Mai 11th, 2020

KRITISCHER KONSUM – SPECIAL TEIL 1 aus #177, 2016 und Teil 2 aus # 178, 2016

Posted in artikel by Jan

Hilft Konsum die Welt zu retten?
Eine kritische Auseinandersetzung mit „ethischem Konsum“

Schreckensmeldungen oder Dokumentationen und Reportagen über die Missstände dieser Welt sind inzwischen hinreichend bekannt. So hören wir beispielsweise von Bränden in einer der über 5000 Textilfabriken in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, bei denen 120, zumeist weibliche Textilarbeiter_innen, sterben, oder von zusammenstürzenden Textilfabriken z.B. in Rana Plaza, deren marode Böden den schweren Maschinen nicht standhielten. Auch Bilder von Kindern die auf Kakaoplantagen unter erbärmlichen Bedingungen arbeiten, die Sklavenarbeit in Gold- oder Coltan-Minen, Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen, die für den Konsum der Länder des globalen Nordens 18 Stunden am Stück schuften, ohne dass die Entlohnung zum Überleben ausreicht, sind uns kaum noch eine Schlagzeile wert. Erderwärmung, Klimawandel, Treibhausgasemissionen, Atommüll und Elektroschrott, Plastikinseln im Meer oder verseuchte Gewässer…die Liste der gravierenden Problematiken unseres Zeitalters ist lang.

Terror und Kriege, hungernde und verdurstende Menschen, Armut, soziale Ungleichheitslagen, eine immer größer werdende Schere zwischen Armen und Reichen – auch diese Themen hängen mit den benannten Mitweltproblematiken zusammen. Denn während wir hier in den Ländern des globalen Nordens noch diskutieren, ob und wenn ja wie wir die Erderwärmung um nicht mehr als 2°C ansteigen lassen können, baden viele Menschen die durch den enormen Ressourcenverbrauch mitverursachten Folgen aus, welche vorrangig von den Ländern des globalen Nordens ausgehen – die meisten Personen in den Ländern des globalen Südens kommen aufgrund ihrer Lebenslagen gar nicht in die Situation, so viele Energieressourcen zu verbrauchen. Die Verseuchung der Gewässer und sinkende Grundwasserspiegel betreffen uns zwar indirekt auch (sitzen wir bezogen auf unsere Gesamtlebensgrundlage – der Erde – im gleichen Boot), jedoch kann es uns erstmal egal sein, wenn irgendwo die Fischbestände und damit die Lebensgrundlage vieler vom Fischfang lebender Regionen aufgrund der Verseuchung von Gewässern, aussterben. Oder ganze Landstriche zu Wüsten werden, weil der Grundwasserspiegel gesunken ist.

Wir haben das Privileg weiterhin so leben zu können, wie wir es gewohnt sind – und sind die Ersten, denen Alternativen zu schwindenden Ressourcen zugutekommen. Wir sind die, welche Schutzmaßnahmen ergreifen und bezahlen können, um negative Folgen des hohen Ressourcen- und Energieverbrauchs, wie klimatische Veränderungen, auszugleichen bzw. von uns abwenden zu können. Wir sind in der Lage, unsere Menschenrechte (z.B. bzgl. unserer Arbeitsbedingungen) durchzusetzen und haben Zugang zu Medien, die uns dazu verhelfen, widerfahrenes Unrecht zu verbreiten. Wir können alles kaufen, was wir brauchen- und vieles darüber hinaus, was uns das Leben scheinbar angenehmer, erträglicher macht.

Und dabei haben wir weiterhin die Wahl, ob wir Kleidung und andere Güter konsumieren, die entweder soziale und ökonomische Nachhaltigkeitsaspekte beachten oder nicht. Und können uns auch noch darüber beschweren, dass die fair gehandelten Klamotten, der Öko-Strom, die Bio-Lebensmittel so teuer und der Verzicht auf den extrem klimaschädlichen Konsum von tierlichen Produkten so anstrengend ist und nicht ganz genauso schmeckt, wie das, was wir sonst immer konsumiert haben. Aber was würde ein von „oben“ auferlegter Zwang, z.B. durch Gesetze, um etwas zu verändern auch bringen?

Zum einen würden wir uns wohl lautstark darüber beschweren, dass wir als emanzipierte Bürger_innen ja wohl in der Lage sind selbst zu entscheiden, was gut und richtig ist. Zum Anderen wäre die Frage, mit welcher Intention dieses „oben“ (gemeint sind Macht- und Herrschaftsstrukturen) Sachen bestimmt – ob also globale Verbesserungen durchgesetzt werden (die z.B. etwas am hohen Ressourcenverbrauch verändern oder weniger energieverbrauchende Alternativen anbietet) oder ob Entscheidungen von Interessen bestimmter Lobbygruppen (z.B. aus der Wirtschaft) geleitet werden. Wer kontrolliert dann also die Kontrolleur_innen? Und: Welche Strategie könnte stattdessen in Frage kommen?

Allerdings scheint doch an einigen Stellen ein Umdenken stattzufinden: Sich kritisch mit Konsum auseinanderzusetzen, ist über die Thematisierung in bestimmten Szenen oder politischen Gruppierungen hinaus aktuell. Fair gehandelte Kleidung oder Bio-Lebensmittel zu kaufen, werden für eine größer werdende Anzahl von Personen bedeutsam und es gibt auch immer mehr Möglichkeiten hierzu. Soziale und ökologische Auswirkungen unseres (Über-) Konsums sind regelmäßig Thema in den Medien und in der Politik.

Das aktuelle Interesse an den Themen Fair Trade, Bio und anderen Formen von nachhaltigem Konsum, kann möglicherweise mit einem gestiegenen Bewusstsein für Produktionsprozesse und Auswirkungen von (Über-)Konsum zusammenhängen. Hierauf haben sicher die medialen Möglichkeiten, die viele Sauereien, mögliche Folgen bestimmter Produktionsprozesse bzw. die Art und Weise der Produktion erst in die Öffentlichkeit gelangen lassen, sicher auch einen Einfluss.

Alles Grün ist gut?!?
Allerdings ist nicht alles wirklich grün und gut, was sich so anbiedert und nicht zu unterschätzen ist, dass diese Ideen auch grade hip und Ausdruck eines Lifestyle-Trends sind und somit auch Teil von Identitätsbildungsprozessen bestimmter Personengruppen, wie bei den sogenannten LOHAS (das ist die Abkürzung für „Lifestyles of Health and Sustainability“). Gemeint sind Personen, die bzgl. ihres Lebensstils und Konsums auf Nachhaltigkeitsaspekte achten. Jedoch impliziert der Begriff der Gesundheit schon, dass es hier stark um die eigene Person und Identität, den eigenen Lebensstil geht.

Und so wäre die Mutter des Gedankens bei den Konsument_innen dann nicht vorrangig, etwas an den Lebensbedingungen der Textilarbeiter_innen in Bangladesch zu verbessern und deswegen das fair gehandelte, vegane, Bio-Shirt zu kaufen, sondern, sich selbst auf eine gewisse Art und Weise darzustellen. Das mag dann vielleicht einen guten Kern haben – schließlich ist das Shirt dann wenigstens fair gehandelt etc., jedoch reduziere ich meinen Konsum dann nicht, sondern konsumiere fröhlich weiter-nur mit gutem Gewissen. Und der notwendige Wertewandel wird verdrängt von Selbstdarstellungsgebarden.

Trends lassen auch Unternehmen hellhörig werden – und wenn es Möglichkeiten gibt, Profit aus etwas zu schlagen, diese dann auch gerne mal auf einen Trendzug mitaufspringen: Ob nun ernsthaft durch die Verbesserung von Produktionsbedingungen oder nur durch die Behauptung es zu tun.

Und das führt dann auch schon zur zugrundeliegenden Frage: Genügt besserer bzw. ethischer Konsum oder muss es Verzicht bzw. Dinge teilen und tauschen sein, um die Welt zu retten oder, etwas weniger pathetisch ausgedrückt: Etwas am aktuellen Verlauf der Ressourcenverschwendung, Schädigung der Erde und unwürdigen Lebensbedingungen vieler Menschen zu verändern?

Fragen über Fragen
Die erste Zwischenfrage, der hierbei nachgegangen werden soll ist, was ethischer Konsum überhaupt ist. Der Begriff des ethischen impliziert zunächst, dass es um Konsum geht, welcher aus einer moralischen Perspektive heraus als richtig oder gut bewertet werden kann. Bezogen auf Konsum geht es also darum, welche Art von Konsum oder konkreter, welche Produkte bzw. Handlungen in moralischer Hinsicht als „gut“ oder „korrekt(er)“ bewertet werden können. Dies hängt eng zusammen mit Definitionen von gut oder schlecht. Folgt mensch den gängigen Definitionen von Nachhaltigkeit sind „gute“ Produkte/Handlungen, die, welche z.B. möglichst wenig ökologische Fußabdrücke (also CO2-Emissionen/Müll etc.) hinterlassen, möglichst wenig Ressourcen in Anspruch nehmen und/oder Zerstörung der Mitwelt vermeiden und auf einer sozialen Ebene fair bzw. gerecht (z.B. durch angemessene Entlohnung, Arbeitsbedingungen) vertretbar sind.

