LOVE 666 (#56, 02-1996)
LOVE 666 war eine der großen Entdeckung diesen Jahres für mich, und so war es klar, daß ich die Band mindestens zwei Mal sehen wollte. Die Konzerte in Ulm und Augsburg waren ziemlich verschieden und das ist klar, wenn man sieht, wieviel Raum für Improvisation in der Musik steckt. Die Platte – „American Revolution“ – hatte mich nicht eindeutig klar werden lassen, was ich damit anfangen sollte: War das eine Popband, die ’ne Menge Lärm macht? Eine Lärmband, die ein paar schöne Harmonien einstreut? Ging es um die Grenzüberwindung zwischen Struktur und Chaos, zwischen Geräusch und Musik?
Und dann wieder die Frage, ob ich nicht viel zu viel ‚reininterpretiere in diese Platte, die vielleicht auch nur von ein paar ignoranten Amis gemacht wurde, weil sie nicht wissen was sie tun. Die Konzerte und die Unterhaltungen mit Angel (Drums), Dave (Keyb.) und Gary (Git.) haben mich doch darin bestätigt, daß LOVE 666 eine sehr genaue Idee von dem haben, was sie tun, wie sie es tun, und was sie damit bezwecken. Zwei Meinungen (Dave und Angel) habe ich dokumentiert, für Garys war keine Zeit mehr. Das Publikum hat beide Male sehr gespalten reagiert. Ein paar fanden die Band einfach grausam, einige liebten sie und die meisten waren angetörnt, konnten aber nicht recht formulieren, warum. Gleichgültig blieb niemand.
Für mich ist LOVE 666 keine Unterhaltungsband, sondern ein ernstzunehmender versuch, Grenzen zu sprengen und so verstehe ich auch den Titel des Albums, „American Revolution“. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es den dreien im Unterschied zu den meisten Musikern auch nicht so sehr darum, sich selbst auszudrücken, sondern mit Zitaten, Kompositionen und Zerstörung derselben ein künstlerisches und politisches Statement zu geben, das vollkommen anarchistisch ist. Wie Angel meinte, sind sich nicht sicher, ob das auch verstanden wird, vielleicht nicht mal von Tom Hazelmayer, Amphetamine Reptile-Gründer und damit ‚Chef‘ der Band.
Aber, wie im Interview deutlich wird, hat das Label auch keine große Mühe und kaum Risiko mit der Band, denn sie machen fast alles selber. Und diese DIY-Haltung wil Angel in einem Buch festhalten, daß er für Bands schreibt, die in den Staaten touren wollen. Alle Tips und Warnungen, die sich aus einem konse-quenten anarchistischen Lebensweg ergeben haben, von der billigsten Tankstelle in San Francisco bis zum sicheren Parkplatz in New York, vom korrekten Klub in Seattle bis zur kürzesten Umgehungstrecke für Houston, Texas. Wie ich finde, eine sehr interessante Idee, die vielleicht jemand für Europa aufgreifen könnte. Wie überhaupt die Begegnung mit LOVE 666 sehr interessant war – lest selbst:
Ich habe keine Fragen vorbereitet. Willst du einfach so ‚was sagen, oder soll ich mir ‚was einfallen lassen, wie: Drei Gründe einen Rockstar umzubringen…
Dave: Ich mag Töten nicht. Und ich nenne mich selbst nicht einen Rockstar, aber ich habe auch nicht unbedingt etwas gegen die, die sich als solche empfinden. Ich mag sie, ihre Musik. Persönlich sind sie mir egal, es geht um die Musik.
Warum bezieht sich LOVE 666 auf Rock-musik, nicht auf Punkrock oder Hardcore, also vielleicht auf den Anspruch, technisch versierte Musik zu spielen.
Dave: Ich mag einige Punkrockbands, die Sex Pistols, die frühen Clash. Und ich mag den Spirit von Punkrockmusik. Aber ich habe nicht viel von dem gehört, was nach diesen beiden Bands kam. Ich mache keinen Unterschied zwischen den Musikstilen. Es gibt einen Hau-fen Bands mit Leuten, die vielleicht nicht viel mehr drauf haben, als ihre Instrumente zu spielen, aber sie machen schöne Musik. Nur mit dem Gefühl, was ich gut finde.
Spielst du noch ein anderes Instrument außer Keyboards?
Dave: Ich spiele Gitarre und ein bißchen Schlagzeug. Ich kann keine Mundharmonika spielen. Und ich kann keine Geige oder Cello spielen. Und ich kann kein Saxophon spielen. Ich habe alles ausprobiert.
