November 13th, 2017

HOWIE GELB (#148, 06-2011)

Posted in interview by Jan

In comes some Leo Sayer

Giant Sand

In meiner losen Reihe von Interviews mit alten Säcken diesmal: Howe Gelb, der mich auch schon seit über 20 Jahren begleitet, was übrigens eine ähnliche, wenn auch nicht ganz so intensive und wichtige Geschichte ist wie die mit Dinosaur jr., die ich ungefähr zur gleichen Zeit kennen lernte. Irgendwann zwischendurch hatte ich den Draht dann auch verloren. Was erstens natürlich mit sich wandelnden Interessen vor allem meinerseits zu tun hat, zweitens aber auch mit dem nicht enden wollenden (und meinetwegen auch nicht sollenden) Ausstoß dieses Herrn zu tun. Womit wir auch schon mitten in der Materie wären. In den vergangenen 25 Jahren soll es 25 Giant-Sand-Alben gegeben haben, die zur Feier dieser schönen Zahl jetzt neu aufgelegt worden sind. Nicht eingerechnet darin sind diverse Werke mit anderen Bands. Und selbst wenn man die alle zählen würde, wäre man noch nicht ganz komplett. Ein neues Album gibt es auch, das ich in einer der letzten Ausgaben bereits besprach. Über das und andere Dinge sprach ich neulich mit Gelb am Telephon.

Weil er schon so viel geredet hätte, schlug er vor, das Interview telepathisch zu führen, allerdings muss da irgendetwas schiefgelaufen sein, weshalb wir es dann doch auf die klassische Tour machten.

Hast du wirklich 25 Giant-Sand-Alben in 25 Jahren gemacht?

„Ich weiß nicht, welche zählen. Ich weiß, dass es zwischen 30 und 40 Alben sind. Und so wie ich arbeite, sind einige davon ‚offizielle‘ Veröffentlichungen, einige gibt es nur auf Tournee. Und manche liegen am Rand, wie die Piano-Platten, Arizona Amp And Alternator, OP8, (The Band Of) Blacky (Ranchette) und solche Sachen. Ich weiß nur, dass es viele sind, zu viele, als dass ich damit umgehen könnte. Also brauchten wir jemandes Hilfe, und das waren eben Fire Records.“

Wenn ich dir den Namen irgendeines deiner Alben sage, kannst du mir dann genau sagen, was darauf ist, wer spielt?

„Ja.“

Beeindruckend.

„Ach, ich weiß nicht.“

Du teilst deine Zeit mittlerweile zwischen Europa und den USA auf.

„Ja, meine Frau ist aus Dänemark. Für die Interviews bin ich aber aus Arizona gekommen.“

Wieviel Zeit verbringst du in Europa?

„Es scheint, dass ich alle fünf bis sechs Wochen hier bin. Im Sommer versuche ich zwei Monate hier zu sein.“

Gefallen dir die Winter hier?

„Ich mag es alles. Ich habe so viel extremes Wetter erlebt, dass mir normale Jahreszeiten ganz recht sind.“

Bist du in Arizona geboren?

„Ich wurde in Pennsylvania geboren, in einer sehr kleinen Kohlestadt. Dann kam 1972 die große Flut und zerstörte unser Haus. Mein Vater zog nach Arizona und so kam ich mit 15 dorthin. Dann traf ich Rainer (Ptacek), der kam aus Ost-Berlin. Den traf ich 1975, 1976, ich war 19, er 24. Vom ersten Moment an, begannen wir zu jammen. Und hörten eigentlich nie auf. Wir gründeten diese Band um 1980 herum, und er starb 1997.“

Wie ist das, beeinflusst es deine Musik, in Europa zu sein?

„Nein, ich glaube nichts von dem Zeug ist wichtig.“

Man liest im Zusammenhang mit deiner Musik immer von der Wüste…

„(Gelb ächzt) Es kommt drauf an, mit wem du redest und wie involviert sie sind. Es gibt ein paar Leute, die verstehen… Ich denke, Musik verlangt etwas vom Zuhörer. Und je mehr sie verlangt, desto mehr muss der Hörer geben und kann es vielleicht genauer zusammenfassen. Aber Leute, die nicht die Zeit dafür haben oder es nicht so leicht verstehen, versuchen einen einfachen Weg zu finden, es zu benennen. Wir als Menschen tun das eben so.“

Ich habe da eine paar interessante Begriffe gefunden: Grunge, Americana, New Weird America, Alternative Country – das tauchte alles zu verschiedenen Punkten auf, um deine Musik zu beschreiben. Du würdest dich wahrscheinlich nicht mit einem dieser Begriffe anfreunden können…

„Nun… Ich sehe Musik als… Ich spiele natürliche Musik.“

Aber es ist ja nun zum Beispiel keine afrikanische Musik…

„Ich arbeite daran! Naja, ich will dahin und überlege, wo ich hin will und wie lange ich bleiben will. Ich kann nicht mehr einfach meine Sachen packen. Der Altersfaktor… Ich will einfach nicht mehr Zeit im Flugzeug verbringen als nötig, ich will nicht länger als nötig von den Kids weg sein.“

Wie alt sind deine Kinder?

