STRIKE ANYWHERE (#87, 04-2001)
Vor geraumer Zeit erschien auf dem all zu hippen No Idea Label in Florida eine Mini LP der Richmonder Strike Anywhere, die nicht nur mich durch eine Menge Druck und eine gelungene Mischung alter US Hardcorestandards mit schmissigen Chorälen überzeugen konnte. Unter anderem fanden das wohl auch Jade Tree, die die Band jetzt unter Vetrag nahmen, wir werden sehen.
Im Rahmen unseres kleinen East Coast Wellness Wochenendes mit Hot Water Music gab`s eben auch Strika Anywhere als Vorband, die ihre Sache reichlich gut machten und hoffentlich in Bälde auch durch unsere Juze ziehen werden. Auf der Bühne hüpft der nicht allzu lang geratene Sänger Thomas dann auch recht wild hin und her, die Dreadlocks wippen während die Kids vor der Bühne on so etwas eher irittiert scheinen.
Dafür erweist er sich als einer dieser Menschen, die so unglaublich positiv erscheinen, zu alles und jedem freundlich sind, dass er bei meiner persönlichen Wahl zur Mutter Theresa des Jahres ganz vorne liegen wird.
Das Interview wurde per email geführt, da ich in den USA defintiv nicht in der Lage war, einen Rekorder zu halten. Daher auch die recht ausführlichen Antworten. Enjoy. Daniel.
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Kannst du – oder jemand anderes aus deiner Band – an irgendein Ereignis erinnern, dass dich veranlasst hat, Musik in einer Band zu machen?
Thomas (vox): Matt Sherwood und ich sind zusammen aufgewachsen und haben uns alte Folklieder beigebracht und die dann auch zusammen gesungen. Als ich etwa 16 und auf der Highschool war haben mich meine beiden Freunde Max und Booker, die zusammen Bass und Drums spielten, genervt, ein Mikrophon und irgendeinen Verstärker aufzutreiben, um mit ihnen zu singen; damit ein wenig mehr bei ihrem Jammen passierte.
Wir spielten Songs von Fugazi, Jazz Stücke, Reggae und ein wenig Hardcore. Das lief so für einige Jahre, aber es war nicht so, dass ich mich als Teil einer regulären Band fühlte, was sich allerdings änderte, als meine Freund Mark und Leer zu mir kamen und mir mitteilten, dass ich in ihrer Band zu singen habe. Wir spielten 5 Jahre zusammen – unter dem Namen Inquisition.
Wo habt ihr da immer geprobt?
Thomas: Mit Strike Anywhere haben wir in unterschiedlichen Besetzungen an allen mögli-chen Orten herumgelärmt. Der erste übungsraum war eine alte, beängstigende Fabrik, in der Leute einzelne Räume oder Kammern vermietet haben.
Dann haben wir in Matt Sherwoods Keller geübt, wo allerdings die Dunkelheit und Feuchtigkeit unsere Songs verfolgt hat, während das Equipment dabei verrostet ist. Im Moment spielen wir in einem Lagerhaus, in dem ich arbeite, mit viel Echo; es stehen überall Kisten herum, und der übliche Dreck.
Und wo waren die ersten Shows, was passierte dabei so??
T: Unsere erste Show war in einer kleinen Bar namens Swingers in Richmond (Virginia), zusammen mit Ann Beretta. Die hatten uns gefragt, ob wir spielen wollen, und einige von uns wussten nicht, ob wir schon so weit sind, aber es war eben nach einigen Monaten des Probens an der Zeit.
Der zweite Gig dann in einem Keller auf Richmonds Park Avenue – die ganz schön anders aussieht als die gleichnamige (sehr schicke) Strasse in New York! Da kamen schon 75 Leute, viele Freunde und so; das war ein Benefiz für Food not Bombs und machte schon eine Menge Spass. Dann spielten wir im Twister`s, auch zuhause, einige Male und dann ging es auf Südstaatentour und richtig „los`.
Wann hattet ihr das erste Mal das Gefühl, das Leute euere Musik wirklich mögen (und nicht Freunde, die sehr gerne sehr schnell sehr (positiv) voreingenommen sind? Eben ein Ausschnitt aus eurer Geschichte aus einem anderen Winkel?
T: Das war in Harrisburg in Virgina, einer kleinen Unistadt am Apalachen-Gebirge, wo wir zum ersten Male mitbekamen, dass wir bekannter werden und Leute eben eine gewisse Energie miteinbrachten; die Lieder wurden von vielen Leuten mitgesungen.