Dann stellt sich die Frage, inwieweit diese Idee des „besseren“ Konsums überhaupt verwirklichbar ist: In einer Welt in der die Produktions- und Handelsketten stark differenziert, aufgeteilt und damit schlicht intransparent sind oder gehalten werden, ist es gar nicht möglich, völlig ethisch korrekt zu konsumieren. Dies würde ein extrem großes Maß an Zeit und Kompetenzen benötigen, die mensch gar nicht besitzen kann, ohne sich durch und durch mit der Thematik zu befassen und die restlichen Anforderungen des Lebens zu vernachlässigen (selbst dann würde dies nie für alle Produkte gelten können), um genaue Einblicke in die Produktionsbedingungen und Lieferprozesse zu bekommen.

Da bleibt also oftmals nur das zu tun, was eben am wenigsten schlecht erscheint bzw. die bestmögliche Alternative zu wählen und dann eben fair gehandelte T-Shirts zu kaufen, die zumindest halbwegs glaubhafte Siegel haben, welche das Versprechen der fairen Bedingungen garantieren sollen. Skepsis ist hier natürlich angebracht. Wer hat die Sigel definiert, was steckt dahinter, was garantieren sie, was nicht? Dass Siegel für Fleisch aus artgerechter Haltung in der Massentierhaltung für die Tonne sind, ist ziemlich naheliegend.

Eine weitere Frage ist, ob ethischer Konsum ein Trend ist, bei dem es nur um das eigene gute Gefühl geht, darum das Gewissen zu beruhigen und gar nicht um einen ernsthaften Veränderungswillen und dies somit Konsumismus vielleicht noch verstärkt – wenn ich nun ohne Gewissensbisse nicht nur konsumieren kann, sondern sogar noch das Gefühl haben darf, die Welt hiermit zu retten. Was verändert bzw. verbessert ethischer Konsum dann eigentlich noch? Nur das Konsumverhalten? Geht es überhaupt darum, aus dem Kapitalismus auszusteigen?

Wie ist es z.B. zu beurteilen, wenn Menschen ihre ausgedienten Sachen auf Tauschportalen anbieten aber dafür Verpackung und Transport der Waren zum Gesamt-Ressourcenverbrauch hinzugerechnete werden müssen? Bringen Couchsurfing und weiter günstige Unterbringungsmöglichkeiten etwas, wenn mensch bedenkt, dass durch die billige Möglichkeit der Unterkunft Flugreisen in entfernte Regionen erst erschwinglich werden? Ist Konsumverzicht wirklich der einzige gangbare Weg?

Und: Welcher Logik folgt es, wenn Firmen, die ethischen Konsum proklamieren auf Wachstum ausgerichtet sind? Wie ist es zu bewerten, dass ethischer Konsum auch zu einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Zweig geworden ist, auf den auch große Unternehmen, um der eigenen Imagepflege Willen oder auch um Kund_innen weiterhin an sich zu binden, aufgesprungen sind? Ist es gut, dass Bio-Lebensmittel, Öko-Klamotten und weitere Alternativen nun auch in Supermärkten und bei großen Unternehmen zu finden sind? Oder verwässert das auch etwas von dem, was die grundlegende Idee von Nachhaltigkeit ausmacht?

„Ich bin geduscht und angezogen, lass uns einkaufen gehen um die Welt zu retten, Baby“
Was wollen wir in diesem Special tun? Neben einer theoretischen Bestandsaufnahme zu den Fragen, was Konsum und Nachhaltigkeit überhaupt ist, welche Inhalte mit diesen Begriffen verbunden sind, der Darstellung hiermit zusammenhängender Themenbereiche (wie Veganismus, Bio, Fair-Trade-Konzept ), ist es uns von Bedeutung, die hiermit im hohen Maße zusammenhängenden Macht-und Herrschaftsverhältnisse zu betrachten und sich mit dem Totschlagargument des angeblich notwendigen steten Wirtschaftswachstums durch Konsum zu befassen.

Darüber hinaus erschien es uns interessant, mit Unternehmen über die Thematik des ethischen Konsums zu sprechen, die in diesem Bereich schon lange etabliert sind, oder aber sich auf der Grundlage aktueller gesellschaftlicher Prozesse mit den Themen befassen. Für beide Zwecke haben wir jeweils zwei Unternehmen befragt. Über die Kehrseite des Konsums – das Müllproblem – sprachen wir mit einem Upcycling-Unternehmen, wobei es uns hier vorrangig darum ging, über mögliche nachhaltigere Alternativen zum Umgang mit Müll zu sprechen, fernab von Recycling, endloser Lagerung und ins Weltall schießen.

Dass wir hierbei als weiße Menschen aus einem Land kommend, das sich vor lauter Wohlstand und Sicherheit selbst bescheisst, aus einer privilegierten Position heraus berichten, ist uns bewusst und sollte kritisch betrachtet werden. Damit kann unsere Perspektive auch nur ein kleiner, subjektiver Blick auf die gesamte Thematik sein, welcher hoffentlich dazu führt, dass Menschen Impulse mitnehmen können, um sich mit dem Thema selbstständig auseinanderzusetzen. Und eben nicht nur den Bericht zu konsumieren.

Nachhaltigkeit – ein komplexes Konzept kurz erklärt
Wirtschaftliche Prozesse haben den Begriff der Nachhaltigkeit schon längst für sich entdeckt und klar gemacht, was mit ihm passieren soll. Der Begriff wurde durch eine Integration in kapitalistische Prozesse so verwaschen, dass jetzt tendenziell alles nachhaltig sein kann, ohne die eigentlichen Inhalte noch zu reflektieren. In einem System, geprägt durch ungleiche Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Überkonsum und Kurzlebigkeit von Produkten, werden einzelne kleine, angebliche Verbesserungen als nachhaltig hochstilisiert. Nachhaltige Entwicklung ist kein neues oder komplex zu begreifendes Konzept. Wichtig ist jedoch hierbei eine Definition nachhaltigen Verhaltens anzubieten, die über eine produktzentrierte Sicht hinausgeht. Denn es reicht z.B. nicht, dass dein Produkt zu 100% nachhaltig ist, aber die Herstellerfirma ihren Betriebsmüll in die Weltmeere wirft.

Als Grundlage für eine knapp vorgetragene Definition von nachhaltiger Entwicklung soll der Bericht „Our Common Future“ herangezogen werden. Dieser wird auch als Brundtland-Bericht bezeichnet, da die ehemalige Norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland den Vorsitz für die verantwortliche Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen inne hatte. Der Brundtland-Bericht, übrigens schon fast 30 Jahre alt, spricht in Bezug auf nachhaltige Entwicklung von einem Konzept, dass zwei Dinge in den Fokus nimmt:

Erstens soll die Beseitigung von Ungerechtigkeiten, die momentan existieren und maßgeblich durch kapitalistischen Überkonsum entstanden sind, im Fokus stehen. Es geht im ersten Schritt also um die Erweiterung der Bezugsgröße zu einer globalen Gerechtigkeit. In diesem Sinne sollten wir die Auslagerung von elenden Produktionsbedingungen, die Erzeugung massiver Mitweltbelastungen zum Zwecke des eigenen Wohlstandes, kritisch reflektieren und im Idealfall möglichst schnell abschaffen. Zweitens geht es darum, dass auch die Bedürfnisse späterer Generationen in die heutigen Entscheidungen einbezogen werden und dass diese nicht die Verfehlungen der Vorgängergenerationen ausbaden müssen.

Nachhaltigkeit teilt sich in ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen auf, welche im Idealfall nicht in Konkurrenz zueinander existieren, sondern bei einer gemeinsamen Berücksichtigung zu einem umfassenden nachhaltigen Konzept führen.

Die ökologische Nachhaltigkeit ist besonders bedeutsam, da die Erde ohne einen ausgeglichenen Zustand zwischen Ressourcenverbrauch und -regeneration nicht überlebensfähig ist: Holze ich eine bestimmte Fläche Regenwald ab, muss ich bedenken, dass es einen Ausgleich für die Menge an CO2 geben muss, die diese Fläche gebunden hätte. Leider ist es aber so, dass manche Sachen, wie eben die Regewälder mit ihrer Artenvielfalt und Bedeutung für unsere Klima, nicht zu ersetzen sind. Auch das Schmelzen der Polkappen oder die Überfischung der Meere können nicht ohne weiteres ausgeglichen werden. Ökologisch nachhaltig wäre es im Gegensatz dazu, wenn wir unsere Mitwelt so begreifen und behandeln würden, dass diese in ihren Eigenschaften dauerhaft weiterbestehen kann.

