HUDLEY VOM FLIPSIDE FANZINE (#154, 2012)
BE MORE THAN A WITNESS
Interview mit Hudley, FLIPSIDE FANZINE
„Al and I were not materialistic… so we did not put much value in things. But now when I go to the local pub and see DJ’s treating their records like Icons. I get bummed, partly because I had them all and left them behind, and partly because records have become more precious than the Message of what the punks were saying. For me the message was what Punk was about…or still is! I use to listen to 60’s, 70’s music along to the Circle Jerks and Black Flag while working on Flipside… it is what inspired us! Good Rock and Roll has always been associated with rebellion and raising human consciousness. Fuck, sometimes it was just all about having fun!! I don’t care if some fucker has more records than I do now… they was a time … „
Es war und ist mir ein Anliegen, hier im Hinblick auf meinen Geschmack die (aktuelle) HC-Punk-Underground Szene zu dokumentieren und nicht nur dabei meine Helden kennen zu lernen – konträr zu den lieb gemeinten Vorwürfen einiger Redaktionsmitglieder. Dieses Dokumentationsinteresse beinhaltete auch Interviews mit Fanzines. Vor einigen Jahren interviewte ich zum Beispiel Todd Taylor vom Razorcake Fanzine aus Los Angeles, er arbeitete bei dem Flipside Fanzine.
Seufz… Wer über 30 ist nicht in der Lage, jederzeit um vier Uhr nachts mit gelandener Waffe an der Schläfe geweckt zu werden, um die Adresse des Heftes auswendig runter zu rattern? Flipside Fanzine. P.O. Box 363. Whittier. California. USA. Genau, „be more than a witness“. Namen fallen einem ein von damaligen Schreibern, Larry Lash, Pooch und X-8. Zusammen mit dem MRR Fanzine, Dischord Records und Alternative Tentacles Records war das Flipside (FS) eine der vier wichtigsten HC-Punk-Institutionen der 80er. Umso mehr erstaunt, dass die disparate Geschichte dieses Pionier-Heftes nicht so bekannt ist, wie sie sein sollte. Die Scheiße ist somit zum Beispiel die, dass wirklich nicht wichtige Fanzines wie das Touch and Go Fanzine heute sich selber darstellen können, als ob sie damals die “Movers and Shakers” waren.
Das FS Fanzine versus Touch and Go Fanzine, das ist ein Flugzeugträger versus ein Dreirad, okay! Das FS existierte von 1977 bis 2000. Es begann als lokales hand kopiertes Zine und wurde zu einem fetten gedruckten 8000er Auflage Monster mit Farb-Cover und kuriosen Themen: UFOs, Drogen, natürlich viel Punk (L.A.-, aber auch internationalen) und mit einer etwas anderen Heft-Mentalität als das immer etwas ernste und „sauertöpfische“ MRR (wir werden darüber noch reden). Aber FS war auch ein Label (mit Bands wie Detox, Doggy Style, Sluts for Hire, Anti-Scrunti Faction, tolle Sampler, der ersten Beck Single), ein Video-Film-Fanzine (Black Flag, Agent Orange, TSOL, Social Distortion, vgl. dazu auch den White Flag Song) und eine Festival-Reihe in der kalifornischen Wüste.
Synonym mit dem Heft war wie bei allen HC-Fanzines der Herausgeber, ein gewisser Al Kowalewski, besser bekannt als Al Flipside. Dieser einst mit Dolf Las Vegas bereisende ist seit 2000, also dem Ende aller Aktivitäten unter dem Dachbegriff FLIPSIDE, verschollen. Im Gegensatz zu seiner Exfrau und früherer Heft-Koordinatorin Hudley Flipside. Sie kam in den späten 70er in die Los Angeles Punk-Szene, wie sie Alice Bag im Mai 2008 in einem Interview erzählt: “I am a pivotal character between the early punk scene and the 80’s punk scene. Both scenes were different but I love them both. They were wild, wonderful days. … I am starting my memoir with my first Los Angeles Flipside Fanzine that I worked on, which is issue 16. That was my first Flipside cover, with the band Fear.“ Hinsichtlich der Motive für ihren Aktivismus ergänzt sie: „what was so great about Flipside, putting out the fanzine, is that no one told us what to do. We had total freedom. Total creative freedom… there was no limit to what we could do. We weren’t concerned with popularity or what is now “politically correct”. We did not care about censorship or copyrights or any bull like that.“
Es gibt noch weitere schöne Gespräche mit ihr online: einen (tollen) Podcast mit ihr auf der Razorcake-Seite von September 2009, ein Interview mit dem Strange Reaction Blog im August 2009, sie führte dazu noch aus: „The Los Angeles based fanzine Ink Disease has the best interview with Al and me. It was done during the 1980’s so it is fresh and current at that time and place for anyone wanting to know more about the early punk scene“.
