L7 (#82, 06-2000)
Sind L7 noch ein Thema? Nicht zwingend. Ihre Zeit als grösste Frauenband der Welt ist vorbei. Es ist ruhig geworden um L7. Die immergleiche Tour reicht nicht, um 10 Jahre lang zu schockieren. Auf ihrem neuen Album „slap-happy“ findet sich kein Hit und die Frage ist berechtigt, ob der Rock’n’Roll der vier Frauen aus Los Angeles nicht direkt für die Geschichtsbücher bestimmt ist. Ein Blick hinter die Kulissen ist angebracht. Nicht nur für diejenigen, die L7 aus Nostalgie nicht aufgeben wollen. Die „immergleiche Tour“ stellt sich als Wesen der Band heraus, das von einer breiten Öffentlichkeit einmal gefeiert, ein andermal ignoriert wird, jedoch immer da ist. Ein zweites und drittes Hinhören legt wahre Perlen frei auf „slap-happy.“ Keine Instant-Hits, dafür befinden wir uns im falschen Jahr, aber wunderschöne Songs, die aufzeigen, dass die Band nie stehengeblieben ist. Ausserdem hat L7 inzwischen eine eigenes Label gegründet, steckt viel Arbeit und Liebe in die Web-Kommunikation, steht seit kurzem auf der schwarzen Liste der amerikanischen christlichen Koalition und bekam sogar Bombendrohungen. Ja, L7 sind definitiv ein Thema!
Donita, meine Lieblings-erste-Frage lautet: Was bedeutet der Titel des neuen Albums, also „slap-happy“?
Das ist amerikanischer Slang. Wenn du viele Male ins Gesicht geschlagen wirst, dann be-kommst du eine Art Rausch, du wirst eben „slap-happy.“ Das fühlt sich gut an und ist ein bezeichnendes Gefühl für L7.
Ihr habt also Erfahrung damit?
Oh ja! Persönliche und berufliche. Man muss vielleicht noch sagen, dass das gute Gefühl des Zurückschlagens auch dazugehört.
Wie kommt „slap-happy“ denn an? Ihr habt ja einiges an eurem Sound verändert, benützt Samples, versucht euch im Hip Hop…
Das Album kommt sehr gut an. Wir dehnen uns musikalisch auf jeder Platte ein Bisschen. „Freeway“, der Hip Hop-Track ist im Spass entstanden, wir spielen den nicht live.
Ihr scheint ein Bisschen Pech mit Bassistinnen zu haben. Gail ist kurz vor den Aufnahmen zu „slap-happy“ ausgestiegen und Janis Tanaka (Ex Stone Fox und Auntie Christ) hat ihren Part übernommen. Was ist geschehen?
Gail lebt an der Ostküste. Wir dachten anfangs, dass das gut gehen würde. Wir schickten einan-der Tapes zu und ich spielte Bass im Übungs-raum. Doch es klappte nicht mehr. Janis lebt in San Francisco, zieht jetzt aber auch nach Los Angeles. Sie ist die beste Bassistin, die wir je hatten.
Ihr habt unterdessen ein eigenes Label ge-gründet: „Wax Tadpole Records“ und darauf „slap-happy“ herausgebracht. Wie kam es dazu?
Nun, wir wurden von unserem Major-Label rausgeschmissen und standen auf der Strasse. Zu einem neuen Major wollten wir nicht, wegen all den Fusionen und Zusammenlegungen zur Zeit. Für die KünstlerInnen stellen Major-Ver-träge heute überhaupt keine Sicherheit mehr dar. Wir überlegten uns dann zu einem Indie zu gehen, fanden aber, dass wir das genauso gut selbst machen können. Vor allem auch, damit wir unsere Aufnahmen endlich selbst besitzen. Alle Tapes aus früheren Studiosessions gehören nicht einmal uns. Wir können nicht entscheiden, wann es eine B-Side-Collection oder eine Best-Of-Scheibe gibt. Inzwischen ist unser Name aber gross genug, die Nachfrage nach L7-Platten reicht weit. Wir brauchen keine gigantische Promo mehr. Anfangs Neunziger hätte das sicher noch nicht geklappt, aber unterdessen sind wir eine Maschine… Zwar hatten wir einige Vertriebsprobleme, vor allem in Europa, aber wir lernen daraus und hoffen, dass es mit der nächsten Platte besser klappt.
Werdet ihr andere Bands signen?
Nein! Weil ich finde, dass ein Label 100%ige Arbeit für seine Bands machen muss. Wir haben aber eigentlich nur Zeit, uns um L7 zu kümmern, könnten einer zweiten Band auf Wax Tadpole also nicht genügend Aufmerksamkeit schenken. Einzig Seitenprojekte von uns würden wir höchstwahrscheinlich selbst rausbringen. Da steht aber noch nichts an.
Wieviel Zeit investiert ihr denn in das Label?
Wir stecken viel Arbeit in unser „Business.“ Aber wir waren schon immer sehr an unserer Karriere beteiligt. Wir kontrollierten die Arbeit unseres Managers und des Labels, weil wir nichts dem Zufall überlassen wollten. Seit einem Jahr managen wir uns selbst und es geschehen eindeutig weniger fuck-ups.
Könnt ihr denn überhaupt noch auf Tour gehen, bei soviel Arbeit?
Ja klar! Wir haben soeben eine dreimonatige US-Tour hinter uns und nun steht ein Monat Eu-ropa an. Wir werden nicht im Büro verfaulen, versprochen!
