Januar 17th, 2017

SLEAFORD MODS Tourbericht (#173, 8-15)

Posted in artikel by Jan

Fame! – Auf Tour mit den Sleaford Mods II

[Rückblende]

17.04.2014, Hamburg, St. Pauli, drei kurze Umarmungen und Jason, Andrew und Steve verschwanden in der Nacht. Ich war mit den Sleaford Mods auf Tour gewesen. Das hatte sich so ergeben. So nah würde ich den Mods nie wieder kommen, ich war raus. Den weiteren Irrsinn betrachtete ich mehr oder weniger aus der Ferne: „Chubbed up“, die Singlekollektion auf Mike Pattons Ipecac-Label. Neue Single. Neue 12inch. Feuilleton-Aufmerksamkeit bis zum Abwinken. Jason gibt seinen Job auf. Neue Single. „Divide and Exit“ in den Jahresbestenlisten. Steve, der Manager, gibt seinen Busfahrer-Job auf. Neue Single. Neue 12inch. Tracks auf ARTE. Steve Albini, der die Mods beim Primavera-Festival in Barcelona zur besten Band der Welt kürt. Verbale Scharmützel mit den Gallagher-Brüdern im NME. Paul Weller, lässt ausrichten, dass er die Mods für „Cunts“ hält. Neue Single. Iggy Pop, der in seiner wöchentlichen BBC-Radioshow nicht müde wird, Sleaford Mods zu spielen und zu feiern und aus Jasons Lyrics-Buch „Grammar Wanker“ rezitiert. Neue Single. Jasons Kollaborationen mit The Prodigy und Leftfield. Clubtouren in England. Immer größere Hallen. Festivals. Und. Und. Und.

[Schnitt]

„Are you okay, Schippy?” Jason fragt nach, so wie beim letzen Mal. Jeden Tag, kurz vor der Abfahrt, die gleiche Frage: „Are you okay, Schippy?“ „Klar, ich bin nüchtern“, gebe ich routiniert zurück. Ich bin wieder drin. Gestern habe ich die Mods in Brüssel abgeholt. Das hat sich so ergeben. Nach dem ausverkauften Aufritt vor euphorischen Belgiern und Hektik am Merch-Tisch ging es noch in eine Bar ums Eck. Bier trinken. Zugucken, wie die Mods angeguckt werden. Smalltalk und noch ein paar Bier. Aber klar, ich bin nüchtern. Wir sind auf dem Weg nach Köln, dort ist das Merch-Basislager für die Tour aufgeschlagen. T-Shirts und Platten stapeln sich in meiner Wohnung und rechtzeitig vor der Tour ist auch die deutsche Tour-Single „Talk Bollocks“ noch rausgekommen. Ich bin stolz wie Oskar, denn eigens für die Single habe ich ein Label gründen dürfen und die 7inch in Kooperation mit Max und Sabine vom Salon Alter Hammer rausgebracht. Steve gefällt das, Sleaford Mods – Singles auf zig Labels verstreuen, hoher Output, gerne auch Sammlerstücke. Angesichts der Flut der Veröffentlichungen waren Max und ich eher vorsichtig unterwegs – das Interesse muss doch irgendwann mal nachlassen – und haben zuerst „nur“ eine 1.000-Auflage gemacht. Fehleinschätzung, denn schon vor dem Tour-Start sind hunderte Platten verkauft.

Jason und Andrew erinnern sich an die Wohnung, die schon bei der letzten Tour als Haltepunkt diente und Andrew sinniert darüber, wie viel sich für die Mods seit dem letzten Besuch hier verändert hat. Steve, Andrew und Jason leben nun schon länger ausschließlich von den Mods und insbesondere in England sind sie dank der ungebrochenen medialen Aufmerksamkeit auf so etwas wie Star-Kurs. Auch ich profitiere von den Entwicklungen, die Tour, die Tom von Weird World gebucht hat, hält Hotels parat. Einzelzimmer!

