Mai 4th, 2020

Lookism – Streetart aus #122, 2007

Posted in interview by Jan

Auch wenn es die Antilookism Gruppe nach eigenen Angaben erst seit einem halben Jahr gibt, hat sie seitdem doch einen gewissen Raum im öffentlichen Diskurs eingenommen. Unzählige Artikel in irgendwelchen Blogs, ein Fernsehbeitrag bei Polylux und ein Artikel in der Jungle World haben neben der, zumindest in Berlin halbwegs präsenten und meist sehr coolen, Streetart der Gruppe relativ viel Aufmerksamkeit gebracht. Ob dies daran liegt, dass es längst überfällig war sich mit dem Thema zu beschäftigen oder es doch eher an der trendigen Aufmachung des Ganzen liegt wird sich wohl noch zeigen. Die kompletten Texte sind unter http://www.lookism.info nachzulesen.

Wollt ihr vielleicht zunächst einmal kurz euren Ansatz darlegen und die Motivation, eure Gruppe zu gründen.
Hey. Der Ansatz ist wahrscheinlich der gleiche wie bei anderen Projekten gegen Unterdrückungs- und Diskriminierungsstrukturen. Mensch sieht, dass es diese Strukturen gibt und möchte daraufhin etwas dagegen unternehmen. Und wir beschäftigen uns mit Lookism, da die meisten anderen Diskriminierungsformen bereits einen gewissen Platz im öffentlichen Diskurs haben. Durch die Einteilung von Menschen in „schön“, „hässlich“ oder irgendwo „dazwischen“ findet Normierung und Diskriminerung statt, das wollten wir thematisieren.

Unser Grundgedanke ist, dass Schönheitsnormen, ähnlich wie Geschlecht, naturalisiert, also als „natürlich“ dargestellt werden -obwohl sie kulturelle Konstrukte sind. Deswegen wollen wir sie quasi dekonstruieren. Außerdem transportieren sie verschiedene Machtverhältnisse wie Sexismus, das wollen wir auch aufzeigen. Unsere Gruppe gibt es erst seit einem dreiviertel Jahr und wir versuchen, ein offenes Projekt zu sein. Also jede_r, die_der Lust hat, kann mitmachen. Es gibt die Homepage www.lookism.info, Ausstellungen, ein Zine, … wie und wer jetzt zu was genau etwas erarbeitet, hängt bestimmt von der eigenen Sozialisierung ab. Ja und daher auch die Motivation.

Dass verschiedene Schönheitsideale und Normen anerzogen sind beweist ihr recht nachvollziehbar mit Hinblick auf die historischen und kulturellen Unterschiede, wie allerdings erklärt ihr als kulturell übergreifend geltende Einschätzungen von Schönheit, wie z. B. symmetrische Gesichtsformen, welche ja auch von Neugeborenen, denen man kaum Sozialisation unterstellen kann, bevorzugt werden?
Wir wissen zwar nix über die Rahmenbedingungen dieser Neugeborenen-Studie (vielleicht waren die Gesichtsausdrücke auf den Fotos auch unterschiedlich oder so..). Doch die Studie ist eine von vielen, die mit unterschiedlichen und auch sich widersprechenden Theorien versuchen, Schönheitsempfinden biologistisch zu erklären (und selbst wenn Schönheitsempfinden eine Form von „Veranlagung“ wäre – was wir nicht glauben – , könnte/müsste diese reflektiert werden).

Gerade in der Attraktivitätsforschung wird oft mit darwinistischen Argumenten gearbeitet, zum Beispiel „natürliche Auslese“. ‚Männer‘ hätten im Lauf der Evolution gelernt, intuitiv die biologische „Fitness“ einer ‚Frau‘ zu erkennen, zum Beispiel anhand der Taille-Hüfte-Relation. Die Thesen basieren also meist auf total (hetero-)sexistischen Geschlechterbildern. So ließen sich ‚Männer‘ bei ihrer Partnerinnenwahl auch in stärkerem Maß von optischen Kriterien leiten, während ‚Frauen‘ mehr Wert auf Status und Charaktereigenschaften legen würden. Wir sehen (evolutions-)wissenschaftliche Studien eh sehr kritisch. Wissenschaft hat ja immer einen Bezugsrahmen und dient unter anderem auch dazu, gesellschaftliche Normen und Machtverhältnisse zu bestätigen, so gab und gibt es zum Beispiel auch Studien, die Rassismen und patriarchale Dominanz „wissenschaftlich“ rechtfertigten.