Bei einem weitere Food not bombs Benefiz im März 2000 in Rich-mond – diesmal im Twister`s – wurde es schon unglaublich, weil mehr Leute unsere Texte besser kannten als wir selbst! Anders gesagt: Es waren eben keine Freunde von uns, die mit-sangen.
Was nervt dich so an, dass du mal richtig sauer wirst (bei solch einem Gutmenschen schwer vorstellbar)?
T: Das ist eine tolle Frage (scheisse, der nimmt den Wind aus allen Segeln Anm Daniel), aber schwer zu beanwtorten, weil mich nicht viele Dinge aus der Haut fahren lassen. Dennoch muss ich – wie viele andere Leute / Punkrocker, die ich getroffen habe, auch – ein gewisses Mass an Bewusstsein aufrechterhalten, welches auf einer ständigen Anwesenheit von Zorn beruht. Das ist wie Treibstoff für den Geist, hält die Langeweile im Zaum.
Ich liebe Tiere; der Missbrauch an ihnen wie auch ihr Schlachten verletzt und entzürnt mich – sehr häufig. Ich mag aber auch die meisten Menschen, auch wenn sie viele Makel haben und sich idiotisch verhalten, gerade wenn es um ängste und Macht geht. Als die Polizei vor zwei Monaten die Tür meiner Nachbarn eingetreten hat und ihre Waffen auf eine Mutter und ihre zwei Säuglinge gerichtet hat – so etwas macht mich zornig. Aber auch so Dinge wie ganze Na-tionen, Religionen und Kulturen, die ihre Wut nicht auf eine ehrliche, mitfühlende Weise regeln können.
Viele der enggesteckten christli-chen Werte oder anderer den Menschen in den Mittelpunkt stellender Philosophien wirken wie ein Krebsgeschwür auf unsere Gedanken und deren Evolution, die wiederum unsere Art vor alles andere stellen. Ich werde oft auch über mich selber sauer, meine Faulheit, oder fehlende Sensitivität. Klar rege ich auch mal über so banalere Sachen wie Werbung auf, aber das eher aus ästhetischen Gründen als aus „Zorn`. Ich ärgere mich nie über Leute, die versuchen, etwas auf die Beine zu stellen und hoffe daher, dass ich persönblich auch von ihrem Zorn ausgenommen werde!
Was hat die Untergrund-Musikszene zu bieten, dass die Kids nirgendwo sonst kriegen können?
T: Ich sehe den Underground als Reflektion der Musik der Folk-Tradition. Im allerbesten Fall kann es die Lebensader für eine wahre Kultur der Arbeiterklasse sein; die Künste und Wahrheiten deren, die niemand anhört, die Verbindung zwischen Kids der unterschiedlichen sozialen Klassen und eben die Realitäten und Leidenschaften, nach denen sie suchen, dar-stellen. Underground Musik kann eine energie-geladene, zusammenschweissende Kraft sein, bei der Teilnehmer wie auch Passanten zu-sammengewoben werden; wo sie sich tatsächlich berühren, bewegen und ihr Leben verändern, und die Welt mit Ehrlichkeit, Selbstkritik und einer (gespielten) agressiven Kreativität versehen.
Parasiten und Proftgeier lauern überall, an jedem verfickten Ort, in der unabhängigen Musikkultur heutzutage, das Geld zieht wie ein Magnet mehr als je zuvor in der Geschichte. Kompromisse muss dann jeder eingehen, der nur halbwegs von seiner Kunst leben will, und dass bedeutet nicht, extravagante materialistische Ansprüche zu stellen. Das heisst, billig zu leben, eine Heimat zu haben, eine Krankenversicherung, und wenn du viel Glück hast, einen Van, der nicht auseinander-fliegt und dich umbringt.
Die beste Wahl, die man treffen kann, wenn man sich Bands aussuchen will, sind diejenigen, die den geringsten Impakt auf DIE Leute haben, DIE immer über „scene value` daherlabern und den ganzen anderen süchtigmachenden Bullshit, weil ihre Egos von niemandem ernstgenommen werden. Das ist der eine Aspekt des Punk als Musik-kultur, der sich am langsamsten entwickelt und vielleicht eine Gefahr darstellt. Unsere Untergrundwelt hat einen besonderen Reiz für all die einsamen, verrückten, zu schlau für ihr eigenes Wohl, zu freundlich für ihr eigenes Wohl, suchenden Kids und die Idee, dass jeder teilnehmen kann:
das du dir eine Show ansehen kannst, die gesamte Erinnerung mit nach Hause nimmst, und daraus Kraft nimmst, um besser mit Ungerechtigkeiten und Heucheleien umzugehen, die dir diese von Menschen gebaute Welt bietet. Es sieht allerdings so aus, dass ganze Mikrogenerationen von Teilnehmern die Musik „Punkrock` als Ware konsumieren und ich glaube, dass dabei, während viel Geld verdient wird, Abstand zwischen denjenigen, die kreativ Arbeit hineinstecken – unsere Songs, euer Heft – und denjenigen geschaffen wird, die es eigentlich erreichen sollte.
