September 7th, 2016

Techno 96 – Debatte Leserbriefe (#57, 04-1996)

Posted in artikel by Jan

TECHNO ´96

So banal und abgedroschen das Thema für manche inzwischen sein mag, ich fand den Rücklauf an Leserbriefen zu meinem Aufruf im Trust 56 sehr erfreulich und interessant. Besonders gut gefiel mir natürlich, daß Trustleser die Sache anscheinend recht differenziert betrachten. Es gibt keine extremen, d.h. engstirnigen Standpunkte in den Leserbriefen. Sieht so aus, als hätte das Trust die „besseren“ Leser, hähä. Nachdem dies aber eine offene Diskussion, sozusagen eine Mailbox innerhalb des Trust-Netzwerks sein soll (Achtung! Dies ist eine Aufforderung zum Weitermachen!), habe ich nicht vor, mit flüssig-überflüssigem Kommentieren die Zeilen vollzuspülen, sondern beginne mit dem Zitieren der aufgestauten Meinungsflut:

 

-Hallo Fritz,
Meiner Meinung nach sollte man den Musikbegriff eher zu weit als zu eng fassen. D.h.: ob ein Aborigine auf seinem Didgeridoo, ein Cellist Klassik, ein Bassist Grindcore spielt oder ob ein Raver Tekknobeats in seinen Sequenzer eingibt, ist doch egal – was zählt, ist das Ergebnis. Und dessen Qualität hängt davon ab, ob jemand sein Instrument beherrscht, ob das Ergebnis seinen Vorstellungen entspricht und ob das Musikstück bei (irgend-) einem Zuhörer Emotionen auslöst. Zudem gibt es ja in jeder Musikrichtung Strömungen, die vom Minimalismus bis hin zu komplexen Soundstrukturen reichen – das sagt jedenfalls nichts über die Existenzberechtigung des „Endproduktes“ aus. Ich möchte mir jedenfalls meine Hörgewohnheiten nicht durch diverse Definitionen einschränken lassen und handhabe das andersherum genauso, obwohl es genügend Musik gibt, bei der ich versucht bin, diese nicht als solche zu bezeichnen. Wahrscheinlich denken auch viele Musiker (Instrumentalisten): wenn ich, um mein Instrument zu erlernen mehrere Jahre brauche (wie ich z.B. seit 5 Jahren Schlagzeug spiele), dann spreche ich Leuten, die sich nur kurz an ihre Soundmodule setzen und in einer Nacht ein Technolied in ihren Sequenzer hacken, jegliche Musikalität ab. Mit einem Sequenzer umgehen, Sounds editieren, Samples bearbeiten etc, muß aber auch gelernt sein. Ich glaube, diese Diskussion hat viel mit persönlichem Geschmack und Toleranz zu tun. Jede Musikrichtung hat ihre Existenzberechtigung und es wird hoffentlich recht lange viele verschiedene geben.
Freezy, Augsburg

Hi Freezy, ich möchte sogar noch weiter gehen und behaupten, daß die handwerkliche Fähigkeit des Musikers unwichtig ist. Musik ist jedes absichtlich und zu keinem anderen Zweck erzeugte Geräusch. Eine akustische Äußerung. Das ist die Minimaldefinition, ich weiß, aber das ist es andererseits auch, was PUNK ausmacht. Natürlich steigt der ästhetische Genuß mit der Fähigkeit des Geräuscherzeugers, aber das ist eine ganz andere Geschichte.
fritz