Aber du kannst Keyboard spielen? (Ich frage, weil er bei LOVE 666 relativ wenig „spielt“ und eher viel Lärm macht, u.a. auch den Stecker aus dem Instrument zieht und nur durch das Berühren des Kontaktes Geräusche produziert, oder auch mit Wahwah und Verzerrer Rückkopplungen herstellt)
Dave: Das ist das einzige Instrument, das ich richtig spielen kann.
Das ist eure erste Tour in Europa. Was ist dein Eindruck?
Dave: Es macht viel mehr Spaß, vor dem hiesigen Publikum zu spielen. Das ist das erste Mal, daß ich das Gefühl hatte, gerne etwas für das Publikum zu machen, daß das Publikum auf meiner Seite steht. Und oberflächlich gesehen sind die Bedingungen (unter denen sie hier auftreten) großteils einfacher, zum Beispiel sind die Leute gastfreundlicher. Auf der anderen Seite gibt es technische Schwierigkei-ten, die in den Staaten nicht so existieren. Aber generell macht es mir hier mehr Spaß für die Leute zu spielen. In den Staaten tendieren wir eher dazu, das Publikum zu hassen, oder es komplett zu ignorieren…
…know your enemy…(Zitat aus einem Song, daß Drummer Angel aus seiner Zeit bei der Army einbrachte)
… Ja, aber hier scheinen die Leute viel mehr auf uns zu stehen und so bauen wir eher eine Beziehung zu ihnen auf. Obwohl ich das Wort hasse. ‚Beziehung‘ – uh!
Modern für ‚Liebe‘, oder?
Dave: Es ist Liebe, Baby, es ist nichts als Liebe hier in Europa! (sagt der so mit ’nem Lächeln, aber im Vergleich mit dem verdammt rauhen gesellschaftlichen Klima in den Staaten, kann das schon mal so aussehen, denk ich)
LOVE 666. Ist ‚LOVE‘ der Nachbar vom ‚Biest‘?
Dave: Ja, du kannst mal unseren Fahrer fra-gen, der betreibt jeden Tag Teufelsanbetungen damit wir zum nächsten Klub kommen. Bei mir ist das einfach eine Veranlagung, Satan anzubeten. Aber ich will jetzt nicht Politik und Religion diskutieren.
Ich habe von ‚LOVE‘ gesprochen.
Dave: Ich will auch nicht über ‚Liebe‘ reden, weil es alles falsch klingt.
Naja, wir hatten ‚Beziehung‘, jetzt reden wir über ‚Liebe‘.
Dave: Nein, ich bin voll von Sachen, über die ich nicht reden kann.
Okay, dann hören wir hier auf.
Die restlichen Fragen gingen an Angel, den Schlagzeuger. Mit ihm hatte ich vorher schon länger gesprochen und er hatte mir unter anderem von einem Buchprojekt erzählt, an dem er arbeite, und das im kommenden Frühjahr erscheinen soll. Hier nochmal seine Zusammenfassung:
Angel: Die Idee hinter dem Buchprojekt war, den Weg einer Band nachzuzeichnen vom Proberaum bis zur Tour und alle möglichen Fragen, die auf diesem Weg auftauchen können, zu behandeln. Also im Prinzip alle guten und alle schlechten Erfahrungen, die wir gemacht haben, festzuhalten und weiterzugeben. Wir haben zum Beispiel ein Album aufgenommen, auf Vierspurtechnik, und davon eine CD drucken lassen. Da gibt es tausende von Presswerken und es dauert lange, herauszufinden, welche gut sind und welche nicht. Aber schon die Art wie wir aufgenommen haben und dann bei einm Freund abgemischt haben kann für andere interessant sein. Im Prinzip haben wir immer versucht alles mit Freunden zusammen zu machen, um Geld zu sparen.
Die tatsächlichen Kosten für tausend Kopien der CD waren 1.800 Dollar und das Artwork und so weiter haben Freunde uns kostenlos zur Verfügung gestellt. Von all den CDs haben wir etwa 400 an Klubs und Magazine verschickt und haben dann hinterhertelefoniert und eine Tour selber gebucht, was extrem schwer ist, weil die Agenturen die Klubs sehr stark kontrollieren. Sie haben uns fast immer für kein Geld spielen lassen, aber wir haben Gigs bekommen und doch meistens auch genug Geld für Benzin. Und wenn du in einem Klub mal gespielt hast, dann kommst du leichter wieder ‚rein.
