LIAR (#77, 1999)
ich sagte es bereits und tue es wieder: HEAVY METAL LEBT! mein seinerzeit alles andere als ernst gemeinter spruch ist diesmal allerdings gar nicht so ironisch gemeint wie einige bereits vermuten mögen. es ist ja nun ein nicht zu leugnender fakt, daß sich heavy metal als stilistische form auch in der sogenannten hardcore szene etabliert hat. vielen leuten schmeckt das überhaupt nicht, mir persönlich ist es egal, denn es gibt sowohl im hardcore- wie auch im metal bereich gleichermaßen bands die arsch treten wie sau. und sollten genau diese metal bands dann zur abwechslung mal nicht nur textlichen dünnsinn unter das volk streuen, erkläre ich mich natürlich gerne bereit, diese einmal genauer unter die lupe zu nehmen, und einige ihrer statements auseinander zu pflücken und zu hinterfragen. europäische vorreiter auf dem gebiet des metal-verseuchten hardcores sind bekanntermaßen ganz klar die belgier mit bands wie congress oder liar. letztere holzen dabei drauf los wie die seligen slayer in ihren besten tagen. die band besteht aus:
BERT (21) – DRUMS
JOSH (25) – GITARRE
LENNARD (19) – GITARRE
UxJ (30) – BASS
HANS (29) – GESANG
ihr unwesen treiben sie bereits seit 1995, wo sie sich aus den überresten der metalcoreXXX formation WHEEL OF PROGRESS gründeten. sie sehen sich selbst als eine band, die sowohl musikalisch wie auch textlich recht aggressiv unterwegs ist. mit ihrer direkten und klaren message zu themen wie veganismus, straight edge und anderen artverwandten themen hoffen sie nach eigenen aussagen einigen leuten die augen zu öffnen. satan, ein missionarischer ansatz? man mag nun vielleicht darüber streiten, ob es weniger fraglich ist, sich veganismus und straight edge in großen buchstaben auf die fahnen zu schreiben, als den ganzen dünnen sülz, den ihre musikalischen vorbilder von sich geben. streitet ihr euch ruhig darüber, mir egal. ich unterhalte mich solange mit liar´s sänger hans, der im übrigen neben der band für das label good life recordings arbeitet, wohingegen josh seinen eigenen laden hat, bert und lennard beide studieren und UxJ irgend etwas elektrotechnisches laufen hat.
wo siehst du eigentlich die wesentlichen unterschiede zwischen kleineren labels wie good life recordings und größeren indie labels wie epitaph oder roadrunner? labels, die ich hier auch gerne in einem atemzug mit den ganzen major labels nenne. bewegen sich nicht letztendlich alle labels, egal ob klein oder groß, in einem kapitalistischen markt? unterwerfen sich letztenendes nicht doch alle labels den gesetzen einer kapitalistischen marktstruktur? versuchen nicht letztenendes alle labels ihre veröffentlichungen irgendwie anzupreisen und zu bewerben? um zum punkt zu kommen, versuchen nicht im endeffekt ALLE labels ihr PRODUKT zu verkaufen? ist es nicht im grunde nur eine frage des erfolges, welches label nun viele platten verkauft und welches nicht?
der wesentliche unterschied ist sicher erst einmal, daß labels wie goodlife weniger platten verkaufen als andere, und härter arbeiten müssen, um das nötige geld zum leben einzunehmen. goodlife ist mit sicherheit kein major label. es gibt nicht dieses große professionelle team, welches hier alles am laufen hält. in meinen augen gibt es auch so etwas wie einen markt gar nicht. vielmehr gibt es einen bestimmten typus individuen, die hardcore platten kaufen. die meisten major labels sehen ihre veröffentlichungen als reines produkt für und in einem markt. die kleineren indie labels aber stecken doch sehr viel mehr herz und energie in jede einzelne veröffentlichung. immer mit der notwendigkeit, genügend einheiten abzusetzen, um den nächsten release damit finanzieren zu können. goodlife bildet da keine ausnahme. nur mal angenommen die nächsten beiden releases werden totale flops. das würde das ende des labels bedeuten. es ist doch mehr als nur ein produkt. unser herz und unsere seele stecken in diesen sachen… wir verkaufen nicht millionen von platten, wie so viele leute denken…
als veganer und straight edger beschäftigt ihr euch auch textlich stark mit diesen themen. euch scheint dabei auch durchaus bewußt zu sein, wo die wurzel allen übels begraben liegt. nämlich im kapitalistischen ausbeutungssystem von mensch und natur. können wir euch also als eine band betrachten, deren anliegen es ist, veganern, so wie natürlich auch allen anderen, die augen über die notwendigkeit eines antikapitalistischen kampfes zu öffnen?
