KEROSENE 454 (#67, 12-1997)
Es bot sich mir an einem unspektakulären Montagabend, die Gelegenheit ein Interview mit den Jungens von KEROSENE 454 zu machen. Das klingt soweit alles ganz gut. Fakt war nur, dass ich bis zu diesem Montagabend noch nie etwas oder überhaupt von dieser Band gehört habe. Da ich mir vorstellen kann, dass es 98% der TRUST -lesenden Restbevölkerung genauso geht, ist das schon Grund genug eine kurze Durchleuchtung und Begutachtung der Band vorzunehmen.
Schauplatz dieses Ereignisses war die Bremer Buchtstrasse am 15.9.97. Trotz des Montags war der Saal recht angenehm gefüllt, als KEROSENE 454 die Bühne erklommen, um den musikalischen Abend, der durch BLUETIP beendet werden sollte, zu eröffnen. Das Konzert litt zwar etwas unter dem lauen Sound, aber es reichte, um mich einigermassen zu begeistern und um festzustellen, dass KEROSENE 454 keine leicht konsumierbare 1..2..3..4 lalala Schrammelband sind, sondern, dass man schon genauer hinhören muss, was ich dann auch wiederum beim Interview gemacht habe…
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So stellt euch mal vor
Unbekannt: Ich bin Jim, spiele Gitarre.
Unbekannt: Ich heisse Darren und spiele die Drums.
Unbekannt: Ich bin John und spiele Bass.
Sänger und Gitarrist Erik musste am Stand Platten und T-Shirts verkaufen. Er konnte deshalb nichts zum Interview beitragen, aber ich war auch schon mit der Band zufrieden.
Wie lange gibt es euch schon?
Jim: Also, die Band so wie sie jetzt ist, gibt es seit Darren zu uns gekommen ist. Das war 1994.
Darren: Ja, also ca. seit 3 Jahren.
Jim: Die Band gab es aber schon länger, dass war aber alles nicht so fest zusammen. Wir hatten verschiedene Drummer, die aber nicht so richtig in die Band passten.
John: Wir haben damals auch nicht so viele Songs geschrieben oder so oft live gespielt.
Aber ihr habt doch schon etwas zu der Zeit veröffentlicht oder?
Darren: Ja, bevor ich dazu gekommen bin, hat die Band schon drei 7 rausgebracht.
Und danach?
Darren: Das erste Release war Art Monk Construction Records und hiess „Situation at Hand. Die kam so vor drei Jahren raus. Danach haben wir einige Touren gemacht und als wir mit Touren fertig waren, haben wir „came by to kill me aufgenommen. Wann kam die noch mal raus?
John: Im Januar. Die war dann auf dem neuen Label Slowdime.
Das ist ein Unterlabel von Dischord ?
John: Ja, die arbeiten aber sehr eng zusammen, quasi Seite an Seite.
Da seid ihr auch jetzt noch?
Alle: Ja!
Darren: Nur die erste Platte, die jetzt wiederveröffentlicht wird, kommt bei Polyvinyl raus. Das ist ein Label aus Illinois. Da sind auch die ersten drei 7 mit drauf. Und wenn wir von dieser Tour zurück sind wollen wir auch wieder eine neue Platte aufnehmen. Die kommt dann so im Februar oder März.
Erzählt mal von der Tour…
Darren: Das heute war unser fünftes Konzert, und wir spielen noch sechs Wochen.
Sechs Wochen nur in Europa?
Jim: Hehe, ja ganz schön lang nicht? Wir touren sowieso ziemlich viel. Besonders in den Staaten. Also bestimmt 2-3 mal pro Jahr.
Hmm…Arbeitet ihr? Soviel Urlaub bekommt man ja nicht oder?
Darren: Ja, wir haben alle Vollzeitjobs.
Jim: Ich bin z.B. freier Fotograf, habe also keinen, Chef den ich fragen muss. Wenn ich gehe, geh ich halt. Darren arbeitet in einem Musikgeschäft, und er ist eben so ein Arbeitstier, dass die ihn immer wieder haben wollen, wenn er von einer Tour zurück ist. John ist Wissenschaftler.
John: Ich forsche auf dem Gebiet der Schlafstörung.
Darren: Das ist bei ihm so ähnlich wie bei mir. Er ist eben so gut, dass sie ihn unbedingt behalten wollen. Aber wenn es bei mir mal wirklich Probleme geben sollte, such ich mir eben einen anderen Job.
John: Die mögen mich schon ziemlich bei meinem Job, die fanden das auch sehr spannend, als die hörten, dass ich in Europa touren werde. Die stehen schon hinter mir.
Darren: Erik hat auch einen Job, wo er einfach so weg kann.
