Juni 1st, 2007

THE GOSSIP (#120, 10-2006)

Posted in interview by jörg

GOSSIP MIT THE GOSSIP

Wer, Wann und Wo sind wohl die existenziellen Fragen im Geschäft mit dem Rock’n’Roll. The Gossip kommen nicht aus dem Nichts, auch wenn sie Arkansas als das Äquivalent zu einem bedrohlichen, sumpfigen, alles in sich aufsaugendem Nichts sehen würden und sich nur durch die Musik von den Ketten des dort herrschenden gutbürgerlichen Spiessertums befreien konnten. The Gossip nahmen schon die ein oder anderen Platte auf, die auf Kill Rock Stars erschien und spielten auch die ein oder andere Tour, bevor sich die Presse begann wie Geier auf sie zu stürzen.

Man brauchte wohl einen neuen Sensationsvogel. Beth Ditto ist so einer, wenn auch fernab von den Marilyn Mansons dieser Welt, ist ihr Selbstbewusstsein als Provokation zu verstehen. Die füllige Lesbe lässt keine Gelegenheit aus, sich für so genannte Minderheiten auszusprechen, und ist zwar nach 30 Sekunden schweissgebadet, lässt es sich aber dennoch nicht nehmen die kürzesten Röcke und weit ausgeschnittesten Oberteile des Punk zu tragen.

Hier gibt es tatsächlich viel zu lieben, und dass nicht nur für Frauen. Gitarrist Brace, der nie zwei gleichlange Ärmel trägt, ist wohl der Eric Erlandson des Garagenrock: immer dezent im Hintergrund und doch eine notwendige Bedingung für das Funktionieren der Band. Zuletzt gibt es da noch die neue Schlagzeugerin Hanna, die sich vom minimalistischen Sound ihrer Vorgängerin absetzt und mir während des Interviews ständig zuzwinkert, aber sonst still bleibt. Noch nie habe ich jemanden so voller Freude am Schlagzeug tanzen sehen…und winken „Der nächste Song ist für all die Lesben da draussen.“

***

All das kann man natürlich verständlicherweise gerne eintauschen gegen einen Job als Pizzaverkäuferin, wie es die ehemalige Schlagzeugerin tat, als The Gossip das Angebot bekamen mit Le Tigre auf Tour zu gehen. Mittlerweile kann die Band von ihrer Musik leben und Kathy ist jetzt Hebamme, aber das Bandleben ging weiter, mit Hannah. „Es sind immer noch wir, die Chemie ist immer noch sehr intensiv, gerade weil wir ein so minimalistisches Line-Up haben“, erklärt Beth.

Auf dem neuen Album „Standing in the Way of Control“ befindet sich auch ein Remix des Titelsongs von Le Tigre. Warum schlagen so viele Punk Pioniere mittlerweile elektronische Wege ein, und kann Beth das auch passieren? „Nein, zumindest nicht in dieser Band. Natürlich ist man unabhängiger, wenn man alles alleine machen kann, und ich denke, dass ist die Erklärung. Bei Kathleen hat mich diese Entwicklung auch überhaupt nicht überrascht, da sie schon immer zu Pop tendiert hat“ stellt sie fest. Brace fügt hinzu, „Kathleen hat bewusst etwas ganz anderes machen wollen als Bikini Kill. Sie wird immer ihr eigenes Ding machen“ – sagt er, während er mit seinem Essen spielt und riesige Pyramiden auftürmt.

Kleb das Zeug doch zusammen, damit es hält,“ fährt Beth ihn halb scherzhaft halb genervt an. „Je mehr man unterwegs ist, desto mehr Einflüsse bekommt man mit, desto besser wird man, und wenn man das seinen Sound nicht beeinflussen lässt, ist das nicht ehrlich, auch wir haben das durchlebt,“ fährt sie fort.

Mittlerweile zerschlagen sie sogar ab und zu Gitarren auf der Bühne. „Weist du, wenn das Leute machen, die genauso arm aufgewachsen sind wie wir, und wütend sind, ist das cool, aber meistens ist es nur eine Sache für reiche Jungs, die böse sein wollen. Bei Courtney Love ist es cool“, rechtfertigt sich Beth, „sie war mal ziemlich gemein zu mir, aber sie ist zu jedem so, also ist das OK, und ihre ersten 3 Alben sind fantastisch. Mittlerweile ist sie einfach nur noch eine Drogensüchtige“.

Sie hat Leute zu Bands wie den Slits gebracht. Man sollte sie nicht einfach so abstempeln“ protestiert Brace. Was ist schief gegangen in der Entwicklung, und wie kann man es verhindern? „Ich hätte keine Lust vor Idioten zu spielen. Die Grössenordnung bei der wir jetzt angelangt sind, ist optimal. Wir werden versuchen sie beizubehalten“, sinniert er daraufhin:

Kurt Cobain hat sich erschossen, weil er ins Publikum sah und erkannte, dass er mit diesen Leuten nichts teilte, oder teilen wollte, deshalb glaube ich nicht, dass wir uns anpassen werden um kommerziell verwertbarer zu sein“. Das Problem an der Sache ist nur, dass man als Musiker dennoch versucht viele Menschen zu erreichen und auch zu überzeugen.