Hi Hudley, viele unserer Leser kennen dich, wie würdest du dich unseren jüngeren Lesern, die dich nicht kennen, vorstellen?
Hallo, mein Name ist Hudley Flipside. Ich war Mit-Herausgeberin des FS Fanzines aus Los Angeles von 1979 bis 1989 und involviert in der frühen Hollywood-Punkrock-Szene. Die fand damals in Underground-Läden wie dem berüchtigten Whiskey A Go Go auf dem Sunset Boulevard, dem Club 88 und dem The Masque statt. Ich dokumentierte die lokale und internationale HC-Punk Szene der 80er. FS war ein Fanzine, ein Label und veröffentlichte live-Videos von Bandauftritten.
Ich würde gerne wissen, wo du lebst, bist du noch in Whittier?
Whittier verließ ich vor einer langen Zeit, ich hörte, dass es dort eine coole Szene gibt. Ich lebe jetzt in White Hills in Kalifornien. Ich komme aus der Stadt von Bands wie Bad Religion und Jughead’s Revenge.
Wahrscheinlich geht es gar nicht, aber wenn du „müsstest“, was unterscheidet Los Angeles Ende der 70er und heute?
2012 ist es eine Mischung aus vielen unterschiedlichen Bands und vielen Clubs und Kneipen in der Stadt, in Orange County und darüber hinaus. Es gibt eine große Nostalgie-Sache bezüglich der frühen Punkbands. Was für mich diese unterschiedlichen Fronten vereint, ist ein „Netzwerk von Freunden“, alte und neue, die ich auf Facebook und Myspace und in Clubs und Kneipen treffe. Kürzlich habe ich die FS Nummer # 33, die „Comic Relief“ Ausgabe, in dem Punk Rock Museum in Los Angeles vorgestellt. Hier treffen sich die lebenden Legenden der frühen Szene, schauen sich Bands an und genießen die tolle Kunst und Fotos (ich habe ein Bild davon mitgeschickt).
In den letzten Jahrzehnten hat sich ja auch die ganze Technologie total verändert, ich bin mir nicht immer sicher, ob sich alles zum Vorteil entwickelt hat, was denkst du?
Was sich am meisten durch die Technologie veränderte, ist die Kommunikation. Als wir mit dem Heft begonnen haben, lief die Kommunikation über die Post bzw. den Heftvertrieb. Alle Korrespondenz war via Post oder Telefon, letzteres haben wir allerdings nur selten beantwortet. Es begann mit kopierten Ausgaben, dann kamen Drucker, Commodore Computer und HP Scanner. Fotos machen und entwickeln war in den 70er und 80er viel schwieriger. Wir entwickelten alle Fotos in unserer Dunkelkammer in unserer Garage (manchmal in einem Zimmer des Hauses, es kam darauf an, wo wir lebten). Dann zauberte Al mit seiner photographischen Magie, bevor wir uns an die Veröffentlichung machten.
Es dauerte zwei Monate, um alle Arbeiten für eine Ausgabe zu erledigen. Ich muss ja nicht sagen, wie einfach jetzt alles geworden ist…fuck!!! Ich liebe Computer, das Internet und Facebook. Ich sehe es als eine Evolution der Kommunikation und des Bewusstseins. Auf der anderen Seite ist es auch für mich ein Paradox: Wie kann ich die Sachen einfach halten, gleichzeitig aber auch persönlich und einzigartig? Ich finde, das kann ich dann machen, wenn ich in die Clubs und Kneipen gehe, die Lösung ist im kreativen Prozess, also, wie man die technologische Kommunikation und die echte Welt im Gleichgewicht hält, gib mir dann einfach ein paar Bier und ich will Spaß haben. Egal, was das Medium ist, es ist gut, Beziehungen in der Punkszene vernetzt zu halten.
Wie ist die aktuelle Situation beim FS? Es gibt seit einigen Jahren diese wunderschöne memorial Homepage, dann gab es 2010 eine kurzlebige Wiederbelebung mit zwei Web-PDFs (“ FS 2010″), die haben mir gefallen, warum habt ihr dann aufgehört?