John: Das ist jetzt unsere zweite Tour mit BLUETIP. Wir haben schon 9 Wochen mit denen in den Staaten gespielt. In jedem kleinen Mistloch. 64 Shows in 65 Tagen.
Hört sich stressig an? Nach so langer Zeit, so eng zusammen, geht man sich da nicht gegenseitig auf den Keks?
Darren: Nein, wir mögen uns immer noch.
Jim: Auf Tour fahren wir auch immer mit zwei Bussen, d.h. jede Band fährt ihren eigenen, da hängt man sich auch gar nicht so dicht auf der Pelle. Und wenn es mal anfängt etwas abzudrehen, dann ist man eben ruhig und lässt die anderen verrückt spielen.
John: Das ist dann auch meistens nach einer halben Stunde wieder vorbei. Wenn man mal übel gelaunt ist, kann es schon mal vorkommen, dass man ausflippt, aber das beste ist einfach nicht mit auszuflippen. Wenn man sich wieder beruhigt hat, ist dann wieder alles in Ordnung.
Darren: Das ist auch so eine Sache, wenn man in einer Band spielt. Du lernst, dass jeder unterschiedlich ist. Das muss man eben akzeptieren, auch wenn dies bedeutet, das man sich auch mal auf die Lippen beissen und sich einen Kommentar sparen muss.
Jim: Wir verstehen uns aber eigentlich ganz gut. Wir wohnen ja auch zusammen in einem Haus. Wenn sich jemand streitet, sind das meistens John und ich, weil wir Brüder sind, aber unter Geschwistern ist das ja nichts ungewöhnliches.
John: Bei uns kommt auch noch dazu, dass wir ungefähr die selben Vorstellungen haben, wie alles ablaufen soll, wir sind auf dem selben Level. Es tanzt selten einer aus der Reihe oder spielt verrückt, was auch daran liegen kann dass wir keine Jugendliche mehr sind.
Darren: Die Ruhe des Alters ….hehehe (Naja, so alt sind sie dann ja auch nicht! Darren ist 27, Jim 26 und John 29 Anm. d. Tippers).
John: Wir wissen aber auch, wie wir miteinander reden müssen oder können, weil wir uns schon so lange kennen. Es ist auch eine Sache des Egos. Wenn einer ein zu grosses Ego hat, gibt es Probleme, weil er bei den anderen anecken wird.
Darren: Ja , wenn jemand glaubt er sei ein Rockstar.
John: Genau das meine ich ja mit Ego.
Darren: Wir sind keine und wollen auch keine sein, wir mögen es einfach zusammen Musik zu machen.
Gutes Stichwort! Dann mal zu eurer Musik. Auch wenn Schubladen ziemlich doof sind, helfen sie ja manchmal das Feld enger einzugrenzen, aber für euch ist mir echt überhaupt keine Schublade eingefallen. Ich fand aber, das euer Sound noisig und jazzig war, aber auch etwas von melancholischen Emocore hatte?
Jim: Hehehe…Wow! hast du nicht noch ein paar Adjektive. Also, wir setzten uns nicht hin und sagen „Wir müssen so und so klingen. Wir haben alle unsere eigenen Einflüsse, und die spiegeln sich auch in unserer Musik wieder.
John: Wir wollen auch irgendwie kreativ bleiben, um aus diesen Format, zwei Gitarren, ein Bass, Gesang und Schlagzeug, mehr raus zu holen, damit man nicht sagen kann „die klingen wie….
Teilweise fand ich die Songstrukturen aber so komplex, dass es mir relativ schwer fiel nicht den Faden zu verlieren…
Darren: Also wir proben ja auch sehr viel. Es stimmt schon, anderen erscheinen die Songs schon sehr komplex. Uns hingegen erscheinen sie ganz einfach, denn wir haben sie ja gemacht und geprobt.
Jim: Die älteren Songs sind im Vergleich zu den neuen Sachen auch komplizierter. Bei den neuen Songs, haben wir etwas das Tempo rausgenommen und lassen den Songs mehr Raum.
Wie würdet ihr denn selber euren Stil beschreiben?
Alle: Oh…
Jim: Hmm, keine Ahnung.
Darren: Mir fällt da auch nichts ein.
John: Wir wollen ja auch gar nicht in eine Schublade gesteckt werden. Wobei ich auch finde, dass diese Kategorisierung, oft gar nicht funktioniert. Keine Emo-Band klingt wie eine andere Emo-Band. Keine Hardcore Band klingt exakt wie eine andere, oder keine der TOUCH&GO Bands klingt genau wie einer der anderen Bands des Labels. Ein Beispiel für eine Band, die man nicht einordnen kann ist z.B. BLACK FLAG. In welche Schublade soll man die stecken, denn es war nie „nur straighter Punkrock, da waren immer noch andere Elemente.