Wir müssen uns entscheiden
Konzepte des ethischen Konsums weisen Parallelen zu einer umfangreichen Mitweltpolitik auf, da mensch vor der Frage steht, ob wir aus „bösen“ Konsum „guten“ machen können oder ob es eine Abkehr vom konsumorientierten Leitbild braucht. Der Bezug bei den individuellen und politischen Entscheidungen liegt dabei in der Überlebensfähigkeit der Menschen und der Erde. Die Frage ist, auf welche Art und Weise wir überleben wollen und ob wir bereit sind, unser Leben an die dafür erforderliche ökologische Nachhaltigkeit anzupassen. In Anbetracht der vielfältigen Mitweltprobleme erhöht sich die Dringlichkeit zur Veränderung so massiv, dass mensch am liebsten direkt vor der eigenen Haustür anfangen möchte. Und dies auch wirklich dringend tun sollte.

Die soziale Nachhaltigkeit zeichnet sich durch eine Nutzung von Ressourcen und Umsetzung von Maßnahmen aus, welche individuelle und kollektive Überlebensfähigkeit von Personen(gruppen) garantiert. Darüber hinaus soll mehr Gerechtigkeit für eine größere Anzahl von Personen erreicht werden. Dies beinhaltet z.B. faire Arbeitsbedingungen für alle Menschen. Auch hier sollte die Langfristigkeit des sozialen Zusammenlebens sichergestellt werden. Dafür müssen die Förderung von Solidarität, Gleichberechtigung der Geschlechter und die Umsetzung von inklusiven Gesellschaftsformen garantiert sein.

Wir merken die Auswirkungen der fehlenden sozialen Nachhaltigkeit an gesellschaftlichen Problemen wie Diskriminierung, Terrorismus oder einer immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich. Wir sehen, dass das Leben in den Ländern des globalen Nordens auf Ausbeutung von unterschiedlichsten Menschen über den Erdball verteilt beruht. Weniger global betrachtet sind wir sogar noch immer weit davon entfernt Chancengerechtigkeit in unserem eigenen Bildungssektor und Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir stellen nicht dauerhaft sicher, dass Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten für alle Menschen gleichermaßen möglich sind. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen, die das Konzept von sozialer Nachhaltigkeit konterkarieren. So z.B. das Chicago Board of Trade, die Lebensmittelbörse, an der Nahrungsmittelpreise mittlerweile bewusst in die Höhe getrieben werden, um eigene Profite auf Kosten hungernder Menschen zu erzielen. Klar ist es keine Neuigkeit, dass wir keine sozial gerechten, geschweige denn nachhaltigen Verhältnisse haben. Nur die Konstrukte die wir gesponnen haben, welche dies verhindern, sollten offen gelegt werden.

Ökonomische Nachhaltigkeit ist der dritte Nachhaltigkeitsaspekt und bedeutet eine Abkehr vom momentanen Effenzienzparadigma des wirtschaftlichen Wachstums. Ökonomisch nachhaltig wäre es, wenn wir unseren Wohlstand nicht anhand von Pro-Kopf-Einkommen oder Bruttoinlandsprodukt definieren würden, sondern stattdessen eine Auseinandersetzung mit der Frage forcieren würde, was genau denn Lebensqualität ausmachen könnte. Hierbei steht im Mittelpunkt, dass unser ökonomisches wirtschaften zentral an seiner Sozial- und Mitweltverträglichkeit gemessen werden sollte.

Wir müssen uns also mit einem umfassenden Konzept auseinandersetzen, das sich in seiner Komplexität und seinen Intersektionen nicht befriedigen lässt, indem wir uns an minimalen Standards orientieren. Eine nachhaltige Veränderung ist nur durch ein radikales Umgestalten der aktuellen wirtschaftlichen Wachstumsökonomie vorstellbar. Wirklich nachhaltig ist also nicht, wenn ein Produkt unter vielen fair, öko und nachhaltig ist, sondern erst dann, wenn das gesamte Firmenkonzept, alle Produktionsteile und -prozesse bis hin zur Entsorgung, Nachhaltigkeitsaspekten entspricht.

Ansonsten ist es am Ende möglicherweise nur eine Bestärkung des eigentlichen Systems durch Einführung einer möglichen Konsumalternative, die uns fröhlich weiter konsumieren lassen (vielleicht ohne schlechtes Gewissen sogar noch mehr konsumieren lässt) und am Ende doch nur punktuell etwas ändert. „Komm! Konsumier doch weiter bei uns! Wir bezahlen unsere Mitarbeiter genauso schlecht wie vorher, Wachstum ist immer noch unsere höchste Priorität und mit ökologischer Verantwortung beschäftigen wir uns höchstens zu Marketingzwecken – aber genau deswegen steht jetzt auf einem unser Produkte Nachhaltigkeit!“

Es ist nicht einfach so alles Scheisse – die Probleme haben ein System
Hier nur ein paar zusammenhängende Beispiele die verdeutlichen, was gemeint ist mit dem angesprochenen Gesamtzusammenhängen aller drei Nachhaltigkeitsaspekte: Das ökonomische System sieht sich seit ein paar Jahren enormen Krisen ausgesetzt und die grundlegende Ausrichtung dessen wird nicht erst seit der finanziellen (oder doch humanitären?) Katastrophe in Griechenland auf Sinn und Verstand diskutiert. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir uns einem System gegenüber, dass eine konträr-nachhaltige Ausrichtung im Sinn hat. Wir sehen, dass dieses System nicht allen Menschen Platz und Chancen zurechnet, sondern ein ungerechtes und begrenztes Leistungsdenken fördert, bei dem Menschen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene gewollt auf der Strecke bleiben.

Dazu kommt, dass der Finanzsektor auf kurzfristige Profite ausgerichtet ist, an denen in der Regel (immer) bestimmte Interessengruppen verdienen. Das ökonomische System scheint also einer generellen Systemkrise ausgesetzt, da es wie bisher – elitefördernd und exkludierend – auch in einem sozial nachhaltigen Sinne in dem Ausmaß nicht mehr funktioniert. Beispielsweise sehen wir eine ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland, die ökonomische Formel „Die Reichen werden immer reicher und die „Armen“ immer ärmer“ ist zwar nicht neu, trotzdem gewinnt sie in den letzten Jahren an Bedeutung, da die prekären Lebenssituationen ansteigen. Hier haben wir es mit einer Gefährdung und Minimierung von gesellschaftlicher Solidarität zu tun. Die Gruppe, die an überproportionalen Reichtum gelangt, wird immer kleiner und wir erleben weltpolitisch den stärker werdenden Willen von Menschen, daran teilzuhaben oder zumindest auch die Chance zu bekommen, aus dem schlimmsten Elend heraus zu kommen und gleichzeitig eine Wiederkehr von unsolidarischen Nationalstaatskonzepten. Der aktuelle Anstieg von Menschen, die sich aufgrund katastrophaler Lebensbedingungen entscheiden, in ein schutz- und wohlstandsbietendes Land zu flüchten, hängt also auch mit kapitalistischen Verteilungskämpfen zusammen. Ein Teil der nach Deutschland geflüchteten Menschen (bspw. aus Eritrea) flieht aufgrund von Armut.

Diese Menschen lassen wir am langen Arm unseres Kapitalismus, also der Herstellung unseres eigenen Luxus, verhungern – und das sind nicht die Einzigen die darunter zu leiden haben, sondern nur die Gruppe, die diese lange und lebensgefährdende Flucht auf sich nehmen. Und wenn mensch sich mit der Flucht aus Gründen von Armut beschäftigt, sei also der Hinweis erlaubt, dass Flucht oftmals wegen Diskriminierung und Macht- und Herrschaftsverhältnissen erfolgt. Und wäre dies alles nicht schon schlimm genug, werden wir in Zukunft ebenfalls erleben, dass Menschen aufgrund der ökologischen Konsequenzen ihre Heimat verlassen müssen, da ihre Lebensgrundlagen, wie beispielsweise sauberes Grundwasser, Anbaumöglichkeiten oder überhaupt der Fleck Erde auf dem sie bisher gelebt haben nicht mehr existent sind.

Sich dann symbolisch an die Grenze zu stellen und eben jenen zuzurufen, dass Sie ihre Verhältnisse in den Griff bekommen sollen ist ein besonders ausgeprägtes Merkmal menschlicher Ignoranz. Das sind nicht ihre Verhältnisse, das sind unsere gemeinsamen Verhältnisse.

Marktmechanismen könnten repariert werden und die Bereitschaft der Menschen die kapitalen Ungerechtigkeiten zu erzeugen und auch auszuhalten ist irgendwann in naher Zukunft hoffentlich vorbei. Aber es bleibt auch hier festzustellen, dass wir nicht aus Versehen nicht nachhaltig leben, sondern unser kapitalistisches System darauf basiert effizient und auch eurozentristisch zu handeln – es sollen nicht alle teilhaben. Mensch könnte meinen, dadurch, dass die Ökonomie in Europa an ihre Grenzen stößt, Raum für Veränderung entsteht. Für eine Prognose, die hier ausdrücklich nicht vorgenommen werden kann, bleibt aber zu berücksichtigen, dass in diesen Lebens- und Arbeitsbereichen Erkenntnisse in Bezug auf Nachhaltigkeit schon jahrzehntelang vorliegen und dass die derzeitige Modeerscheinung Nachhaltigkeit in den meisten Fällen ein systemstabilisierendes Instrument ist, um am neoliberalen Kapitalismus festzuhalten.