[Bochum]

Voll. Beim Blick auf den Vorplatz fällt mir die Dichte an alt gewordenen Ruhrpott-Punks auf, die sich die Sleaford Mods nicht entgehen lassen wollen. Den, da drüben, habe ich doch schon damals im Eschhaus gesehen. Der typische Sleaford Mods – Fan scheint mindestens über 40 und männlich zu sein. Viele, die schon Anfang der 80ziger Jahre „dabei“ waren und sich von der Punk-Attitüde, die die Mods umweht und dem Neuen und Einzigartigen ihrer Musik und Performance angezogen fühlen. So etwas wie der dritte Frühling. Dabei sein, wenn etwas Aufregendes passiert. Ich finde das gut, denn genau so geht es mir ja auch mit meinen fünfzig Jahren. Steve erzählt mir, dass sich Alt-Punks in England wieder einen Plattenspieler zugelegt haben, nur um das viele Sleaford Mods – Vinyl hören zu können. Andrew liefert die gewohnte Bühnenpräsenz. Bier trinken, tanzen, den Knopf am Laptop drücken und den einen oder anderen Text mitsingen.

Jason hat seine Bühnenperson weiterentwickelt. Neue Gesten, neue Gesichter. Mehr Dialog mit dem Publikum. „Alles gut in Bochum?“ Warum nicht auf diese bewährte Animation zurückgreifen? Leichte Abwandlungen bei den Texten. Das mehrfach wiederholte „sack the fucking manager“ am Ende von „Fizzy“ wirkt in seiner Wut umwerfend. Ich leiste Schwerstarbeit am Merch-Tisch und lade Klaus Fiehe, einer der letzten Aufrechten, die Autoren-Radio im öffentlich rechtlichen Rundfunk machen dürfen, zum Geheim-Gig der Mods nach Duisburg ein. Der Abschluss des Abends: Bei der Ankunft der Mods im Hotel stehen Gäste auf und applaudieren. Strange.

[Wiesbaden]

Voll. Human Abfall als Support. Mehr Schwerstarbeit am Merch-Tisch. Ich habe Klaus Walter, einen weiteren sehr verdienten Kämpfer des Autoren-Radios, auf die Gästeliste gehievt und belohne mich dafür mit einem Foto. Klaus, die Tour-Single und ich. Max, Sabine und ich hatten Klaus die Single exklusiv für seine Sendung auf ByteFM überlassen. Dank seiner Vermittlung lief die B-Seite dann danach tagelang „weltexklusiv“ auf ByteFM in Heavy Rotation. Easy. Der Höhepunkt des Abends spielt sich nach dem Konzert ab. Jason tobt Backstage. Irgendjemand hat seine Geldbörse geklaut und auch noch einen Stuhl zerstört. Jason ist außer sich. Die Anwesenden gucken betreten zu Boden, jeder könnte verdächtig sein. Der Veranstalter beteuert, dass niemand Zugang zum Backstage-Bereich hat. Andrew, Steve und ich schlagen Jason vor, uns auf die Suche nach der Geldbörse zu machen. Wir finden die Börse auf dem Rücksitz des Autos. Falscher Alarm. Aber was ist mit dem Stuhl? Jason wird auffällig kleinlaut, ihm ist die Sache jetzt hochnotpeinlich. Er – Achtung Geheimnis – hat den Stuhl selbst vor Wut zerstört. Ins allgemeine Gelächter will er nicht so recht einstimmen. Was, wenn es Ärger wegen des Stuhls gibt? Er ist ehrlich besorgt. Ein Ozzy Osborne wird definitiv nicht mehr aus ihm.

[Köln]

Ausverkauft. Ich kriege vom Auftritt wenig mit, weil sich der Merch-Tisch in der Bar befindet. Die Schwulen Nuttenbullen kommen als Support überraschend gut an und dürfen sogar eine Zugabe spielen. Die Nuttenbullen freut es sichtlich nach dem Auftritt und ich verkaufe einiges von ihrem Kram. Und, huch, Clara Drechsler, Spex-Mitbegründerin, ist ja auch da. Ich schenke ihr eine Platte der Nuttenbullen, weil ihr das Cover so gut gefällt und sie Clara Drechsler ist. Beau von den Nuttenbullen erzähle ich danach von meinem Geschenk. Er strahlt, eine Platte seiner Band befindet sich von nun an in Claras Plattenschrank. Auch Christine von ARTE ist mit ihrem Film-Team heute am Start. Sie begleitet die Sleaford Mods schon seit einiger Zeit und arbeitet an einem 90minütigen Dokumentarfilm. Das Ende des Films soll der Auftritt der Mods im November in Berlin markieren. Christine hofft, dass sie den Film bei einigen Filmfestivals unterbringen kann. Steve hatte mir schon von dem Filmprojekt erzählt. Eine Geschichte des „Erfolgsweges“ der Mods mit Interviews mit Familienmitgliedern, Freunden und Wegbegleitern. Bewusst kein Celebrities-Bullshit. Mir gefällt das Konzept und mich beeindruckt Christines Enthusiasmus.