Vor fünf Jahren habe ich wieder angefangen, raus zu gehen und mir Bands anzuschauen. Ich ging in den Mr. T´s Bowl in Hollywood Park. Es war total geil, wieder mit Bands abzuhängen. So viele Bands spielten, die mich inspirierten, The Black Widows, Carnage Asada, A Pretty Mess und Million Kids… um einige zu nennen. In dieser Zeit, als mein Enthusiasmus neu angefeuert wurde, kamen Joe Henderson und Ed Dawson, das waren Redaktionsmitglieder aus den alten FS Tagen und zusammen entstand eine FS Reunion. Sie war sehr erfolgreich. Ich begeisterte Joe für die Million Kids. Ich mochte diese Band sehr, es ist die Band von Billy Cadwell.
Also, Joe, Billy und ich heckten die Idee mit dem „FS 2010“ aus. Ich muss zugeben, es sah sehr gut aus und war sehr erfolgreich, zusammen mit den Bands und der Musik. Zuerst hatte ich diese alten Ideale, wie man halt das Heft führen sollte. Wir arbeiteten gut zusammen und es war eine sehr integere Sache. Dann, nachdem ich mit Billy und Joe gearbeitet hatte, fand ich heraus, dass sie eine andere Agenda als ich verfolgten. Wir hörten auf, als enges Team zusammenzuarbeiten. Ich habe ihnen das gesagt, ich hatte das Gefühl, dass Billy und Joe einige Aktivitäten wie mit dem online Fanzine und dem Buchen von Konzerten entwickelten, die hinter meinem Rücken stattfanden, ohne mich überhaupt zu fragen. Ich hatte den Eindruck, dass sie mir auswichen und mich für den FS Namen benutzen.
Ich fühlte mich wirklich betrogen. Nach vielen Kopfschmerzen und Enttäuschungen gab ich bekannt, dass das „FS 2010“ zu Ende ist und ich Billy und Joe keinerlei Erlaubnis gebe, den Namen FS zu verwenden. Der ganze Enthusiasmus, die alten Tage wieder aufleben zu lassen, das führte zu einem großem Fehler, nämlich Billy zu trauen, denn bei aller Ehrlichkeit: ich kannte ihn nicht sehr gut. Joe und Billy sind eben kein Al FS. Es war beinahe so schmerzhaft wie damals, als ich FS verließ. Seitdem haben Joe und ich es wieder ins Reine gebracht und sind wenigstens wieder Freunde, Billy jedoch werde ich nie wieder trauen. Er machte dann das online Sparkplug Fanzine. Also, er bekam das, was er ursprünglich wollte. Ich machte ein Konzert für das „ FS 2010“ im San Fernando Valley in einem Laden namens Weber´s. Es war eine okaye Veranstaltung. Zu dieser Zeit war ich nicht mehr mit voller Begeisterung bei der Sache. Michael Essington von Strange Reaction war dort und half mir sehr.
Du machst immer noch Konzerte in Los Angeles?
Ich habe nicht vor, aktuell wieder welche zu machen. Am Ende: Alles wird gut.
FS mochte ich immer sehr, besonders diesen einzigartigen Stil, der sich doch sehr vom MRR unterschied. Während das MRR immer etwas mehr „vom Kopf“ her war und Tim Yo immer sehr rational argumentierte, fand ich FS immer etwas mehr „aus dem Bauch und vom Herzen“ heraus. Damit ist nicht gesagt, dass MRR intelligent und FS dumm war, beide Hefte mag ich. Jedoch hatte FS diese spezielle „60er-Hippie-clever-humanistische-smarte-openmindness-leb-ohne-Grenzen“-Haltung, die hab ich sehr geliebt. Stimmst du mir hier zu? Ihr hattet ja echt nicht diese „Know-it-all“- oder „Ich bin besser wie du“- Haltung, oder wart total dogmatisch. Das wird euch zu all den anderen Punk Zines immer unterscheiden. Ihr hattet eigentlich nur eine Regel, eben, dass es keine Regel gibt, fickt euch all, ich mache, worauf ich Bock habe, „it´s my party and I cry if I want to“.
Ich denke, wir alle haben unsere eigenen Eindrücke über verschiedene Fanzines. Beim FS ging es immer nur darum, mehr als nur ein Beobachter zu sein, „be more than a witness“. Wir waren Fans, machten ein Fanzine und ein Label. MRR und FS standen nie zueinander im Wettbewerb. Ich erinnere mich an eine frühe FS Ausgabe, in der Tim Yohannan eine Anzeige schaltete, da ging es um eine Radiosendung, die er vor dem MRR machte. Wir haben uns gegenseitig respektiert und besuchten uns. Als wir unser Fanzine in San Francisco vertrieben haben, besuchten wir Tim. Al und ich waren ein wenig neidisch, weil Tim der erste war, der einen Scanner hatte.