*

Quellen:

Brundtland-Bericht, 1987: http://www.un-documents.net/ocf-02.html
Rosen für die reiche Welt, Die ZEIT Online: http://www.zeit.de/2005/30/Rosenkrieg
DIW Wochenbericht, Vermögensverteilung, 9/2014: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.438708.de/14-9.pdf
Reiche werden reicher, Arme werden mehr, Die ZEIT Online: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/diw-studie-verm
Die Wahrheit über Arm und Reich, Die ZEIT Online: http://www.zeit.de/2014/23/thomas-piketty-umverteilung-kapitalismusoegensverteilung-deutschland
Warum muss Joey hungern? Die ZEIT Online: http://www.zeit.de/2013/42/hunger-unterernaehrung-dossier
Auf Asylsuche: Diese Menschen fliehen nach Deutschland, Süddeutsche: http://www.sueddeutsche.de/politik/auf-asylsuche-diese-menschen-fliehen-nach-deutschland-1.2176397-3
Pufe, Iris (2014): Nachhaltigkeit. 2. Überarbeitete und Erweiterte Auflage: Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH

*

Hauptsache ihr habt Spaß? Sinn und Unsinn unseres Konsums
Wie bereits erwähnt bezieht sich eine Vorstellung von ethischem Konsum stark auf die bereits erläuterten Nachhaltigkeitsvorstellungen. Konsum kann grundsätzlich alles sein, was Menschen als solchen auffassen und sich gleichzeitig einbilden zu besitzen: Beispielsweise konsumieren wir Erlebnisse oder Momente, denen wir aufgrund ihres Konsumcharakters überraschende oder selbstreflexive Elemente kaum ermöglichen. Wir saugen diese Momente auf und bestimmen ihren Kosten-Nutzen Effekt auf Bestellung. Ein Urlaub in Indien soll uns partout kosmopolitischer machen, wohingegen mensch in die Alpen fährt, um die eigene Work-Life Balance zu hinterfragen. Mal wieder richtig runterkommen, eben. An der frischen Luft. Die Frage ist hierbei, wem welche Definition nützt und wer davon profitiert, wenn wir Konsum allumfassend definieren. Naheliegend ist, dass der Begriff dadurch unscharf und weniger greifbar wird. Deswegen soll in diesem Kontext zwar eine simplifizierte, aber für die praktische Handlungsanweisung nützliche Definition von Konsum verwendet werden.

Ein Mindestmaß an Konsum oder der maximal ethische Aufwand?
Wir begreifen Konsum als (Kauf-)Entscheidungen, bei denen ich die zur Verfügung stehenden Ressourcen einsetze um ein von mir gewähltes Produkt zu erwerben. Brechen wir Konsum auf die Kaufentscheidung herunter, werden die Handlungsmöglichen deutlich: Kaufen kann jeder. Wobei die Auseinandersetzung mit den bereits angesprochenen konsumistischen Verhaltensweisen in unterschiedlichen Lebensbereichen auf jeden Fall notwendig ist:

Die Frage danach, warum wir konsumieren, führt uns zur grundsätzlichen Feststellung, dass wir erstmal aufgrund von physiologischen Bedürfnissen zum Sinn und Zweck des Überlebens konsumieren. Wir bewegen uns darüber hinaus zwischen einem selbst- und fremdbezogenen Konsum, aus dem mensch gemeinsam und beeinflusst von unternehmerischen Marketingstrategien heutzutage seinen, in keiner Verhältnismäßigkeit stehenden, Überkonsum ableitet und rechtfertigt. Der selbstbezogene Konsum wird weit über die Befriedigung elementarer Bedürfnisse hinaus zur Verarbeitung von eigenen Problemen benutzt, oder um sich selbst besondere Erlebnisse zu schenken. In diesem Kontext könnte mensch Konsum auch als Kompensationsmittel beschreiben. Gleichermaßen kann mensch auch Dinge konsumieren, um sich selbst Darzustellen, sich mit anderen zu identifizieren oder sich abzugrenzen. Und das sollte uns Szenegirls- und boys doch wohl allen bekannt vorkommen.

Wir reden, schreiben und debattieren über das Thema Konsum in einer Zeit, in denen große Elektronikfachhandelsketten mit dem Slogan „Hauptsache ihr habt Spaß!“ werben und die Empörung in der Gesellschaft darüber gegen Null tendiert. Im Zweifelsfall fühlen wir uns als Gesellschaft moralisch entlastet, da die Firmen, deren Produkte wir kaufen sollen, uns gesagt haben, dass wir weiterhin ihre Produkte kaufen dürfen. Andererseits ist uns durchaus bewusst, dass wir einem exorbitanten Konsumverhalten frönen und dieses in Zusammenhang mit der Verschlechterung von Lebensläufen auf der ganzen Welt geschieht. Aber unser persönliches Wohlbefinden wollen wir ja zwischen diesen Fronten auch noch verteidigen-schließlich haben wir es uns verdient. Und dabei soll uns bloß nicht irgendwer den Spaß verderben.

Beim Schreiben über das Thema Konsum stellen sich vielschichtige Fragen, die sich darum drehen, wen mensch eigentlich für die Gesamtscheiße und seiner Systematik beschuldigen darf und wer eigentlich die Verantwortung trägt. Die Konsument_innen? Die Politik? Die Werbung? Oder Unternehmen? Etwa das Wirtschaftssystem? Der Kapitalismus? Wir begeben uns auch ganz gerne mal in die sogenannte Opferrolle, indem wir den Firmen, Marken und Märkten einen höheren Anteil am Entscheidungsprozess einräumen als uns selbst. Es scheint eine Menge von Erklärungshürden zu geben, die wir aufstellen, um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten und dem Umstand einer möglichen Verhaltensänderung zu verhindern.

Erstens wäre da: Werbung & Marketing lassen dir ja kaum eine Wahl! Dicht gefolgt von: Es ist ja eh nur eine Auswahl zwischen Pest & Cholera, eine wirkliche Alternative gibt es ja gar nicht. Oder auch: Aber du bildest dir doch nicht ehrlich ein ALLES richtig zu machen? Damit möchtest du jetzt anfangen? Was ist denn mit all dem Anderen? Und dann – wenn mensch sich gerechtfertigt hat, erläutert hat, warum es gerade wegen unseres Überflusses Handlungsmöglichkeiten gibt – kommt es: Findest du das nicht ein bisschen radikal? Also für mich wäre das ja nichts.  Diskussion beendet? Darum soll es hier ja gehen. Was bleibt einem? Resignation oder Selbstermächtigung?

Dass in manchen der genannten Argumente Wahrheiten versteckt sind, soll hier nicht zur Debatte stehen. Denn nicht nur die Kosnument_innen schieben so gerne ihre Verantwortung weg: Die Politik schiebt es gern auf die Wirtschaft, welche sich hier stärker engagieren muss, die Wirtschaft schiebt sie wieder zurück – denn sie müssen ja wachsen, und die Unternehmen dann auf die Wirtschaft, die sie zwingt aufgrund von Konkurrenz mitzuwachsen und auch auf die Konsument_innen, die ja möglichst billig alles haben möchten. Und da wären wir wieder bei dem angelangt, was wir tun könnten.

Konsum ist auch Ausdruck von Veränderungen innerhalb der Gesellschaft. Dies lässt sich sowohl historisch als auch an aktuellen Entwicklungen feststellen. Der momentane Königsweg aus der beschriebenen Misere der Privilegierten, scheint ein ethischer und nachhaltiger Konsum zu sein. Dieser wird gelabelt mit unterschiedlichsten Siegeln und diese werden in den meisten Fällen auch von Konsument_innen finanziell entlohnt. Wir verstehen diesen finanziellen Mehraufwand als Lösung von konsumistischen Ausdrucksweisen in der Gesellschaft. Kaufe ich mir anstatt einem Viererpack H&M T-Shirts 4 T-Shirts bei fairen Anbieter_innen, scheint der Fall geklärt. Alles richtig gemacht und die Privilegierten applaudieren sich gegenseitig. Ist das die richtige Alternative? Gibt es zu Konsum noch andere sinnvolle Alternativen?

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehen wir in Deutschland die Verknüpfung zwischen volkswirtschaftlichem Wachstum und der daraus abgeleiteten Entstehung von Arbeitsplätzen und seinem Mittel zum Zweck: Dem Konsum. Diese Zusammenhänge kommen vor allem in der Nachkriegszeit verstärkt zur Geltung. Durch Werbung einerseits und dem entstehenden industriell geprägten Wiederaufbau Deutschlands andererseits, wurde der Konsum als Antriebsfeder gesellschaftlich legitimiert. Konsum wurde also gleichermaßen zur Existenzsicherung in Form von Arbeitsplätzen und zur gesellschaftlich prägenden Anerkennungsstruktur durch den Kauf von Statussymbolen. Der in der Folge dauerhafte und nötige Anspruch an Wachstum hat ebenfalls zur Verstärkung des Konsums geführt. Es entstand in den 1960er Jahren in Deutschland eine Debatte über gesellschaftliche und ökologische Folgen des Konsums. So kritisierte beispielsweise die Student_innenbewegung bereits die von ihnen erkannte Flucht in den Konsum und hiervon geprägtem Wiederaufbau des Landes, statt einer Bereitschaft zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit.

