Februar 18th, 2007

PETROGRAD (#100, 06-2003)

Posted in interview by sebastian

Bandhistorie in Schallplatten: Kannst Du chronologisch zu jeder Deiner Platten (oder den meisten), inkl. Subway Arts etc., mal in einem oder zwei Sätzen sagen (oder auch drei….), was für Dich an dieser Platte wichtig, lustig, bemerkenswertes etc. ist? Welches Gefühl hast Du, wenn Du die alten Aufnahmen heute hörst? Wenn eine Deiner Platten immer eine Phase Deines Lebens darstellt, welche wären das?

Diff: Meine allererste Platte die ich je gemacht habe hiess “something`s wrong” mit den Subway Arts und die kam auf Your Choice raus. Witzig dabei war vor allem, dass als wir später mit Petrograd angefangen haben einige Leute meinten, dass wir uns wie Seven Sioux anhören und genau diese Seven Sioux hatten damals beim Frank von Your Choice auch eine 7inch rausgebracht… Das ist auch so ziemlich das Einzige, was ich heute noch darüber zu berichten weiss.

War ja fast schon “historisch”! Erste Vinylveröffentlichung einer Punkband aus Luxemburg, wir wurden sogar im MRR als “Exoten” gehandelt. Mit Subway Arts haben wir dann noch ne split Lp gemacht mit No more (da hab ich rumgeschrien und die Band geliebt!!) auf Per Koro, erstes Per Koro release damals, als Benefit für TierbefreierInnen, dann eine Lp auf Genet Records, die damals auch noch ne andere Labelpolitik hatten als heute, wer hätte sich je gedacht, dass sich Punk&Hardcore auch so entwickeln würden.

Und dazwischen eine No More 7″ und diverse andere Releases. Die No More Zeit war sehr schön, wir waren jung, frisch, voller Revolutionsdrang, wollten alles verändern, aber auch wirklich alles, sind ständig nur angeeckt, für die Straight Edger waren wir bekiffte, besoffene Peacecrusties deren macho-hafte, gewaltverherrlichenden (gilt vor allem für die Ieper Crew in Belgien!) Attitude wir nicht entsprachen; trotz unseres Oldschool Hardcore Sounds, und für die Punks waren wir einfach nicht punk as fuck genug weil wir ständig auf Konzerten nur provozierten und alles kritisierten, aber nicht herumprollten! Bis zu Petrograd gab`s dann noch diverse Veröffentlichungen mit anderen Bands, die ich gemacht habe, aber weniger erwähnenswert sind, bis auf die split 7″ No more / Bakunin`s Children

Warum ist die besonders erwähnenswert?

Diff: Die Platte hiess “Amerikkka Loves Us”; so was würde ich heute einfach nicht mehr machen. Auch wenn die Platte keinen (plumpen) Anti-Amerikanismus enthielt, strotzte sie doch von verkürzter Kapitalismuskritik – im Sinne von `nur die multinationalen Konzerne (vor allem) aus den USA sind an allem schuld !’ so was von dumm aber das ist fast 10 Jahre her, aber ich schäme mich schon fast dafür, aber egal 1997 kam die erste Petrograd split 10″ raus, die wir mit einer befreundeten Band aus Luxusburg namens Soul Season aufgenommen haben. War schon so was wie ein Neuanfang für mich.

Warum? Was war anders?

Diff: Wir haben die Platte mit einer Band gemacht die wir alle sehr mochten, obwohl die eher diesen Retro Rock spielten und es war für uns einfach schön mal was mit einer Band zu machen, die gar nix mit Punkrock zu tun hat. Es war uns einfach scheissegal, ob das den Leuten gefällt oder nicht, ob das in das reaktionäre Punkschema hineinpasst oder nicht. Das ständige Schubladendenken wollten wir so nicht hinnehmen. und obwohl wir eine klar definierte Idee von der Zukunft der Band hatten, so war dies für den musikalischen Inhalt damals noch überhaupt nicht klar! Anschliessend ging alles sehr sehr schnell, es folgten einige split releases und die erste LP “Isabelle” auf Subway Records.