Ich war echt überwältigt, zu dem Zeitpunkt hatte ich total die Schnauze voll, die Anzeigen und Briefe abzutippen, das war sehr viel Arbeit. Ein Scanner, das fühlte sich wie eine großartige Sache an. Es gab einen Comic-Zeichner namens John Crawford, der machte „Revolutionary Fetus“ und „Baboon Dooley“ Comics für unser Heft. Er kannte einen großen Teil von Tims späten 60er Hippie-Erfahrungen. Tim war ein gutes Stück älter wie wir. John hatte den Eindruck, dass Tim die Politik der 60er Politik in die Punk-Kultur der 80er anwenden wollte. Ich fand das lustig; obwohl MRR immer eine harte intellektuelle Linie vertrat, war Tim wirklich ein Teddybär, der zu viel rauchte. Als Tim uns besuchte, hat er immer den Abwasch mit einem Schwamm mit zu viel Seife gemacht, ein Geschirr nach dem anderen, ha. Es war eine Ehre, sein Freund zu sein. Ich bin froh, dass dir die FS- Ausgaben gefallen haben. Wir waren sehr aufrichtig bei dem, was wir taten.
Wenn dir die Frage zu persönlich ist, musst du sie natürlich nicht beantworten. Ich wusste nicht, dass du und Al verheiratet wart. Ist eure Beziehung auseinander gegangen, als du FS verlassen hast?
Al und ich haben am 21. Dezember 1979 geheiratet, ich war 19 und er 22. Er hat sich 1989 von mir scheiden lassen, wir hatten persönliche Angelegenheiten…Ich wollte eine Familie gründen, er wollte es irgendwie nicht so. Ich begann, die Punk-Ideologie und Realität in Frage zu stellen, Drogen kamen in die Szene rein und die HC-Bewegung brannte mich aus, es war kompliziert. Also, ich verließ ihn für einen anderen Mann, aber es war einfach nur ein Weg aus der Szene heraus. Es ging für mich um Leben oder Tod. Ich zog nach Rochester in New York und begann, als Hilfe für Haushalt und Gesundheit Geld zu verdienen. Ich ging weg, hatte keine Identität mehr und verließ alles, um neu zu starten. Ich wurde gerade 30. Die 90er Punkszene war eine ganz andere Baustelle. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich es tat, wie ich es tat. Und Al FS war ein großartiger Mensch, er war in verschiedenen Sachen ein echtes Genie. Ich vermisse ihn! Zwanzig Jahre FS, geil!
In den ganzen Jahrzehnten musst du ja tausende von Leuten in der Punkszene kommen und gehen erlebt haben. Erst sind sie Teil der Szene, sind „mehr Punk“ als du und dann sind sie zwei Jahre später schon wieder weg. Während es früher „Fickt das System, die Kirche und das Militär“ hieß, werden sie dann Polizisten, Soldaten und religiös. Du bist immer noch da und denkst immer noch unabhängig. War das alles nicht bitter für dich, dass die Leute nicht das tun, was sie sagen oder siehst du das alles mehr ironisch, so Richtung „Ja, wenn du mal in mein Alter kommst und immer noch bei dem Dickies-Konzert tanzt, dann können wir weiter reden“?. Aber so eine Haltung macht einen selber ja auch zum Zyniker, es ist ja immer das gleiche: als du 21 warst, da gab es ja auch schon ältere Leute, die zu dir meinten „Ey, ich hab die Stooges 1971 gesehen, wo warst DU?“ und als diese Menschen ihrerseits Jugendliche waren, da gab es dann auch wieder welche, die sagten „Hey, ich sah Elvis live 1955, wo warst du denn damals?“.
Die Jahre ziehen ins Land und wir alle werden älter. Wenn man jung und rebellisch ist, dann ist das mit 15 anders wie mit 24, 40 oder mit 53, letzteres ist mein Alter. Ich habe das ja gemacht, ich war jung, angepisst und glühte und wollte die Welt verändern. Ich war „Anarchie und fickt euch alle“ zusammen geschnürt in einem kleinem Mädchen! Ich ging dann zurück auf die Schule, machte meine Abschlüsse und bekam Kinder, aber was immer noch in meinem Kopf drin ist, sind die Gefühle, die mit einer bestimmten Musik von meinen Punktagen assoziiert sind. Das inspiriert mich weiterhin.
