Moving Targets aus #201, 2020
Mir fallen nur sehr wenige Punk oder Hardcorealben ein, die mich so restlos begeistern wie „Burning in Water“ von den Moving Targets. Es gleicht bei mir bis heute einer feierlichen Zeremonie, wenn ich die Platte auflege, die schneidenden Gitarren und das grandiose Schlagzeug losbricht und letztendlich Kenny Chambers mit seinem hymnisch, melodischen Gesang einsetzt. Von ein auf dem anderen Moment, fühle ich mich wie in den Bann gerissen und es gibt auch kaum eine Platte, bei der ich so einen großen Spaß daran habe, wild mit meinen Händen und Armen herumzufuchteln, um das Gitarren und Schlagzeugspiel nachzuahmen oder bei Songs wie „The Other Side“, „Faith“, „Let me know why“ und vor allem „Always Calling“ (einer meiner ewigen Lieblingssongs) enthusiastisch mitzusingen.
Besser geht dann wirklich nicht mehr. Oder sagen wir es so, wenn es eine Band gibt, die auf Albumlänge gleichwertig, hohes Songmaterial abliefern konnten wie Hüsker Dü, dann fällt mir in erster Linie das Debüt von Moving Targets ein. Nach ihrem Debüt stieg Kenny Chambers bei BULLET LAVOLTA ein und schrieb auch mit diesen Punkrockgeschichte. Die Moving Targets pausierten daher drei Jahre bis 1989 mit „Brave Noise“ ihr zweiter Longplayer folgte, der wesentlich melodischer und melancholischer ausfiel. Womit MT eine Weiterentwicklung durchmachten, die als zeitlos und innovativ zu werten ist, denn im Grunde genommen nahmen sie die Evolution des so genannten Emocore vorweg. Und auch ihr neues Album „Wires“ ist überraschend gut geworden.
Zwar knüpft es, wie zu erwarten, nicht an ihr Debüt „Burning in Water“ an, denn dafür fehlt schlichtweg die jugendliche Energie und der treibende Enthusiasmus von Pat Bradys Schlagzeugspiel. Aber mit den anderen Moving Targets-Alben kann „Wires“ definitiv mithalten. Denn „Wires“ ist kein solch beliebiges, solides Spätwerk, das man aus Mangel an Motivation und Einfällen, mal so halbherzig auf den Markt schmeißt. Vielmehr bemerkt man das die einzelnen Songs ausgereift und durchdacht sind und schon mehrere Jahre auf dem Buckel haben, weil sie davor schon in Kennys Vorgängerband AMERICAN PULVERIZER vertont wurden.
Auf dessen Bandcampseite, gibt es übrigens noch zwei weitere Moving Targets-affine Songs zu hören, die es nicht auf das aktuelle Album „Wires“ geschafft haben. Das punkrockige „Valium Dolls“ und das düstere und verzweifelte „Substitution“ mit der wiederholenden Textpassage „Just another Substitution“. Ein großartiger Song, den Kenny Chambers aber als zu metallastig empfand. Im folgenden Interview, versuche ich der Geschichte von Moving Targets näher auf den Grund zu gehen. Schade dass manche der Antworten von Kenny Chambers etwas kurz ausfielen und ich insgeheim mehr Informationen erwartet hätte. Aber ich denke das Inti gibt dennoch ausreichend Aufschluss über die Bandgeschichte.
Hallo Kenny, deine Bandcamp-Seite „Kenny Chambers Music“ ist sehr aufschlussreich und enthält einige unveröffentlichte Songs deiner musikalischen Laufbahn. Deine erste Band war demnach IRON CROSS (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen DC-Band), bei der du und die anderen Bandmates gerademal 13-15 Jahre alt wart. Wobei deine beiden Bandkollegen, die Norris-Brüder bei einem Feuer tragisch ums Leben kamen. Erklär uns doch mal, wie aus IRON CROSS die MOVING TARGETS entstanden sind.
Pat Leonard stellte die Verbindung zwischen den MOVING TARGETS und IRON CROSS her. Vor dem Tod der Norris Brüder hatte sich Pat eine Gitarre gekauft und ich sollte ihm Gitarrenunterricht geben, so dass er bei der Band mitmachen konnte. Drei oder vier Monate nach dem Feuer fragte mich Pat, ob ich Lust auf eine Jam Session hätte und vielleicht sogar eine Band mit ihm gründen wolle. Wir haben einen Schlagzeuger namens Pete Gordon gefunden, und haben als IRON CROSS weitergemacht. Pat und ich wollten Punklieder spielen. Nach einem Jahr mit IRON CROSS haben wird die Band verlassen und im Sommer 1982 zusammen mit Pat Brady MOVING TARGETS gestartet. Wir haben ziemlich schnell 40 Lieder gelernt, alles Coverversionen von Bands wie BAD BRAINS, BLACK FLAG, TSOL, AGENT ORANGE, MISSION OF BURMA, etc.
