Februar 18th, 2007

PANSY DIVISION (#61, 12-1996)

Posted in interview by sebastian

Das Gespräch fand am 29.5.96 in Bochum statt, Jon spielt Gitarre und Chris zupft den Bass und singt.

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Hat euer Bandname eine spezielle Bedeutung?

Jon Ginoli: In den USA wird die Blume Stiefmütterchen (Pansy) gleichfalls als ein abfälliger Begriff gegenüber Homosexuelle benutzt. Wie: ‚Schau, da ist ein Stiefmütterchen‘.

Ihr selbst bezeichnet eure Musik als Queercore oder homosexuelle Musik. Wie definiert ihr Queercore?

Chris Freeman: Queercore ist ein guter Ausdruck, weil er nicht mit Klischees überladen ist, wie es etwa bei Punk der Fall ist. Punk hat sehr viele unterschiedliche Bedeutungen. Dagegen ist Queercore eine neue Bezeichnung, die uns musikalisch nicht eindeutig etikettieren kann. Queercore ist viel stärker mit Vorstellungen von homosexuellen Menschen besetzt, bedeutet: Musik für dich selbst zu gestalten, ehrlich und offen über die Wege deiner eigenen Homosexualität zu sein, eben queer zu sein.

Jon: Spezieller Charakter von Queercore ist die Eigenart, dass damit unzertrennlich ein Rock- oder Punkelement verbunden ist. Ein Folksänger würde sich niemals dem queercore zugehörig fühlen.

Wo ist Queercore entstanden, in den Vereinigten Staaten oder in Europa?

Jon: Ursprünglich entwickelte er sich in Kanada und an der Westküste der Vereinigten Staaten. Dort sind auch die ersten Bands gegründet worden.

Fühlen sich nur Schwule damit angesprochen oder empfinden ebenfalls Lesben eine Nähe dazu?

Chris: Aktuell sind insbesondere ‚Lesbenbands‘ im Queercore eingebunden, wie z.B. Tribe 8, Team Dresch, 5th Column. Wir sind beinahe die einzige schwule Männerband im Queercore-Genre die nach wie vor existiert.

Es existiert eine Bewegung die sich ‚Riot Grrrl-Movement‘ nennt. Vor ein paar Monaten spielten Bikini Kill in der BRD. Findet ein Austausch zwischen euch statt oder seid ihr sogar vernetzt?

Jon: Wir spüren, dass ihre Ziele und Ansichten sehr nahe zu unseren sind, wir sind Unterstützer von ihnen. Riot Grrrl sind in der Presse von bestimmten Männern angeklagt worden, denen es nicht gefällt, dass Frauen sich selbst behaupten und sie suchen deshalb Gründe, um sie an den Pranger zu stellen. Riot Grrrl bekämpfen Sexismus und andere Vorstellungen, wir kämpfen gegen Homophobie in einer ähnlichen Weise.

Wo liegt der Unterschied zwischen Queercore und der anderen mainstream Schwulenkultur?

Chris: Mehrheitlich wird von der Schwulenkultur gesagt, dass du Judy Garland zuhören musst, in die Disco gehen sollst, in einer bestimmten Weise auszusehen hast, du deine Muskeln aufbauen musst. Wir haben damit nichts am Hut, unser Teil geht eher in diese Richtung: Wir möchten keine versteckte Sexualität leben, wir wollen das nicht. Wir wünschen uns keine Mischung mit Heterosexuellen, wie es sonst vorgegeben wird. Wir sagen was wir denken. Wir wollen uns nicht in der Art und Weise kleiden, wie es normalerweise zu sehen ist. Ich mag nicht den Weg wie alles geformt und vorbestimmt wird. Ich will lieber natürlich, authentisch sein.

Jon: Es ist mehr individuell und weniger konformistisch. Ich möchte noch eine Begebenheit angefügen, die in meinem Leben passiert ist: Jemand sprach über mich und sagte: ‚Er kann nicht schwul sein, er sieht nicht aus wie Judy Garland‘. Genau gegen diese Art von engstirnigem Denken innerhalb der Schwulenkultur sind wir.

Existieren mehrere Gay-Bands in den USA? Denkt ihr, dass es der Anfang einer Bewegung ist?

Chris: Gewöhnlich fangen Sachen klein an und werden dann grösser. Deshalb denke ich, dass wir am Anfang stehen. Leute beobachten uns um zu sehen, was mit uns und um uns passiert. Sehnlichst wünsche ich mir, die Entwicklung vieler neuer Gay-Bands verfolgen zu können, leider sind es aber nur einige wenige.

Wie ist eure Position zu Pet Shop Boys oder Queen?