ich möchte erst einmal klarstellen, daß nicht alle mitglieder liar´s veganer sind, und daß dies auch nicht DAS beherrschende band thema ist. vegan leben nur 3 von uns, die anderen beiden sind vegetarier. wir haben auch niemals behauptet eine vegane band zu sein. wie auch immer… ich persönlich glaube, daß veganismus eine menge probleme lösen könnte, aber deshalb gibt es noch lange keinen grund sich als etwas besseres anzusehen. nur weil du vielleicht veganer bist oder straight edge bist, veränderst du noch nicht die welt. es gibt eine menge beschissener sachen, die unsere mutter erde und alles leben auf ihr zerstören, laß das pflanzen, tiere oder auch uns menschen sein. der hauptgrund für all diesen mist ist die menschliche rasse. und es ist gut, daß sich mehr und mehr leute darüber bewußt werden, daß etwas dagegen unternommen werden muß.
ebenso finde ich es gut, daß in einigen ländern die grüne partei in der regierung ist, da sie wenigstens versuchen etwas für die umwelt zu tun. genau so positiv bewerte ich die steigende zahl der vegetarier und veganer. es muß einfach etwas unternommen werden. ich glaube, daß jedes Individuum dazu seinen persönlichen beitrag leisten sollte. jeder in dieser band steht voll und ganz hinter dieser idee. wir sind nicht wirklich eine politische band. aber wir beziehen offen gegen das derzeitige system stellung, welches sexismus, rassismus und homophobie unterstützt und fördert. gegen ein system, welches blind zu sein scheint wenn es um gerechtigkeit bei vergewaltigungen geht, inner- und außerhalb der ehe. um diese themen dreht sich im grunde unser neues album. es macht ja auch keinen sinn, wieder eine weitere platte zu machen, die ausschließlich themen wie sXe oder animal rights behandelt. es gibt noch sehr viel mehr ungerechtigkeiten auf diesem globus denen wir ins auge sehen müssen!
lustig ist eigentlich, daß ihr euch offen gegen ”image over attitude” mentalität aussprecht. genau so wie ihr hochglanz magazine und mtv unterstütze bands ablehnt. auf der anderen seite aber sind liar´s musikalische einflüsse doch auffallend stark von diesem slayer typischen metal geprägt. einer musikrichtung, die nicht im geringsten etwas mit hc mentalität zu tun hat. eine musikrichtung, die das große ding in den hochglanz magazinen ist, und mehr oder weniger auch durch mtv/viva gepushed wird. wie geht das zusammen? die ablehnung der hochglanzwelt mit ihren vorzeigepüppchen auf der einen seite, und die fast hundertprozentige adaptierung genau dieses sounds auf der anderen. es sieht doch zumindest so aus, als wäret ihr in dieser künstlichen mtv welt, die ihr nun bis auf´s mark ablehnt, groß geworden.
das ist eine gute frage. wir sind auch immer noch der überzeugung, daß sich alles zu sehr um image dreht. klar sind wir uns darüber bewußt, daß wir einen stark metal beeinflußten hardcore spielen. aber da nichts falsch daran ist, sich durch seine umgebung beeinflussen zu lassen, ist es genau so ok einige musikalische Elemente dieses heavy stils zu adaptieren.
auf der anderen seite hört natürlich jeder in der band unterschiedliche sachen, die in ihrer bandbreite von jazz über industrial zu gothic und metal sowie zu punk und hardcore reichen. wir lehnen die meisten attitüden all dieser richtungen ab, we believe for a 100% in the hardcore ethics.. einige bandmitglieder, wie zum beispiel ich selbst, sind seit über 12 jahren in der hardcore szene aktiv. es ist etwas von dem ich seit dem ersten tag an vollstens überzeugt bin. hardcore hat sich über die jahre verändert, die ganze sache ist in jeder hinsicht größer geworden. selbst ein durchschnittliches hc fanzine hat heute eine auflage von 1000, wohingegen es früher schwer war überhaupt hundert hefte loszuschlagen. hardcore ist den kinderschuhen entwachsen, und es ist schwer zu beurteilen, was noch wirklich ist und was nicht. keiner sollte sich das recht herausnehmen über die überzeugungen und motivationen anderer zu richten..