Jim: Man kann aber sagen, dass die Stadt in der wir leben einen Einfluss auf unsere Musik hat.
John: Ja, es hat schon diesen D.C. Style.
Darren: Emo, diesen begriff finde ich etwas überflüssig, denn jede Band hat Emotionen, sogar wenn sie mit Drumcomputer spielen, aber wir sind auf jeden Fall melodisch. Hmm…vielleicht melodischer Post Punk, oder so?
John: Ok, dann launischer melodischer Post Punk.
Plötzlich ging man dazu über, mich auszuquetschen, was ich so für Musik höre u.s.w. . Allerdings finde ich das in diesen Kontext relativ langweilig, denn es soll sich ja um KEROSENE454 drehen und nicht um mich. Warum ich das hier jetzt schreibe? Ganz einfach! Aus dieser Befragung sind wir wieder auf ein interessanten Punkt gekommen……
John: Kennst du diese neuen Revelation Bands, wie TEXAS IS THE REASON oder SENSE FIELD.
Logisch.
John: Die kann man sich wirklich gut anhören, aber ich würde nie solche Musik machen wollen.
Jim: Ja, solche la la la Musik würde mir keinen Spass machen.
Darren: Obwohl zu kompliziert sollte es auch nicht sein, es muss schon immer noch melodisch sein. Wir wollen auch immer etwas anders sein, d.h. nicht, dass wir ganz neue Wege gehen wollen, aber wir wollen halt nicht das machen, was die Masse macht. Damit soll es auch interessant bleiben. Für das Publikum ist es natürlich leichter unkomplizierte Bands live zu sehen. Für unsere Musik braucht man etwas länger, um mit ihr warm zu werden, aber dann ist es halt noch besser.
Jim: Es ist auch eine Frage der Absicht, die man hat wenn man ein Konzert besucht. Will ich nur ein bisschen Musik hören, oder will ich mich mit der Band beschäftigen. Das ist eben der Unterschied zwischen TEXAS IST THE REASON und KEROSENE454.
Darren: Obwohl manchmal kommt es den Kids bestimmt so vor, als würden wir neue Wege gehen, denn die jüngeren kennen solchen Musik oft noch nicht.
Darren: Aber wie schon gesagt, die neuen Sachen sind ja nicht mehr so kompliziert. Wir legen jetzt auch mehr Wert auf die Texte.
Jim: Was ich immer frage, wenn wir in Europa spielen, ob das Publikum überhaupt versteht worum es geht? Also die meisten bewegen sich ja, d.h. sie sind irgendwie dabei, aber verstehen sie worum es in den Texten geht?
Naja, ich kann ja nicht für alle sprechen, aber in den meisten europäischen Ländern ist englisch die erste Fremdsprache, also die meisten Europäer verstehen englisch. Aber, ob es dafür reicht immer alles genau zu verstehen, bezweifle ich. Es ist eben nicht die Muttersprache. Das ganze kann auch den Vorteil haben, dass die meisten Leute in Deutschland, oder Europa, mehr auf die Musik achten, wenn sie die Texte nicht so gut verstehen.
Jim: Ja, das stimmt.
Darren: Lernen alle englisch oder nur die älteren?
Eigentlich alle, auf jeder Schule, ab der 5 Klasse.
Jim: Deutsch lernt bei uns kaum jemand, es ist aber sehr häufig, dass spanisch gelernt wird.
John: Wir haben eine Zeit in Los Angeles gelebt, bevor wir nach Washington gezogen sind, und da ist spanisch natürlich unverzichtbar. Deswegen lernen das auch die meisten in der High School, weil man es einfach braucht und deutsch eben seltener. Hier bei euch in Europa habt ihr ja eine verdammte Million verschiedener Sprachen. Das ist schon irgendwie abgefahren, aber irgendwie kann fast jeder etwas englisch, das macht es natürlich leichter für uns.
Jim: Ich bin schon auf die Tschechische Republik und Polen gespannt, wie es da ist.
Wo spielt ihr denn noch?
Jim: Dänemark.
Darren: Schweden auch noch.
In Schweden sprechen die Leute mehr englisch als hier, fragt mich aber nicht wieso.
John: Ich finde die Holländer sprechen phantastisch englisch. Ich hab mit ein paar dort geredet, da hätte ich fast gedacht, dass seien Engländer. Das waren die von N.R.A., die haben echt ohne Akzent geredet.
Haben die nicht auch schon öfter in den Staaten getourt?