Ich würde gerne der Materie Moving Targets / Ken Chambers, näher auf den Grund kommen. Was waren deine ersten Platten, die du abgefeiert hast? Und welche Bands haben euch beeinflusst, umgehauen oder dazu veranlasst Musik zu machen?
Wir hörten hauptsächlich Punk, aber auch etwas Classic Rock, Bands wie DEAD BOYS, CLASH, HÜSKER DÜ, MINUTEMAN, DAMNED, SEX PISTOLS, BAD BRAINS, LED ZEPPELIN, JIMI HENDRIX oder ALICE COOPER und THE STOOGES. Ich persönlich habe Punk im Sommer 1978 entdeckt, als ich neben Künstlern wohnte, die mir ein paar ihrer Platten ausgeliehen haben. So wirklich Interesse bekommen habe ich, als die SEX PISTOLS durch die USA getourt sind. Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch angefangen, nach Punk Platten zu suchen. Mein erster Kauf war JOHNNY THUNDERS AND THE HEARTBREAKERS – LAMF.
Eure erste Show am 24. Dezember 1983 habt ihr mit SCREAM und den BAD BRAINS gespielt. War eure Aufregung groß, vor zwei solch bekannten Bands zu spielen?
Wir waren ziemlich eingeschüchtert von der Tatsache mit unseren Helden in einem solch legendären Club zu spielen. Sie haben uns einen Kasten Bier geschenkt, den wir vor dem Konzert getrunken haben. Wir waren wirklich nervös.
Die Boston-Szene war damals nicht zu letzt wegen SSD bekannt für ihre intolerante Straight Edge-Haltung. Es heißt z.B. das The FREEZE wegen ihren offenen Haltung zu Drogen und Alkohol und weil sie nicht aus Boston stammen, von der Boston-Szene diskrediert wurden. Ihr wart ja auch keine Straight Edge Band und stammt nicht aus Boston, sondern aus North Shore, Massachusetts. Ich kann mir gut vorstellen dass es euch nicht leicht fiel in Boston Fuß zu fassen. Wie wurdet ihr allgemein in Boston aufgenommen?
In der Straight Edge/Hardcore Szene waren MOVING TARGETS nie willkommen. Ausser den JERRY’S KIDS mochten wir eh keine der Bands. Das wir aus Ipswich kommen machte es auch schwerer sich zurechtzufinden. Als wir mehr und mehr Leute und Bands aus Boston kennenlernten wurde es dann einfacher. Wir haben angefangen Konzerte zu spielen, und die Reaktionen darauf waren meistens gut. Die Leute liebten es, Pat Brady am Schlagzeug zu sehen, er war ein richtiges Energiebündel. Wir haben einige Reviews in Fanzines bekommen, und es schien als seien wir auf einem guten Weg.
Ihr habt euch schon 1981 gegründet, aber eure ersten Songs sind erst 1984 auf dem Sampler „Bands That Could Be God“ erschienen und erst zwei Jahre später kam eure Debüt-LP „Burning in Water“ heraus. Weshalb hat es damals so lange bis zur Veröffentlichung gedauert?
Genau genommen gründeten wir uns im Juni 1982. Für die „Bands That Could Be God“ Compilation haben wir im Sommer 1983 mit Lou Giordane in den Radiobeat Studios neun Songs aufgenommen, wovon es drei auf den Sampler geschafft haben. Der Sampler erschien aber erst 1984, als wir uns schon aufgelöst hatten. Die Veröffentlichung des Samplers hat aber dazu geführt, dass wir uns im Herbst 1984 wieder zusammengefunden haben. Ein paar Monate später haben wir mit den Aufnahmen zu „Burning In Water“ angefangen.
„Burning in Water“ zählt für mich zu den zehn besten Ami-Punk-Platten aller Zeiten. Als leidenschaftlicher Hüsker Dü-Fan, war die Platte für mich wie eine Offenbarung. Und auch wenn ich mir heute noch „Burning in Water“ anhöre, schlägt mein Herz höher. Habt ihr viel vor der Veröffentlichung geprobt? Und wie wurde die Platte allgemein aufgenommen?
Wir haben etwa drei bis viermal pro Woche geprobt. Lou Giordano ist nach Ipswich gekommen, wo wir ein paar Demos aufgenommen haben. Danach sind wir ins Studio gegangen. Wir haben die Platte ziemlich schnell aufgenommen. Die Platte hat gute Rückmeldungen und Reviews erhalten. Leider war Pat Leonard zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in der Band. Er wurde durch Chuck Freeman, der später bei den Alben „Brave Noise“ und „Fall“ ersetzt wurde.