Manchmal, wenn ich morgens aufwache, hoffe ich, dass die letzten 30 Jahre nur ein Traum waren und das ich wieder als junge Punkerin in den frühen 80er aufwache, mit all meinen Kumpels an meiner Seite, manchmal vermisse ich sie wirklich. Aber das ist ja alles nicht der Fall. Bei FS landeten mehr und mehr Platten in den zehn Jahren, in denen ich dort war. Es war lächerlich, wie viele Sachen wir für umsonst bekamen. Al und ich waren nicht materialistisch. Wir haben diese Sachen nie als sehr wertvoll betrachtet. Aber jetzt, wenn ich in die Kneipe gehe und dort die DJs sehe, die ihre Platten wie Schätze behandeln, das fuckt mich ab. Einerseits, weil ich sie alle hatte und sie zurück ließ, andererseits, weil die Platten wichtiger geworden sind als die Botschaft, die die Punks hatten.
Für mich ist es die Botschaft, worum es im Punk geht. Immer noch! Als wir das Heft zusammenstellten, hörte ich 60er und 70er Musik, Circle Jerks und Black Flag, das hat uns inspiriert. Bei guter Rock´n´Roll-Musik ging es immer um Rebellion und darum, das menschliche Bewusstsein anzusprechen. Scheiße, manchmal ging es auch nur um den Spaß. Mir ist es egal, wenn irgendein Arschloch mehr Platten wie ich jetzt habe hat.
Es ist für mich schwer, nachzuvollziehen, wie so eine starke unabhängige Publikation wie FS dann doch enden konnte, auch wenn es schon 12 Jahre her ist, ich denke, ich bin nicht der einzige, der sich darüber immer noch wundert. Todd vom Razorcake erwähnte in meinem Interview Probleme mit dem ROTZ-Vertrieb?
1989 habe ich FS verlassen, da wuchs das Heft stark. Als Al sich von mir scheiden ließ, wurde ausgemacht, dass ich so alle Eigentumsrechte an dem Heft in dieser Zeit verloren habe. Ich mache ihn dafür nicht verantwortlich. Eigentlich dachte ich, dass in der Realität Eigentumsrechte in der Punkkultur nicht wichtig sind, in diesem Falle war es aufgrund von Steuergründen mit der Hilfe von Zed Records in Long Beach für Al und mich so gedacht. Wichtiger als das Eigentum war die Zeit und die Integrität, die du bei der Arbeit an jeder Ausgabe geleistet hast, die Liebe zu der Szene. Zurück zu mir: Zu der Zeit hatte ich kein Geld und lebte praktisch auf den Straßen in Rochester.
Al schickte mir unseren alten Commodore Computer 128 und einige Backissues. Ich hätte damals für meine Hälfte an dem Heft kämpfen können. Ich machte es nicht. Es war mir egal und ich war ausgebrannt. Jetzt bedauere ich das ein wenig, mein Punkt ist, das Al einige große Fehler kurz vor dem Untergang von FS in den späten 90er machte. Es gingen sehr viele negative Sachen ab. Rotz ging pleite. Ich bin sicher, Rotz war nicht der einzige Vertrieb, mit dem Al Probleme hatte. Mordam Records in San Francisco war ein anderes Problem. Die Geschichte ging so, dass FS einiges sexistisches Material in der aktuellen Ausgabe hatte, dass sie nicht gut fanden. Al beendete die Beziehung deswegen und das traf unseren Vertrieb natürlich auch. Aber, in aller Ehrlichkeit, ich denke, dass Al genau wie ich ausbrannte. Keinen Bock mehr. Dann kamen die Aasgeier, die nicht verstanden haben, worum es grundsätzlich bei FS ging und verkauften Kram auf Ebay, um ihre Investitionen zurück zu bekommen. Vielleicht war das alles auch gerechtfertigt. Ich kann es nicht sagen, weil ich nicht da war. Ich hege keinen Groll mehr mit irgendwem. Das Leben geht weiter.
Wenn du zurück schaust, was sind deine ersten Gedanken, die dir in den Kopf kommen auf dieser Reise in die Vergangenheit?
Meine Autobiographie – „The Seminary of Praying Mantis: My Punkalulaby“ – dauerte in der Fertigstellung vier Jahre, von 2005 bis 2009. Ich bin immer noch bei der Überarbeitung. Das Schreiben und die Reflexion der alten Punk-Tage half mir, meine Erinnerung an die alten Zeiten zu verstehen. Ich schrieb meine Erinnerungen in erster Linie auf, um sie zu verkaufen, dann, um zu heilen und wer weiß, wozu sonst noch? Ich werde meine eigenen DIY-Verlag in meiner Garage gründen und wieder was machen, jede Ausgabe per Hand binden und somit wieder Qualität über Quantität setzen. Ich habe eine gute Gliederung und einen Entwurf meiner FS-Jahre.