alles was ich sagen kann ist, daß ich ein label mache, gigs organisiere, für ein paar fanzines schreibe und dabei eine menge spaß habe. hardcore ist mein leben. und ich kann mir kein leben ohne hardcore vorstellen. das gleiche gilt auch für die anderen band mitglieder. hardcore ist den kinderschuhen entwachsen, und ich glaube, wir müssen da einfach mitwachsen, und dann sehen, womit wir noch etwas anfangen können und womit nicht. für viele ist es so selbstverständlich sich eine gewisse zeit in der szene aufzuhalten, um der sache bei schwindendem interesse den rücken zu kehren. es ist immer bedauerlich leute gehen zu sehen. aber das gehört zum selbstfindungsprozeß. dafür sollte man niemanden verurteilen, das ist nur all zu menschlich.
ich würde gerne noch einmal auf dein veganismus zurück kommen. ist diese ernährungsweise in der industrialisierten, kapitalistischen ausbeutung von tieren begründet, oder wärst du auch veganer in einer intakten natürlichen welt, in der unterschiedliche lebewesen sich zwar untereinander fressen, so aber auf natürliche weise einer überpopulation bestimmter arten entgegen wirken. die frage ist, urteilst du genau so über den antilopen jagenden löwen wie du es über den kuh- oder schweinemordenden menschen tust?
ich bin mir ziemlich sicher, daß ich auch unter anderen umständen veganer wäre. aber im grunde ist das schon nicht ganz einfach zu sagen. der grund meiner veganen ernährung ist schon in erster linie der menschliche eingriff in die natürliche ordnung, und die damit verbundene barbarische ausbeutung der tiere. die abartig rücksichtslose weise wie der mensch lebewesen auf dieser erde behandelt. deshalb verzichte ich auf jegliche tierprodukte. nein, ich verurteile den antilopen jagenden löwen natürlich nicht. ich verurteile auch keine leute, die jagen oder fischen, weil sie keine andere wahl haben, wie zum beispiel eskimo stämme. wo sie leben gibt es kein gemüse. sie müssen jagen um zu überleben, das ist natürlich. einen stumpfen jäger allerdings, der aus purer lust tötet und dies vielleicht sogar noch als sport bezeichnet, den verurteile ich sehr wohl. ein jäger hat absolut kein recht tiere einfach so abzuknallen, nur weil er meint es handele sich um überpopulation. oder schlimmer noch, um seinen sadistischen neigungen nachzugehen. predators have always cleaned the nature by eating the sick and the weak animals. a human with a gun is an artificial kinda predator, disturbing the law of nature and just trying to reign supreme over nature and all living species.
ich persönlich habe musik ja nie als besonders produktiven weg ansehen können, um probleme wirklich zu lösen. im besten falle kann musik einigen leuten die augen zu bestimmten themen öffnen. aber um die besungenen probleme wirklich zu lösen bedarf es doch schon ein wenig mehr als nur in einer band abend für abend das haus zu rocken. in welcher weise geht ihr außerhalb der band die probleme an, von denen eure texte handeln?
nun, in gewisser weise haben musik und texte in der vergangenheit schon einiges geändert und werden dies auch zukünftig tun. es ist ein starkes medium. ich bin mir auch im klaren, daß wir die welt nicht verändern mit unserer musik. aber das ist auch gar nicht unsere absicht. die aktionen außerhalb der band… um ehrlich zu sein, ich tue nicht genug. wir sind in einigen tierrechtsgruppen aktiv, die wir durch finanzielle mittel oder durch benefiz shows unterstützen. zukünftig versuchen wir auch vergewaltigungsopfer und kliniken finanziell stärker zu unterstützen. außerdem hoffe ich mich persönlich mehr in direkte aktionen einbringen zu können. naja, im gegensatz zu so vielen anderen bin ich wenigstens so ehrlich offen zuzugeben, daß ich nicht 100% voll der aktivist bin.
