Januar 30th, 2016

SLEAFORD MODS (#162, 10-2013)

Posted in interview by Jan

“You can’t use the word Chav that’s a term created by the controllers.”

Am Anfang steht der enthusiastische Augenzeugenbericht eines guten Freundes vom Kraak, einem jährlich in Belgien stattfindenden Festival abseits bekannter musikalischer Pfade. Zwei Typen, einer am Laptop, einer schimpfend am Mikro, ragten heraus.  Sprechgesang, gepaart mit sparsamen Drumbeats und Basssounds. Einfach und direkt. Punk ohne Band, die Produktionsweise des Hip Hop nutzend. Die Sleaford Mods aus Nottingham mit Jason Williamson, Sprechgesang und Andrew Fearn am Laptop. „Du wirst sie lieben“, so die Prophezeiung des Freundes und tatsächlich ist das nicht so einfach zu beschaffende Album „Austerity Dogs“ dann eine Offenbarung. Der seltene Glücksfall Musik zu hören, die man so noch nie gehört hat, die neu und aufregend ist.

„Kraak opened it up for Sleaford Mods“ lassen Sleaford Mods ein paar Tage nach dem Kraak via Facebook wissen. Was plötzlich aus dem Nichts zu kommen scheint, betreibt Jason Williamson tatsächlich schon seit sieben Jahren. Anfangs als Soloprojekt mit wechselnder Hilfe beim Zusammenschrauben der Stücke. Im Hier und Jetzt liefert Andrew Fearn die backing tracks.  „Austerity Dogs“ ist die erste Vinylveröffentlichung der Sleaford Mods. Ein Dokument der bisherigen Zusammenarbeit von Williamson und Fearn.

Eine Mischung aus älteren Tracks und neueren, speziell für das Album aufgenommenen, wie uns Steve, der Labelmacher von Harbinger Sound, wo die Platte erschienen ist, beim Interview in Bremen erzählt. Steve ist mit seinem Label Harbinger ein Spezialist für Noise und obskuren Punk und plaudert mit uns über seine Wurzeln im Punk, die frühen Tage von Earache, über Heresy, Concrete Sox und seine liebsten deutschen Punkbands. Am frühen Nachmittag sind das S.Y.P.H. (zustimmendes Gemurmel unsererseits), am Abend, ein paar Bier später, lässt Steve dann „Vorkriegsphase“ vom Stapel (was erst staunende Gesichter und dann eine dunkle Erinnerung an den Meilenstein „Dick Bonz raus“ hervorruft).

In Hamburg, im Pudel-Club, der erste Auftritt der Sleaford Mods in Deutschland überhaupt. Freudige Erwartung. Am Nachmittag schaute schon die Spex für ein paar Fotos vorbei, wie Andrew erzählt. Wir erläutern ihm, ganz der Aufklärung verpflichtet, dass die Spex mal wichtig gewesen ist, so wie die englische Wire ungefähr, wo „Austerity Dogs“ ausführlich und wohlwollend besprochen wurde.

Der Auftritt dann kurz und heftig. Andrew, schlaksig, kurze Hosen, Schlabber-Shirt und Baseballkappe bedient den Laptop. Sein Job für die nächste halbe Stunde ist es, zwei-, dreimal einen Knopf zu drücken, mit dem Oberkörper zu den Beats nach vorne und hinten zu wippen, dabei ein paar Flaschen Bier zu trinken, die eine oder andere Textzeile mitzusingen und sich über die Reaktion des Publikums zu freuen. Gute Performance.

Jason Williamson setzt sein eher grimmiges Gesicht auf und sprechsingt zu den rauen, basslastigen Tracks. Aus Williamson bricht ein Wortschwall heraus, ein Maximum an Text, gepresst in furiose 30 Minuten. Hier kommt jemand, um sich zu beschweren. Angepisst, angewidert, aggressiv. Ein großes, fettgedrucktes und doppelt unterstrichenes „Dagegen“, gespickt mit Schimpfwörtern und einprägsamsten Zeilen, die das Zeug zum Schlachtruf haben: „The wage don’t fit!“ Am Ende keine Zugabe, was gesagt werden musste, wurde gesagt. Draußen vor der Tür allenthalben zufriedene Gesichter. „Big in Hamburg“ werden Sleaford Mods danach im Social Network resümieren.

Am nächsten Tag sitzen wir mit Jason, Andrew und Steve vor der Friese in Bremen zum Interview zusammen und arbeiten uns durch die Essentials.

Der Name? Warum Sleaford, eine eher bäuerlich geprägte Kleinstadt mit rund 15.000 Einwohnern? Ganz simpel. Jason ist ganz in der Nähe von Sleaford, in Grantham geboren.  Jason jonglierte mit ein paar Bandnamen herum und Sleaford Mods klingt einfach besser als Grantham Mods. Stimmt.

