruck erscheinen und das ziel ist einfach, eine destruktive Kritik an Deutschland zum Ausdruck zu bringen.
Es kotzt einfach an, dass Nationalgefühl mittlerweile genreübergreifend selbstverständlich verbreitet wird – Musik, Film und sonstige Kunst bis hin zu Lifestyle gibt es versuche, diesen konstruierten Staat mit einem neuen positiven Image zu bestäuben und dabei diesen Fuß in der Tür loszuwerden, der an das erinnert, wofür ja Deutschland eigentlich wirklich steht und was nicht Vergangenheit ist, strukturell weiter besteht. Auf Popmusik bezogen die Erkenntnis, dass sich ehemals linke oder linksgeglaubte Genres nicht mehr darin unterteilen lassen, Bands wie Blumfeld sich sogar zu einem Statement gezwungen fühlen, um klar zu stellen dass sie Deutschtümelei verabscheuen, was ja eigentlich klar ist … aber wohl nicht mehr selbstverständlich, so dass sie sich von anderen Bands neben denen sie auf einmal unliebsam auf Compilations vertreten waren, distanzieren mussten. Und klingen solche Sampler oder Slogans wie „Heimatmusik“; „neudeutsch“ oder „neue deutsche Heimat“ oder „Heimatkult“ nicht echt schlecht? Da greift so viel mit rein … der Paradigmenwechsel seit der Widervereinigung, eine Kritik an der „Friedens“bewegung und an der traditionellen Linken …
Am 21. Mai gibt’s dann zur Popup Messe in Leipzig eine große Veranstaltung von uns zu dem Thema mit Poodiumsdiskussion und Bands vom Sampler auf der Bühne.

Der oben angesprochene Sampler ist eines deiner nächsten Projekte, was steht außerdem bei U-D an? Ob nun Veröffentlichungen, neue Label-Bands oder Dinge im Label-Umfeld, ganz egal.

Wir wissen nicht ob es richtig ist, ob der ton hält was er verspricht. Ob er geht oder kommt, laut, klar, schräg, hell, falsch oder still.

Hannes und Lennart, mal was ganz anderes. Neben Musik und Filme bei „Von Nach Bis Seit“, was interessiert euch denn so im „literarischen„ Bereich. Also ihr wisst schon, Stile, Autoren etc.

HANNES: Hm, also wenn ich ehrlich bin, dann bin ich in der letzten Zeit kaum zum lesen gekommen… Oder zumindest viel zu wenig. Was ich aber in der letzten Zeit ganz, ganz großartig fand, dass sind die Bücher von Haruki Murakami. Die hab ich eigentlich doch größtenteils gelesen. Besonders „Kafka am Strand“ ist ein ganz, großes Buch! Ich lese aber auch gerne vermeintliche „Popliteratur“ wie Hornby, aber auch Hesse oder so. Ziemlich bunt gemischt, in der letzten Zeit nur einfach zu wenig!

LENNARTt: Camus, Camus, Camus!!! Manchmal lese ich auch andere Bücher, dass sind dann aber meistens Biographien von Camus.. Aber eigentlich lese ich immer nur Camus selber. Ich hab seine ganzen Bücher schon 6 oder 7 mal gelesen. Kein Witz.. Und ich werde sie auch weiterhin immer und immer wieder lesen. Ich liebe diesen Schriftsteller einfach und er hat ein wirklich fundamentalen Einfluss auf mein Leben.

Bei meinen vorherigen Interviews habe ich am Ende immer einen Bandnamen zum Brainstorming vorgegeben. Beim Doppel-Inti gibt’s dann natürlich auch zwei.
Hannes & Lennart zu BJÖRK bitte und Andreas zu PUBLIC ENEMY

LENNART: Hmmm, Björk, ich finds toll. Zwar finde ich nicht alle ihre Lieder toll, aber ich find cool, dass sie ihren ganz eigenen Stil ausarbeitet, weiterentwickelt und verändert.

HANNES: Hm, Björk… ich mochte „Debut“ am Anfang sehr. Mit alles was dann kam konnte ich nichts mehr anfangen. Aber beim Brainstorming schmeißt man immer nur mit Wörtern, richtig?
Also: Aufgesetzt, überschätzt, eitel, langweilig, nervtötend, belanglos, unecht… ich glaube ich höre besser auf. Aber wer’s mag….

ANDREAS: 110 is a joke … yo!

UNTERM DURCHSCHNITT SCHALLPLATTEN: www.unterm-durchschnitt.de

RECORDS&ME: (Link gibt’s nicht mehr, der Uploader)

Interview: Kevin Goonewardena

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