Genau diese Platte war es auch die für grossen Umbruch innerhalb der Band sorgte, das Kommen und Gehen (von Bandmitgliedern) fing nach dem Release erst an, bis dato waren wir eine richtig eingeschworene Gemeinschaft, doch nun, da plötzlich einiges zügiger voranschritt, brach dieses “Kollektiv” auseinander. Die damalige Sängerin stieg aus, bevorzugte es, sich devot ihrer neuentdeckten Esoterik Leidenschaft ganz und gar zu widmen. Ich persönlich habe nie dafür plädiert alles hinzuschmeissen, weil es mir einfach zu wichtig war!

Gerade auch deshalb weil ich Punkrock gebrauche um einen persönlichen Exorzismus kontinuierlich durchzuführen, weil es eben eine wunderschöne Projektionsfläche ist und es mir ermöglicht, so manches Erlebte positiv zu verarbeiten. Es ging also weiter und anstatt uns selbst zu bemitleiden machten wir ein neues Album, etwa 10 Monate nachdem Erscheinen von “Isabelle”! Neue Sängerin, neuer Gitarrist, neuer Schlagzeuger am Start und los! Das war dann die “Abc`, die sich entgegen unserer Vorstellung sehr gut verkaufen konnte. Dabei war die Entstehung ja alles andere als “unkompliziert”, aber die Platte war und ist heute noch für uns alle wichtig.

Nach “abc” kamen wieder einmal einige split releases oder limitierte Sachen und nachdem erneut einige Leute im Laufe der Zeit ein bzw. ausgestiegen waren und wir alle Bock hatten ein neues Album zu machen und waren uns auch durchaus bewusst dass es kein “abc part 2″ werden sollte. “Nineoneone”, unser neues Album, ist wesentlich punklastiger und trotzdem hat es die üblichen Petrograd-Pop Elemente. Wenn es auch kein Konzeptalbum ist so thematisiert die Scheibe allein schon vom Booklet her die Tragödie vom “11. September”. Und weiter geht`s zur Zeit mit diversen split releases und einer neuen 7″ und und und eigentlich ist das in ein paar Sätzen so nicht hinzukriegen ohne das es stumpf klingt!

Als ihr vor einem Jahr bei einem Trustfest gespielt habt, meintest du, dass das Jahr 2001 für die Band kein Gutes war, ihr hättet zu selten gespielt. Jetzt sind eine neue LP und 7″ da: Wie kontinuierlich spielt ihr denn so über die Jahre? Ist die Band mal “on` und dann mal wieder “off`?

Diff: 2001 war schlichtweg das Jahr der Kontroverse was Petrograd angeht. Auf der einen Seite wunderschöne Erlebnisse, aber fast immer gepaart mit einer deftigen Portion Realismus! Keine Zeit etwas zu geniessen, denn je positiver der eine Tag, umso negativer auch schon der darauf folgende! Wie ist das zu verstehen?

Nun es wäre sicherlich deplaziert in Bezug auf Petrograd von einer homogenen Band zu reden (2001), auch wenn ich dieses Attribut heute sehr gerne benutzen würde, um die momentane Konstellation zu beschreiben, aber dieses ständige kommen und gehen sind auch Produkt einer doch wenig kompromissbereiten Bandphilosophie, für manche völlig unverständlich und unakzeptabel aber was schert einen Kritik von aussen wenn sie nur destruktiv angelegt ist… Immer dann wenn wir gerade dabei waren zu rollen kamen wir ins Stocken!

Zum einem bedingt dadurch, dass einige Leute nicht längerfristig in der Band mitmachen wollten, weil es ihnen einfach zu viel war und zu anstrengend, manchmal auch zu “strikt”, vor allem in Bezug auf die Major label Geschichte, zum anderen dann aber auch ganz klar meine Gesundheit die uns allen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat! Schliesslich bin ich fast 1 Jahre rumgelaufen ohne eine Ahnung was genau in meinem Körper vor sich ging und fast jedes Konzert war wie eine Lotterie: schafft ich es oder kipp ich um! Seit November 2002 hab ich das aber endlich unter Kontrolle.