Wir haben mit so vielen Leuten geredet, einfach geredet, damit man sich kennt, sind auch zu Klubs gefahren, die uns nicht spielen lassen wollten, einfach um zu reden. So haben wir mit der Band angefangen. Wir haben auch bei Plattenfirmen reingeschaut, und da hatten wir offensichtlich großes Glück, denn bei unserem zweiten Gig in Minneapolis kamen die Amphetamine-Leute rein und sahen uns und mochten uns. In dem Buch will ich aber auch ganz einfache und trotzdem wichtige Sachen unterbringen, zum Beispiel billige Supermärkte, gute Plätze zum Parken, denn wir schlafen immer im Bus. Die Sache mit den ‚Healthspots‘..
Wie hieß die Kette noch?
Angel: ‚Bally Holiday Health spots‘, es gibt auch Filialen in Europa. (Angel meint eine Kette von Läden in denen man Duschen und Wäsche waschen kann und wo man zuerst Mitglied wird und später nur noch sehr wenig für die einzelnen Dienste bezahlen muß. Sicher auch interessant für Rucksacktouristen.) Ich schreibe auch über optimale Ausrüstung, für die Musik, aber auch fürs Auto. In manchen Staaten ist es schwerer, Dinge zu besorgen als in anderen etc. Ich zeige auch, wie wir unseren Bus umgebaut haben um maximalen Komfort zu haben. Wir haben so viele Bands auf Tour gesehen, die in ihren Bussen schlafen uns sie waren alle begeistert von der Art, wie wir uns in unserem eingerichtet haben. Er sieht einfach aus wie ein Hotel-zimmer! Wir haben unser Zeug damals 20 mal ein- und ausgeräumt, bevor wir es optimal gepackt hatten und das Bett so niedrig wie möglich einbauen konnten. Es ist völlig stabil und hat richtige Futons, 5 Inch dick.
Warum habt ihr mit der Band auf diese Art angefangen? (Anstatt sich eine Booking-Agency zu suchen, haben LOVE 666 ihre Ami-Touren bisher alle selbst gebucht.)
Wir wollten nie die Zeit mit irgendetwas verschwenden, was nicht mit der Musik zu tun hatte. Wir dachten uns, wenn wir alles so Kosteneffektiv wie möglich hielten, hätten wir am wenigsten Ärger und am meisten Zeit zum Musikmachen. Das machen wir bis heute so, wir gehen nie in Hotels. Dadurch können wir Geld sparen, das uns in den 3 oder 4 Wochen über die Runden bringt, wenn wir mal nicht auf Tour sind. Dafür schreibe ich auch das Buch, damit die Leute all ihre Zeit mit der Musik verbringen können. Viele Bads die wir kennen, nehmen ihr Album auf, gehen dann für 6 Wochen auf Tour und kommen nach Hause um dort wieder zu arbeiten für den Rest des Jahres. Ich verstehe nicht, warum sie das machen, wenn sie eigentlich Musik machen wollen. Von uns bezahlt keiner Miete…
Seid ihr immer auf Tour?
In diesem Jahr haben wir im März angefangen. Im Dezember und Januar haben wir die Platte aufgenommen und ab März haben wir immer nur einzelne Tage zu Hause verbracht.
Die Art, wie ihr das betreibt war also die einzige Möglichkeit, oder habt ihr auch eine Nomaden-Ideologie?
Nein, es ging nur drum, es möglich zu machen. Alle anderen Bands, in denen ich gespielt habe, wollten das nicht. Sie wollten eine Wohnung und hübsche Möbel, einen Fernseher und einen Haufen Kram, für den man bezahlen muß.
Aber du nicht.
Nein, ich will Musik spielen und die Kunst verbreiten. Es ist mir auch egal, ob jemand versteht, was ich tue oder nicht.
Ist es Kunst, was ihr macht?
Ich meine nicht Kunst in diesem vagen Begriff. Es ist eine freche Aussage, aber ich glaube, es gibt Zeiten in der Geschichte, in denen Standards für die kommenden 30 oder 50 Jahre gesetzt werden. Für uns ist das zum beispiel der BeBop, den Charlie Parker gespielt hat oder Free Jazz nach Ornette Coleman, Eric Dolphy und John Coltrane. Und die waren alle verhaßt in ihrer Zeit. Heute werden sie als die größten Genies angesehen. Aber damals konnte Charlie Parker oft nicht mal einen Gig bekommen. Und auch wenn uns jemand nicht mag, glauben wir persönlich daran, Standards zu setzen und wenn es erst in zwanzig Jahren erkannt wird, ist das okay für uns. Mein Lieblingsschlagzeuger ist über 70 Jahre alt und er ist immer noch nicht reich.