Trotz vielschichtiger Konsumkritik hat sich unser Alltag an vielen Stellen kommerzialisiert und wir leben weiter in wachstumsorientierten Strukturen. Eine Entwicklung von nachhaltigen Konsumalternativen sollte also auch eine Kritik an den scheinbar so zementierten Wachstums- und Konsumansprüchen von Unternehmen und Individuen beinhalten. Ansonsten laufen wir Gefahr mit den ach so schönen Alternativen das System zu bestätigen und immer gleiche Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu reproduzieren. Solltet ihr diesem noch keinen Glauben schenken, seht halt selbst.

*

Quellen:
Hellmann Uwe (2011): Der Konsum der Gesellschaft. Wiesbaden: Springer Verlag,
Ökologisches Bewusstsein und Handeln, Bundeszentrale für Politische Bildung: http://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/klimawandel/38593/oekologisches-bewusstsein
Fleisch: Wir müssen alle sterben, Die ZEIT Online: http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2015-10/fleisch-krebs-ernahrung-wurst-vegetarismus-vegan-essay
Tully, Claus J. (2012):Nachhaltiger Konsum. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Wohlstand ohne Wachstum? Aus Politik und Zeitgeschichte,62. Jahrgang 27-28/2012.

*

Mehr Kaffee und Mitmenschlichkeit –
Das Fair Trade Konzept

Länder des globalen Südens, also die Mehrzahl der afrikanischen, einige asiatische und südamerikanische Länder, sind vom internationalen Handel oft ausgeschlossen oder starken Benachteiligungen ausgesetzt. Durch die Vorgabe ökologischer und sozialer Produktionsstandards und Unterstützung beim Auf- und Ausbau ihrer Kapazitäten im Fair Trade Konzept, sollen die Arbeits- und Lebenssituationen von Kleinfarmer_innen in Ländern des globalen Südens verbessert werden. Ein besonderer Fokus wird hierbei auf die Landwirtschaft gelegt: Kleinfarmer_innen haben kaum Chancen ihre Erzeugnisse auf internationalen Märkten zu verkaufen.

2009 waren es die sogenannten Developed Countries, die 64% Anteil am internationalen Handel hatten, Developing Countries konnten im Gegensatz dazu 35% Anteil und die Least Developed Countries (das sind immerhin 49 Länder) 1% Anteil am internationalen Handel verzeichnen. Als Ursachen für die geringe Beteiligung werden niedrige Produktionskapazitäten, schlechte geografische Lagen (z.B. schlechte Böden, Naturkatastrophen), unzureichende Zugänge zu Informations- und Kommunikationstechnologien, ungenügende Transportwege und instabile politische Systeme aufgeführt.

Aber auch das Zollniveau der Länder des globalen Nordens, sowie langwierige Kontrollen für Importware aus Ländern des globalen Südens, sind als Gründe für den geringen Anteil am Weltmarktgeschehen zu nennen. Außerdem können die Länder des globalen Südens nur eine kleine Zahl Delegierter zu Verhandlungen und Ausschüssen der World Trade Organisationen aussenden, bei welchen wichtige Entscheidungen zum weltweiten Handel fallen. Nicht außer Acht gelassen werden sollten hierbei auch Formen von Rassismus und Neo-Kolonialismus, was sich schon in der Abstufung der Länder im sprachlichen Diskurs von den „entwickelten“ zu den „nicht-entwickelten“ zeigt: Der Begriff baut Hierarchien zwischen den Ländern des globalen Südens und den Ländern des globalen Nordens auf.

Denn mit der Definitionsmacht des globalen Nordens über den Entwicklungsbegriff, zwingen wir dem globalen Süden eine Orientierung an die Verhältnisse im Norden, sowie ein bestimmtes Verständnis von Wachstum und Entwicklung auf und eröffnen damit geradezu Neo-kolonialistische Gefälle. Der so verwendete Entwicklungsbegriff setzt darüber hinaus nur wirtschaftliche Wachstumstendenzen mit dem Ziel der Profitmaximierung voraus und lässt völlig außer Acht, dass mit einem solchen Entwicklungsbegriff eine massive Schädigung der Mitwelt und soziale Ungleichheitslagen einhergehen. Und das sollte unsere Definition von Entwicklung doch eigentlich in Frage stellen, denn wenn sich nur das Wirtschaftssystem entwickelt, soziale oder ökologische Aspekte aber hierbei vernachlässigt werden, ist Entwicklung in diesem Zusammenhang vielleicht etwas zu kurz gedacht.

Das Fair Trade Konzept: Wer hat`s erfunden? Was steckt drin?
Die Idee hinter dem Konzept Fair Trade ist es zunächst, mit dem Konsum der Produkte von Kleinfarmer_innen mit über dem Weltmarktniveau liegenden Preisen, für eine angemessene Entlohnung bei den Produzent_innen zu sorgen und so durch Konsum aktiv für eine gerechtere Verteilung von Handelsgewinnen beizutragen.

Die sogenannte Fair Trade Bewegung gibt es seit den 1970er Jahren in Deutschland und sie ist aus der Kritik am dominierenden Niedrigpreis-Paradigma im internationalen Handel entstanden, welcher ökologische oder soziale Standards für Produkte stark vernachlässigt. Vorher gab es bereits weniger strukturierte faire Handelsbeziehungen, welche vor allem durch religiös motivierte Gruppen als Wohlfahrtsunternehmung verstanden wurde. Erst ab den 1970er Jahren verschob sich die Wahrnehmung der Produzent_innen aus den Ländern des globalen Südens von Wohltätigkeitsempfänger_innen zu Handelspartner_innen.

2002 einigten sich die Mitglieder der Organisation „International Federation of Alternative Trade“ (IFAT, heute World Fair Trade Organisatin, WFTO), dazu gehören Produzenten und Importorganisationen für fair gehandelte Produkte, auf folgende Definition von Fair Trade:

„Fair Trade is a trading Partnership, based on dialogue, transparency and respect, that seeks greater equity in international trade. It contributes to sustainable development by offering better trading conditions to, and securing the rights of, marginalized producers and workers – especially in the south”.

Nachhaltige Entwicklung und fairer Handel sind jedoch keine völkerrechtlich einklagbaren Vereinbarungen und haben dementsprechend bislang keine ausreichende Beachtung in internationalen Wirtschaftsbeziehungen und Handelspolitik gefunden: Der Marktanteil für fair gehandelte Waren beträgt lediglich 1-2%.

Große Organisationen im Bereich des fairen Handels sind die bereits 1975 gegründete GEPA, El Puente und Dritte-Welt-Partner (Import, Vertrieb, Weiterverarbeitung). Der TransFair e.V. wurde 1992 von kirchlichen Organisationen wie MISEREOR und Brot für die Welt, politischen Stiftungen (Friedrich-Ebert, Heinrich-Böll etc.), sowie Verbraucher_innen-, Produzent_innen- und Mitweltorganisationen gegründet. Dieser Verein vergibt das Fair Trade Siegel an Produkte, die nach FLO (Fair Trade Labeling Organization) Kriterien produzieren. Hiermit soll eine Vereinheitlichung vieler unterschiedlicher Siegel erreicht werden. Seit 2003 gibt es das Fair Trade Logo.

Die meisten Waren des fairen Handels werden noch immer über Weltläden vertrieben, 60% der Waren sind Lebensmittel, 50% davon Kaffee, die übrigen Lebensmittel sind Kakao, Tee, Schokolade, Bananen und Trockenfrüchte. Der Kaffeemarkt ist jedoch von erheblichen Weltmarktpreisschwankungen bezüglich Angebot und Nachfrage, sowie von Börsenspekulationen betroffen, was sich auch auf die Kaffeeproduzent_innen auswirkt.

Andere fair gehandelte Produkte sind Kunsthandwerk, Spielzeug und Textilien. Label für Kunsthandwerksprodukte zu vergeben sind, aufgrund der fehlenden Standardisierungsmöglichkeiten, weitaus schwieriger und beruhen eher auf individuellen Absprachen.

Die Auswirkungen fairen Handels in den Ländern des globalen Südens lassen sich in ihren ökonomischen, sozialen und ökologischen Wirkungen beschreiben: Ökonomisch bedeutet es einen erleichterten Marktzugang und (durch den höheren Preis) ein höheres Einkommen für die Produzent_innen. Durch Vorfinanzierung von Investor_innen sind Produktions- und Gewinnsteigerung, sowie neue Produktentwicklung möglich. Die starken Kontrollen verbessern die Qualität und darüber hinaus finden Kompetenz- und Wissenserweiterung über Wirtschaft, Markt und Handel statt, denn das langfristige Ziel soll eine Unabhängigkeit der Farmer_innen von den Fair Trade Warenhäusern sein.