Was war das genau?

Diff: Es handelt sich hierbei um das sogenannte Barrett Syndrom, eine art oesophagus reflux Erkrankung. Oftmals auch als prekarzinomisches Stadium dargestellt, aber nicht in allen Fällen führt ein solches Krankheitbild zu Speiseröhrenkrebs, aber es kann halt vorkommen. Dieses Syndrom hat auch dazu geführt, dass ich in wenigen Fällen einfach so umgekippt bin oder halt ständig unerträgliche Kopfschmerzen hatte. Allerdings gibt es keine Garantie dass ich auch längerfristig gesund bleiben werde.

Wir haben vor einigen Jahren im Durchschnitt 80-90 Konzerte im Jahr gespielt. 2001 haben wir nicht einmal 50 Konzerte gemacht was aber auch damit zusammenhängt, dass halt sehr viele abgesagt wurden von unserer Seite aus und obwohl wir dies alles bedauern und auch stets einen richtigen Grund dafür hatten, wird uns dieses “ach die kommen doch eh nicht” jetzt ständig unterstellt.

Das belastet einen zusätzlich aber es geht weiter! Die neue Lp läuft super gut, wir haben in 3 Monaten über 4000 Stück davon verkauft, Unter Schafen Records bringt jetzt ne ganz neue 7″ raus und wir arbeiten zur Zeit an diversen split releases sowie einer Doppel Lp in Amiland.

In der Schweiz gibt es viele (staatliche) kulturelle Einrichtungen, die Künstler unterstützten. Wie sieht so etwas in Luxemburg aus? Gibt es im Moment eine `Szene`, der Ihr Euch zurechnet oder seid ihr meistens alleine? Gibt es Clubs, Fanzines, Bands, E-zines, die dieser Szene, sofern sie exisitiert, zugehörig sind?

Diff: Ich kenne die Situation in der Schweiz nicht so gut, habe mich aber mit der Lage hier in Luxusburg befasst! Es gibt hier das Kulturministerium welches diversen KünstlerInnen ab und an unter die Arme greift. Was aber den Status von “KünsterIn” sein definitiert und damit die Tür für solche Subsidien aufstösst wird vom gleichen Ministerium festgelegt, was alleine schon das Triviale an der Geschichte aufzeigt.

Ohne realen Künstler-Status keine wirkliche Unterstützung! Ich lass bewusst diesen Lobbyismus, den dieses Ministerium betreibt beiseite, ab und an mal ein paar Euro “spenden” und das in der öffentlichkeit richtig thematisieren verstehen sie schon sehr gut. Allerdings muss ich auch noch hinzu fügen, dass es dem Kulturministerium in den letzten Jahren gelungen ist etwas “subversivere” Läden mundtot zu machen indem sie einfach mit enormen finanziellen Mitteln überschüttet wurden und damit sich der Staat auch ihrer angenommen hatte was Zensur, Einschränkung und Uniformisierung der Kultur bedeutet.

Wir haben mehrmals den Antrag auf Unterstützung gestellt, vor allem in Hinsicht auf den KünstlerInnen-Status, welcher uns allen vieles erleichtern würde. Antworten haben wir eigentlich nie bekommen, unsere Anfragen wurden lapidar mit einem “uns sind selbst die Hände gebunden” abgespeist und wer das Ganze hinterfragt und sich damit beschäftigt wird ziemlich rasch zur Erkenntnis gelangen, dass besagter Status nur denjenigen zugesprochen wird, die als anerkannte diplomierte MusikerInnen einen Abschluss haben und beim staatlichen Orchestre Nationale angestellt sind, bzw denjenigen die durch langjährige Erfahrung in der inländischen Musikszene sich einen Namen gemacht haben – hierzulande ist der “Markt” schlimmer monopolisiert als woanders (viel zu kleines Land). Geld bekommen vom Ministerium bedeutet, dass du dich dazu verpflichtest, zum Beispiel auf dem CD oder LP Cover, das Kulturministerium zu erwähnen! Sonst geht da gar nix!