[Duisburg]

Beunruhigende SMS von einer Freundin. Klaus Fiehe hat in seiner Sendung auf 1Live geplaudert und seinen Hörern vom Geheim-Gig der Mods am Abend im Djäzz erzählt. Sascha vom Djäzz und ich versetzen uns mit E-Mails gegenseitig in Panik. Vor unserem geistigen Auge stehen schon mindestens 100 nicht geladene Gäste auf der Matte. Für den Abend haben wir gut 90 Leute ins Djäzz eingeladen. Duisburger, die schon beim ersten und zweiten Auftritt im Djäzz dabei waren. Freunde, Bekannte und Platten-Nerds. Die Tour-Single wurde für den Abend handnummeriert und der Einleger mit den Tour-Daten und den Lyrics mit einem Stempel mit dem Duisburger Termin versehen. Steve gefällt das ausnehmend gut.

Uns auch. Eigentlich ist das heute ein day off und ich rechne es den Mods hoch an, dass sie einen kurzen Set spielen, um Max, Sabine, dem Djäzz und mir einen Gefallen zu tun. Wir nehmen 9 € Eintritt inklusive Single und 3 € ohne. Nennenswertes Geld gibt es heute nicht für die Mods. Christine ist auch wieder mit ihrem Team dabei. Sie interviewen Vom von den Toten Hosen, der mit Tom vorbeigekommen ist. Note to self: Mit Christine bei Gelegenheit über Celebrities-Bullshit sprechen. Ich will Christine noch Martin von EA80 für ein Interview ans Herz legen, aber der ist schon kurz nach dem Ende des Auftritts wieder verschwunden. Sehr wahrscheinlich hätte er eh nicht gewollt. Die Panik wegen Klaus Fiehe und seinem Geheimnisverrat stellt sich als gänzlich unbegründet heraus. Klaus bringt uns genau einen ungeladenen Gast, der spät kommt, keinen Eintritt bezahlt und sich am Ende des Sets bei mir über die Kürze des Auftritts beschwert.

[München]

Voll. Das enthusiastischste Publikum bisher auf der Tour. Hätte ich in München gar nicht erwartet. Andrew tanzt viel wilder als die Tage vorher hinter seinem Laptop. Jason wirft sein Gesichtskino an und watschelt mit Daumen hoch im Kreis über die Bühne. Beide haben heute offensichtlich besonders viel Spaß. Nach dem umjubelten Set recken sich den Mods zahlreiche Hände entgegen, die abgeklatscht werden wollen. Toller Abend, nur diese eine Type, die immer wieder an den Merch-Tisch dackelt, die Platten befummelt, wieder weglegt, mir Gespräche aufzwingt, verschwindet, um dann, als das Gedränge am Stand am größten ist, zurück zu kommen, um mit mir über ein Rabatt für eine Single zu feilschen, nervt wie Hölle. Cunt!

[Salzburg]

Nicht so voll. Keine 100 Gäste. Das sind die Mods gar nicht mehr gewohnt. Im Vergleich zu München ist das heute hier Routine. Nach dem Auftritt lümmeln Jason und Steve noch ein wenig vor dem Club herum, umringt von einer Horde sehr betrunkener Männer, stilistisch irgendwo zwischen Skinheads und Mods einzusortieren. Sicherheitshalber schießen die Typen lieber gleich 100 Erinnerungsfotos mit Jason, es könnte ja eins verloren gehen. Jason lässt das mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Auch für das Kompliment „Das war die scheißigste Scheiße die ich jemals gesehen habe“, bedankt sich Jason artig, während Steve ob der sprachlichen Finesse des Schmeichlers einen Lachanfall kriegt. Andrew trifft es besser. Er unterhält sich ein wenig abseits bei einer Sportzigarette angeregt mit einer der wenigen weiblichen Besucher des Konzertes.