Darren: Nein, die meinten sie hätten noch nie dort gespielt. Die haben mit RANCID in Europa getourt und da gab es ärger untereinander, und die ganze Geschichte hat er uns erzählt. (Die Geschichte dürften ja wohl alle kennen, deshalb lass ich das mal weg Anm. von Mir)
John: RANCID hab ich noch nie gesehen, aber OPERATION IVY, früher mal.
Jim: Ska ist ja jetzt das ganz grosse Ding bei uns in den Staaten.
Stimmt ich hab gesehen, dass MIGHTY MIGHTY BOSSTONES bei den MTV Music Awards gespielt haben.
John: Das ist jetzt total hip bei uns. Ska und Rap.
Darren: Zur Zeit kannst du nichts falsch machen, wenn du Poppunk mit Ska mischt, dann stehen die Plattenfirmen bei dir Schlange. Das Läuft auch die ganze Zeit im Radio.
Na, es ist hier zwar nicht unpopulär, aber so gross ist es noch nicht. Meistens dauert es aber auch ein halbes Jahr, bis die Trends aus den Staaten hier Fuss fassen.
John: Ja, das ganze wird in den Staaten zu einem Produkt, das richtig vermarktet wird, um möglichst viel dabei raus zu holen und wenn es erst einmal kommerzialisiert ist, wird es in einem Jahr tot sein. Guck dir Grunge an. Es war Underground. Bands wie MUDHONEY und TAD waren Underground. Erst PEARL JAM und SOUNDGARDEN haben Grunge zu diesem Rock Ding gemacht.
Dann war es das grösste auf der Erde und heute? Kein Hahn kräht mehr danach! Im Gegenteil die Leute können es nicht mehr hören, es nervt und langweilt sie, und sie wollen einfach etwas neues. Diese ganze Medienhypes töten die Musikstile, deshalb ist Hardcore noch immer da, weil es Underground geblieben ist.
Darren: Es bedeutet der HC Szene auch etwas ein Teil dieser Bewegung zu sein, wenn die gesamte verdammte USA Teil dieser Bewegung ist, kannst du das vergessen. Wenn dieser Trend vorüber ist, fassen dich die Medien nicht mal mehr mit einer Kneifzange an. Wir haben mal in Hoboken/New York gespielt und der Manager des Clubs war der Schlagzeuger von SKID ROW, das sagt doch alles, oder? Vor ein paar Jahren hat er noch vor 15000 Leuten in Stadien gespielt, jetzt managt er einen kleinen Club.
John: Das ist auch ein Grund warum FUGAZI immer noch angesagt ist. Sie waren nie ein Trend, der dem Publikum übergestülpt wurde, sondern das Publikum hat sich FUGAZI ausgesucht und die verkaufen ganz schön viele Platten, obwohl sie noch alles selber machen.
Ja, fast jeder, den ich kenne, hat eine FUGAZI Platte.
John: Ja, genau, aber sie laufen trotzdem nicht auf MTV, und deshalb sind sie auch noch da. Sie werden eben nicht abgekocht. Bei DISCHORD geht es nicht darum Geld zu machen, sondern etwas gutes zu machen. Die Leute arbeiten auch ganz anders miteinander, sie kümmern sich um einander, da ist keine Konkurrenz. Das hält die Sache am Leben.
Darren: es ist auch nicht immer gesagt, dass man gross raus kommt, wenn man zu einem Major geht. ROCKET FROM THE CRYPT verkaufen nicht mehr Platten als früher, und die Konzerte sind auch nicht voller.
John: Oder umgekehrt geht es auch. Nimm doch mal JESUS LIZZARD. Ich fand früher immer, das sei neben FUGAZI eine der grössten Underground Bands, und heute hört man nichts mehr über sie.
Jim: Doch ich hab was gehört. Ich glaube die touren mit BUSH.
Nun fingen wir an, uns über alles mögliche zu unterhalten, was aber nicht so interessant für euch ist, aber eines hat sich noch heraus kristallisiert. Nämlich die ultimative Abschlussfrage….
Wie lange tragt ihr eure Socken, bis sie so hart und krustig werden?
Allgemeines Gelächter.
John: Zwei bis vier Tage.
***
Na, dem ist nichts mehr hinzu zufügen. Ausser der Discographie natürlich…..
-„Race“ CD – Polyvinyl (1997)
-„came by to kill me LP/CD – slowdime#3/dischord 111.5 (1996)
-„T-Minus 100″ split 7“ with Bluetip – Maggadee Records (1996)
-„Situation at Hand LP – Art Monk Construction (1995)
-„Blownclean“ 7″ – Firepower Products (1994)
-„Down in Three“ 7″ – Strict Records (1993)
-„Two for Flinching“ 7″ – Art Monk construction (1993)
Interview & Text: Jörg Warras
Fotos:
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