sich der gesellschaftlichen probleme bewußt zu sein, mit dem inneren antrieb etwas gegen die ganze scheiße zu tun, kann sehr frustrierend und desillusionierend enden. wenn du nämlich merkst, daß du zum einen eh nicht großartig etwas reißen kannst. und zum anderen, daß es dem rest der welt einfach scheiß egal ist was du da tust. sehr engagiert probleme anzugehen, um plötzlich festzustellen, daß andere, die genau so von der ganzen scheiße betroffen sind wie du selbst, einen dreck auf dein engagement geben, kann schon außerordentlich frustrierend sein. je mehr energie du in deine aktionen steckst, desto frustrierender wird es. wie schafft ihr es in dieser welt nicht als schlecht gelaunte, extrem frustrierte individuen zu enden?
vieles was einem im täglichen leben passiert zieht einen herunter, frustriert einen. es erscheint eh alles sinn- und zwecklos, egal wofür du stehst, und für was du dich einsetzt, und an was du glaubst. der gesellschaftliche druck auf jedeN einzelneN ist sehr groß. das klingt jetzt vielleicht etwas abgedroschen, aber ich bin froh in dieser band zu sein, wo ich mir die seele aus dem leib schreien kann, wo ich auf der bühne völlig ausklinken kann. wo ich meine ganze wut herauslassen kann, um sie mit freunden und leuten aus dem publikum zu teilen. ich bin nicht frustriert weil es immer noch so dinge wie freundschaft, liebe und herzliche gefühle gibt, die ich mit anderen teilen kann. und in diesen augenblicken denkst du nicht an gesellschaftliche probleme. zumindest ist das bei mir so. und die hardcore szene ist eine sehr schöne möglichkeit seine guten und schlechten launen mit anderen zu teilen.
hardcore wird weitestgehend als jugendkultur (von bewegung wollen wir mal lieber nicht reden) betrachtet. eine sache, die nicht das ganze leben lang dauert. eine sache, die irgend wann einmal vorbei sein wird, weil das leben weiter geht, gefühle und ansichten sich verändern. ab einem gewissen punkt identifiziert man sich mit bestimmten ausdrucksformen einfach nicht mehr. aus diesem grunde sollte hardcore in meinen augen nicht überbewertet werden. für einige leute ist es ein bestimmter lebensabschnitt, ein sicher nicht ganz unbedeutender, aber letztlich doch nur eine phase. bis auf agnostic front und andere opas wird sich niemand ein ganzes leben lang im pit tummeln, um es sich kräftig pubertär immer auf die 12 zu geben. was kommt also in 10-15 jahren? der große crash? die erkenntnis, daß HARDCORE FOR LIFE letztlich doch nur bullshit war, ein guter witz?
du hast recht, nicht sehr viele leute schaffen es längerfristig in der szene zu bleiben. ich bin seit über 12 jahren in diesem zoo und bereue gar nichts. I believe in the lifestyle I live und ich fühle mich sehr gut dabei, und dies seit sehr langer zeit. ich habe keine ahnung was in 10 jahren sein wird, aber ich glaube daran, daß die hardcore szene immer noch da sein wird. wahrscheinlich etwas verändert mit anderen regeln und neuen gesichtern. halt wie jede andere subkultur auch. it stays, da bin ich sehr optimistisch. naja, und ich werde auch in 10 jahren noch dabei sein. interview mich dann einfach noch einmal, ok?! this was a good interview and the prove that some people at least give a fuck and try to confront a band with other questions than the average ones. thankx a lot. check our new record ´deathrow earth´ and feel free to write to us.
ok ok… hätte ich dieses interview jetzt nicht selbst angezettelt, könnte ich bei so viel klischee meinen drang, einen leserbrief zu schreiben, wohl kaum zurück halten. ich sprach in der einleitung bereits von dünnsinn, nicht ansatzweise ahnend, daß mich genau dieser erwarten würde. HARDCORE IST MEIN LEBEN war für mich schon immer ein guter lacher. aber hier wurde der bogen dann doch arg überspannt, meine fresse, metal affen unite! so schließe ich denn in der hoffnung, daß mir jemand die aufgabe des leserbriefschreibens abnimmt, und sich mal richtig über dieses und jenes gesagte auskotzt. in freudiger erwartung von reichlich post…
torsten