[Wien]

Ausverkauft. Auf dem Weg nach Wien erzähle ich Steve, dass ich im Chelsea mit Freund Stone schon als DJ mit einem SST-Set unterwegs war und damit quasi früher als die Mods diesen legendären Ort schon einmal bespielt hätte. Steve gähnt gelangweilt. Könnte sein, dass ich ihm diese wenig fesselnde Geschichte schon einmal aufgetischt habe. Das Set leidet dann leider etwas unter der PA, die im Laufe des Auftritts zu schwächeln beginnt. Ich verkaufe die letzten Reste des Merchandise. Nur noch ein paar Tour-Singles und ein paar T-Shirts sind übrig. Die letzten LPs gingen schon in München über den Tisch.

[Pause]

Am Abend verabschiede ich mich von den Mods. Für mich geht es zurück nach Köln, die Sleaford Mods geben noch ein paar Konzerte in Italien. Wir sehen uns in Berlin wieder, zum zweiten Teil der Tour. Ich habe mir unterwegs den offiziellen Titel „Merchrobot“ verdient. Ich bin nicht so kaputt, wie beim letzten Mal. Weniger Alkohol. Weniger Party. Und ein Schläfchen im Hotel statt der Ödnis zwischen Ankunft und „Doors open“ am Veranstaltungsort wirkt Wunder. Jason geht sowieso mittlerweile lieber ins Hotel, um zum Soundcheck und zum Auftritt wieder aufzutauchen. Auch kurz nach dem Auftritt geht es immer öfter schnurstracks ins Hotel zurück. Elvis left the building. Das ewige Touren kostet Kraft und gerade Jason ist – ob er will, oder nicht – so etwas wie ein Star geworden. Kaum ein kurzer Sparziergang, bei dem er nicht erkannt oder angesprochen wird. Andrew steht weniger im Fokus, aber auch für ihn wird es zunehmend schwieriger, vor und nach dem Auftritt draußen ungestört herumzustromern, um eine Sportzigarette zu rauchen, oder mit seinem Freund zu telefonieren.

[Berlin]

Ausverkauft. Ich bin mit Steve und seiner Freundin Anke in der Nacht nach Berlin unterwegs. Jason und Andrew kommen per Flugzeug. Steve hat mir ein Geschenk mitgebracht, eine Testpressung des neuen „Key Markets“ – Albums und ich platze fast vor Glück. Die ersten hymnischen Reviews trudeln ein und auf der Liste der Zeitungen und Zeitschriften, die das Album besprechen werden, stehen alle großen englischen Tageszeitungen bis hin zum Revolverblatt „The Sun“. Das Interesse an den Mods ist ungebrochen und Steve rechnet fest mit einer Top Twenty – Platzierung in England, wenn das Album am 24. Juli erscheint. Kurz vor Berlin stelle ich das Radio an und wir hören rbb. Sie spielen die Mods, zwei Stücke. Steve ist sichtlich gerührt. Das erste Mal, dass er die Band im Radio hört. Er wird sich daran gewöhnen, vermute ich. Vor dem Auftritt im SO36 ist Steve nervöser als sonst. Für ihn ist das SO36 ein geschichtsträchtiger Ort. Sein detailliertes Wissen über die frühe deutsche Punk-, Industrial- und Noise-Szene versetzt mich immer wieder in Erstaunen. Er weiß ganz genau um die Bedeutung des SO36. Ich weiß gerade mal die Hälfte. Steve kommentiert mein Halbwissen immer wieder gerne mit den Satz, dass seine Katze mehr über Punkrock weiß als ich. Jason und Andrew ist die glorreiche Geschichte ihres Auftrittsortes eher schnuppe.