In den 90er war ich sehr verbittert, als ich auf die Szene zurückblickte. Jetzt bin ich über diese alten Tage glücklich, weil so viele Leute an der frühen Punkszene interessiert sind. So habe ich viele Freunde von damals wiedergetroffen und viele großartige neue Leute aufgrund meiner Punkrock-Erfahrungen kennengelernt. Meine frühen Punktage waren echt wild und außerhalb dieser Welt. Wir machten, was WIR wollten. KEINER KONNTE UNS SAGEN, WAS WIR ZU TUN HABEN. Insofern war das Motto „Sei mehr als ein Beobachter“ sehr real für uns, es ist in meinen Genen und in meinem Charakter. Ich werde nie wirklich dazu gehören.
Ich weiß, dass du die Frage in einem anderen Interview schon beantwortet hast, aber nichtsdestotrotz: was sind deine zwei Lieblings-Flipside-Titelbilder?
Die Circle Jerks FS und die Lee Cartoon Ausgabe # 44!
Verdammt, ich liebe ja diese Ami-Komödien-Serie „Malcom Mittendrin“, dort gibt es eine Episode, die bei dem „Burning Man“-Festival spielt. Das FS Festival war ja irgendwie der Beginn des ganzen Festivals oder?
Nicht wirklich, FS startete in den 90er sehr viele Konzerte in der Wüste. Al und Gus Hudson, mein Bruder, waren die Urheber davon und begannen, die Band Hawkwind zu buchen, eine von Al´s Lieblingsbands. Ich war nicht Teil davon. Aber vielen der frühen Punks aus dieser Zeit gefielen diese „Burning Man“-Erfahrungen und sie denken immer, es war das Größte. Es ist alles irgendwie so passiert wie bei diesem „Der Hundertster Affe“ – Effekt (Anm. Jan: Ab einer kritischen Masse von Affen, ab genau dem Affen # 100, gilt: „Wenn nur genug von uns etwas für wahr halten, dann wird es für alle wahr“). Wenn es eine Verbindung von FS und Burning Man gibt, dann kann es nur durch die Besucher beider Festivals sein.
Ich finde eher, dass „Burning Man“ mehr so was wie das „Rainbow-Treffen“ von Kalifornien ist, viele New Age Leute und so, ha. Drogen nehmen und nackt durch die Gegend laufen ist nicht mein Ding, ich bin eher eine „Club“-Person. Ich liebe mein Bier!!! Ich mag echt auch diese großen Events nicht. Ich fand es lustig, als ich diese von dir gemeinte „Malcom mittendrin“-Folge sah. Ich sah auch eine Episode von „Judging Amy“, dort ging es dann noch um die Straight Edge Bewegung, das ist vielleicht jetzt fünf Jahre her. Also, das brachte mich zum Lachen…
Hast du das Gefühl, dass dir genug Anerkennung in der Punk-Geschichte zugesprochen wurde? FS war eine so extreme Pionier-Leistung und so intensiv in Kontakt mit Bands und Labels, die später groß und bekannt wurden, bist du zufrieden oder bist du angepisst, dass deine älteren Freunde alle Millionäre wurden und du vielleicht nicht? Oder ist es egal, weil alles so lange her ist? Ich denke, in einer perfekten Welt würde es so laufen, dass alle jetzt bekannten Bands dir und Al monatlichen einen gut dotierten Scheck nebst einem teuren „Blumen und Wein“-Geschenkkorb überreichen und die Punkszene würde euch große Hallen zur Verfügung stellen, in denen ihr den Leuten eure „Punk-Kriegsgeschichten“ erzählen würdet und ihr dafür 10.000 Dollar bekommt, das wäre einfach nur gerecht, ha. Ist wohl nicht in echt der Fall, also, denkst du, du hast genug Respekt und Anerkennung bekommen?
Nein, ich denke nicht, dass ich genug Anerkennung in der Punkrock-Geschichte bekommen habe, genauso wie Al oder das FS Fanzine auch nicht! Von Al gab es einige Fotos und ein paar Videoszenen in dem Flim „American Hardcore“. Brendan Mullen hat Al einige Male in seinen Büchern erwähnt bzw. Bilder abgedruckt, das ja. Ich bin übersehen und ignoriert wurden und das tut schon ein bisschen weh. Speziell bei einem von mir gemachten Foto in dem Buch, von Keith Morris, als er Sänger in Black Flag war, nachdem sie nicht mehr zusammen waren. Sie spielten in dem Laden The Church. Dieses Foto wurde als große Sache angekündigt, weil es halt sehr rar und ein einzigartiger Schnappschuss ist. Ich hab dafür nie die Credits bekommen. Schon lustig, weil wenn du in die FS-Ausgabe schaust, aus der es genommen wurde, deutlich steht, von wem es kommt. Man sollte immer die Originalquelle beachten. Aber daran erkenne ich auch aus einer gewissen Distanz heraus, dass die Punkszene damals schon nicht einfach war und warum sollte es heute anders sein?
