April 26th, 2019

Tagebuch eines Handelsreisenden in Nantes (#107, 2004)

Posted in artikel by Jan

Une lettre d` un stagiaire de Nantes, France
All™ aux lecteurs de Trust oder heisst es korrekterweise „ aux lecteurs de confiance “, haha?

Die Probleme sind wohl bei jeder Sprache aehnlich, die man lange nicht mehr gesprochen hat. Da bestelle ich auf franzoesisch einen Cafe und bekomme einen Expresso, will ein Packet Lucky Strike, kriege aber zwei und erzaehle, dass ich einen Monat in Nantes bin und erhalte als Antwort, „ Ach, ist ja interessant, was machst du denn fuer einen Monat in Frankreich ?„

Zwar hatte ich Franzoesisch in der Schule, sogar Sartre und Camus im LK gelesen, aber wenn es fast genauso lange her ist, dass man die Sprache nicht mehr gesprochen hat wie man die Sprache in der Schule lernte, dann ist da nicht mehr viel uebrig. Deshalb wollte ich im Rahmen eines Auslandspraktikums die Sprache mal aufbesseren. Ist doch schade, wenn man so etwas mal halbwegs beherrschte und dann vor Jahren im Urlaub nur noch mit Ach und Krach einen Kaffee bestellen konnte. Und jetzt klappt das noch nicht mal mit dem Kaffee.

Nur wohin? Recht schnell kam es auf zwei Moeglichkeiten raus: das Abus Dangereux Fanzine in Bordeaux, auf dass ich durch eine Besprechung im Ox aufmerksam geworden bin, oder das Label Age of Venus Records in Nantes. Die hatte ich im Dezember 2002 zum ersten Male bemerkt, als ich in Berlin im Knaack bei Murpyhs Law war und deren neue Platte ist ja auf Age of Venus. Nachdem das Abus Dangereux Heft mir dann leider abgesagt hatten, nahm ich das Angebot von Age of Venus Records in Nantes an, als Praktikant fuer ein paar Wochen vorbeizuschauen.

Nantes ist mit dem TGV drei Stunden von Paris im Nordwesten Frankreichs und eine halbe Stunde vom Atlantik entfernt. Schoen ist es hier: die Loire fliesst durch die Stadt und wenn man nur ein wenig die franzoesischen Staedte mit ihren gewundenen Gassen, Bistros und Cafes mag, dann wird einem auch Nantes gefallen. Die Stadt hat ca. 200 000 Einwohner und ist vom Flair eine ueberraschend junge Stadt, wahrscheinlich durch die Uni. Auf jeden Fall laufen einem staendig die fuer Frankreich typischen Weltmusikfans im Ethno-Look ueber den Weg, recht viele (junge) Punks auch und alles in allem, doch doch, sehr angenehm. Der gemeine Franzose an sich raucht netterweise viel und was da so getrunken wird zu jeder MahlzeitÉ.aber „ die trinken ja auch anders, mehr mit Genuss und so “. Jules Verne hat mal in Stadt gelebt und es soll hier laut Lonely Planet Reisefuehrer ein ganz wichtiges Kunst Museum geben.

Age of Venus Records besteht seit Mitte der Neunziger Jahre und wird von dem sympathischen Cheffe, Olivier Lehuby, geleitet, der gleichzeitig auch bei der Nantes Hardcore Band Right for Life singt. Urspruenglich hatte er die Idee, ein interdisziplinaeres Label mit Bands ganz unterschiedlicher Musikstile a la SST zu machen, d.h. von Hip Hop zu Punk. Was von dieser Idee realisiert wurde, ist neben dem „Tough Guy Hardcore Label“ ein Reagge Sublabel, was sehr interessante Kuenstler herausbringt, so z.B. den ueber 70 Jahre alten Prince Alla. Urspruengliche Befuerchtigungen, dass ich hier quasi bei dem franzoesischen Pendant (ja ja, immer mal ein paar Floskeln raushauen, ha) zu I sream gelandet bin, konnte ich eigentlich nicht bestaetigen. Ganz einfach aus dem Grund, dass hier eben nicht nur OldSchool 1988 Core gemacht wird.

Insofern finde ich die bisher zwar uebersichtliche, aber auch abwechslungsreiche Mischung von Age of Venus ganz nett. Und da das Label relativ neu ist, gibt es hier halt auch viel zu tun. Olivier meinte, dass die verkauften Einheiten der Murphys Law CD eher ein Verlustgeschaeft gewesen waren angesichts der hohen Promotionkosten. In einem sehr nett trashigen Gebaeudekomplex direkt an der Loire liegt das Buerohaus von Age of Venus, wo Olivier vor 1,5 Jahren hingezogen ist, nachdem er vorher von zu Hause alles geleitet hatte. In dem Gebaeudekomplex befinden sich neben Age of Venus Records noch diverse Internetstartup-Firmen, die ebenso wie Age of Venus eine Art „ ein Mann oder eine Frau Unternehmen “ sind, die „ mit Unterstuetzung von Freunden sich durchschlagen und dabei von 9 am bis 9 pm arbeiten “. Guenstigerweise ist hier auch eine nette Reagge Kneipe.

