April 30th, 2020

The Coathangers aus #199, 2019

Posted in interview by Jan

THE COATHANGERS

Es war bislang das beste Konzert, das ich im Jahre 2019 erleben durfte, als die Coathangers in einem viel zu kleinen schlauchigen Laden bei sehr heißen Außentemperaturen das Publikum restlos zum Verdampfen brachten mit ihrer Melange aus smartem Indie-Rock und es-faustdick-hinter-den-Ohren-habendem Punk. Wie oft gibt es so etwas: Eine band, die noch nie die Besetzung gewechselt hat (zugegeben, ein Bandmitglied haben sie auf dem Weg verloren, aber eben nicht ersetzt), trotz kommerzieller Erfolge jeden Gig in noch so kleinen Läden gibt, als würde es kein Morgen geben, und dabei auch ein genuines Interesse an ihrem Publikum zeigen. Ich traf die drei kurz vor Konzertbeginn und hielt einen kleinen Plausch mit den absolut nahbaren, wenn auch verqueren Frauen.

Stephanie (Rusty): Wir hatten wirklich schon das kälteste und regnerischste Wetter auf dieser Tour. Da wo wir herkommen sind gerade so 27 Grad, deswegen freute ich mich sehr, als ich hörte, dass es heute warm und schön werden soll.

Vor allem drinnen, da ihr im kleinst- aber auch schönst möglichen Laden spielt.
Stephanie: Das finde ich nicht schlimm, ich mag diesen Ort, er ist Punk!

Ich war trotzdem überrascht, weil ihr das letzte Mal in einem größeren Laden gespielt habt.
Stephanie: Ich bevorzuge diesen Ort, diese Punkrockscheiße. Euer Zine ist ja auch so ähnlich wie Razorcake, das finde ich toll. Ist Alva eigentlich eine Abkürzung? Ich mag den Namen, er klingt oldschool.

Nein, so heiße ich wirklich. Ich habe noch keinen coolen Bühnennamen so wie ihr.
Stephanie: Alva Coathanger würde doch super funktionieren.

Alles klar. Aber lasst uns doch mal über euch reden und euer neues Album, das wirklich fantastisch geworden ist. Ihr seid jetzt zum dritten Mal selber auf dem Cover abgebildet und habt diese goldenen Rahmen um eurer Köpfe. Da das Album The Devil You Know heißt, frage ich mich, ob ihr diese Teufelinnen seid, oder der Kapitalismus, der zu dem Wunsch treibt, reich und berühmt zu sein, weil ihr auf dem Foto diese Pelzmäntel tragt?
Stephanie: Es ist ein Rundumschlag gegen alles, weil alles irgendwie der Teufel ist, den du kennst.

Meredith (Minnie Coathanger): Jeder hat seine wunden Punkte.

Stephanie: Ja, jeder hat gute und schlechte Seiten, deswegen ist alles irgendwie teuflisch und hat gleichzeitig auch einen Engelsschimmer, der hervorbricht.

Julia (Crooked Kid Coathanger): Du musst deine eigenen inneren Teufel konfrontieren.

Das heißt, man tut das in vollem Bewusstsein, weil man schon weiß, dass es falsch ist?
Stephanie: Genau. Und du musst die Sachen dann angehen. Weil du eh irgendwann dazu gezwungen sein wirst. Ob das die Gesellschaft und der Kapitalismus ist, oder etwas Kleineres, wie die Leute um dich herum, oder du selbst, oder dein Handy.

Erkenntnis und Sehen ist ohnehin ein großes Thema auf dem Album. Die Zeile, die am meisten hängenbleibt, ist „The more you see the less you know“.
Stephanie: Das bezieht sich auf das Internet. Die Leute bauen auf Instagram eine Fassade auf und versuchen zu zeigen, wie toll ihr Leben ist, aber je mehr du davon siehst, desto mehr verstehst du, dass es eine Lüge ist. Es sind nicht alle Leute so glücklich, das Leben ist normalerweise nicht so toll. Je mehr du da siehst, desto weniger weißt du über die Person. Alle wollen im Internet ein gutes Leben haben. Ich mache das genauso. Wir machen da alle mit.

Als Band muss man sich auch schon fast über diese Kanäle vermarkten.
Stephanie: Ja, es gehört dazu.