Chris: Ich mag Queen, ich mag Pet Shop Boys. Queen ist anders. Queen wollten niemals out sein, erst nachdem Freddy gestorben war wurde er geoutet. Immer wurde vermutet, dass er wahrscheinlich schwul sei, aber es wurde niemals bestätigt. Ordne ihn also in eine andere Kategorie ein.

Jon: Pet Shop Boys verdrängten die Frage lange Jahre. Dann fingen sie an AIDS-Benefits und ähnliche Dinge zu unterstützen, wodurch sie anfingen mehr out zu werden. Sie sind wie Morrissey. Jeder weiss das sie schwul sind, aber sie würden nicht darüber reden.

Chris: Ich mag Pet Shop Boys, aber ich mag nicht den Zustand, dass sie Diskomusik spielen. Mir gefällt nicht, dass es Diskomusik sein muss damit es von der Schwulenkultur akzeptiert wird.

Jon: Pet Shop Boys sind äusserst interessant, weil sie Musik machen, die sehr typisch für das Schwulen-Dancemusic-Genre ist. Bei einigen Spielarten halten sie an den alten schwulen Stereotypen fest. Ab und an sind sie interessant. Sie verwenden all die Remixe welche nirgendwo gut klingen, ausser im Dancefloor. Einiges von dem Themenstoff den sie ständig verfolgen gleicht dem ‚der alten Garde‘.

Sie sind nicht viel älter als wir, aber es scheint mir, als wäre zwischen uns und ihnen eine grosse klaffende Grundsatzfrage über bestimmte Arten von Musik vorhanden. Bedeutet: Sie sagen das Rockmusik so müde und abgegriffen sei; dagegen sind die Theatershow-biz-Klischees die sie benutzen, aber sogar noch älter und noch mehr überholt.

Letzte Nacht wurde in eurer Show ein Lied durch den Kommentar eingeleitet ‚Ich mag Sean Connery, James Bond ist mein Freund‘. Was steckt dahinter?

Chris: Die meiste Zeit liebte ich ältere Männer. Sean Connery ist immer jemand gewesen, ich war in ihn verknallt als ich jünger war. Es war wie ‚Wow, er ist der Typ den ich haben möchte‘. Dann hatte ich einen Freund der sich für Fesseln erregte, er hat sich verschnüren lassen, hatte Leder und Brustwarzenringe. Mit ihm erlebte ich Erfahrungen im S/M-Bereich. Eines Tages sagte mein Freund in einer lustigen Weise etwas über den gefesselten James; deswegen kam Sean Connery schliesslich als ein gefesselter James Bond dabei heraus.

Was sind die Inhalte eurer Lyriks? Handeln sie mehr über homosexuelle Fragestellungen?

Chris: Da wir homosexuell sind, kommt all unser Material aus einer homosexuellen Betrachtungsweise. Nur weil unsere Lyriks aus einem schwulen Blickwinkel geschrieben sind, bedeutet es aber nicht, dass du sie nicht nehmen und auf einen anderen Typ von Beziehung oder heterosexuelles Verhältnis anwenden kannst. Jemand der heterosexuell ist und nichts über schwule Kultur kennt oder etwa nichts darüber wissen will, kann hoffentlich feststellen:

‚Oh, ich kann zu diesem Lied eine Beziehung finden. Es unterscheidet sich nicht von dem was ich sonst erlebe.‘ Wir hoffen, dass den Leuten klar wird, dass es keine Differenz gibt. Das ist es, was wir wirklich erreichen wollen. Es ist wie Linkshänder oder Rechtshänder zu sein und du brauchst trotzdem beide Hände. Es ist immer die gleiche Sache, ob du mit der rechten Hand Sachen hebst oder mit der linken Hand schreibst.

Jon: Wesentlicher Teil der Motivation eine Band zu gründen war aber auch, dass Leute die wir kannten und die wussten, dass wir als Schwule in anderen Bands vor Pansy Division aktiv waren, sagten: ‚Ihr könnt wirklich nicht out sein. Ihr könnt tatsächlich darüber nicht viel reden, weil ihr dann verschrien sein werdet als die Schwulenband‘. Es schien so, dass in der Rockmusik niemand die Dinge aus einer schwulen Sichtweise betrachtete. Für uns war es offensichtlich, dass es Leute interessant finden würden, wenn wir kommen und über unser homosexuelles Leben und unsere Phantasien sehr offen singen würden.

Als Teenager hatten wir Jahre darauf gewartet und es wäre etwas gewesen, was uns sehr geholfen hätte. Etwas das out und offen war, unterhaltsam und spassig, aber eben auch innerhalb der Musikszene stattfand in der wir uns bewegten. Schlaue Kabarettkünstler, out und pro schwule Sachen spielend, hätten wir nicht mitbekommen, weil wir uns stark in der Szene der Rockmusik und Popmusik befanden. Somit wollten wir mit Pansy Division das negativ besetzte Image als schwuler Musiker aufnehmen und dann umdrehen, in etwas positives.