Mein Dank geht auf jeden Fall an Alice Bag, Strange Reaction, Razorcake und das Dagger Fanzine für ihre Interviews, die erschienen sind bzw. noch kommen werden, das ist schön, anerkannt zu werden. Die Kriegsgeschichten aus der Punkzeit, das ist schon wahr, es gab derer viele und darüber gab es viele veröffentlichte Bücher und diesbezüglich neue in Planung. Es ist lustig, wenn Bands bekannt werden und ich sie jetzt mehr kenne als andere. So ist das ja auch mit den anderen Erinnerungen an die Punkszene. Es läuft ja, so denke ich, oft so, mit den Bands und Labels. Warum werde ich immer automatisch, wenn GBH hier in der Stadt spielen, von ihnen auf die Gästeliste gesetzt und warum von Social Distortion nicht? Ich liebte und unterstützte sie beide, kannte beide persönlich und betrachtete sie als meine Freunde. Wir schrieben über sie in unseren Heften und veröffentlichten Videos oder Platten mit ihnen. Das gleiche mit SST oder Epitaph Records.
Wer weiß. Ich war ja nicht bei FS dabei, um mir Respekt zu verdienen oder verfolgte eine bestimmte Agenda, es war ein Prozess, ein Experiment! FS war dabei, eine wachsende Punkrock-Szene zu unterstützen, als es keiner machte. Wir hatten eine symbiotische Beziehung mit Bands, Fans und Labels. Es war wie die glühende Asche eines sich entwickelnden Feuers. Glaub mir, ich bekomme viele Nachrichten über meine Facebook-Seite von Fans, die damals das Heft und die Platten gekauft haben, und die sich bei mir bedanken und das macht es alles am Ende wett. Korrekterweise muss man die Wahrheit sagen: es waren die Fans, die die Fanzines und dann die Platten gekauft haben. Sie sind direkt dafür verantwortlich, zu dem Wachstum der Punkszene beigetragen zu haben. Ok, ja, ich kannte sie alle, ich hab dir das Bild von Keith Morris mit Black Flag von dem The Church -Auftritt mitgeschickt.
Vor zwei Jahren haben die Germs in München gespielt, das war total geil. Du hast sie damals gesehen, wie waren sie live?
Es ist gut, dass du sie dir angeschaut hast. Ich kannte die frühen Germs persönlich. Sie waren Teil der überraschenderweise kleinen Hollywood-Szene, zu der ich in den frühen Punktagen auch gehörte. Ich habe von ihnen niemals einen kompletten Auftritt gesehen, das lag an Darbys verrückten Wesen und dem übermäßigen Gebrauch von Alkohol und Drogen. Ja, das waren die Germs. Ich hätte nicht den Wunsch, sie jetzt anzusehen. Ich würde mir lieber ihre Slash- und What Records -Sachen anhörten, am Ende des Tages. Ich war auch damals nicht so der große Fan, warum sollte ich es jetzt sein? Ich bin sehr erstaunt, dass die Leute aus ihnen so ein großes Ding machen…lustig. Die frühe Schlagzeugerin, Donna Rhia, war eine meiner weiblichen Vorbilder in der Punkrock-Szene. Sie ist auch eine Frau, die total übersehen wird.
Seit einigen Jahren gibt es einen Trend in der Punk-Literatur: sie beginnen die Geschichtsschreibung mit den Sex Pistols und Clash und schreiben, dass das alles von Männern dominiert wurde und nun überspringen sie zehn Jahre und konstatieren, dass es erst 1990 mit den riot grrls anfing, also mit Frauen, die aktiv im Punk werden. Einerseits mag ich Bikini Kill und Team Dresch und ihre neueren Sichtweisen sehr, aber andererseits denke ich nicht, dass die Sicht korrekt ist. Vielleicht ist es etwas zu ausufernd, wenn man darauf hin weist, dass es ja schon ganz früh, vor Punk, Frauen in der Musik gab, Wanda Jackson, Moe Tucker, dann Nina Hagen schon, gerade im frühen Punk gab es doch schon aktive Frauen, zum Beispiel die Crass Frauen, X und hey, dich auch, ha. War das für dich eine wichtige Sache, die riot grrls Geschichte? Vielleicht war es ja in Los Angeles damals einfach auch total anders mit dem Männer- / Frauen- Aktivismus?