Dies wiederum steuert den Verkauf etc etc etc………….aber diese Mechanismen gibt`s überall egal ob da Kulturministerium oder sponsored by XY draufsteht! Es sind und bleiben die Regeln der Marktwirtschaft, mit der Absicht Kultur zu uniformisieren, sie zu kontrollieren und selektiv zu diskreditieren und wer sie nicht befolgt der wird halt eben ausgeschlossen.

Oben sagst du aber, dass ihr schon mehrfach versucht habt, den “Künstlerstatus` zu erreichen, hier sagst du aber, dass du genau das ablehnst, weil dann eben “sponsored by kulturministerium` draufsteht – Widerspruch?

Diff: Widerspruch würde ich nicht sagen. Wir wollen ja einen Status erreichen, der es uns ermöglicht, Geld zu bekommen, aber ohne dabei die gängigen Mechanismen des Ministeriums zu akzeptieren! Es kann doch nicht angehen dass du irgendwo einen Job hast und nur weil du da arbeitest musst du dann auch einen Tattoo mit dem Firmenlogo tragen. Da muss endlich mal ein Stein ins Rollen kommen, der dieses Ministerium in all seinen Machenschaften entlarvt…hehe .. Und du machst es mir auch nicht gerade einfach wenn du dann auch noch das Wort “szene” erwähnst und damit womöglich eine “luxemburgische szene” heraufbeschwörst???!! Dem Worte zu schenken wäre schlichtweg grotesk!

Es mag eine Szene geben, das ist Definitionssache – die Soziologie würde höchstwahrscheinlich Szene auf Interessengemeinschaft reduzieren, wenn die Musik also vorrangig ist dann gibt es eine Szene – es gibt einige aktive, interessante Leute, es gibt auch einige gute Bands, aber eine alternative Szene hier hervorzulügen würde ich persönlich nicht wagen! Es mag sporadisch vorhandene Gemeinsamkeiten (vor allem äusserlichkeiten, das folkloristische!) mit anderen “Szenen” geben .- wie gesagt ist Definitionssache und ich tendiere dazu manches viel zu kritisch zu beurteilen. Kann aber auch sein dass ich altklug immer noch meine, dass Punk etwas politisches haben müsste, etwas kritisches und dass es nicht nur Pubertät, “Sturm und Drang”, Identitätssuche bedeutet!

Punk und Hardcore wurden in den letzten Jahren medial dermassen ausgeschlachtet, dass es für mich persönlich recht schwierig geworden ist dem noch viel positives abzugewinnen! Aus einer kleinen, ja vielleicht sogar elitären Gemeinschaft, ist eine Trendbewegung mutiert in der wie in allen grossen Mainstream-Phänomenen die Anonymität herrscht. Es gibt auch Menschen die dem etwas positivistisches unterstellen….was auch immer das bedeuten soll. Crimes sells, sex sells, the revolution sells!

Petrograd sind aufgrund der Booklets, der Auftrittsorte wie auch textlich klar einem gewissen Spektrum zugeordnet (sagen wir mal….Besetzte Häuser, Antifa, Black Cross etc.). Inwiefern fühlst Du Dich heute noch diesem Spektrum zugeordnet? Hat sich Deine Einstellung da über die Zeit verändert? Welche Aufgaben hat eine Band wie Petrograd: Entertainment, Infotainment etc.?

Diff: Damit, dass ich die heutige Punk “Szene” kritisiere setze ich mich auch aktiv mit meiner Vergangenheit auseinander, indem ich versuche, zu analysieren, inwiefern Punk mich politisiert hat! Für die wenigsten hat heute Punk noch etwas mit “Linker Politik” zu tun, mit Widerstand und Auflehnung, mit Kritik und “Sich dem Konformen wiedersetzen`, eine Projektionsfläche ergo für den alltäglichen emotionalen Mief den wir nicht so richtig wagen in der Realität auszuleben. Meist wird es einem als nostalgisch als romantisierend unterstellt wenn mensch davon schwärmt wie wunderschön diese ganze Getue und Gehabe früher war.