Wenn ihr schreibt, dass man vom Äußeren eines Menschen nicht auf dessen Charakter schließen kann, und kritisiert, dass z.B. auf Partys Kontaktaufnahme nur durch äußere Merkmale erfolgt, kann ich dem prinzipiell nur zustimmen. Dennoch scheint es oft so, dass es doch von der Realität insofern widerlegt wird, als dass, quasi als „selbsterfüllende Prophezeiung“, eben genau das Gegenteil der Fall ist. Menschen, die durch ihr Aussehen in bestimmte Kategorien eingeteilt werden und auch ihr ganzes Leben diesen Kategorien entsprechend behandelt werden, neigen halt irgendwann dazu sich damit abzufinden und diese auch selbst zu reproduzieren. Wie meint ihr kann man diesen Widerspruch auflösen?
Also du meinst, dass Leute, die wegen ihrem Aussehen benachteiligt werden, dementsprechend beispielsweise weniger selbstbewusst sind und daher evtl. noch „unattraktiver“ wirken, denn starkes Selbstbewusstsein/Selbstsicherheit gilt als „anziehend“ (-was ja auch problematisch ist..). Also diesen Mechanismus gibt es sicher, quasi so als Teufelskreis. Aber andersrum gibts auch Menschen, die, weil von klein an geärgert, besonders schlagfertig werden oder andere „Qualitäten“ entwickeln (oder entwickeln müssen!), um akzeptiert zu werden.

Daher halten wir deine Aussage nicht für richtig, weil wir schon denken, dass mensch auf keinen Fall vom Körper auf den Charakter schließen kann. Also weder aus biologischen noch aus gesellschaftlichen Gründen. Was anderes ist es mit Kleidung und Körpergestaltung wie Tattoos, die ja auch ein bewusstes Statement sein können, zum Beispiel, sich (politisch) zu verorten – und somit ja oft schon was über die Einstellungen eines Menschen aussagt.

Es gab z.B. bei Polylux einen TV-Beitrag über euch. Ganz dem Format der Sendung entsprechend kam dieser zumindest mir eher auf eine trendige und gut zu konsumierende Darstellung als auf eine wirkliche Tatsachenvermittlung eurer Positionen abzielend vor. Desweiteren erschien er mir auch sehr fehlerhaft im Bezug auf eure Theorie . Haltet ihr es überhaupt für realistisch durch Beiträge in so einem durch und durch sowohl normierenden wie auch normierten Medium Veränderungen zu erreichen?
Haha – der Beitrag auf Polylux war wirklich mies! Ja, zu diesem Zeitpunkt und für diese Anfrage hielten wir es für produktiv, in diesem „Beitrag“ aufzureten. Aber viele im Vorfeld abgesprochene Vereinbarungen wurden nicht eingehalten und das endgültige Format und wie es zusammengeschnitten war, sahen wir auch erst selbst im Fernsehen. In der Gruppe gab es verschiedene Reaktionen auf den Beitrag, von Entsetzen bis … . Aber im Endeffekt haben doch durch diesen Beitrag Menschen das erste Mal von diesem Wort „lookism“ gehört und die Besucher_innenzahl auf der Seite hat es auch ganz schön nach oben getrieben – abgesehen von unzähligen Emails und positiven Reaktionen. Ein „Angebot“, etwas für das Mittagsprogramm „sam“ zu machen, haben wir aber dankend abgelehnt.

Was seht ihr überhaupt für Möglichkeiten gesellschaftlich im Sinne eures Ansatzes zu intervenieren? Was für Aktionsformen kann es geben?
Naja, erstmal ist es wichtig, Leute darauf aufmerksam zu machen. Außerdem können zum Beispiel Strategien aus der Queer Theory übernommen werden. Dieses Konzept wendet sich gegen Normierungen und Ausschlüsse jeglicher Art, daher richtet sich Queer als politischer Begriff eigentlich ohnehin gegen Lookism. Und zum Beispiel ein Typ mit Nagellack und Rock bringt nicht nur die heterosexistische Geschlechterordnung durcheinander, sondern widersetzt sich auch dem gesellschaftlichen Konsens von „schön“ und „hässlich“. Normen von Schönheit und Geschlecht lassen sich also parodistisch umdrehen.

Außerdem kann versucht werden, sich ursprünglich abwertende Bezeichnungen oder Kennzeichen anzueignen und positiv zu besetzen. So gibt es zum Beispiel den Slogan „Fat and Proud“ des Fat Liberation Movement, einer Bewegung aus den USA, die gegen Diskriminierung gegenüber dickeren Menschen kämpft. Und klar muss was im eigenen Denken geändert werden. Doch die so lange verinnerlichten Denkmuster lassen sich nicht einfach so streichen, das kann nur ein Prozess sein. Davon abgesehen, dass es im realen Leben weiterhin einen riesigen Unterschied macht, ob mensch dem Schönheitsideal entspricht oder eben nicht.  Wir denken aber trotzdem, dass es Sinn macht, sich über die Vielzahl und Verschränkungen von Unterdrückungsverhältnissen bewusst zu werden. Und damit auch eigenes Verhalten und eventuelle Privilegien kritisch zu hinterfragen…