Dann versuchen die Kids, das Gefühl immer wieder und wieder zu kaufen in der Hoffnung, es einzufangen. Das ist das derzeitige Problem in unserer wohlorganisier-ten, standartisierten Punkindustrie. Zu dem, was ich oben gesagt habe, bezüglich der „Lebensader der Arbeiterklasse` – die Absichten innerhalb des Punkrocks als Kunstform der Strasse haben sich natürlich verändert und haben eindeutig nur noch wenig mit den Re-alitäten der Unterdückten Massen zu tun. Aber ich glaube fest daran, dass dort noch ein Poten-tial existiert. Die Grundidee ist, dass die Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit, die IMMER noch unsere Hoff-nung auf einen höheren Wert von Punk im Jetzt charakterisiert, eine stärker veränderte, revo-lutionäre Zukunft für uns, die wir involviert sind, bietet.
Wie ist das eigentlich als einer, den man optisch in die Kategorie Crustpunk einordnen würde, vor einer Horde Kids zu spielen, deren einziger Anspruch neben der letzten Get up kids Platte eine aufgemotzter VW Golf ist?
T: Daniel, ich liebe diese zornigen Fragen. Die Shows, bei denen wir uns getroffen haben, die Hot Water Music & Alkaline Trio Tour im November letzten Jahres hatten ein vielschichtes Publikum, von denen etwa 90 Prozent keinerlei Interesse an den Dingen, die wir hier besprechen haben. Es waren eher Leute, die einfach die Musik der beiden Bands lieben und denen es völlig egal ist, welcher quasi-mystische Underground sie ihnen serviert hat.
Dazu kommt, dass sich eigentlich alles im allgemeinen und Geschmäcker im speziellen so verdammt schnell ändern, vielleicht ist das in Europa noch nicht ganz so schnell wie hier. Ich glaube, dass uns nur ein kleiner Bruchteil der Leute auf dieser Tour mochten, und ein noch viel kleinerer Teil von denen von uns vorher etwas gehört hatten. Das fand ich ganz cool, auch, weil wir Musik machen, die oberflächlich betrachtet, nichts mit der von HWM oder ALK3 zu tun hat; auch wenn dort eine tiefere Ver-bindung herrscht, und das haben vielleicht einige der Leute mitbekommen.
Ich befürchte allerdings, dass immer mehr Leute unvorbereitet auf sie einstürzende andersartige Information einfach ignorieren und ihr Leben weiterleben – zB eine schnelle Harcdoreband bei einer rock, oder emo, oder was auch immer Show. Selek-tives Erfahrungs Managment – oder so. Ein anderer Gedanke, auf den wir auf einer unserer endlosen Fahrten zwischen den Konzerten kamen, ist der, dass auf der einen Seite der obsessive Materialismus so offensichtlich ist, und so viele Schichten unserer Gesellschaft infiziert hat, auf der anderen Seite aber mit der gleichen Geschwindigkeit die Wahr-scheinlichkeit, mit der Leere dieses Konsumenten-Lifestyles konfrontiert zu werden, wächst:
Beides verhält sich zueinander wie Antikörper, die gebildet wurden, um einen Virus im Körper unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht können all unsere Anstrengungem hier das Gleich-gewicht ein wenig verschieben. Kann man die Frustrationen des Overgrounds in den Spass des Undergrounds verwandeln? Klappt das, oder bleibt es Illusion? Na, wenn wir sterben werden wir es hrausfinden.
https://www.youtube.com/watch?v=eJ7Z6TrOtJY
Hast du bei der letzten Wahl teilgenommen? Wenn Wahlen etwas ändern würden (usw.)…
T: Ich war wählen, ich bin zur rostigen Urne in der Baptistenkirche auf der einundreissigsten Strasse gelaufen und habe meine Stimme Ralph Nader gegeben. Das war gerade an dem Tag auf Tour, an dem wir durch Richmond kamen! Ich weiss nicht, ob das oben gesagte (…wären sie veboten) falsch ist. Es gab eine Menge Amerikaner, die aufgrund der Hoffnung, die Nader repäsentierte, politisch aktiver wurden.