Auch damals empfanden wir vieles als Scheisse aber hey! zumindest wurde das dann nicht in einer 10000 Auflage auf Hochglanzpapier in einer Wüste von Reizüberflutung- Punk als Kapitalanlage- thematisiert und den Menschen sogar noch als “du darfst abstimmen was wann wie besser war” verkauft! Das von dir angesprochene Spektrum ist und wird auch in Zukunft der Ort sein wo Petrograd sich wohl fühlt und agiert. Auch wenn es manch eine/r kopfschüttelnd als “festgefahren” oder “überlebt” bezeichnen wird, es ist für uns immer noch verdammt wichtig. Wir sind 5 Leute in der Band und haben zum Teil 5 unterschiedliche Meinungen und das zu fast jeder Thematik, aber wir kommen fast immer auf einen gemeinsamen Nenner ohne uns dabei gegenseitig zu belügen.

Als die Majorlabel Geschichte aufkam und auch jetzt als wir die Möglichkeit hatten das neue Album über Sony zu vertreiben (hätte unter anderem Barcode bedeutet) gab es gewiss lange Sitzungen innerhalb der Band. Es gab sie schon, die Argumente dafür doch wir wollten nicht den Fehler begehen, uns im Endeffekt selbst zu belügen! Wir sind keine radikale Polit-Band wir sind primär 5 Leute die Bock darauf haben einen bestimmten Sound zu produzieren und Leute zu unterhalten, aber das beinhaltet ja nicht Gleichgültigkeit und Konformität! Entertainment yes, infotainment yes, aber alles soll und muss Spass machen sonst ist es für`n Arsch.

Ich muss hier aber noch hinzufügen dass es zur Zeit auch innerhalb dieses Spektrums zu einem doch recht radikalen Umbruch kommen kann, denn mittlerweile wird vermehrt nach einer Positionierung gerufen, was Antisemitismus angeht und da gehen die Meinung doch sehr weit auseinander! Mensch redet ja heute schon davon, dass genau mit dieser Diskussion die “Linke” gespalten werden soll, und wenn dem so ist dann würde das auch besagtes Spektrum treffen, oder besser gesagt diejenigen die auch die Verbindung immer noch herstellen zwischen Punk/Hardcore und Ideologie!

Das verstehe ich jetzt nicht, vielleicht erklärst Du das noch mal anders.

Diff: Der moderne Antisemitismus, wie er auch in der Linken zum Vorschein kommt hat (zumindest in linken Kreisen) fast nichts mehr zu tun mit dem “hass auf juden” aufgrund von Herkunft und Glaube sondern er wird 1) in der personifizierten verkürzten Kapitalismuskritik zelebriert und hängt mit der pathetischen Projektion eng zusammen! Während die moderne Warengesellschaft, der auch die Punk Szene angehört, den produktiven Teil der Kapitalverhältnisse immer noch romantisiert und hochjubelt wird alles Abstrakte wie die Zirkulationssphäre verteufelt und wird im Juden biologisiert! 2) versuchen viele linke ihren antisemitismus im antizionismus zu tarnen, wobei “der antizionismus im antisemitismus enthalten ist wie das gewitter in der wolke” (jean améry).

Sprüche wie “boykottiert israel” stehen an besetzten Häuserwänden, der palästinensische Widerstand wird kritiklos hingenommen ohne dabei in Betracht zu ziehen, worauf dieser Widerstand basiert. Das alles kann sicherlich nicht in 1 oder 2 Sätzen erklärt werden. Dazu gehört wesentlich mehr nur ist es doch mittlerweile so dass die Frage um die “Solidarität mit Israel” zu einem zentralen Streitpunkt gekommen ist die spaltet was meiner Meinung nach auch gespalten werden muss!!! (Ich belass das jetzt mal hier dabei wenn ich das aber ausführlicher kommentieren soll dann kann ich das machen aber das wird ein ganzes Heft füllen*)

Vor einigen Jahren hattest du dem Trust auch einmal einen Leserbrief geschrieben, in dem Du Torsten für die Demontage der belgischen Band Liar dankst. Offensichtlich hast du einiges mit der belgischen H/C-Welt zu tun, auch wenn ihr musikalisch nicht so klingt Verfolgst Du diese ganzen metal-lastigen Bands? Wie wird Hardcore 2003 bis 2005 aussehen?