Ihr macht ja auch viele Videos zu den Songs und gebt ihnen damit eine visuelle Entsprechung. Macht euch das auch Spaß?
Stephanie: Klar, wir müssen das machen, aber wir machen unsere eigene künstlerische kreative Ausdrucksform daraus und arbeiten nur mit Leuten, denen wir wirklich vertrauen. Deswegen fühlen wir uns mit den Ergebnissen auch wohl.

Ich finde es sehr cool, wie unterschiedlich ihr seid, und auch ein bisschen einschüchternd als Gesamtpaket. Man verliebt sich sofort in euch, weiß aber auch, dass man besser nicht zu nahe kommen sollte, wenn man nicht ins Gesicht getreten werden will.
Stephanie (lacht): Man darf es sich mit uns nicht verscherzen. Dafür stehen wir.

Das Album wird von einer Idee umrahmt, bei der ich mich frage, ob das noch Zufall sein kann, denn im ersten Song singt ihr „I’m not your window or your door“ und gegen Ende des Albums heißt es „I can see you from the window, I can see you from the door“.
Julia: Das war der Plan. Lass uns das zumindest so behaupten (lacht).

Das hieße, das manche Leute von euch Hilfe zu erwarten haben und andere einfach nur Energie rauben und ignoriert werden. Wer ist wer in eurem Leben?
Juila: Exakt, woher kennst du uns so gut? Es geht um Respekt. Entweder du bekommst welchen und gibst ihn zurück. Du wirst gesehen und siehst die anderen. Oder du wirst dafür benutzt, dass Leute gesehen werden wollen. In jeder Beziehung geht es um die Frage nach der Perspektive, darum geht es ja bei The Devil You Know. Wenn es deine Wahrnehmung ist, dann bist du auch das Problem. Wenn du das Gefühl hast benutzt werden, dann bist du das Problem. Wir geben immer den anderen die Schuld, aber du bist der Teufel, den du kennst.

Habt ihr diese Bühnennamen nicht auch, damit ihr als Personen weniger sichtbar seid?
Julia: Am Anfang schon. Wir wollten nicht unsere echten Namen verwenden. Wir wollten nicht beurteilt werden also haben wir gesagt, fick dich, ich bin ein Kleiderbügel. Wir sind eine Gang, verscherz es Dir nicht mit uns. Wenn du eine von uns angreifst, gehen wir alle auf dich los,

Stephanie (lacht): Und das will niemand!

Ist diese Idee der Gang auch der Grund, warum ihr niemals einen Ersatz für eure Keyboarderin gesucht habt?
Stephanie: Niemand ist ersetzbar. Wir könnten das gar nicht, Leute vorspielen lassen und so. Wir haben sowas wie ein Familienmitglied verloren. Wir mussten einen Weg finden als Dreier… äh… jetzt habe ich mich verplappert (lacht) … als Trio zu funktionieren – und wir haben es hinbekommen.

Julia: Weißt du, eigentlich sind es zwei verschiedene Bands. Also ist das jetzt erst unser drittes Album, und nicht unser sechstes.

Aber ihr spielt ja schon Songs von allen.
Julia: Ja, das sind auch gute Songs.

Stephanie: Na ja, alle von denen können wir nicht spielen, weil manche echt extrem bescheuert sind, oder weil man das Keyboard da „leider“ wirklich braucht. Obwohl ich finde Julia könnte das mit ihrem Mund ersetzen (lacht).

Oder mit Effektgeräten.
Julia: Ich glaube unsere Stärke liegt in unser Einfachheit.
Stephanie: Du bekommst das, was du siehst.

Julia: Ein paar Pedale mehr sind super, das musste ich eh machen, als unsere Keyboarderin gegangen ist, aber ich will nicht an einem Punkt geraten, an dem ich ein Konzert nicht weiterspielen kann, weil die Effektpalette nicht funktioniert. Das ist nicht mehr Punk.

Stephanie: Ja, man sollte sich nie zu sehr auf elektronische Sachen verlassen. Und wenn wir was aufnehmen, wollen wir auch, dass das live umsetzbar ist.

Julia: Wobei wir da auch nicht so streng sind. Man kann auf den Aufnahmen schon auch noch andere Ideen einbringen, aber vielleicht nicht so wie Mars Volta. Es hat sich ja auch eher dahin entwickelt, dass Leute kaum mehr ins Studio gehen brauchen. Man kann auch alles live aufnehmen und es klingt super… und vor allem echt.