Ich hatte gerade schon die Hüsker Dü-Referenz angesprochen. Inwieweit seht ihr euch von Hüsker Dü beeinflusst? Und was sind deine Favoritsongs der Hüskers?
HÜSKER DÜ war einer meiner Lieblingsbands, als ich jung war. Sie und MISSION OF BURMA haben mich stark beeinflusst. Ich mochte die „In A Free Land“ Single schon immer.
Auf der Debüt-LP befindet sich auch der Song „Underground“, der eine Hommage an die Undergroundkultur darstellt. Wie wichtig war euch das Underground-Movement der Punk und HC-Szene und gab es im Laufe der Zeit auch mal Überlegungen in dem Mainstream überzuwechseln?
So lange du deinem Herzen folgst und ein paar Leute erreichst, so hast du auch Erfolg. Ich schreibe die Lieder in erster Linie für mich, also gibt es auch keinen Grund Kompromisse einzugehen.
Ich habe selten einen solch enthusiastischen Drummer gehört wie Pat Brady. In welchen Bands spielte Pat ansonsten und lernte er das Schlagzeugspiel professionell bei einem Lehrer oder hat er es sich selbst beigebracht?
Pat Brady hat Schlagzeug Unterricht genommen, er war aber auch ein Naturtalent. Vor den MOVING TARGETS hat er in einer Schulband und einer Coverband gespielt. Pat Leonard und ich konnten nicht glauben wie gut Brady war. Er konnte von Punk bis Funk alles spielen. Bis heute ist er der grösste Schlagzeuger den ich je gehört habe.
Mir gefallen auch die Moving Targets aus den 90ern sehr gut, wo ihr angefangen habt etwas ruhigere und melancholischere Songs zu spielen. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Pat Leonhard und der Schlagzeuger J.Arcari kamen mit dem Vorschlag an, die Band wieder neu aufleben zu lassen. Wir haben „Take This Ride“ mit Liedern aufgenommen, die ich zu diesem Zeitpunkt rumliegen hatte. Ich nahm damals zu Hause Lieder auf, die melodischer und ausgereifter waren.
Manche Musikkritiker behaupten, das ihr den Hardcore der 80er, mit dem College Rock und den Alternative-Sound der 90er, in Verbindung gebracht habt. Kannst du diese Definition nachvollziehen?
Das hört sich nach einer guten Beschreibung an.
Welche Moving Targets Alben empfindest du im Nachhinein als besonders gelungen oder enttäuschend?
Ich glaube „Burning In Water“ ist das beste Album. „Take This Ride“ mag ich am wenigsten.
In den 90ern wurde Grunge, Alternativerock und Punkrock durch Nirvana, Pearl Jam, Green Day, Offspring usw. bekannter. Wie hast du diesen Boom wahrgenommen?
Wir haben es vom Standpunkt einer Band gesehen. Plötzlich glaubten alle, dass sie Erfolg haben würden, wenn sie auf den Grunge-Zug aufspringen. Majorlabels haben viele Bands unter Vertrag genommen, es war verrückt.
Bei „Take This Ride“ sind von der Originalbesetzung nur noch du und Pat Leonhard übriggeblieben. Wie kam es zu dieser personellen Minimierung? Habt ihr euch viel gestritten?
Es gab damals ziemlich viel Streit und ich war zu jener Zeit, sicher nicht einfach im Umgang und eine schwierige Person. Ich habe das Schlagzeugspiel von Pat Brady vermisst.
Du hattest auch einige Jahre bei den ebenso großartigen BULLET LAVOLTA gespielt. Hat es dich etwas geärgert das sich BULLET LAVOLTA größerer Popularität erfreuten, als MOVING TARGETS? Und was ist aus den anderen Bandmitgleider von BULLET LAVOLTA geworden? Stand jemals die Überlegung einer Reunion im Raum?
Ich hatte eine gute Zeit bei BULLET LAVOLTA. Ich habe die Band nur verlassen, weil ich wieder bei MOVING TARGETS spielen wollte. Es hat mich keineswegs geärgert, dass BULLET LAVOLTA so beliebt wurden. Ich wusste, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich denke nicht dass es eine Reunion geben wird, da niemand aus der Band Interesse daran hat. Wir haben es 2008 geschafft, dass Yukki vier Lieder von BULLET LAVOLTA zusammen mit MOVING TARGETS in Boston singt. Aber das dürfte es dann auch gewesen sein.