Würdet ihr Lookism in Bezug auf andere, offensichtlichere und im öffentlichen Diskurs eher wahrgenommene Ausgrenzungsformen wie z.B, Sexismus, Rassismus oder Homophobie als „ebenbürtig“ betrachten? Soll heißen, wird Lookism eurer Meinung nach nur nicht so wahrgenommen oder ist es im Gegensatz zu den weiter vorne Genannten „harmloser“ (scheiß Begriff, aber ich hoffe ihr versteht was ich mein), da z.B. auch nicht so offen gewaltsam?
Uns gehts nicht darum, zu schauen, welche Form von Diskriminierung die schlimmere/ schlimmste ist – wobei sich auf keinen Fall abstreiten lässt, dass Sexismus und Rassismus gegenüber Lookism dominante Faktoren der gesellschaftlichen Struktur sind. Aber Unterdrückungsverhältnisse hängen ja auch zusammen. So transportiert Lookism auch Herrschaftsverhältnisse wie zum Beispiel Geschlechterhierarchien oder Rassismen (und diese wollen wir auch ansprechen..). Daher kann ein Unterdrückungsmechanismus wahrscheinlich auch kaum „isoliert“ betrachtet werden. Und Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Schönheitsnormen sind sehr individuell.

So gibt es Menschen, die sich nicht oder kaum davon betroffen fühlen, aufgrund des Aussehens, des Geschlechts, des Selbstwertgefühls, des Umfeldes/…. das sagt auch etwas über eigene Positionen und eventuelle Privilegien aus. Diskriminierungserfahrungen dagegen können auch als sehr „gewalttätig“ erlebt werden, auch wenn es „nur“ Pöbeleien im öffentlichen Raum sind. Und wenn ein Mensch den eigenen Körper „hässlich“ findet und ablehnt – und daher davon ausgeht, dass andere das genauso tun – ist das auf jeden Fall alles andere als ein tolles Gefühl… Wobei diese Erfahrung ja teilweise in gewisser Weise tabuisiert/stigmatisiert ist, vielleicht nochmal mehr bei ‚Männern‘ (also zu artikulieren, dass er sich „hässlich“ fühlt/wahrgenommen wird..). Aber es gab/gibt ja auch einen kritischen Diskurs rund um Schönheitsnormen, in der Geschichte der Frauenbewegung war das immer ein großes Thema – auch wenn dies oft bei der verkürzten Forderung „zurück zur ’natürlichen‘ Schönheit“ stehen blieb.

Haltet ihr es für möglich, eure Theorie innerhalb der warenproduzierenden Gesellschaft, deren Grundlage es ja ist Dinge und Menschen überhaupt nur über ihren Wert zu definieren und dabei stark normierend wirkt, komplett umzusetzen? Und denkt ihr, dass das Problem Lookism sich getrennt von Herrschaftskritik betrachten lässt?
Nee, wir denken auf keinen Fall, dass sich das innerhalb dieser Gesellschaft komplett umsetzen lässt, auch wegen der Verschränkung der Machtverhältnisse. Und zum Thema Warenproduktion/Kapitalismus im Zusammenhang mit Lookism haben wir uns noch nicht wirklich auseinandergesetzt und sehen uns da in keinem Fall als „Spezialist_innen“. Aber klar muss eine Lookism-Kritik mit Herrschaftskritik verbunden werden. Dabei geht es uns aber nicht darum, irgendeine imaginierte Herrschaftselite anzugreifen oder irgendwelchen Werbungs- oder Medienkartellen Gesellschaftsmanipulation zu unterstellen.

Wir gehen nicht von einseitigen und von oben nach unten verlaufenden Machtstrukturen aus, also nicht „Unterdrückte versus Unterdrücker_innen“. Sondern von komplexen und widersprüchlichen, sich selbst reproduzierenden, das Private und das Öffentliche durchziehenden Machtstrukturen. Und genau diese Machtverhältnisse und Interdependenzen können anhand des Diskurses über Schönheitsnormen sichtbar gemacht werden.

Den Link zu eurer Internetseite hab ich auf der Seite des „Stressfaktors“ gefunden, eure Ausstellung war bis jetzt auf dem Ladyfest in Berlin und im Cafe Morgenrot zu sehen, alles eher dem mehr oder weniger radikalen linken, bzw. Feminismus/Queer Spektrum zuzuordnen. Hat dies eher strukturelle Gründe (Verfügbarkeit von Räumen etc..) oder ist es tatsächlich so, dass es innerhalb der „Szene“ leichter ist, Menschen zu erreichen?
Klar gibt es innerhalb der „linken“ Szene, oder Teilen davon, schon so ein gewisses „Vorwissen“ bzw. „Selbstverständlichkeiten“, zum Beispiel sowas wie Antisexismus – auch wenn diese oft nur Lippenbekenntnisse sind. Deshalb sehen wir da schon auch ein größeres Interesse an unserem Ansatz, wobei das auch daran liegen kann, dass wir ja hauptsächlich innerhalb dieser Strukturen agieren. Aber prinzipiell versuchen wir auf jeden Fall, – auch als Gruppe- für alle offen zu sein.

Interview: Niklas Wessel

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