Könnt ihr das neue Album denn selber noch hören?
Julia: Auf jeden Fall, aber nicht auf Tour. Wir spielen es ja jeden Abend (lacht). Obwohl gestern ein Song davon per Zufallswiedergabe kam, und ich habe nicht weiter gedrückt.

Stephanie: Ich höre mir auch manche Songs an, um den Liedtext nicht zu vergessen.

Ihr seid ja große Kim Gordon Fans. Sie hat ja mittlerweile eine Autobiografie geschrieben, Girl in a band. Wie würde eure Autobiografie heißen?
Stephanie: Bless this mess. Jetzt du, Meredith.

Meredith: Ich will kein Schlamassel sein.

Stephanie: Das muss ja nichts Schlimmes sein. Es geht nur darum, dass wir das jetzt schon so lange machen, und es nicht einfach war. Wir mussten richtig was dafür tun. Es geht also darum, sich mit der Scheiße zu Hause auseinanderzusetzen, und der auf Tour, und der in unseren Köpfen. Deswegen ist das etwas Positives. Denn dieses Chaos, das ich bin, existiert noch und es läuft. Es ist ein Geschenk, dass es uns noch gibt.

Meredith: Vielleicht nenne ich meine dann einfach nur Blessed.

Julia: Ich schreibe diese Geschichte noch, ich sag’s Dir am Ende.

Ein Stück auf dem Album thematisiert die NRA. Glaubt ihr es wird sich noch etwas an den Waffengesetzen in den USA ändern?
Stephanie: Nein.

Julia: Der NRA ist es wichtig, dass Waffenbesitz reglementiert wird, und klar ist, wer Waffen hat. Aber man müsste es einschränken, denn die Waffen, die in Clubs dazu genutzt wurden, Leute zu erschießen, waren legal. Dem Attentäter vom Pulse in Orlando wurde eine Waffe verkauft und danach rief der Waffenverkäufer das FBI an, man solle den beobachten. Wie krank ist das?

Stephanie: Wenn die bei den Waffengesetzen so streng wären wie bei den Abtreibungsgesetzen, hätten wir keine Probleme. Es geht nicht darum, dass niemand eine Waffe haben sollte. Aber niemand braucht ein Maschinengewehr. Das ergibt einfach keinen Sinn. Wenn du auf dem Land wohnst und dich schützen willst, kauf eine Pistole oder ein Gewehr.

Julia: Man kann ja erstmal einen Kompromiss eingehen, und dann sehen, was sich verändert. Man muss nicht direkt jeglichen Waffenbesitz verbieten.

Stephanie: Und die NRA hat noch eine politische Agenda, sie sind eine Lobby.

Julia: Manchmal ändern sich Sachen ja. Mittlerweile gibt es viel CBD in Georgia. Früher wurde man dafür verhaftet. Das ist fortschrittlich. Es kann aber auch immer genau das Gegenteil eintreten.

Hier ist es ja zum Beispiel viel schwieriger an Waffen zu kommen.
Julia: Klar, ihr habt auch einen Krieg hinter euch. Die USA denken, sie seien unverwundbar. Es steht bei uns in der Verfassung, dass man Waffen haben darf. Wir schwören einen Krieg unter uns selbst herauf. Die Regierung nutzt die Verfassung gegen uns, anstatt sich mal um Krankenversicherungen oder andere Gesundheitsfragen zu kümmern. Das ist einfach traurig.

Eine Frage zu euren Texten hätte ich noch. Gerade gibt es ja wieder eine riesige Debatte bezüglich politischer Korrektheit und kultureller Aneignung, und da schreibt ihr einen Song namens Bimbo. Habt ihr dafür viel Kritik geerntet?
Julia (lacht) Versuch es mal! Ich bin in dem Song der Bimbo. Es ist wie bei Bitch oder Cunt. Ich eigne mir das Wort an.

Meredith: Wir waren gerade in Belgien und da hatte ein Auto einen Sticker der sowas wie Baby an Bord hieß, und da stand Bimbo, und wir haben uns kaputt gelacht. Wahrscheinlich heißt es einfach nur Kind.

Klar, aber es war eben ein Schimpfwort gegenüber Schwarzen, und ihr seid weiß.
Julia: Hmm, da muss ich mal drüber nachdenken. Ich finde es gut, dass du mich darauf ansprichst, dann kann man drüber reden.

Dazu kam es dann nicht mehr, weil die Tourmanagerin die Band zum Essen abholte….

Interview: Alva Dittrich

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0