– Liebes Trust, lieber Fritz, lieber Hasso (ganz besonders)
ich wohne in Zürich, das soll so eine Techno-hochburg sein, sagt man sich. Trotzdem gehen also (immernoch) ein ganzer Haufen Leute an die Konzerte, wo ich auch gerne hingehe. Manchmal ists auch schon lange vorher ausverkauft (Fugazi, Young Gods oder so). Jenachdem. Hingegen gibts hier keinen Laden, der nicht vergleichsweise teuer ist (Ausnahme: besetzte Häuser). Das ist vielleicht ein Einfluß der Technohochburg. Oder auch nicht – ich will garnicht sosehr darüber schimpfen. Ich glaube nicht, daß wir uns in unserer Gewohnheit, Konzerte einzunehmen (konsumieren jaa!) wesentlich vom Phänomen Techno unterscheiden (wenn ich sehe, wie während Auftritten von Seam oder Superchunk das Publikum herumsteht, trinkt, raucht, T-Shirts der anderen betrachtet, und die Band allenfalls zur Kenntnis nimmt, frage ich mich, ob (sowas passiert hier ziemlich oft) nicht diese Technoheads, von denen ich nur wenige kenne, wenigstens mehr Begeisterung für die Sache, die sie mögen, aufbringen.) Also Marusha gut, Offspring gut, und wer gegen die Kommerzialisierung seines eigenen, liebgewonnenen Musikstils ist, braucht ja nicht daran teilzunehmen. Sicher wärs schade die UK Subs nicht mehr zu sehen, weil die jetzt auch sFr 22.- kosten, aber ehrlich: es geht auch ohne bekannte und große Bands. Der Ausdruck „im eigenen Kommerzmatsch steckenbleiben“ erscheint mir seltsam. Das klingt etwa so, wie wenn die verschiedenen Möglichkeiten, die Musik hat, sich zu entwickeln, in gute und weniger gute unterteilbar wären. Das sehe ich nicht so. Kunst ist nicht objektivierbar, nein, nein, nein. naja, auf wiederhören,
robo , Zürich

Hi robo, klar unterteile ich Musik und ihre Richtungen in gute und schlechte, das nehm´ ich mir ´raus, arrogant wie ich bin. Und ich finde, Musik, die auf Massenverkäuflichkeit und Vermarktbarkeit hin „konstruiert“ worden ist, ist eben dadurch schlecht oder hat zumindest fette Minuspunkte. Egal, ob Marusha oder Offspring. Ich vermute, die Grenze liegt irgendwo beim Eintritt in die Charts.
fritz

– Techno hat sich selbst betrogen. Versprochen wurde uns: keine Stars, kein Kommerz, Jugendrevolution und Drogen. Was hat Sven Väth gelacht! Was hat die Jugend/Mode/Werbeindustrie gelacht“! Und alles für 1000 Aufreiß-Proben vom Rave. Was bleibt ist: Vinyl auf Kleinst-Labels zu Hause. Das ist nicht viel, aber wenigstens ein ehrliches etwas.Der Rest ist Langeweile (leider nicht Stille). Techno schreit: „Mehr dicht!“
Georg „Grubenhund“, Wien

Hi Grubenhund, laß uns mal einen Test machen und in deinen Leserbrief für das Wort „Techno“ das Wort „Punk“ einsetzen. Wie liest es sich dann? Das zentrale, wichtige ist „ein ehrliches etwas“, ja?
fritz
– Zum Techno Thema ein paar Stichworte,
viele Techno-Hörer (die Dancefloor-Spitzels) sind rechts, dumm und aggressiv, sie wissen nix besseres als sich volldröhnen zu lassen und konsumieren nur die Werbung-CDs. es gibt aber auch welche, die sich stundenlang daheim vor den Compi hocken, um mit ihrem Amiga 500 + Soundsampler „Klasse“ Techno-Songs zu produzieren, obwohl sie nur 4 Kanäle haben, die an ihre Musik glauben, Poser verachten (s.o.) und Untergrundorganisationen (Labels) aufbauen, wo kleine Leute ihre Musik vertreiben können. Hier in Heilbronn gibts bald Festivals, Hälfte Indie&Techno, Hälfte Punk. Naja, ich weiß nicht, ob ich das so gut finden soll, aber Hauptsache erstmal gegen Industrie und Kommerz, oder? Außerdem akzeptieren die unsere Musik voll.
Daniel, Heilbronn

Genau! Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern sondern zwischen oben und unten, um es mal mega-banal zu formulieren. Außerdem ist Punk von Anfang an und die ganze Zeit über nur zur Hälfte Gitarre und zur andern Hälfte Elektronik gewesen. Ich querverweise hier auf die Sachen, die Martin Büsser schreibt, die Testcard und ähnliches. Ein glattes Muß für alle, die Musik nicht nur als akustische Tapete behanden. Die reinen, fiesen Elektrogeschichten sind eine noch radikalere Abwendung vom Pop-Sülz als 2-Akkorde-Bretter. Was du als „Dance-floor-Spitzels“ beschreibst, ist, finde ich, eine sehr lustige Entwicklung. Der klassische Ascona/Scirocco/GTI-Fahrer hört mittlerweile nicht mehr Italo-Disco, sondern Stumpf-Techno. Und mit fortschrittlichem Avantgarde-Techno, Warp-Sachen usw, kannst du ihn in die Übelkeit treiben. Hab´ich ausprobiert. Somit ist die Kommerz-Techno-Schiene sauber auf Grund gelaufen. Weg damit. fritz