Und Mods? Jason und Andrew sind augenscheinlich keine Mods und auch die Musik liefert keinen Bezug. Eher im Sinne von working class zu verstehen, dort wo die Mod-Kultur ursprünglich herkommt. Der Name kann als Statement gegen das Verschwinden der Arbeiterklasse gelesen werden. „Chavs. The Demonization of the Working Class”, ein lesenswertes Buch von Owen Jones (Deutscher Titel: “Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse.”) fällt einem dazu ein.

Jones beschreibt in seinem Buch den ursprünglich durch die Thatcher-Regierung vehement geführten Kampf gegen die englische Arbeiterklasse, der später nahtlos durch New Labour zu Gunsten einer imaginierten, allumfassenden und wohlhabenden Mittelschicht in einer Dienstleistungsgesellschaft fortgeführt wird. Die vielbeschriebene Modernisierung, die angeblich nur Gewinner kennt. Verlierer dieses Prozesses – die selbstredend nur ganz allein für ihr Scheitern an den Verhältnissen verantwortlich sind – werden als Chav denunziert.

Jason beschreibt kurz die Friedhofsruhe, die im heutigen England herrscht. Menschen, die damit beschäftigt sind, ihr Dach über den Kopf, ihren Unterhalt zu organisieren, mit der Angst im Nacken, abzurutschen.

Williams, der sich vor Jahren enttäuscht vom Bandkonzept verabschiedet hat, „I used to be in bands, fuckin hated it“ ist der kurze Kommentar dazu auf der Sleaford Mods bandcamp-Seite, hat jahrelang Sleaford Mods als Soloprojekt betrieben. Die früheren Arbeiten fallen musikalisch opulenter aus, als die neueren Tracks. Williams zählt ein paar der verwendeten Samples auf: Sex Pistols, Yardbirds, Gang of Four … einen Vergleich mit den frühen Arbeiten von The Streets/Mike Skinner lässt er gelten. Auf sondcloud.com/sleafordmods kann man sich ein Bild davon machen.

Auch Hinweise auf den Misanthropen Mark E. Smith/The Fall und eine Nähe zu den frühen Crass werden akzeptiert. Obwohl, nicht wirklich Einflüsse, aber gute Bands.

Mit Fearn, der vorher bereits in verschiedenen Projekten/Bands Musik gemacht hat, die nie wirklich das Licht der Welt erblickt haben, wie er erzählt, hat im Vergleich zu den früheren Arbeiten eine Kargheit und Strenge im Sound Einzug gehalten. Die Basis bilden treibende Bassläufe, live eingespielt, dann am Computer bearbeitet und trockene Drumbeats, dazu ab und an der sparsame Einsatz anderer Sounds.

Neueste Stücke, wie z. B. „Routine, dean“ und „The corgi“ bringen einen noch reduzierteren Sound. Und reduziert heißt hier noch treibender, noch packender, noch mehr auf die Zwölf. Auf soundcloud.com kann man diese Entwicklung mit verfolgen. Fertig und schnell raus damit, eine Punkarbeitsweise, wie Steve findet. Wie überhaupt die Sleaford Mods in erster Linie Punk und nichts anderes sind.

Die Frage nach Zukunftsplänen beantwortet Jason mit: „Eine neue Küche, die wäre wirklich mal fällig.“ Steve von Harbinger erzählt ein wenig mehr. Während die Sleaford Mods auf ihrer ersten kleinen Deutschland-Tour sind, kommen Tour-Anfragen aus Schweden und Polen rein, ein amerikanisches Label interessiert sich für den Back-Katalog (CD, CDR, Downloads) und möchte ihn erstmals auf Vinyl herausbringen. Zwei Singles kommen im Herbst und dann ein Album auf Harbinger ausschließlich mit neuem Material.

Eine kurze Diskussion zur Sprachbarriere schließt sich an. Die Texte sind zum Teil schwer zu verstehen, das Textblatt zu „Austerity Dogs“ ist wenig hilfreich, da handgeschrieben und unleserlich. Egal, das große „Dagegen“ wird transportiert, auch wenn nicht jedes Wort zu verstehen ist.

Das Konzert dann in der Friese wieder kurz und heftig. Ein paar Gesichter, die schon am Tag davor in Hamburg waren und der Auftritt noch einen Tacken aggressiver, als in Hamburg. „Big in Bremen“ werden Sleaford Mods am nächsten Tag schreiben.

Text: Schippy / Interview: Stone/Schippy Fotos: Rolf Schöllkopf

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0