Tom ist auch da und berichtet von der ellenlangen Gästeliste am Abend. Musikzeitschriften und Tageszeitungen galore. Tom freut sich ein Loch in den Bauch, dass eine „seiner“ Bands das SO36 ausverkauft hat. Ich konnte Klaus Bittermann noch auf die Gästeliste drücken. Klaus ist Autor und Verleger der Edition Tiamat – Reihe und ich bin ein großer Bewunderer seiner Arbeit. Wir schauen uns das Konzert gemeinsam an. Ich will, dass er die Sleaford Mods gut findet. Ich hatte den Mods schon von Klaus erzählt und Klaus von den Mods. Eine deutsche Übersetzung von Jasons Buch „Grammar Wanker“ halte ich für eine gute Idee. Auch Steve könnte sich das vorstellen. Klaus ist da eher skeptisch, nach allem, was ich ihn über die Texte erzählt habe, hält er die deutsche Übersetzung für ein im Ansatz gescheitertes Projekt. Beim Auftritt geht Berlin dann steil, Klaus scheint mir nicht ganz so begeistert. Ein paar Tage später schickt Klaus mir seinen Artikel über das Konzert aus dem Berliner Lokalteil der TAZ. Es geht wenig um die Mods, aber umso mehr um unseren gemeinsamen Abend. Fame! Ich bin echt gerührt.

[Einwurf]

Mit der Zwischenüberschrift „Niemand versteht etwas – oder nur ganz wenig“ in seinem Artikel bringt Klaus, wenn auch verkürzt, ein Problem bei der Rezeption der Sleaford Mods in Deutschland auf dem Punkt. Tatsächlich gibt es so etwas wie eine unüberwindbare Sprachbarriere. Sicher, Zeilen wie „I hate what you do, and I don’t like you“ versteht jeder. Die Texte von Jason sind gespickt mit solch einprägsamen Slogans, die ein großes „Nein“ zu den bestehenden Verhältnissen transportieren. Gerade das ist ein Grund für die Begeisterung rund um die Mods. Und wenn Jason „smash the fucking window“ ins Mikro brüllt, will man genau das sofort tun: Irgendwo ein verficktes Fenster einschmeißen, am besten gleich eine ganze Bank entglasen. Aber vieles an Witzen, Anspielungen, Geschichten und Personen bleibt unerschlossen. Selbst „Grammar Wanker“ in Verbindung mit dict.cc hilft einem da nur bedingt weiter. Ich habe es versucht.

[Leipzig]

Voll. Keine besonderen Vorkommnisse. Einzige Beobachtungen: Es scheinen mehr und mehr Frauen zu den Auftritten zu kommen und die Schwelle vom Starren zum Tanzen wird immer öfter überschritten. Eine gute Entwicklung. Steve wirkt zunehmend nervöser. Er hat mit der Welle von noch mehr Aufmerksamkeit im Zuge der anstehenden Veröffentlichung von „Key Markets“ zu kämpfen. Mehr SMS. Mehr E-Mails. Mehr Anrufe. Zum Glück ist morgen ein Day off in Berlin. Pause für Steve. Jason und Andrew haben mehrere Interviews und Filmaufnahmen vor der Brust.

[Bremen]

Voll. Nach dem Gig ein wunderbarer Ausklang im Eisen direkt um die Ecke. Bier. Schnaps. Raucherlaubnis. Und alle sind dabei. Auch Jason hat sich diesmal nicht sofort nach dem Auftritt ins Hotel verkrümelt. Die Anwesenheit der Mods wird eher beiläufig zur Kenntnis genommen, was den Abend entspannt macht. Meine Tour-Lektion: Wenn zwei Bands plus Entourage eine Kneipe entern, lässt man den Deckel nicht auf seinen Namen schreiben. Ich werde von einem Unwissenden für den Manager der Mods gehalten. Ich verliebe mich sofort in den Gedanken. Auf der Rückfahrt im Taxi zum Hotel fülle ich meine neue Rolle vom Alkohol befeuert voll aus. Ich eröffne Jason, dass er bald aus der Band fliegt, weil Andrew neue Sänger testet und Steve feuere ich wegen Unfähigkeit. Ich lache, Jason, Andrew und Steve, glaube ich, auch.