Auch wenn kaum einer von denen geglaubt haben wird, dass Nader Präsident werden könne. Wir haben irgendetwas anderes, Ab-straktes gewählt. Das ist für Amerikaner schon eine merwürdige Sache. Ich glaube nicht, dass unsere Wahlen uns mehr geben als falsche Hoffnungen, und den Status quo verfestigen, aber im effektivsten Fall können sie uns auf-rühren! Dies war der Haupteffekt der letzten Wahlen, und diese Wut ist das, woran wir uns halten können, wenn in den nächsten vier Jahren der Kongress blockiert ist, leere religiöse Zoten verbreitet werden und der Welt eine kindische Isolation der USA dämmert.
In welcher ära von Punk & H/C hättet ihr am liebsten gerockt, wenn ihr die Wahl hättet?
T: Oh, so in etwa müsste das auf jeden einzelnen von uns so passen 77-80 Thomas 80-83 Eric 83-86 Matt S. 87-90 Garth 90-95 Matt S. und bei 95 -2000 gehen die Bandmitgleider aus!
In welcher dieser Zeitperioden glaubst du hätte euere Musik wie auch eure Anliegen die grösste Zuhörerschaft gefunden?
T: Ich glaube, dass es unmöglich für uns wäre, ohne die vorangegenagenen Perioden zu existieren. Jedes Mitglied unserer Band könnte sich – wie oben angedeutet – irgendeine Periode heraussuchen und sein eigen nennen. Für die grösste Intensität wären die Anfangsjahre die besten, auf der anderen Seite hätten wir nicht ein Drittel unseres Sounds ohne die East Coast Harcdore Zeit um 88 herum; 75 % unsere Songs haben irgendwas mit altem DC Punk der frühen Achtziger zu tun…der Rest kommt von alten Richmonder Punkrock-Geistern wie White Cross. An der heutigen Zeit bin ich fasziniert von der Diversität, in der sich diese Musik präsentiert und freue mich darüber, dass wir jetzt leben.
Auf dem Hot Water Music Message Board im Netz wird euer Wechsel zu Jade Tree sehr extrem diskutiert (… Zusammenfassung: Jade Tree nehmen die nur, weil sie vorher in der anderen Band waren, J.T. nehmen die, weil es eben Knete bringt, J.T. bringen nie eine Platte mit Risiko heraus)
Matthew: Hi, hier ist Matthew, und mein Senf dazu. Ich bin ziemlich begeistert von diesen zahlreichen Punkern und ihrem Glauben an die Fähigkeit unserer Band, Geld für ein Plattenlabel zu generieren. Vielleicht beurteilen die Leute die derzeitige Signing-Wut (s. Revelation, oder Drive Thru, oder sogar MCA) als Anzeichen dafür, dass die Labels Risiken eingehen oder Vertrauen in neue Bands haben. Ich sehe das anders.
Die meisten Labels haben keine Idee mehr, was sie tun sollen, nachdem ihre erste oder zweite Generation von Bands kein Geld mehr verdient, also erhöhen sie ihre Chancen, indem sie einfach jeden holen. Diese Praxis sorgt für ne Menge verwöhnter Rock Stars, die vormals Kids waren, die noch nie ausserhalb ihrer Stadt gespielt haben. Jade Tree selber hat eine Menge Platten heraus-gebracht, die sich überhaupt nicht verkauft haben, trotz allem testen sie, weil sie die Band gut finden oder die Leute nett.
Das heisst nicht, dass J.T. Anzeigen a la „JT präsentiert „————„, weil ihr es nicht kaufen werdet` schaltet, auch wenn das eine gute Kampagne wäre, oder das die den Plattenverkauf einstellen sollten, wenn es sich nicht lohnt. Viele Labels haben genug Platten ihrer Freunde veröffentlicht und damit nichts verdient.
Wir haben mehr als eine Geschäftsbeziehung mit Tim und Darren, und wir haben / hatten mehr als eine Geschäftsbeziehung mit Var (No Idea). Das ist für und wichtig. Natürlich riskieren beide Seiten etwas, aber wir haben ja auch Vertrauen zueinander, und, wenn alles gut geht, kriegen wir eben auch ein wenig heraus, ob das spirituell, finanziell oder emotional sein mag.
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Strike Anywhere, 6 North 19th Street, Richmond, VA 23223.
http://www.strikeanywhere.org
Links (2015):
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