Diff: Kann mich noch so in etwa daran erinnern…. zum Glück muss ich aber sagen dass wir gar nix mit solchen Menschen zu tun haben! Vor 13,14 Jahren war es nun mal so, dass Ieper so was wie ein Hardcorehausen Belgiens war (ähnlich wie es einst Hannover oder Homburg in der BRD war….um nur einige zu nennen) und nur einige Stunden von Luxemburg entfernt. Mit Subway Arts und No More haben wir öfters dort gespielt; u.a. mit Mdc, Tribe 8, Disaffect, Sedition, Nations on Fire, Born Against etc etc und du konntest ziemlich genau analysieren wie einige Leute sich vom Crustie zum vegan SxE, vom wichsenden Pornoliebhaber zum militanten Abtreibungsgegner “entwickelten”.

Was aber immer gekoppelt war mit aufwendigen Plattenkäufen, denn die Inspirationen zu solchem Fehlverhalten lieferten nicht etwa literarische Fachzeitschriften sondern die Lyrics und Beats vom Plattenteller! Meist handelte es sich dabei um gestörte ChauvinistInnen, die sich in der öffentlichkeit aber niemals trauten ihren Hass auszuleben also suchten sie nach Kanalisationswegen, die sie im SxE und was auch immer sehr gut wiederfanden.

Anno 2003 hat sich dort immer noch nichts verändert. Die alten Säcke sind zwar meist von der Bildfläche verschwunden oder agieren via eigenem Online-shop und haben ausser, dass sie die Titel ihrer Platten in den Computer tippen eigentlich sonst nix mehr mit Hardcore am Hut, aber es gibt genügend Leute die den alten Mist 1 zu 1 übernommen haben und weiteren Mist drangehängt haben. Dieses Phänomen ist aber auch in Deutschland und fast europaweit festzustellen… the tough guys are back in town! Der Männlichkeitswahn er lebt und spiegelt sich so schön wieder – im harten metal (militaristisch, diffamierend und einfach nur dümmlich) den die Welt angeblich wieder braucht.

Es wundert mich, dass die uralten Metal-Kutten wie sie bekannt sind von den Mullets (Vokuhila) der pre Metallica ära, noch keinen Einzug gefunden haben in die Hardcore Tempel !!! Oder vielleicht wurden sie ja von den Vegan Reich Emblemen ersetzt?? Nicht nur dass ich mit dem Sound nix aber auch gar nix anfangen kann, “metal gives us a headache” hiess mal eine Hippiecore Compilation. Ich finde dieses Auftreten vor allem sehr sehr bedenklich! Gib es eigentlich eine einzige Frauenband, die typisch sind für den Metal Hardcore ist? Ich persönlich kenne keine! Gibt es viele militante Schwulen Metal Hardcore Bands? Wo Hardcore 2003 / 2005 stehen wird??

Hm ich muss sagen ich hoffe dass er komplett verschwunden ist. Oder sagen wir so, ich gehe davon aus dass die Industrie noch 1 oder 2 Jahre lang diese gesamten Aerobicbands aus opportunen Beweggründen unterhalten wird und dann wird mensch sich davon trennen und die übrig-gebliebenen entsorgen (in 10 jahren dürfen sie dann revivalen) ähnlich wie das mit dem Green Day Punk geschehen ist! Weniger mediale Vermarktung bedeutet rückläufige Plattenverkäufe, schlechtbesuchte Touren, zu wenig verkauftes Merchandising etc. .