Ich liebe auch deine KEN CHAMBERS-Alben, besonders „No Reaction“ empfinde ich fast gleichwertig, mit den späteren MOVING TARGETS-Alben. Wie kamen seinerzeit die Ken Chambers-Alben an und wie bewertest du sie im Nachhinein?
Ich habe drei Soloplatten veröffentlicht und soweit ich weiss verkaufte sich keine davon gut. Ich denke auch nicht, dass es gute Platten sind.
Nach den drei KEN CHAMBERS-Alben hat man erstmal längere Zeit nichts mehr von dir gehört. Was war der Grund dafür?
Ich habe mich dazu entschieden, eine Pause von den MOVING TARGETS zu nehmen. Ich habe in anderen Bands gespielt, die aber nur lokal aufgetreten sind. Es wurde immer weniger, bis ich am Schluss gar keine Musik mehr gemacht habe. 2015 habe ich wieder angefangen, als ich eine EP mit neun Liedern auf Bandcamp veröffentlichte. Mit einigen Freunden habe ich ein Album mit 12 Liedern aufgenommen, das bis jetzt aber noch nicht veröffentlicht wurde. Danach bin ich nach Texas gezogen, wo ich Musik nur als Hobby machte, bis mich Yves und Emilien gefunden haben, und wir MOVING TARGETS wieder ins Leben gerufen haben.
Die beiden Moving Targets-Mitglieder Pat Leonard und Pat Brady verstarben beide im Jahr 2008. Kam ihr Tod überraschend für dich und wie bist du damit umgegangen?
Es war ein grosser Schock beide in so kurzer Zeit zu verlieren. Es fällt mir immer noch schwer daran zu denken, dass beide nicht mehr da sind.
Was waren die Beweggründe zur Reunion von Moving Targets?
Emilien hat auf YouTube ein Video von sich veröffentlicht, wie er zu einem MOVING TARGETS Lied Schlagzeug spielt. Ich habe ihn gefragt, ob er einen Bassisten kennt. Ursprünglich war die Reunion eher ein Witz, aber dann haben wir mit Trümmer Booking eine Europatour gebucht und zusammen in Montreal neue Lieder aufgenommen. Drei Monate nach der Reunion haben wir unser erstes Konzert gespielt. Zusammen geprobt haben wir das erste Mal am Abend vor dem Konzert.
Aus welchen Musikern setzen sich die heutige Moving Targets zusammen bzw. in welchen Bands spielten deine Bandkollegen ansonsten?
Emilien Catalano sitzt am Schlagzeug. Er hat ein paar Jahre bei den NILS gespielt und hat mit den OAKHEARTS ein Album aufgenommen. Yves Thibault ist der Bassist, er hat früher bei OUT OF ORDER gespielt.
Ich finde einer der besten Songs des neuen Albums ist „Fear of God“, wo es um die Unterwerfung eines Gottesglauben geht. Gibt es in den Staaten wieder mehr gläubige Christen? Und wie hat sich überhaupt der Zeitgeist in den USA verändert, seit Trump an der Macht ist?
Die religiösen Rechten waren immer schon da, nur haben sie jetzt einen Fanatiker im Weissen Haus. Sie wollen die Uhren in die 50er Jahre zurückdrehen.
Gibt es ansonsten von den Songtexten, einen Themenschwerpunkt auf dem aktuellen Album?
In den Texten geht es um Entfremdung, Liebe und Wut.
Einige Songs der neuen Platte hattest du bereits zuvor mit AMERICAN PULVERIZER aufgenommen, aus wem bestand diese Bandkonstellation?
AMERICAN PULVERIZER bestanden aus Mark McGee an der Gitarre, Will Wrenn am Schlagzeug und Patrick McGrath am Bass.
Ihr wart nun schon zum zweiten Mal auf Tour durch Europa, wie verlief die Tour? Wie war es für dich nach so langer Zeit wieder in Europa zu spielen?
Beide Touren in Europa waren ein grosser Spass. Wir lieben es zusammen Zeit zu verbringen und Konzerte zu spielen. Das Publikum in Europa ist sehr nett zu uns. Sie freuten sich, die Band nach 25 Jahren wieder zu sehen.
War die Moving Targets-Reunion nur vorübergehend, oder habt ihr Gefallen daran gefunden und schreibt bereits an den nächsten Songs?
Wir wollen so lange zusammen spielen, wie es sich richtig anfühlt. Wir haben ein neues Album, „Wires“, mit dem wir sehr glücklich sind. Wir wollen auch mehr auf Tour gehen. Danke für das Interview!
Einleitung, Fragen: Bela
Übersetzung: Marco Bechtiger