– Hallo Fritz,
mit Freude habe ich deinen Aufruf gelesen, in dem du Stellungnahmen bezüg-lich Techno zu sammeln versuchst. Faschovereinigungen a la „Rockmusiker gegen Techno“ sind wohl neben Hitradiosendern wie Antenne BR3 mit das unwichtigste in diesem Zusammenhang. Genauso langweilig sind Diskussionen, ob denn nun Techno Musik sei, denn alles ist Musik, wenn ich das so will und ob jemand die „richtige“ oder die „falsche“ Musik hört ist ebenfalls irrelevant. Techno ist auch Kommerz a la Marusha oder Westbam, aber Geld und Leute, die Geld verdienen, wird es immer geben, und bevor ich auf jemanden mit dem Finger zeige und „Abzocker“ schreie, schaue ich erst einmal selber, inwieweit ich meinen eigenen moralischen Ansprüchen überhaupt gerecht werden kann. Techno, elektrische Musik, unbekannte Weiten, die sich da erschließen, mit Inhalten, Ideen nicht nur bezüglich der Musik, sondern auch politischer und sozialer Art. Diejenigen, die dem Techno-umfeld politisches Desinteresse vorwerfen, sollten mal einen Blick nach England riskieren, wo Techno, Raves, Jungle etc. sehr wohl in politischen Kontexten zu finden sind. (Siehe: Criminal Justice Bill, oder die Jagdsaboteure). Desweiteren wird auch durch Raves und die Kultur in und um Techno der Wandel in den Geschlechterrollen geübt und praktiziert, eben dadurch wie die Leute sprich Mann/Frau und auch Mann/Mann bzw Frau/Frau miteinander umgehen. Daß hiermit ein Ideal beschrieben wird ist klar, aber es tut sich was, das über abgrundtiefe P.C.-Diskurse hinausgeht. Das sind jetzt Punkte, über die man sich wunderbar auseinandersetzen kann und auch nur angeschnitten sind, aber es gibt ja mittlerweile auch einiges an Literatur zu diesem Stück Jugendkultur, z.B. das Buch „Techno“ (Verlag Ricco Bilger), welches höchst informativ über alles berichtet, was mit Techno zu tun hat und auch für Menschen verständlich ist, die sich noch nie mit dieser Musik und dem ganzen drumherum auseinandergesetzt haben. Musik, da gibt es soviel tolles, da kann man nichts einfach aufzählen, sondern da muß man sich reinstürzen und aus dem vollen schöpfen, da diese Musik soviele inspirierende Momente hat, auch und gerade für den „traditionellen Handwerker“ in einer Rockband, was zum Glück auch immer mehr Musiker merken und sich ihren Kram von DJ´s etc. remixen lassen. Jeder ist Musiker, wenn er das will und kann eine Band gründen. Warum sollte das nur für Punk-rock legitim sein? Warum sollte ein DJ kein Musiker sein? Nur weil man unter DJ-ing Platten auflegen versteht? Ein anderer Grund fällt mir dazu nicht ein.
Flow, Würzburg

Hi Flow, ich bin völlig deiner Meinung. Diese künstliche Trennlinie zwischen „Punk“ und „Techno“ stammt irgendwie nicht von „uns“, sondern irgendwer (die „Chefs“) haben versucht, Kontrolle über die Techno-Sache zu bekommen und sie als Gute-Laune-Realitätsflucht-brave-Untertanen-Mode zu verkaufen. Wer´s glaubt, wird selig, und nichteinmal das stimmt. Ich denke, Kreativität ist politisch. Punkt.
fritz

Also, liebe Trust-Addicts, ich wünsche mir eine Fortsetzung dieser Diskus-sion. Oder seid ihr alle völlig und zur Gänze meiner Meinung? Wenn ja, sollte ich doch „Platten-boß“ oder Politiker werden. Wollt ihr das? Im übrigen habe ich das (techno-) dumpfe Gefühl, daß das nicht alle Leserbriefe waren. Kann gut sein, daß ich den einen oder anderen verschlampt habe, irgendwo in der papierenen Mandelbrot-Menge meines virtual-realen Wohnschlafbüros. Naja, fröhliche Anarchie allerseits!

Text: fritz

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