Sozial kann ebenfalls die bessere Entlohnung der Arbeiter_innen festgehalten werden. Bestenfalls profitiert die gesamte Gemeinde hiervon, wenn auch in die Infrastrukturerweiterung, den Bau von Schulen oder Gesundheitsversorgungszentren investiert wird. Da in vielen Fällen keine Zwischenhändler_innen agieren müssen, entstehen keine Abhängigkeiten von diesen. Die ILO (international labour standards) Kernarbeitsnormen müssen beachtet werden, es gilt also z.B. ein Verbot von Kinder-, Zwangsarbeit und Diskriminierung, es müssen sozial vertretbare, gesunde/sichere Arbeitsbedingungen, angemessene Bezahlung (mindestens Sicherung der Grundbedürfnisse), Arbeitszeiten von weniger als 48 Std/Wo., bzw. 12 Std./Tag und mindestens ein freier Tag/Wo., eine regelmäßige Beschäftigung und „menschliche“ Behandlung gewährleistet sein.

Außerdem sollen bestimmte Sozialleistungen wie Gesundheitsversorgung und Pensionszahlungen eingeführt werden. Diese Normen gelten für alle an dem Produktionsprozess beteiligten Arbeiter_innen. Des Weiteren soll insbesondere die Aus- und Fortbildung von Frauen unterstützt werden. Als ökologische Nachhaltigkeitsaspekte können die Verbesserung der Anbaumethoden zugunsten der Mitwelt durch Vermeidung von Pestiziden und Verwendung von Bio-Dünger benannt werden.

Hand in Hand für eine bessere Welt?
Das Konzept hat allerdings auch Schwächen: Nur eine kleine und schon privilegierte Zahl an Produzent_innen bzw. Personen können an fairen Handelsbeziehungen beteiligt werden. Die ärmsten der Armen ohne Grundbesitz und Zugang zu Farmen oder Boden in ausreichender Qualität, sind von vorneherein ausgeschlossen. Die Ungleichheit bezieht sich auch auf die Gruppen der Farmer_innen, wenn die eine Gruppe in die privilegierte Situation gerät, eine Handelsbeziehung mit einem Fair Handelshaus einzugehen und die andere nicht. Außerdem können nur Farmer_innen profitieren, die bestimmte Waren anbauen – das führt dazu, dass z.B. viel Kaffee angebaut wird, aber weniger Nahrungsmittel für die Bevölkerung vor Ort – hiermit lassen sich nämlich nicht die gleichen Gewinne erzielen. Der Anbau dieser sogenannten Cash Corps verhindert Biodiversifikation der Felder und Böden und führt darüber hinaus zur Abhängigkeit der Bäuer_innen vom Import der Länder des globalen Nordens.

Viele Produzent_innen bleiben von den Kooperation mit den Fair Trade Warenhäusern abhängig und gehen keine eigenständigen Handelsbeziehungen ohne die Unterstützung der Fair Trade Organisationen ein: Aufgrund der höheren erzielten Preise und der auf Langfristigkeit angelegten, stabilen Handelsbeziehungen, fehlt die Motivation sich einer Wettbewerbssituation auszusetzen. Viele Handelsbeziehungen können darüber hinaus auch weiterhin nicht ohne Zwischenhändler_innen stattfinden: Kommunikative und infrastrukturelle Barrieren verhindern dies. Die Gleichstellung der Geschlechter gestaltet sich hier genauso schwierig, wie in den Ländern des globalen Nordens: Wichtige Entscheidungspositionen sind in den seltensten Fällen von Frauen bekleidet, Tätigkeiten sind nach Männer- und Frauenarbeit aufgeteilt, welche dann unterschiedlich zugunsten der Männer bezahlt werden, Frauen haben aufgrund bestimmter Geschlechterrollenvorstellungen zusätzlich die familiäre Reproduktionsarbeit zu leisten und somit bringt die Arbeit außerhalb der Familie eine Mehrbelastung und Vereinbarkeitsschwierigkeiten mit sich.

Der von Ökonom_innen häufig aufgeführte Kritikpunkt der angeblichen Marktverzerrungen und Veränderung der Weltmarktpreise kann nicht bestätigt werden – jedoch gibt es das Problem der Überproduktion bestimmter Produkte, wie Kaffee, was den Absatz für das Produkt ins Wanken bringt und zu Instabilität der Preise führt. Hier ist jedoch nicht der faire Handel Verursacher_in, sondern weltmarktinhärente Faktoren und Börsenspekulationen.

Vielleicht zeigen Konzepte wie der faire Handel, die Kleinfarmer_innen in den Welthandel einbeziehen wollen, dass die Bereitstellung von Finanzmitteln an die Länder des globalen Südens nicht genügt, um nachhaltig etwas zu verbessern, sondern der Weg eher Hilfe zur Selbsthilfe sein sollte. Auch muss die Mitverantwortung der Länder des globalen Nordens an den Auswirkungen von Mitweltkatastrophen und auch an Migration gesehen werden. Jedoch kann paradoxerweise festgestellt werden, dass die USA und die EU-Länder ihre eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse subventionieren, um den Import dieser Güter zum Schutz der landeigenen Produzent_innen, die hier gar nicht wettbewerbsfähig wären, aus Ländern des globalen Südens zu beschränken.

Dann Entwicklungspolitik zu betreiben und die Bäuer_innen aus den Ländern des globalen Südens so unterstützen zu wollen, statt Konkurrenz und damit Eigenständigkeit der Produzent_innen aus den Ländern des globalen Südens ermöglichen zu wollen, ist fast schon perfide. Eine noch eher außer Acht gelassene Unterstützungsmöglichkeit, von der die Länder des globalen Südens profitieren könnten wäre, wenn die Länder des globalen Nordens z.B. Forschungsgelder für die Entwicklung nachhaltiger Produktionsverfahren oder neuer Designs zur Verfügung stellen würden, so könnten sich auch neue Fach- und Führungskräfte qualifizieren. Aber das würde ja die Macht- und Herrschaftsverhältnisse in Frage stellen und deren ungleiche Verteilung zeigt sich am auch an Ideen zur Verbesserung bestehender sozialer Ungleichheitslagen, wie dem Fair Trade Konzept:

Neben dem bereits angesprochen, von den Ländern des globalen Nordens eingeführten Begriff von „Entwicklung“ und der damit einhergehenden Höherstellung des globalen Nordens, werden so auch Vorstellungen der Höherwertigkeit von weißen Menschen mittransportiert: Die vielen Weißen, die das mit ihrer Entwicklung im Griff haben und die Schwarzen bzw. People of Colour (PoC), die immer noch nur in der Landwirtschaft tätig sind. Oder exotische Kunstgegenstände herstellen, die wir kaufen, um uns selbst ein bisschen exotisch, zumindest aber äußerst stilvoll, weltoffen und moralisch integer zu fühlen. Welchen Anteil wir an vielen Schwierigkeiten im globalen Süden durch historische und aktuelle rassistische und kolonialistische Verhaltensweisen und unseren Überkonsum haben, schieben wir gern weg.

Durch die anfängliche Verankerung des fairen Handels in religiösen Sektierungen und deren Wohlfahrtsgedanken, wurde ausgeblendet, dass wir den Personen im globalen Süden nichts Gutes tun müssen – sondern dass wir eigentlich dazu verpflichtet sind, etwas dafür zu tun, Missstände auszugleichen. Nicht weil wir gute Christ_innen sind, sondern weil wir es mitverbockt haben. Und auch ohne das wäre es eine Frage der Solidarität mit Anderen und nicht des Mitleids.

Das benannte Fair Trade Siegel gibt es im Übrigen nur für Produkte, die in den Ländern des globalen Südens hergestellt werden – auch das verdeutlicht die Hierarchisierungen: Preisverhandlungen und Siegelvergabe erfolgen größtenteils durch Menschen aus dem globalen Norden, die zahlenmäßig überlegenen Produzent_innenorganisationen haben nur 50% Stimmenanteil. Die großen Fair Trade Warenhäuser, Verbraucher_innenorganisationen etc. entscheiden also zu einem großen Teil mit, was die Produzent_innen bekommen und welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen – mit welchem Recht eigentlich? Außerdem impliziert ein solches Siegel, dass wir uns großzügiger Weise dazu entschlossen haben, Fairness zu bedenken – statt zu sehen, dass es einfach gerecht wäre, wenn es nur faire Handelsbeziehungen geben würde.

Außerdem verbleiben die Menschen im globalen Süden auch im Fair Trade Konzept in ihrem Status als Produzent_innen. Es geht darum, sie langfristig am Welthandel teilhaben zu lassen, aber immer unter unserer definitorischen Prämisse und den von uns festgelegten Siegeln. Und nur für bestimmte Produkte, die wir hierzulande nicht herstellen können oder wollen: Es gibt keine aktuellen ernsthaften Bestrebungen andere Produkte, als die bereits angeführten, fair herstellen zu lassen. Hauptsächlich handelt es sich also um Kaffee und landwirtschaftliche Produkte, was auch die Produzent_innen auf bestimmte gesellschaftliche Bereiche reduziert. Nämlich eher traditionellen, nicht unbedingt ertragreichen, sehr von Mitweltbedingungen abhängigen Sphären.