„Die Kleinen daheim sind acht und elf, und dann ist da noch ein 23-jähriger Sohn. Sie brauchen mich gesund und in der Nähe.“

Klar. Vielleicht verbringst du ja auch lieber Zeit mit ihnen als in einem Bandbus zu sitzen…

„Es macht mehr Spaß als alles andere. Vor allem, wenn man sie einzeln hat. Sie sind außergewöhnliche Menschen.“

Auf dem neuen Album ist „Thin Line Man“ von dem zweiten Giant-Sand-Album. Warum habt ihr den neu aufgenommen.

„Diese Frage hat keine Antwort.“

Ist es überhaupt sinnvoll, über Musik zu sprechen?

„Nie. Das ist es absolut nie. Die einzige Situation, wo es Sinn hat, ist, wenn etwas dich völlig niederschmettert oder sehr glücklich macht. Dann redest du hauptsächlich über deine Gefühle. Vielleicht bist du auch zu Tränen gerührt. Wenn das geschieht, hat es Sinn, über Musik zu sprechen. So wie es sinnvoll ist, über alles zu reden, das dich schockiert oder dich aus dem Gleichgewicht bringt und du musst darüber reden, um es besser verdauen zu können.“

Wann ist dir das das letzte Mal passiert?

„Mit Musik? Das war, als ich mit diesen Flamenco-Zigeunern in Spanien in Cordoba aufgenommen habe. Die Art, wie sie Gitarre spielen, haut mich um.“

Ist das schon erschienen?

„Es ist nur in Spanien rausgekommen, auf einem kleinen Label.“

Wie heißt das Projekt?

„Es heißt natürlich Howe Gelb & A Band Of Gipsies. Und sie sind alle echte Gipsys aus Andalusien.“

Und sie spielen ihre traditionelle Musik?

„Sie sind Flamenco-Zigeuner. Sie spielen großartig. Weißt du, es ist so: Flamenco zu spielen, macht dich zu einem überragenden Gitarristen. Ich würde nicht sagen, dass wir Flamenco spielen, weil ich keinerlei Flamenco-Rhythmen spiele. Aber wir waren ziemlich inspiriert und wir trafen uns in gewissen exotischen Beats, mit denen wir alle umgehen konnten: brasilianisch, kubanisch – aber das meiste ist mein normales Ding, und ich nahm ein paar alte Songs, von denen ich dachte, dass sie zur Begleitung passen würde. Und dann war ich total inspiriert, viele neue Songs zu schreiben, die diese Balance ein bisschen hielten. Es war wundervoll, mit diesen Typen zu spielen. Mir wird schwindlig, wenn ich ihnen zuhöre. Das andere war letzte Woche, da habe ich in Tucson mit einer gigantischen Mambo-Band gespielt, Sergio Mendoza y La Orkesta. Es waren 18 Leute in der Band und sie spielten Mambo. Echten, brassy Mambo. Wir kriegen sowas nicht oft zu hören in Arizona.“

Du hast mal gesagt: Republikanische Präsidenten seien gut für Rockmusik. Was bedeutet Obama in diesem Sinne?

„Ich fürchte, er ist nicht so gut für die Rockmusik. Aber du weißt, warum Republikaner gut für Rockmusik sind, oder? Because they suck so much, sie verursachen soviel Ärger, es gibt so wenig schöpferische Intelligenz, so wenig Inspiration, dass so jemand im Amt mich so wütend macht. Und eine der wenigen Waffen, die du hast, ist bessere Kunst zu machen. Und diese Kunst schreit gegen den Wahnsinn. Und nichts besser ist dafür geeignet als ein Verzerrer-Pedal. Und wenn die Demokraten im Amt sind, gibt es viel HipHop.“

Das musst du erklären.

„Normalerweise handelt HipHop davon, mit seinem Bling anzugeben, Party feiern und so…“

Heutzutage, stimmt, das war auch mal anders.

„Ja, das stimmt. Als Bill Clinton im Amt war, gab es viel guten HipHop. Ich weiß nicht, ich sehe hier ein Muster. Unter Bush gab es viel Rock’n’Roll. Obama, Mann… Ich bin mir nicht sicher. Er hatte so große Probleme zu schultern, dass er damit vielleicht nicht zurechtkommt. Aber wenn er es nicht kann, kann es niemand…“

Hast du mal darüber nachgedacht, ganz nach Europa zu ziehen?