Wer ist das?
Elvin Jones, er war John Coltranes Schlagzeuger. Als er anfing zu spielen, wollte niemand mit ihm Musik machen. Und wenn du heute die Kraft und Energie und den Einfluß von Elvin Jones spüren willst, dann hör dir die Schlagzeuger an, die gespielt haben, bevor er bekannt wurde und dann hör dir die Drummer danach an und du wirst sehen, daß er praktisch alles verändert hat. Jimi Hendrix‘ Schlagzeuger Mitch Mitchell hat bei ihm drei Jahre lang Unterricht genommen und er ist der Drummer, der seinen Stil am ehesten in Rockmusik eingebracht hat.
Ein Typ hat mich mal angesprochen und gesagt, ich erinnere ihn an Elvin Jones und das war das größte Kompliment, das ich je bekommen habe, denn ich hatte nicht mal damit gerechnet, daß ihn jemand kennt. Ich habe Elvin 4 oder 5 Mal getroffen und mich immer ein paar Stunden mit ihm unterhalten, er ist ein extrem netter Typ. Für uns als Band ist die ganze Sache etwas anderes, als für die meisten. Viele wollen ihre Platten verkaufen oder mit dem Publikum durch ein Konzert in Kontakt kommen. Wir sind in erster Linie Musiker und haben auch unsere Launen, die wir nicht verbergen wollen. Jeder von uns hat die Erfahrung gemacht, daß er sich über die Musik am besten ausdrücken kann und das jeder andere Versuch wie ein Betrug ist.
Du zitierst Frank Zappa in dem Song „Preparation for Combat“, warum? Wegen dem Satz selber, „It can’t happen here!“, oder weil er von Zappa ist?
Du kennst das? Ich kann’s nicht glauben! Frank Zappa war meine größte Inspiration, was Rockmusik angeht. Ich hatte alle Alben als sie ‚rauskamen, ab 1965 – ich bin jetzt 40 – und ich hab‘ alles gekauft bis in die Mitt-70er, dann hat er mich weniger interessiert. Und ‚Freak Out‘ ist immer noch mein Lieblingsalbum.
Hast du dich schon mal mit seiner letzten Phase beschäftigt, als er den Synclavier be-nutzte und mit großen Orchestern arbeitete?
Das hat mir nie so gut gefallen wie zum Beispiel ‚Lumpy Gravy‘ (’67), wo er mit einem großen Orchester arbeitet. Er ist ja auch von Edgar Varese beeinflusst, und wenn ich symphonische Musik hören will, gefällt mir sein Zeug am besten. Harmonien und große Intervalle klingen für die meisten Leute schön, für mich klingen Dissonanzen und Halbtonschritte viel schöner.
Diese extreme Vermischung bei euch von rhythmischen und melodischen teilen mit arhythmischen, chaotischen Teilen, die auch mal jazzig sein können – was stellt sie für dich dar?
Wir wollten mit Blöcken arbeiten, ganz festgelegte Parts und ganz freie. Die meisten Rockdrummer halten sich an den Bass und spielen nur frei, wenn sie ein Solo haben. Das zu revolutionieren heist für mich, mit dem Schlagzeug eher der Solostimme zu folgen und sie zu begleiten, aber in einem swingenden Rockstil. Und ich versuche tatsächlich immer die gerade gezählte Zeit zu spielen, irgendwo versteckt. Wenn du mitzählst, wirst du sehen, daß die freien Teile immer in gerade Zeiten ‚aufgehen‘. Ich finde, Rockschlagzeuger müssen nicht immer auf der Zeit spielen und die Viertel angeben. Ich würde mich freuen, damit Schlagzeuger zu beeinflussen, die eine viel bessere Technik haben als ich, und die diese Idee besser umsetzen können.
Das war’s in wesentlichen Auszügen. Bleibt noch zu berichten, daß LOVE 666 vorhaben, auf ihrer nächsten Veröffentlichung zwei Versionen eines Stückes zu präsentieren, eine glatte, poppige, die für Radio-Airplay gedacht ist, und ein 20minütige Lärm- und Freeversion, die das ‚echte‘ Stück wäre. Dabei geht es nicht darum, das kommerzielle Potential abzuschöpfen, sondern auszuprobieren, welchen Version die Radiostationen wirklich spielen werden, ob sie vielleicht von selbst auf die Idee kommen, daß das interessantere Stück die ‚echte‘ Version ist, was auf eine ‚Umerziehung‘ der Sender und ihrer Hörer ‚rausliefe. Nice concept, oder?
Interview & Bilder: kai pir@nha