Eure Website scheint eine weitere Leidenschaft zu sein…(http://smellL7.com/)
Oh ja, es ist eine tolle Möglichkeit, mit den Fans in Kontakt zu bleiben. Wir alle schreiben viel für unsere Website. Wir beantworten die lustigen und niveauvollen Mails, Dee gibt auf ihrer „Love-Advice“-Seite Tipps in Sachen Liebe. Dann haben wir natürlich eine Shit-List, wo wir die Sau rauslassen und ausserdem gibt’s regelmässig Tourdaten, News und andere lustige Stories.
Zum Beispiel die mit euren Flugzeug-Bannern… wie ging diese Geschichte genau?
Für die Lilith-Fair, dieses abgestandene Frauen-rock-Festival in L.A. mieteten wir ein Flugzeug, an das wir ein Banner hingen mit dem Schriftzug: „BORED? TIRED? TRY L7.“ Beim Set der Dixie Chicks kreiste das Flugzeug über dem Festival. Für das doofe Skater-Macho-Punkfestival Warped Tour hatten wir uns einfallen lassen: „WARPED NEEDS MORE PUSSY…LOVE L7.“ Denn ausser ein paar Daten der Lunachicks waren gar keine Frauen auf dieser Tour. Der Pilot weigerte sich aber, mit dem Wort „pussy“ herumzu-fliegen, so änderten wir es ab zu: „WARPED NEEDS MORE BEAVER…LOVE L7.“ Damit war er einverstanden, obwohl ich persönlich „beaver“ viel schlimmer finde.
Was würdet ihr denn über Woodstock schreiben?
Oh…Woodstock? Vielleicht: „WHY? LOVE L7.“
Lass uns noch ein wenig in der Geschichte kramen. Gerade weil ihr schon so lange im Geschäft seid, möchte ich rückblickend deine Meinung zu zwei Bewegungen in der Musik der Neunziger hören: Riot Girls und Grunge?
Wir waren nie Riot Girls. Wir wurden von schlecht informierten Journalisten dazugerechnet, weil wir halt eine Frauenband sind. Aber ich kenne gar nicht allzu viele Riot Girl-Bands. Bikini Kill gefällt mir sehr gut, aber sonst…? L7 hatte auch gar nie ein politisches Programm. Natürlich befürworteten wir viele Anliegen der Riot-Girl-Bands, aber ihr umgekehrter Sexismus, der Ausschluss von Männern, war nie unser Ding. Und zum Grunge-Hype: wir profitierten sehr davon. Vor allem weil wir auf Sub Pop waren. Wir betrachteten uns zwar nie als als Grunge-, sondern ganz einfach als Rock’n’Roll-Band, aber das ging den meisten dieser Gruppen so. Grunge war ein durch die Presse und die Plattenfirmen hochgepushtes Phänomen. Durch diesen Hype und Sub Pop wurden wir jedoch von einer L.A.-Band zu einer internationalen Band.
Wie gefallen dir junge Girl-Bands? Zum Beispiel The Donnas und Kittie?
Ich mag die Donnas sehr! Zu Kittie kann ich wenig sagen, ich habe sie nur einmal in einer Fernseh-Show gesehen.
Mir fiel auf, dass ihr euch punkto Cover-Ästhetik sehr von diesen Bands unterscheidet. Sie haben herausgeputzte Hochglanzfotos von sich im CD-Booklet, während ihr Monster oder Frankenstein abbildet…
Hm…da stand nie eine Absicht dahinter. Ich liebe Frankenstein, Monster und „hässliche“ Sachen ganz einfach. Aber ich habe nichts gegen Bands, die sich in Maske und Schminke auf dem Cover abbilden lassen.
Von der Fotografie zum Film: Ihr habt in John Waters` Meisterwerk „Serial Mom“ gespielt, wie steht’s da mit Plänen für die Zukunft?
Wir haben keine Pläne in die Richtung. Klar, wenn John Waters wieder anklopfen würde, wären wir sofort dabei. Oder ich würde sofort in jedem Streifen mitspielen, bei dem Jim Carrey mitmacht. Ich bin besessen von Jim Carrey.
Und Videos?
Chris Novoselic von Nirvana hat ein Video mit uns gedreht im letzten Jahr: „The Beauty Process.“ Ein, wie soll man das sagen, „Low-Budget-Punkrock-Art-Film.“ Doch der ist nur in einer sehr kleinen Auflage im amerikanischen Video-Format erschienen. Wir brachten nicht einmal Kopien mit auf Europa-Tournee. Ausser-dem haben wir im letzten Herbst in Texas versucht ein Video zum Song „Crackpot Baby“, dem Opener von „slap-happy“, zu drehen. Der Dreh musste aber wegen einer Bombendrohung, die auf mein Handy einge-gangen war, abgebrochen werden. Nicht wegen uns, wir hätten weitergedreht. Aber im Video kommt eine Horde Affen vor. Die wollten wir nicht gefährden. Sie waren auch derart hoch versichert, dass der Regisseur und L7 finanziell am Arsch gewesen wären, wenn sie verletzt worden wären. Nach dieser Tour werden wir das Video aber fertigdrehen und es auch auf unserer Website zeigen.
Wer könnte euch da gedroht haben?
Keine Ahnung. Wütende Bekannte? Wer weiss. Wir wurden vor kurzem von der amerikanischen christlichen Koalition auf die schwarze Liste gesetzt, vielleicht haben die ja etwas damit zu tun.
Ihr hattet ja noch einen ungewollten Fernsehauftritt in der Aerzte-Serie „Chicago Hope“…
Oh ja… Die haben unseren Song „I Need“ ge-braucht. Und zwar hat sich eine Ärztin L7 zum Operieren angehört, was einen Assistenzarzt soweit brachte, dass er sich vom Dach der Klinik stürzen wollte. Er sagte, der Sänger sei ein „gurgelnder Transvestit.“ In dem Lied singen Suzi und ich beide und seither streiten wir uns darum, wem diese Ehre gebührt!
Interview: Martin Schrader.