„Nein. Denn ich investiere nicht soviel Gefühle in Politik im allgemeinen. Im schlimmsten Fall ist Politik das ‚Unterhaltung/Angst‘-Thema des Tages, so uninspirierend, dass das, was es aufwiegt, fast jede Form von Kunst ist, denn Kunst hat die Chance für lange Zeit da zu sein, wohingegen in der Politik die Leute so schnell kommen und gehen, dass sie leicht zu vergessen sind.“

Ich schätze, dein nächstes Interview ist gleich dran… Es gab da eine Geschichte… Ich habe in einem Review gelesen, die nächste genetisch mögliche Kombination zu Neil Young. Und ich dachte ich muss das auschchecken und kam auf lauter neue Sachen, Falling James und so. Es gibt bei dir einen gewissen Punk-Spirit, die alten Sachen sind ziemlich rau und so… Nun…

„Hahaha… Ich stimme dir zu, und du hast recht, und meine erste Band war eine Punk-Band, und das war 1978, und die Haltung von Punk war das, was wir damals brauchten, weil Rock zwischen 1973 bis 1976 richtig scheiße war. Er hatte seinen Höhepunkt 1972 und die einzigen guten Rock-Platten danach waren 1975 Dylans ‚Blood On The Tracks‘, was kein Rock war, aber eine tolle Energie hatte, und Neil Youngs ‚Zuma‘. Und natürlich gab es MC5 und die Stooges, und die Stones waren nicht allzu übel, aber sie konnten nicht übertreffen, was sie mit ‚Sticky Fingers‘ gemacht hatten. ‚Goat’s Head Soup‘ war nicht übel, aber da ging es schon bergab. Und es gab, was wir Corporate Rock nannten, Zeug wie REO Speedwagon und Boston. Dann kam Disco und die Leute wollen feiern. Aber was Musik anging, die Seele hatte, gab es nichts. Erst 1977 befreite Punk alle Sklaven, und das wichtigste Element war: Alles, was du brauchst, ist deine Haltung. Und das war so schön. Ha. Und das nächste war dann: Finde heraus, wie man den Scheiß macht, ohne auf jemand anders zählen zu müssen. Das führte dann zu Indie Rock. Und das ist, was ich mache, Indie Rock. Hör mal zu: Ich habe eine Band aus Dänemark, ich habe eine Band aus Kanada, und ich habe eine Band aus Spanien. Und sie nennen mich Americana. Warum sich in den ‚mudpit‘ begeben? Es funktioniert einfach nicht. Indie-Rock ist es. Entweder du bist bereit, es allein zu tun – oder nicht. (lacht)“

Ich habe irgendwo von einem Giant-Sand-Album gelesen, das „Chinese Democrazy“ heißen soll…

„Wirklich? Es mag ein paar Compilations geben, von denen ich nie gehört habe. Aber ich weiß nichts davon… Wahrscheinlich hast du das geträumt. Ach übrigens, noch was: Das ganze neue Album ‚Blurry Blue Mountain‘ wurde aufgenommen, während die Band halb geschlafen hat. Das ist wichtig zu wissen. Denn diese Platte wurde mit beiden Empfindsamkeiten aufgenommen. Sie haben eine ganz unterschiedliche Logik. Wenn du träumst, gibt es keine Schwerkraft und Zeit, und wenn du wach bist, kannst du nicht glauben, was du geträumt hast, weil es keinen Sinn ergibt, aber wenn du träumst, ergibt es völligen Sinn. Der Punkt ist: Bei dieser neuen Platte schlief jeder irgendwann mal ein, wachte auf, spielte ein paar Songs ein, ging wieder schlafen und so weiter. Wir waren erschlagen. Und wenn du die Platte hörst, Mann… Es ist verrückt, weil die Ausführung und das Timing nicht ganz wach und nicht ganz schlafend sind. Und das ist meine Lieblingszeit zum Schreiben. Es ist als wenn du stirbst und du kommst zurück vom Tod, in diesem Fall stirbst du soweit es das Bewusstsein angeht, du schläfst ein und hast auf einmal diese tollen Zeilen im Kopf und musst sofort aufstehen und sie aufschreiben und dann gehst du schlafen. Und das passiert nicht so oft, du musst darauf warten, dass es passiert. Und bei dieser Platte ist es passiert.“

And in comes some Leo Sayer… (wie es in einem der Songs der Platte heißt)…

„Hahaha, muss ich noch mehr sagen?“

Interview: Stone

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