Sterben – Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen, Matthias Gockel
Berlin Verlag/Piper, Damaschkestraße 4, 10711 Berlin, www.piper.de
„Darf ich träumen? Dann träume ich von einem Gesundheitssystem in dem jeder Anreiz fehlt, mehr Gerätemedizin durchzuführen, als wirklich medizinisch angezeigt und vertretbar ist.“ Da fragt man sich als Leser schon, warum ist dies heutzutage immer noch ein Traum und man fragt sich auch – da dieser Satz natürlich vor Corona geschrieben wurde – hat den jemand auch wirklich beachtet in den letzten Wochen? Ich schweife ab. Konzentrieren wir uns auf dieses sehr sympathische Buch. Ein Buch über „Sterben“ das sympathisch ist? Ja, denn der Autor schafft es ein in der gesellschaftlichen Gesprächskultur immer noch viel zu wenig beachtetes Thema, welches ausnahmslos jeden betrifft, emphatisch darzustellen.
Und das sehr umfassend, informativ und wirklich gut geschrieben. Nach einem Vorwort und einer ausführlichen Einführung ist das Buch in neun Kapitel („Mein Weg“, „Palliativversorgung in Deutschland“, „Wozu Palliativmedizin?“, „Vom Sprechen über Sterben und Tod“, „Schmerztherapie und Symptonkontrolle“, „Sterben“, „Sterbebegleitung“, „Sterbehilfe“, „Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht“) unterteilt, sowie am Ende mit zusätzlichen Tipps für Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen ergänzt. Eine der Kernaussagen des Buches ist, das wer nicht bereit ist jetzt darüber zu reden wie wir sterben wollen, dies anderen überlässt. Und das kann in einem Gesundheitssystem, das einerseits auf Kostenersparnis und andererseits auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist (statt auf das Patientenwohl), schon mal ganz schnell zu lasten der Würde und Selbstbestimmung des Einzelnen gehen. Um dies zu verhindern erzählt der Palliativmediziner Matthias Gockel aus seinem Berufsalltag, wie er es schafft durch bewussten Umgang – für alle Beteiligten, also die direkt Betroffenen sowie deren Angehörige und auch die Menschen die in der Pflege tätig sind – es so angenehm wie möglich zu machen. Und allein das Lesen ist schon so angenehm das man sich vorstellen kann das es auch möglich ist die letzten Tage der Menschen mit möglichst wenig Leid zu durchleben. Der Autor beschreibt wie er zur Palliativmedizin gekommen ist und auch die Geschichte dieser. Sehr interessant sind seine Informationen über Opiate und erschreckend wie groß die Angst viele Ärzte ist diese in entsprechender Dosis zu verabreichen. Das muss nicht zwingend bedeuten das es dem Patienten dann gut geht, aber zumindest weniger schlecht – was ja auch schon viel ist. Das ganze Buch ist durchsetzt mit tollen „Aha-Erlebnissen“, allein wie er nochmal klar macht das Angehörige die auf Wunsch des todkranken Patienten irgendwann darüber „entscheiden“ das der „Stecker gezogen“ wird eben genau das nicht tun. Die Angehörigen entscheiden nicht, sondern führen nur den Wunsch des Patienten aus – was unheimlich viel Last von den Schultern nehmen kann. Oder wenn sich Angehörige darüber ärgern das sie nicht dabei waren als der Mensch verstarb – oftmals ist es so, das der Sterbende es einfach nicht will das jemand dabei ist und genau dann stirbt wenn niemand da ist, absichtlich. Es sind oftmals nur kleine Veränderungen der Sichtweise die großes bewirken können. Es lohnt sich für jeden dieses Buch zu lesen, auch wenn es ums Sterben geht – viel besser als hier kann man sich dabei nicht aufgehoben fühlen. Wenn Gockel beschreibt wie unsensibel und rechthaberisch sich viele Ärzte gegenüber Patienten verhalten, wünscht man sich das dieses Buch für alle angehenden Ärzte zur Pflichtlektüre wird und nur wer dies auch umsetzten kann sollte praktizieren – das wäre dann mein Traum. 267 Seiten, gebunden, 22,00 Euro (dolf)
Isbn 978-3827013545
[Trust # 203 August 2020]