Nirvana haben das auch versucht, und wenn du dir ansiehst was Krist Novoselic jetzt macht: Er ist immer noch sehr politisch, im Gegensatz zu Dave Grohl“, wirft Beth ein. Es folgt noch eine Runde bestem Punk Klatsch, und ich befürchte das Trust wird gegen Ende diese Interviews auf Gala Niveau gesunken sein.

Beth:„Dave sieht total depressiv aus

Brace: „Wusstest du, dass er mit Kathleen Hanna zusammen war

Beth: „Scheisse, echt?

Brace: „Krass, ne?

Die beiden fangen sich aber wieder und erklären, dass man als amerikanische Rockband gegenüber jungen Fans eine gewisse Verantwortung zu tragen hat und die Pflicht sie mit Dingen zu konfrontieren, die abseits des Mainstreams passieren.

Die blöden Strokes sitzen da nur rum und wollen bewundert werden, weil sie so cool sind, aber sie haben nichts zu geben, da sie nur auf sich selbst fixiert sind“ lästert Brace. „Immer dann, wenn die Musik dir hilft mit einer Situation fertig zu werden, ist das eine wertvolle Rolle, die erfüllt wird. Diese muss nicht immer politisch oder kulturell wertvoll sein, aber viele Bands sprechen mich einfach auf keiner Ebene an“, verweist Beth auf sich selbst als radikale, lesbische, feministische, dicke Person.

Jede Beobachtung, jeder Mensch, den du kennen lernst, beeinflusst dein Leben, und hilft dir dich selbst zu finden“ und so hilft eben auch Beths Musik, diese Beobachtungen für viele Menschen zugänglich zu machen. Als selbsttherapeutisch würde sie das aber nicht mehr bezeichnen, nicht mehr seitdem sie Teil der Musikindustrie geworden sind, da man dort in ein anderes Selbst steigen muss um nicht zu verletzlich zu sein. Bei jeder Wiederholung des Ausdrucks wird das Anfangsgefühl verwässert, und deswegen werden die ganz persönlichen Dinge nicht in Songs eingebaut.

Das soll jedoch nicht heissen, dass die Texte nicht direkt aus ihr kommen, im Gegenteil: Ihre Bühnepräsenz ist so extrem selbstbewusst und stark, dass viele es schon fast wieder als arrogant bezeichnen würden. „Die Leute glauben, ich sei unnahbar, aber das ist gar nicht wahr“, beschwert sich Beth, das sie auf Tour ginge, sei ja hauptsächlich dadurch motiviert, dass sie sehr interessiert daran ist sich mit neuen Leuten auszutauschen.

Andererseits kann sie es auch nicht leiden, wenn Menschen ihr gar nichts zu erzählen haben, aber unbedingt mir ihr geredet haben wollen. „Die Leute verstehen nicht, dass mir das jeden Abend passiert, und dann distanziere ich mich tatsächlich etwas und das Arroganzvorurteil wird letztendlich doch noch bestätigt“.

Ich kann nur sagen, Beth ist absolut zugänglich und eine nette Gesprächspartnerin. Es ist ähnlich wie bei Kathleen Hanna „die Leute haben Angst vor ihr“. Na ja, so ganz von der Hand zu weisen ist ihre Launenhaftigkeit dann aber doch nicht. „Stimmt“, schmunzelt Beth in sich hinein.

Ich war jedoch auch ziemlich beeindruckt als Le Tigre uns einluden mit ihnen zu touren, und ganz schön aufgeregt“, gibt Beth zu. Ich muss lachen, da mir Jennifer Finch von einer Geschichte erzählte, als sie mit L7 den Bus mit Bikini Kill teile und Bassistin Kathi Wilcox, die zwei Jahre jünger als sie ist, ausruft „Wenn ich gross bin, will ich genauso werden wie du“ – dennoch kann ich verstehen, dass bei gewissen Persönlichkeiten, eine gewisse Ehrfurcht an den Tag gelegt wird.

Aber du hast recht, wir sind alle Menschen, die einer Szene angehören, die darauf scheisst wie wichtig Person xy ist, da wir alle gleich sind, aber man kann es manchmal nicht ändern, dass man zu manchen Menschen aufschaut“. Leider wird diese Nervosität wieder oft als Arroganz ausgelegt und wir sind wieder beim gleichen Problem.

Die Entwicklung vieler Kill Rock Stars Bands hat gezeigt, dass durch Untergrundunterstützung sie in die Position gerieten, selber neuen Bands zu helfen, indem sie sie mit auf Tour nahmen. „Mittlerweile kommt es mir aber fast so vor, also wären alle Bands dort gross und es gibt kaum mehr kleine Bands, die man unterstützen könnte“, stellt Beth erstaunt fest.