Dazu muss man sagen: Ich war eine Frau unter vielen vielen Männern. Ich denke, das Buch von Alice Bag, „Violence Girl“, ist ein Start von etwas gutem in der Verlagswelt hinsichtlich „Aktive Frauen im Punkrock“. Ich war sehr inspiriert von ihr, The Go Go´s, The Avengers – Penelope Houston, The Alley Cats – Dianne Chai, Anti-Scrunti Faction – Leslie Mah und Tracy Thomas. Eine meine frühesten Inspirationen, das muss ich auch sagen, ist Suzi Quatro. Das jetzt einfach mal direkt spontan gedacht. Ich bin momentan dabei, FS zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen und es bekannt zu machen als eine großartige historische Quelle und Dokumentation der Untergrund Musikszene.
Es gab aktive Frauen in den 70er und 80er, zuerst mal: Alice und Patricia Bag arbeiteten beim FS in den frühen Tagen mit. Und es gab einige Frauen, die mitmachten, nachdem ich dort anfing, ich denke da an Joy Aoki, Michelle FS und Helen Jewell… Das hört sich nach einem guten Buch an, das jemand anders schreiben sollte, ha. Riot Grrls haben mich nicht inspiriert. Ich war damals damit beschäftigt, Kinder zu kriegen und zurück auf die Schule zu gehen. Am Ende: ich betrachtete Männer und Frauen als gleich und tue das immer noch. Wir, „die Crass Frauen und X“, haben das alle zur gleichen Zeit gemacht, und diese Zeit ging schnell vorbei. Ich editierte Sexismus in dem FS der 80er heraus. Frauen waren damals anders. Jetzt bin ich sehr enttäuscht darüber, wie manche Frauen mit ihrem Körper Werbung machen, wie Madonna, und denken, dass das cool ist. Ich denke einfach, das so was die Männer-Frauen-Beziehung trennt und nur auf den Sex bringt. Ich erkenne, dass das immer auch damals schon in den frühen Punktagen so war. Ich für meine Seite habe versucht, etwas Androgynie ins Spiel zu bringen.
Ich war und bin immer noch sehr androgyn (Anm. Jan: „zwitterartig“), auch wenn ich über all die Jahre große Brüste bekommen habe, ha. Aber das bin einfach ich und viele Punks widersprechen mir in dieser Angelegenheit. Danke, dass du dem Ganzen Anerkennung in einer großartigen Frage zollst!
Was sind deine drei Lieblingsbands aller Zeiten, egal ob Punk oder nicht?
Charged GBH, The Avengers und The Moody Blues. The Moody Blues und GBH kommen beide aus derselben englischen Stadt, Birmingham, stell dir das mal vor, ha! Ich muss auch noch The Saints nennen. Meine erste Punkrock-Platte auf Vinyl, die ich in einem Laden kaufte, war „(I’m) Stranded“, ich hab sie immer noch, bis heute.
Alle historischen Artefakte werden im Punk zurzeit wieder veröffentlicht, es gab diese große Buch über das Touch and Go Fanzine, gibt es so eine Idee auch für Flipside?
Alles klar, Touch and Go! Ich würde gerne einen Reprint aller FS-Ausgaben auf schönem weißem Papier und gebunden in einigen Bänden herausbringen. Ich denke, so einige schöne „coffee table“ Hardcover Veröffentlichungen wären großartig. Aber das muss natürlich Al auch zulassen. Vielleicht entscheide ich mich, so etwas mit den Ausgaben zu machen, an denen ich die zehn Jahre mitgearbeitet habe. Mir selber fehlen einige. Ich würde ein Fonds für Al machen und jeder nimmt 50/50 der Profite. Das Geld nehme ich dann für das nächste Projekt, haha, so machten wir das beim FS immer.
Was ist deine Botschaft, dein Gruß an unsere Leser?
„Be more than a witness“! Ich glaube an die Kontinuität im Punkrock. Es ist mehr als die Platten, das Aussehen oder cool zu sein (hey, natürlich sind dabei lustige Elemente zu finden, ha). Es ist eine Art und Weise, wie du das Leben betrachtest, das Leben lebst und entweder hast du es oder nicht.
Ich danke dir für das Interview.
Gern geschehen und danke, dass du dich an das Flipside Fanzine und an mich erinnerst.
Einleitung / Interview: Jan Röhlk
Fotos und Titel-Bilder Flipside: Hudley Flipside
Kontakt: flipsidefanzine.com, auf Facebook gibt es die Flipside Memorial Seite