Wer erinnert sich heute noch an Nirvana die einst jeden tag im Radio zu hören waren! Heute wird das Zeugs nicht mehr gespielt weil es a) für die Popkultur wieder viel zu laut ist b) für die tatooed tough guys zu sehr nach “schwulem Weicheier-Getue” klingt und damit hat es sich erledigt! Dann wird sich einiges wieder normalisieren, das Interesse vieler wird zurückgehen und diejenigen werden überbleiben die eh schon immer übergeblieben sind! Oder ist das wieder mal nur ein Wunschtraum von mir? Kann sein. Ich finde, dass es vor allem für junge Menschen immer schwieriger geworden ist sich nicht der Uniformität, dem Mainstream zu entziehen weil er heutzutage überall vorhanden ist!

Der heutige Zeitgeist ist im Verhältnis zu dem der Achtziger Jahre, in dem wir beide aufgewachsen sind, deutlich unpolitisierter. Auf der einen Seite ist “anything goes” möglich und man wird kaum bei irgendeiner persönlichen Ausdrucksform behindert, auf der anderen Seite gibt es keine kollektiven Bewegungen mehr, die eine irgendwie geartete Veränderung suchen. Auch in den Medien gross aufgezogene Gruppen wie z.B. Globalisierungsgegner scheinen ausser als reality-TV-Futter keine besondere Bedeutung zu haben. Wie wird sich das alles weiterentwickeln?

Diff: Ich glaube, dass wir in einer Zeit aufgewachsen sind, als es noch hiess : “wir wollen dies und das verändern. Wir wollen neue Perspektiven schaffen.” Ich kann mich ziemlich gut daran erinnern, dass Themen wie Umweltschutz, Anti-atomkraft, Rassismus und Tierschutz sehr aktuell waren (noch nicht institutionalisiert) und wir wollten Veränderungen mittragen.

Der Kommunismus wurde in Luxemburg immer sehr romantisiert, es waren allem voran AltstalinistInnen und auch TrotzkistInnen die versuchten nebst den “frischlingen” (die grünen) für ihre Interessen die Jugend zu mobilisieren und zum Teil gelang es ihnen auch! Als ich 15 war wollte ich unbedingt der revolutionär sozialistischen Partei beitreten, ich glaubte nur ein Kollektiv wie diese Partei könnte mir persönlich nicht nur eine Familie sein die ich nie hatte, sondern sie könnte mir Perspektiven bieten die ich selbst nicht imstande war zu formulieren geschweige denn in der Praxis zu konkretisieren.

Wir wollten damals den Schritt vom isolierten Individualismus, der aufkommenden Egomanie nicht mitgehen, wir wollten die Gemeinschaft – alles andere schien sekundär gar uninteressant und mit Vorsicht zu geniessen! Heute leben wir in einer Gesellschaft der IndividualistInnen (mehr oder weniger.) Meinungen werden immer noch diktiert wenn auch vielschichtiger und in die Bandbreite grösser geworden ist, aber du hast heute die Möglichkeit der unendlichen Selbstverwirklichung welche sich primär auf Finanzlage und Konsumeigenschaften reduziert!

Spassgesellschaft und Schnelllebigkeit sind nicht umsonst für mich 2 Schlagwörter die sehr wohl die Zustände vor allem in westlichen Industriestaaten beschreibt, und, dass die Spassgesellschaft seit dem 11. September dabei ist sich kontinuierlich, leider mit langsamen Schritten, wieder “aufzulösen” kann auch ein Indiz dafür sein, dass sich diese Form des “egoanarchismus” totgelaufen hat! Ich glaube dass vor allem die jetzige politische Lage, dass Themen wie Globalisierung und auch der bevorstehende Krieg im Irak, in Zukunft dafür sorgen werden, dass manch änderung in den Köpfen junger Menschen stattfinden muss. Dieses Umdenken kann aber nur dann geschehen wenn wir lernen differenzierter mit den Problemen umzugehen die unseren Alltag bestimmen!

Seit der Realsozialismus nicht mehr existiert, gibt es für die Menschen den Marxismus nur noch in Form terroristischer Gewaltherrschaften, in Form von Diktatur und Totalitarismus, so wie er uns immer schon vermittelt wurde und deshalb eine Ideologie ist die dem Jugendlichen von heute (wie schon damals) nur ein Greuel sein kann.(ich mag das Wort Anarchismus ja fast nicht erwähnen !!) Es gibt ja nur noch den Kapitalismus und damit wir gegen steuern können wird zur Zeit die “anti-globalisierungsbewegung” als DIE “antikapitalismus, anti-imperialismus bewegung” stilisiert und gefeiert!