Wir sind quasi die Nachwehen der Riot-Girl Bewegung“, diese Bewegung hat es möglich gemacht, dass Bands wie The Gossip nicht mehr so viele Hürden nehmen mussten, nur weil sie abgefahren, weiblich und homosexuell waren. „Es gibt jetzt eine Gemeinschaft, in der man sich wohl fühlt und diese hat auch uns Kraft gegeben – das alleine würde ich schon als revolutionär bezeichnen“.

In Arkansas sieht das schon wieder anders aus. Der erzkonservative Bundesstaat hat es Beth und Brace in ihrer Jugend alles andere als leicht gemacht, sie selbst zu sein. Mittlerweile könne sie darüber lachen, und auch dass nicht zuletzt auf Grund der Vorarbeit andere Künstlerinnen. „Riot-Girl war immer ein grosser Spass, die Leute haben es nur nicht gerafft“.

Das Bild der versteiften Kampflesbe war eben noch nie besonders repräsentativ in dieser Szene, aber die Presse wollte es so sehen. Sie wollte Dinge ernst nehmen, die als Witz gemeint waren. Dennoch sollte man nicht den Fehler begehen zu glauben der Kampf wäre schon gewonnen.

Gerade unter Frauen gibt es eine Wettbewerbssituation die absolut kontraproduktiv wirkt, welches The Gossip auch in einem ihrer Songs ansprechen. „Der Fehler liegt darin, Dinge wie Eifersucht zu verbieten. Diese Gefühle sind aber menschlich und man muss darüber sprechen, anstatt sie zu verheimlichen um politisch korrekt zu sein“, wirft Beth ein. Genauso wie es akzeptabel ist, in der Lesbenszene eine Schlampe zu sein. „Das wurde jahrelang totgeschwiegen und die Frauen hatten riesige Komplexe, das muss wirklich nicht sein.

Der springende Punkt ist, so lange man sich Dinge nicht bewusst macht, und sie aus dem Gehirn verdrängt kann man nicht an ihnen arbeiten. „Ehrlichkeit ist der Schlüssel, und das hat mehr mit Schwesternschaft zu tun, als so zu tun als sei man in allem einer Meinung“. In Arkansas gibt es nur die Christenrockszene weisser Mittelklassejungs. „Sie mögen total punk sein, aber wie soll ich mich mit etwas identifizieren, dass mich kategorisch ausschliesst?“.

An Selbstironie fehlt es ihr jedenfalls nicht. Das neue Video zu Listen Up zeigt sie wie sie einfach nur pausenlos isst – wie Dicke das eben machen. Und so haben The Gossip mit ihrem frischen Humor schon gewonnen, bevor man Widerworte einwerfen konnte. Bei anderen Szenen hätte sie sich jedoch gewünscht doch mehr Einfluss ausgeübt zu haben, da ihr jetzt auffällt, dass die Mädchen in ihrem Video genauso sind wie die Realität ihrer Umwelt nicht aussieht.

Sie sind punk, aber weiss, hetero und spindeldürr. „Das ist echt uncool, und ich hätte es verhindern sollen. Ich bin eben hypersensibel was das angeht.“ Sollte man auch sein, sonst lässt man alles durchgehen. „Die Welt muss sich ändern, nicht ich. Ich habe keine Lust mehr verletzt zu werden, nur weil die meisten Leute respektlose Arschlöscher sind, und so lange das so ist, bleibe ich hypersensibel“.

Gerade in den USA sind Scheuklappen nicht angebracht. Und so verfällt Beth zum Schluss noch schnell in einen wütenden Monolog: „Die USA sind eine diverse Kultur, jedoch sind sie kaum bereit ihre Macht und ihren Wohlstand zu teilen. Sie interessieren sich nicht für die niedrig gestellten im Land, geschweige denn, das sie bereit wären ihren nächsten Nachbarn zu helfen. Aber untereinander sind sie sehr hilfsbereit und wenn es hart auf hart kommt spürst du das auch. In Europa hast du auch echte Probleme mit Rassismus, es wird nur nicht so offen ausgelebt.

Die USA sind das Land des Kapitalismus aber das arme Amerika, ist echt arm, wir sind kein Entwicklungsland, aber man bekommt keinerlei Unterstützung. Ich wollte Essensmarken haben, und sie sagten mir ich würde nicht genug Geld verdienen. Sie glauben dir nicht, dass du von deinem Gehalt leben kannst, also musst du sie ja irgendwie beschissen haben. In Europa kriegst du sogar Prozac umsonst. Bei uns ist alles eine Industrie. Der zustand de Welt ist zurzeit echt furchtbar. Es gibt mehr Parkplätze als Schlafplätze. Verdammt.

Was gibt es da gross hinzuzufügen? The Gossip sind eine Band, die oft vorschnell auf Grund der trashigen, groovenden Musik in den Spasssektor verbannt wird, hinter der aber Individuen stehen, die zwar auch gerne Gossip verbreiten, sich aber auch heftigst über wichtigere Dinge den Kopf zerbrechen.

***

Interview. Alva Dittrich

Links (2015):
Wikipedia
Homepage
Discogs

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0