Olivier organisiert zusammen mit anderen das einmal im Jahr stattfindene Fury Fest, dass staendig groesser wird, von anfaenglich 4000 Zuschauern im Jahre 2002 mit Agnostic Front, Strife und diversen franzoesischen HC Acts und im Jahre 2003 mit Youth of Today und Exploited hat man fuer dieses Jahr ein groesseres Festivalgelaende in Le Mans, 2 Stunden ausserhalb von Nantes, und 20 000 Zuschauer angepeilt. Mit dabei sind dann auch voellig unbekannte Bands wie Morbid Angel, Discharge und der Dillinger Escape Plan. Ach so, im Mai kommt eine neue Platte von Jetsex auf Age of Venus raus und was ich hier davon gehoert habe, ist allerfeinster Hardcore mit 7 Seconds Touch und Punk aus Paris.
Das einzige Problem hier sind die Unterkunftsmoeglichkeiten: im Sommer sind hier drei Hostels geoeffnet, im April bis Juni allerdings nur eins und das ist komplett ausgebucht. Nun gut, ein Bett dort kostet so um die 16 Euro; ein eigenes Zimmer in einem kleinem Hotel kostet 19 Euro und ein bisschen Luxus im Hinblick auf Privatsphaere kann man sich ja auch goennen. Aber alle billigen Hotels sind auch „ complet “, so dass ich mich im Moment in einem Hotel fuer fast 30 Euro die Nacht befinde, geht auch noch, klar, aber das Geld war etwas anders von mir eingeteilt.

Angesichts der sonstigen Preise fuer essen, trinken und Kippen muss man leider sagen, dass Frankreich selbst ausserhalb der Mega-Touri Saison und selbst etwas entfernt von Super-Touri-Metropolen ziemlich ins Geld geht. Drei wichtige Sachen muessen natuerlich noch erwaehnt werden, wenn es um Frankreich geht, ihr wisst, was ich meine? Klar, die Rede ist von Brot, Kaese und Wein. Ich bin jetzt kein Weinpublizist, aber aus Nantes kommt der Musdadet (oder so) Wein und der soll wohl gut sein.
Was habt ihr denn gedacht, was jetzt kommt mit drei Dingen in Bezug auf Frankreich? Aha, ich verstehe, so so, ihr dachtet also, ich erzahle euch jetzt etwas ueber Frauen, Froesche, Fantomas? Ihr seid so platt, wisst ihr das, also, ich haette lieber ueber Camus diskutiert haha. Aber gut, eine kleine Stellungnahme zu den Frauen – generell faellt auf, dass hier viel gekuesst wird.

Ich finde das gut, vielleicht sind die Franzosen da wirklich freier oder vielleicht liegt es auch nur an der Kombination Rotwein und Fruehling? Das Klischee ueber die huebschen franzoesischen Frauen wuerde ich in etwa dahin platzieren, wo die Mythen der Intimsuntersuchung bei der Musterung fuer den Bund schon liegen – alles wird gross aufgebauscht, dann ist man da und dann ist es auch halb so wild. Will damit sagen, dass der Spruch in etwa so wichtig ist wie andere regionale Urteile, die einem von-Mund-zu-Mund ueberliefert werdenÉin Bayern ist man Weisswurst nie nach 12, die Schwaben sind alle unfreundlich, alle Rheinlaender sind kontaktfreudig, in England regnet es immer und alle Italiener sind katholisch.

Falls es euch also mal nach Nantes verschlagen sollte, so seid ihr da nicht schlecht gelandet – unten stehen ein paar Laeden und durch geschicktes Flyer-Einsammeln sollte euch da eine Szene-Orientierung problemlos moeglich sein. Heute abend schaue ich mir mein erstes Konzert an – ist wohl irgendeine New Yorker Punkband – und am Freitag spielen hier in der Gegend L’idee poison d’Etats Unis (yes, Poison Idea oder was), peut-tre avec Right for Life.

Bon journeŽ pour vous tous, Jan Roehlk, 28.04.2004, Nantes

Bars :
-La Route de Rhum, Quai Herni Barbusse – Rockladen, vielleicht als erste Anlaufstation, um sich mit dem Bier bekannt zu machen, sprich entweder belgisches Leffe (och nee), franzoesisches Kronenbourg oder deutsches Paulaner – hmh, vielleicht dann doch lieber ne Cola und ein Perrier ?
-Bar bar de la mer, Rue Grande Biesser – immer viele Punk- und Hc-Konzerte
-Le Floride, 4 rue St. Dominque – dito
Cafes und Restaurants zu Hauf in der suessen Altstadt; ebenso wie Plattenlaeden
Alles weitere ueber Nantes weiss u.a. Olivier,

Ihr seid schon in Frankreich, wollt jetzt aber unbedingt nach Nantes ? Einfach auf sncf.com gehen und Start und Ziel eingeben und ihr bekommt ne Zugverbindung, die bestimmt nicht laenger als drei TGV Stunden dauert

Der kleine Sprachfuehrer
Bitte helfen Sie mir, ich will hier ein Zimmer buchen und ich will eigentlich ihre Sprache sprechen, theoretisch muesste ich sie noch koennen, und sie koennen es sich wahrscheinlich nicht vorstellen, wie unglaublich unangenehm das jezt fuer mich ist, auf eine andere Sprache auszuweichenÉ. – Do you speak English?
Tu as une lumire de chance? – Haste mal zufaellig Feuer ?
Sauf interdit – Saufen immer gerne gesehen. Und uebrigens, die Metro-Station Chantiers Naval bedeutet nicht, dass es hier in der Loire schon Walgesaenge gibt, sondern der Name bezieht sich auf Arbeiten im Zusammenhang mit dem Fluss. Natuerlich wusste ich das.

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0