Fair bedeutet auch noch lange nicht, hinreichend sozial nachhaltig: Auch wenn bestimmte ILO Standards eingehalten werden (die im Übrigen auf den Menschenrechten beruhen und somit eh jedem Menschen zustehen und dadurch nicht besonders fair, sondern einfach nur üblich sein sollten), so sind die Arbeitsbedingungen längst nicht überall so, wie die in den Ländern des globalen Nordens.
Auch die Qualitätskontrollen vor Ort sind eine einseitige Sache: Während regelmäßig Delegationen aus dem Norden in den Süden reisen um sich die Produktionsbedingungen vor Ort anzusehen, geschieht dies umgekehrt selten. Fortbildungen und Wissensvermittlungen gehen nur in eine Richtung – wir wollen nur unser Wissen über Marktlogik vermitteln, weil wir glauben, dass unser Wissen das Richtige ist – von den Erfahrungen und Strategien der anderen wollen wir nichts hören. Schließlich sollen die sich ja entwickeln.

Wir sollten mal aufhören, das immer gleiche Bild der entwickelten Weißen und der vorindustriell lebenden Schwarzen nachzuzeichnen – das entspricht nicht der Realität. Schließlich haben wir in unseren ach so entwickelten Ländern mehr als genug Probleme, die wir nicht lösen können. Und dass in den Ländern des globalen Südens nicht alle Menschen in Lehmhüten oder Slums leben, Hungerbäuche und Fliegen im Auge haben, geht uns dabei völlig ab. Auch die exotisierenden und rassistisch-stereotypen Darstellungen von PoC´s auf den fair gehandelten Produkten selbst, tragen ihren Teil hierzu bei (FOTO?). Viele PoC-Kund_innen werden Weltläden wohl nicht haben – sehr ansprechend kann es auch nicht sein, wenn mensch hier auf die angebliche Herkunft oder Hautfarbe reduziert wird und alle Faktoren personifiziert, welche die dort vertrieben Produkte so darstellen.

Mensch muss skeptisch bleiben, bei einem Konzept, welches Verbesserungen im globalen Süden anstrebt, ohne dass hierfür großartige Veränderungen im globalen Norden geschehen müssen – außer die ein oder andere veränderte Konsumentscheidung. Das Konzept Fairer Handel als ethische Konsumalternative, kann nur als kleine Stellschraube bewertet werden. Dies verdeutlichen der Marktanteil von 1-2 %, sowie vielfache Handlungsnotwendigkeiten um die Länder des globalen Südens wirklich gleichberechtigt am Weltmarktgeschehen teilhaben zu lassen. Eine Alternative oder gar ein Ausweg aus dem kapitalistischen System, welches eine bestimmte Art Wachstum präferiert und Überkonsum möglich macht, ist das Konzept nicht.

Auch hier geht es (neben der Prämisse besonders erlesene Produkte zu konsumieren) vielfach um die Entlastung des eigenen Gewissens bei den Konsument_innen – strukturelle Veränderungen der internationalen Marktwirtschaft, gleichberechtigte Handelsbeziehungen, Nachhaltigkeitsaspekte-oder auch nur mehr Solidarität und Gerechtigkeit – können mit dem Konzept, insbesondere durch die Fokussierung auf bestimmte Produkte, so nicht erreicht werden. Außerdem finden Rassismus und koloniale Strukturen hier mitunter Niederschläge.

Dennoch – gute Ansätze sind vorhanden und somit haben wir es bei dem Fair Trade Konzept mit einer (wenn auch noch verbesserungsfähigen) Alternative zum konventionellen Konsum zu tun.

*

Quellen:
von Hauff, Michael, Claus, Katja (2012): Fair Trade-Ein Konzept nachhaltigen Handels. Konstanz und München: UVK Verlagsgesellschaft mbH
Kiesel, Timo (2013): Armutsbekämpfung als Geschäftszweck. Fairer Handel, Entwicklungszusammenarbeit und Rassismuskritik. In: BER e.V.: Develop-mental Turn. Neue Beiträge zu einer rassismuskritischen entwicklungspolitischen Bildungs- und Projektarbeit. Berlin: BER

*

„Was hinterlassen wir unseren Kindern? Hier habt ihr einen Wüstenplaneten und einen lustigen Veganerwitz. Guckt was ihr draus macht ihr Arschgeigen…“ (Hagen Rether)
Veganismus als Nachhaltigkeitsaspekt

Ernährung ist ein sogenannter Hot Spot bzgl. drängender Nachhaltigkeitsprobleme unserer Welt. Insbesondere der Konsum von Fleisch und Milchprodukten ist aus allen Nachhaltigkeitsaspekten heraus als problematisch anzusehen.

Ökologische Nachhaltigkeit: Klimaveränderungen vollziehen sich aufgrund einer Vermehrung der Konzentration von Klimagasen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan (CH4) in der Erdatmosphäre. In internationalen Klimaabkommen, wie zuletzt in Paris, haben die unterzeichnenden Länder sich auf die Begrenzung eines weltweiten Temperaturanstiegs um weniger als 2°C (im Vergleich zur vorindustriellen Zeit) geeinigt, um die Erderwärmung zu begrenzen. Für dieses Ziel müssten die globalen Treibhausgasemissionen um 80% reduziert werden.

Ein hoher Energieverbrauch in Kombination mit Waldrodung setzt CO2 frei. Und hier ist Fleischkonsum ein gewichtiger Einflussfaktor: 70% des zerstörten Amazonas Regenwaldes sind Rinderweiden gewichen, ca. 25% der südamerikanischen Regenwälder wurden bereits für den Fleischkonsum (auch für den Anbau von Tierfutter) gerodet. Die Herstellung tierlicher Produkte für die menschliche Ernährung nimmt 80% der im Rahmen von der Landwirtschaft verbrauchten Energie in Anspruch. Im Gegensatz zur Pflanzenproduktion für die menschliche Ernährung ist der Energieverbrauch für die Fleischproduktion insgesamt um ein vielfaches höher (250g Getreide: 63g CO2-Äquivalent, 250g Fleisch: 796g CO2-Äquivalent). (Grafik aus dem Fleischatlas 2013 S. 31 unten?)

Methan, entsteht z.B. im Verdauungstrakt von Rindern und anderen sogenannten Nutztieren und deren Gülle, hat einen 56-mal höheren Treibhauseffekt als C02 und trägt zum Ozonschichtabbau bei. Eine Milchkuh aus der Intensivtierhaltung sorgt jährlich für ca. 150 kg CH4 (Weiderinder nur 25 bis 35 kg). Brandrodungen für Weideplätze/Futter lassen ebenfalls CH4 entstehen.

Weiterhin zu benennen ist ein hoher Wasserverbrauch für die Produktion tierlicher Produkte. Weltweit haben 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu (sauberem) Trinkwasser und der Grundwasserspiegel sinkt weltweit. Bis 2025 wird wohl die Hälfte der Menschheit von Wasserknappheit betroffen sein. 70% des weltweit verfügbaren Süßwassers geht heute in die Landwirtschaft, ein Drittel in die Nutztierhaltung. Um nur ein Beispiel zu nennen: 3.300 Liter Wasser werden für die Produktion eines Kilogramms Eier bzw. 15.500 Liter Wasser für die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch von der Aufzucht des Tieres über die Versorgung und Schlachtung benötigt. Dagegen werden zur Produktion von einem Kilogramm Sojabohnen im Vergleich nur 1800 Liter Wasser benötigt.

Ein Schwein aus der Intensivtierhaltung produziert ca. 20 Tonnen Mist pro Jahr. Da also in der Massentierhaltung sehr viel Gülle anfällt, muss diese irgendwo entsorgt werden – häufig als Dung auf Feldern. So gelangen Kalium, krebserregendes Nitrit, Medikamentenrückstände, Hormone und Schwermetalle in Gewässer und ins Grundwasser. Bereits jetzt stößt die Hälfte der deutschen Gewässer an die erlaubten Grenzwerte hierfür. Tierdung regt durch die freigesetzten Phosphate und Stickstoffe Algen-, Pflanzen- und Bakterienwachstum in Gewässern an, welche diesen dann Sauerstoff entziehen und andere Lebewesen verdrängen bzw. die Gewässer umkippen lassen.

Um genügend Futtermittel umzusetzen, werden Pflanzen mit Pestiziden und anderem Ungeziefer- und Unkrautvernichtern behandelt, was wiederum das Grundwasser verseucht und die Artenvielfalt der Flächen bedroht. Auch ist es nicht besonders nachhaltig, wenn Energiekonzerne den Dung für die Stromproduktion nutzen: Zunächst erscheint dies als gute Alternative, von der alle Seiten profitieren, dies sorgt jedoch dafür, dass die Bäuer_innen ihren Dung gut loswerden und die ressourcenverschwendende Fleischwirtschaft eine Sorge weniger hat – dies dürfte das produzieren von tierlichen Produkten noch ein Stück weit rentabler machen und die beschriebenen verheerenden Auswirkungen auf Mitwelt und Klima weiter voranschreiten lassen. Und die benannten Unternehmen dürfen das dann auch noch grünen Strom nennen…Ein typisches Beispiel dafür, warum solche alternativen Ideen dann doch wieder eine Kehrseite haben.

