März 14th, 2007

NACHRUF AUF TOM DREYER

Posted in artikel by andreas

TOM DREYER

Er wollte sein Leben lang Veränderung, nichts war ihm ferner als Stillstand, und wenn genügend Reibung da war, war er in seinem Element – zumindest hatten Aussenstehende diesen Eindruck. Aber wollte er das wirklich, oder war es nur Teil seiner aufwändigen Suche nach seinem Platz in dieser Welt? Einer Welt, die er immer aufgeschlossen und interessiert belebt hat, die den rastlosen Tom immer wieder herausforderte, ärgerte und im nächsen Moment auch schon wieder glücklich machte. Glück, besser Zufriedenheit (denn die basiert auf Entscheidung), das war vielleicht das Ziel das Tom vor Augen hatte, kein aussergewöhnliches Ziel, aber sein Weg, es zu erreichen, war mehr als aussergewöhnlich und beachtenswert.

Dass er seinen Platz dann tatsächlich gefunden hat und wie dieser aussah, hätte den jungen Tom wohl noch am meisten selbst überrascht, hätte man es ihm sagen können. Wir waren beinahe sein halbes Leben lang zuerst Bekannte, wurden über die Jahre dann Freunde. Tom kam Ende 1990 über sein Engagement in der Bremer Punk/Polit-Szene (Mitarbeit bei Change Music – einer lokalen Konzertveranstaltergruppe, Texte in der Zett – der Hauszeitung vom Schlachthof, um nur ein paar der Aktivitäten zu nennen) zum Trust.

Sein erster Beitrag erschien in Heft # 25 und war ein Interview mit Alice Donut. Viele mehr sowie Plattenkritiken und später auch Kolumnen sollten folgen. Eine Liebe, die ihn bereits sein ganzes Leben begleitete, war die Musik. Er war nicht einfach nur Musikhörer; er war leidenschaftlich bei der Sache, interessiert, begeisterungsfähig, neugierig – ein Fan wie ihn sich jede Band nur wünschen kann. Liebevoll sammelte er Schallplatten, war dabei aber kein klassischer Sammler – wenn man mal von Sonic Youth absieht, einer seiner langjährigen Lieblingsbands.

Eher war er ein Bibliothekar, der seine Schätze hütet, weil sie Wissen sind, und das hatte Tom. Man konnte ihn eigentlich fragen, was man wollte: Wer wann wo spielte, welche Platte mit wem aufgenommen hatte oder sonstiges, das man sonst in – nicht vorhandenen – Lexika nachschlagen hätte müssen. Tom hatte immer Antworten, und wenn die passende fehlte, wurde die Lücke eben mit anderen interessanten Geschichten gefüllt, aber eine Antwort gab es immer, und irgendwie war man danach auch zufrieden.

Nicht so Tom, immer auf der Suche, immer auf Trab, irgendwann dann mal auch mehr durch die Nacht als den Tag, immer in Bewegung. Warum diese Bewegung ihn trotz seiner lebensbejahenden Art irgendwann zu Drogen greifen liess, die die meisten, die sie auch aus den falschen Gründen nehmen, aus der Bahn werfen, bleibt unerklärlich. Die Gründe mögen in seinem zerrütteten Elternhaus zu suchen sein, aber das war in einer Zeit seines Lebens, als wir ihn noch nicht kannten.

Wahrscheinlich hatte ihn das Heroin genauso abgestossen wie es ihn angezogen hat – aber es hätte ja auch ein Weg sein können, also musste das versucht werden. Für Tom war es keiner, und umso toller war es, dass er nach einigen Jahren zwischen Therapie, Entgiftung, Rückfall, einer damit einhergehenden Entfremdung vom Alltag, dem Trust, seinen Freunden und Wertvorstellungen (und wohl noch so einigem anderen) Anfang des Jahres 2001 wieder da war. Sauber, geläutert, etwas unsicher ob seiner neuen Situation, die ihn letztendlich an einen Platz im Leben bugsierte, den er wohl nicht wirklich erträumt hatte, der aber für ihn in der Situation Regelung und Rettung bedeutete und deshalb wichtig war.

Und er sollte Recht behalten: Das war der Anfang von einem, man möchte fast sagen: zweiten Leben. Nennen wir es profan einen Neuanfang. In der von ihm so gehassten kapitalistischen Arbeitswelt, von der er nie wirklich ein Teil sein wollte – nun war er es, und dass auch noch am untersten Ende. Was soll ein intelligenter Mensch wie Tom dort? Hochkommen. Und hoch kam er. In einem ihm eigentlich völlig fremden Job kletterte er binnen kürzester Zeit nach oben. War er am Ende Abteilungsleiter oder Hallenleiter? Spielt keine Rolle, er war gefordert, in Bewegung und es gab Reibung täglich, auch gerne viel mehr Stunden als ihm nötig, also genau sein Element.

Mittlerweile hatte er auch dem Norden Deutschlands den Rücken zugewandt und lebte in Italien. Nicht nur das, er fand dort auch eine wunderbare Frau zur Partnerin, die beiden liebten sich über alles. Aber ist das nicht ein Widerspruch, aus den alternativen Zusammenhängen seiner frühen Jugend in eine vermeintlich spiessige Situation? Nein, denn zum einen hat er probiert, wie das so ist, wenn man sich selbst ausbeutet, ständig den Spagat zwischen ideologischer Korrektheit und den Realitäten und Zwängen der Kapitalwelt zu machen.

Zum anderen erschien es ihm schlüssiger, einfach nur Musik-Fan zu sein, statt zu versuchen, mit seiner Leidenschaft den Lebensunterhalt zu bestreiten. Und ausserdem lebte er nicht für die Arbeit, sondern arbeitete, um zu leben. Sein Job war ein Werkzeug, um ihm Dinge zu ermöglichen, die er gerne tat. Und seine Leidenschaft gehörte immer noch der Musik, nicht mehr ganz so sehr wie früher, aber immer noch abseits mit Geschmackssicherheit in den Gewässern des Undergrounds fischend. Oft wurde er fündig, oft konnte man darüber hier im Heft lesen.

Das waren aber auch Reisen, gern in ferne Länder, oder mal eben übers Wochenende zu einem Konzert, das er unbedingt sehen wollte. Dadurch dass er sein Werkzeug (also seinen Job) hatte, war das für ihn mittlerweile auch zu finanzieren. Laut, laut war nicht nur oftmals die Musik, die er hörte, laut war er auch selbst. Wenn Tom im Raum war, wusste jeder: Tom ist da.

Und er wusste sich auch gern einer gewissen Nachdrücklichkeit zu bedienen, wenn es darum ging, seine Meinung kundzutun – manchmal auch nicht zur Freude aller Anwesenden. Aber so ist das mit einem suchenden, unsteten Menschen, der auch der Reibung nicht ausweicht, da kann es dann eben auch mal laut werden. Vielleicht erklärt ein Zitat aus dem Lou Reed Song „Who am I“ am besten die Rastlosigkeit von Tom Dreyer: “ I hate that I need air to breathe, I wanna leave this body and be free“.

 

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0