[Münster]

Ausverkauft. Beim Frühstück bemerkt Steve spöttisch, dass ich in der Nacht sehr „meinungsfreudig“ gewesen wäre. Ich starre verschämt auf den Boden meiner Kaffeetasse. Für den Rest des Tages backe ich kleinere Brötchen. Münster war letztes Jahr der Problemfall auf der Tour. Andrew erinnert sich an den nicht so gelungenen Abend und die „Brainiacs“. Tja, der Abend verläuft wieder etwas seltsam. Ungeteilte Aufmerksamkeit im ausverkauften Gleis 22, aber kaum Reaktionen zwischen den Stücken. Es passiert nicht viel zwischen Band und Publikum. Am Ende des Sets bricht dann der mit Abstand längste Jubel und Ruf nach Zugaben auf der gesamten Tour aus. Sehr seltsam. Tage später versuche ich zwei Musikern, die auch schon in Münster aufgetreten sind, die Atmosphäre zu beschreiben. „Alle sind total aufmerksam, aber … es gibt kaum spürbare Reaktionen“ fällt man mir ins Wort. „Und erst nach dem Auftritt … sind alle total begeistert“ vollendet man meinen Satz. „Ja, genau so.“ Das Münster-Rätsel ist gelöst. Es liegt gar nicht an den Mods, es liegt an Münster.

[Hamburg]

Ausverkauft. Seit Wochen. Ein Umzug in eine größere Halle war aus irgendwelchen Gründen nicht drin. Das Hotel ist ein ziemlicher Abriss, ein wenig „back to the roots.“ Nicht ganz so schlimm wie das Hamburger Hotel, das Jason damals zu der Zeile „The smell of piss is so strong it smells like decent bacon“ inspiriert hat. Vor dem Auftritt bringe ich die Mods noch zu einem Interview mit ByteFM in dem Hochbunker am Millerntor. Ich gehe mit hoch, eine Radiostation hab` ich vorher noch nie von innen gesehen. Nicht so spannend und ich gehe wieder runter zu Steve. Es passieren gerade aufregende Dinge. Steve telefoniert hektisch mit BBC 1. „Key Markets“ soll dort an prominenter Stelle gefeatured werden. Aber die ganzen Schimpfwörter, das geht nicht. Steve notiert die Worte auf einem Schmierzettel. Also, „Cunt“ geht nicht, ist notiert. Ja, „Fuck“ ist auch problematisch und, oh, „Crap“ will BBC 1 auch nicht hören. Die Liste wird länger und länger. Das mit BBC 1 wird wohl eher nichts. Nur zu gerne würde ich den Zettel an mich nehmen und aufbewahren, aber ich traue mich nicht zu fragen. Am Abend der letzte Auftritt der Tour. Vielleicht liegt es an der Gewissheit, dass ich die Mods für längere Zeit nicht mehr sehen werde, mir kommt der Gig besonders intensiv vor. Bei „Tarantula deadly cargo“ vom neuen Album bekomme ich sogar eine Gänsehaut.

[Pathos]

Eine steile Karriere liegt hinter mir. Ich bin Veranstalter, Fahrer, Merchrobot, Zigarettenholer und Bierdeckelbezahler für die Mods gewesen. Ich war sogar aufmerksamer Zuhörer, wenn Steve sich über Andrew beschwerte. Andrew über Jason. Jason über Steve. Und so weiter im Kreis. Freunde behaupten, ich wäre ein nützlicher Idiot, denn ich habe kein Geld bekommen. Als Steve mir welches anbot, wollte ich es nicht nehmen. Freunde raten mir, ich sollte meinen kostbaren Urlaub nicht nehmen, um mit den Honks aus Nottingham unterwegs zu sein, sondern um mich zu erholen. Ich sehe das anders. Ich war nah dran an der vielleicht unfassbarsten Karriere einer Band in den letzten Jahren. Ich möchte keine Sekunde davon missen.

[Epilog]

Ich telefoniere mit Christine. Nach Hamburg ging es für die Sleaford Mods in den Hyde Park in London im Vorprogramm von The Who. Am Tag darauf Glastonbury, John Peel Stage. Christine war da und beschreibt den Auftritt, den auch die BBC im Livestream übertragen hat, euphorisch als weiteren Höhepunkt. Begeistertes Feedback in den Tagen danach, so als hätten die Mods das ganze Festival überstrahlt. Es geht also immer weiter.

Text und Foto: Schippy

Links (2017):
Sleaford Mods auf Bandcamp
Sleaford Mods auf Wikipedia
Sleaford Mods auf Discogs
Sleaford Mods auf Twitter

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