Die hohen Produktionszahlen von tierlichen Produkten wirken sich auch negativ auf die Artenvielfalt bzw. Biodiversität aus: Tier- und Pflanzenarten werden z.B. durch die Rodung von Wäldern verdrängt oder sterben durch die Überdüngung der Weiden und die Zuführung von Pestiziden auf Felder. Außerdem werden durch den schon erwähnten Monokultur-Anbau (meist effektive Futterpflanzen) viele Arten ihrer Lebensgrundlage beraubt oder nicht mehr angebaut. ¼ der Festlandoberfläche der Erde ist inzwischen übrigens Weideland.

Soziale Nachhaltigkeit: Auch hier finden wir die im Konzept des Fair Trade und bei Kleidung beschrieben Formen von Kolonialismus wieder: Wir Nutzen die Flächen und Arbeitskraft des globalen Südens für unseren Fleischkonsum. 870 Millionen Menschen hungern weltweit. Tiere, die für den menschlichen Verzehr gezüchtet werden, erhalten Nahrungsmittel, die auch dem Menschen zugutekämen, also z.B. Getreide oder Soja (70% der weltweiten Sojaernte landen in den Futtertrögen). Durch den hohen Fleischkonsum der Länder des globalen Nordens verbrauchen diese ¾ der Gesamtagrarmittel. Allein die Vermeidung der ca. 50 Mio. Tonnen Tierfuttererzeugnisse, die nach Europa importiert werden, könnten also theoretisch etwas am Hunger in der Welt verändern. Allerdings ist es halt profitabler Futterpflanzen für sogenannte Nutztiere anzubauen. Und wir wollen ja auch billiges Fleisch essen.

Darüber hinaus geraten die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie immer wieder negativ in die Schlagzeilen – in Deutschland werden z.B. gerne mal Menschen aus Bulgarien beschäftigt, die hier Akkordschlachtungen verrichten und unter unwürdigen Bedingungen leben müssen. So leben bspw. in Niedersachsen Mitarbeiter_innen der Fleischproduktion im Wald, die aufgrund von unmenschlicher Unterbringung Beschwerde bei ihren Vorabeiter_innen eingelegt haben und deswegen keinen Anspruch mehr auf Unterkünfte im Warmen haben.

Ökonomische Nachhaltigkeit: Bei der Fleischindustrie handelt es sich um einen wahnsinnig großen, sehr reichen Wirtschaftszweig. Die eigentlichen Mehrkosten, welche die Fleischindustrie durch ihre erheblichen negativen Einflüsse auf die Mitwelt hat, sind im Verkaufspreis für tierliche Produkte nicht enthalten. Es gibt sogar nur 7% MwSt. auf Fleisch und tierliche Milch, sowie staatliche Subventionen, aber z.B. 19% MwSt. auf Soja-Milch.

Die Fleischproduktion lohnt sich für Unternehmer_innen und die Kosten welcher Fleischkonsum für die Gesundheitsversorgungssysteme (z.B. erhöhtes Krebsrisiko oder Antibiotikaresistenz aufgrund der Gewöhnung an den Wirkstoff, da wir diesen regelmäßig mit tierlichen Produkten konsumieren) bereitet, muss ebenso nicht von der Fleischindustrie getragen werden – aber das muss die Tabakindustrie ja auch nicht.

Ja – das gilt auch für Leder und Wolle
Aber nicht nur Fleisch und andere tierliche Produkte für die Ernährung sollen hier Thema sein: Bezogen auf Kleidung ist auch die Verwendung von Wolle oder Leder nicht nachhaltig. In Leder-Gerbereinen z.B. in Bangladesch müssen häufig Kinder das Leder mit extrem giftigen Materialen (die in Deutschland aufgrund ihrer toxischen Eigenschaften gar nicht zugelassen sind) bearbeiten – die giftigen Abwässer werden einfach ungefiltert in die Flüsse geleitet, in denen die Menschen vor Ort baden und ihre Wäsche waschen. Hier handelt es sich um einen ganz eigenen Industriezweig der weder sozial, noch ökologisch und somit auch nicht ökonomisch nachhaltig sein kann, auch wenn gern argumentiert wird, dass ja so wenigstens das ganze Tier verwertet wird – es ist nur eine zusätzliche negative Komponente bezogen auf Nachhaltigkeit, die zum Fleischkonsum dazugerechnet werden muss.

Ähnlich ist es auch bei Wolle. Schafwolle ist nicht sehr nachhaltig, auch wenn es uns gerne als natürliches Produkt angepriesen wird: Nein, Schafe müssen nicht geschoren werden – es gibt kein Tier, dass nicht vom Menschen gezüchtet oder Überzüchtet worden ist, das ursprünglich auf den Menschen angewiesen ist, um zu überleben. Wir haben erst dafür gesorgt dass es Schafarten gibt, die geschoren werden müssen. Und Nein – das Scheren ist insbesondere in der Massenproduktion wie z.B. in Neuseeland oder Australien nicht schmerzfrei für die Tiere.

Glaubt wirklich noch jemand an den Schafhirten, der seine Schafe vorsichtig schert oder gar auskämmt? Bei dem hohen Konsum von Kleidung aus Wolle, ist das wohl eher Wunschdenken. Die Tiere werden oftmals schwer verletzt bei der Prozedur. Aber das ist ja egal, landen sie kurze Zeit später eh auf Schiffen zum Abtransport nach Afrika zum Schlachten. Auch bei der Weiterverarbeitung von Wolle werden chemische und toxische Materialen verwendet, hohe Mengen an Wasser verbraucht etc. Das ist auch bei Baumwolle so, jedoch kommt bei den tierlichen Produkten immer noch der Ressourcenverbrauch durch Weideland, Futtermittel etc. dazu.

Darüber hinaus sollte das vorhandene Macht-und Herrschaftsverhältnis zwischen Mensch und Tier thematisiert werden. Menschen glauben noch immer, dass sie ein Verfügungsrecht über Tiere besitzen – die Asymmetrie im Herrschaftsgefüge ist bisher gesamtgesellschaftlich bzgl. des Konsums von tierlichen Produkten nicht problematisiert. Eines sollte jedoch festgehalten werden: Das Verfügungsrecht der Menschen über die Tiere ist konstruiert und nur durch die Aufwertung der einen Gruppe möglich. Mit einer natürlichen Ordnung hat das genauso wenig zu tun, wie die Geschlechterverhältnisse oder kolonialistische Strukturen.

Muss ich hier noch resümieren? Die Fakten zeigen deutlich, dass eine pflanzliche Ernährung unter Einbeziehung aller Nachhaltigkeitsaspekte vorzuziehen ist. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass Veganismus per se nachhaltig ist, es gibt genug veganen in Plastik abgepackten, industriell gefertigten Scheiss, den kein Mensch braucht. Beim Konsum tierlicher Produkte geht es aber um eine gesellschaftlich anerkannte Esskultur.

Es handelt sich also um verzichtbare Luxusgüter. Leider ist die Fleischlobby stark – und die zu erwartenden Gewinne, die mit tierlichen Produkten erzielt werden können, hoch. So fließen die Erkenntnisse über gesundheitliche und klimaschädliche Aspekte durch den Konsum tierlicher Produkte auch weiterhin nicht in die Ausbildung von Ärzt_innen, Ökotropholog_innen, Lehrer_innen etc. ein. Sicher auch weil dies ein Thema ist, bei dem sich die meisten Menschen offenbar einig sind: Vegane Ernährung – das geht definitiv zu weit. Dann doch lieber hoffen, dass es bald eine bequemere Möglichkeit gibt, etwas zu verändern. Die kommt dann vielleicht auch auf einem weißen Pferd angeritten und rettet uns alle.

Aber Halt! Es gibt doch schon einen leichteren Ausweg…Bio Fleisch? Wie sieht es denn damit aus?

*

Quellen:
Kooperationsprojekt der Heinrich-Boll-Stiftung, Bund für Umwelt- und Naturschutz und Le Monde diplomatique.
(2014): Fleischatlas 2013. 8. Auflage. Abrufbar unter: https://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/landwirtschaft/140328_bund_landwirtschaft_fleischatlas_2013.pdf
Kooperationsprojekt der Heinrich-Boll-Stiftung, Bund für Umwelt- und Naturschutz und Le Monde diplomatique.
(2014): Fleischatlas 2014: https://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/landwirtschaft/140108_bund_landwirtschaft_fleischatlas_2014.pdf
Stragies, Stephanie: Studie bestätigt: Weniger Tierisches auf dem Teller schützt Gesundheit und Klima. https://vebu.de/themen/umwelt/probleme-der-viehwirtschaft/2380-weniger-tierisches-schuetzt-gesundheit-und-klima
Schlatzer, Martin: Klimawandel als tierisches Produkt: https://vebu.de/themen/umwelt/klimawandel/608-klimawandel-als-tierisches-produkt
Foß, Jürgen: Welthungerkrise du

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0