Chris: Schau dir Freddy Mercury an. Er konnte sich nie outen. Er fühlte sich nicht angenehm dabei, sein coming out zu erleben. Ich denke, es ist ein Skandal. Ich will niemals wieder sehen, dass so etwas passiert. Viel lieber will ich Menschen sehen, die völlig ehrlich zu sich selbst sind. Rock Hudson ist ein weiteres Beispiel. Dafür gibt es keine Notwendigkeit. Es gibt keine Notwendigkeit für jemanden zu fühlen, dass er kein Schauspieler sein kann oder keine erfolgreiche Karriere als Musiker führen kann, nur wegen seiner Sexualität.

Viele Leute sagen aber: ‚Sexualität macht etwas aus‘. Frauen würden keine Phantasievorstellungen über Rock Hudson haben, wenn sie wüssten, dass er schwul ist. Das ist falsch, weil ich viele Frauen kannte die wussten das ich schwul bin und sich trotzdem in ihrer Phantasie vorstellten, dass ich heterosexuell lebe. Diese falsche Auffassung wollen wir ändern.

Denkt ihr, dass in den Vereinigten Staaten eine spezielle Homophobie existiert?

Chris: Homophobie existiert überall, sie drückt sich nur verschieden aus. In den Staaten sind mehr Leute aktiv gegen Schwule, weil sie die Bibel benutzen. In den USA ist die Bibel sehr populär und somit tendieren die Leute dazu, sich auf die Bibel zu berufen und sagen: ‚Aber Gott hat gesagt‘. Wie kannst du darauf reagieren? Alles was ich sagen kann ist: ‚Ich glaube nicht an die Bibel. Ich glaube nicht an Gott, es betrifft mich nicht.‘ Aber für sie wird es immer richtig sein und sie können nicht ihre Position ändern. Solange sie die Bibel als Grundlage ansehen, wird es noch ein langer Weg sein.

Was für ein Publikum geht in den USA auf eure Konzerte?

Chris: Unser Publikum ist hauptsächlich heterosexuell. Oftmals setzt sich unser Publikum aus einer Mischung von Schwulen und Heteros zusammen, aber fast immer ist eine riesige Mehrheit hetero, weil die Musik welche wir spielen den Ausschlag ergibt. Dieses ist durch den Fakt begründet, dass eine Menge von schwulen Leuten sich nicht in Rockclubs wohlfühlen. Wir sind davon überrascht, weil wir dachten unser Publikum würde klein und schwul sein, aber unser Publikum ist grösser und heterosexueller als wir antizipiert hatten.

Wir spielen aber keine Musik um irgendjemanden auszuschliessen, da wir uns selber in einer bestimmten Weise ausgeschlossen fühlen, somit wollen wir nicht, dass nur schwule Leute unsere Musik anhören. Wir alle gehen mit heterosexuelle Freunden um und die Band hat einen heterosexuellen Drummer, Dustin. Wir sind nicht antiheterosexuell. Wir mögen die Tatsache, dass das Publikum gemischt ist.

Ihr seid aus San Francisco. Unterscheidet sich die dortige Situation von den restlichen Teilen der USA?

Chris: Auf jeden Fall! Wir kommen alle von verschiedenen Orten, wir sind alle in San Francisco gelandet. San Francisco scheint wahrscheinlich die einzige Stadt ihrer Art in den USA zu sein. Sehr offene Ansichten, die Leute sind entspannt und sie lassen die anderen Leute so wie sie sein wollen. Sie ist beinahe die typisch europäischte Stadt in den Vereinigten Staaten. Die Musikkultur ist so vielfältig. Man kann jeden Typ von Musikband dort finden, es gibt Primus, Faith No More, and Green Day, Rancid, Santana, … alles. Als Zugabe gibt es noch die Schwulenkultur.

Wenn du in den Vereinigten Staaten schwul bist gehst du entweder nach New York oder nach San Francisco. Somit gibt es dort sehr viele verschiedene schwule Menschen. Das ist etwas, was ich sehr mag. Ich bin in Seattle geboren und die Schwulenkultur war dort so schrecklich. Dort habe ich mich nirgendwo in der Schwulenkultur wohlgefühlt und dann bin ich nach San Franzisco gezogen. Ich fand dort eine Musikkultur der ich mich anschliessen konnte und eine Schwulenkultur. Das ist perfekt. Ich glaube nicht, dass diese Band in irgendeiner anderen Stadt in den USA entstanden wäre. Es musste definitiv in San Franzisco passieren.

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Interview & Fotos: Stephan Siedler

(Grüsse an Uwe in Bochum)

Links (2015):
Wikipedia
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