Und was ist mit der Neuen Deutschen Wertkritik? Geht das jungen Menschen nicht alles viel zu schnell? Während endlich die “bösen” ausgemacht waren und jede/r wusste was zu bekämpfen war wird einem nun erzählt, dass das doch wenig dazu beiträgt sich vom Kapitalismus zu emanzipieren! Da ist es doch viel leichter sich mit den “einfachen Dingen” im Leben zu befassen und debattiert wird dann höchstens noch wer schlussendlich Deutschlands neuer Superstar werden soll!

Gibt es eine Conspiracy theory, die Du besonders cool findest oder an die Du glaubst?

Diff: Conspiracy theory bedeutet meines Wissens nach übersetzt “Verschwörungstheorie” und das interpretiere ich als etwas das sich anbietet, um vom Mainstream abweichende Meinungen ohne weitere Diskussion zu diskreditieren. Es gibt in der Weltgeschichte vieles, was noch einer Erklärung bedarf, dies aber dann gleich als Verschwörung zu bezeichnen finde ich zu simpel und teilweise unreflektiert!

Aber es hat natürlich immer Wirkung und ich glaube seit das Internet Einzug gefunden hat in unseren Alltag werden auch Verschwörungstheorien wesentlich “populärer” ! Ich habe selbst keine “Lieblingsverchwörungstheorie” kann mich aber sehr gut damit anfreunden den Mord an JK Kennedy so wie er sein soll zu hinterfragen, das gleiche gilt für die Roswell Theorie und den angeblichen Film über eine Alien Obduktion, den ersten Mann auf dem Mond (soll das wirklich Armstrong gewesen sein??), die Geschichte der RAF scheint mir ebenfalls recht schleierhaft.

Ich finde persönlich, dass der 11. September meiner Ansicht nach etwas “undifferenziert” dargestellt wird, so fällt doch stark auf dass wenig darüber gesprochen wird, dass die Flugangriffe der bekennenden Jihad Anhänger dabei New York als “jüdische Stadt” definiert haben und somit mit dem fall der Twin Towers die antisemitische Warnung auch an Israel ging. “Verschwörungstheorien” werden sehr gerne mit dem “internationalen Judentum” in Einklang gebracht, die “Weltherrschaft der Zionisten” wird besonders in fundamentalistisch Islamischen Kreisen heraufbeschworen! “Der Imperialismus ist ein Produkt der Juden, nein der Jude ist der Imperialist!”

Solche Sprüche kennen wir gut und hören sie oft (sogar innerhalb der linken ) und ordnen sie ebenfalls den Verschwörungstheorien zu, ich gehe sogar so weit zu sagen, dass wenn immer von Verschwörungstheorie gesprochen wird (fast immer fast überall!!) fällt auch der Begriff “Zionismus”. Neulich habe ich beispielsweise gelesen, dass es der Mossad war der angeblich den Mord an über 3000 Menschen mitorganisiert hat und dass deshalb fast keine jüdischen ArbeiterInnen im World Trade Center gestorben sind weil der Mossad sie per email benachrichtigt hatte! Alleine den Medien für solchen Wahnsinn die Schuld zu geben ist viel zu einfach, denn die wahren Drahtzieher hinter diesen Hasstiraden sitzen ganz wo anders!

Wir müssen alles hinterfragen können und Fakten müssen für jeden Menschen zugänglich sein, ich halte es für falsch die Menschen gezielt uninformiert zu halten denn es ist doch die Unwissenheit die einen oftmals gefügig macht und Wissen wird dann zur Waffe wenn sie die Wahrheit enthüllt! Deshalb müssen wir für freie Meinungsäusserung kämpfen und dafür sorgen, dass die Aufklärung nicht Sache des Staates ist der diese kontrolliert und steuert sondern, dass sie wertfrei von einem aussenstehenden Organ praktiziert wird.

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Interview: Daniel

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