HAZELDINE (#67, 12-1997)
Wer Scherze über Frauen in der Popmusik macht, muss sich längst nicht mehr vor dem Nudelholz fürchten, das ja auch nur eine Karikatur der männlichen Phantasie ist, sondern davor, von diesen bald auf der Bühne überholt zu werden. Wer nämlich über Riot Grrrls wie L7, HOLE und BABES IN TOYLAND noch arrogant das Kinn hob, weil er dies für einen blossen Abklatsch der männlichen Kollegen hielt, muss sich nun darauf gefasst machen, dass Männer bald von den Frauen kopieren.
Erstaunliche Neuheiten: „Dig Me Out“ von SLEATER KINNEY legten los in Sachen „Old school“-Punk (und zwar richtig alte Schule, so in Richtung SLITS und X-RAY SPEX), HAZELDINE machen etwas ganz anderes, aber sie machen es auch ihren männlichen Kollegen gegenüber um ein paar Nasen voraus. Wie soll ich es bezeichnen? Morbide zarter Folkrock, ulraklassi-sches Songwriting, das den Eindruck aufkommen lässt, man hätte all die Nummern irgendwo schon einmal gehört, obwohl sie gleichzeitig nicht kopiert klingen.
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Mit sehr viel Patina behaftet haben HAZELDINE ein sehr eigenartiges Flair, das den „Blue Moon“-ELVIS ebenso heraufbeschwört wie Johnny Cash. Beinahe Musik für Jim Jarmush-Filme, allerdings nicht so abgebrührt männlich. Womit ich schon wieder bei dieser leidigen Geschlechter-Geschichte bin.
Shawn: Mir widerstrebt es, Musik nach Ge-schlechtern aufzuteilen. Es gibt ja all diese Bücher, Lexika, die sammeln, welche Frauen Musikge-schichte gemacht haben. Das ist ja an sich okay, gut gemeint, aber das verfälscht den Blick, weil es die Qualität der Musik auf das Phänomen Frau-Sein einengt… ganz so, als wäre es etwas Besonde-res, dass Frauen gute Popnummern schreiben können. Für uns ist die Qualität der Songs ent-scheidend, ganz egal, ob von einem Mann oder von einer Frau geschrieben.
Einige meiner grössten Favoriten, zum Beispiel die PALACE BROTHERS oder HALF JAPANESE, sind Männer gewesen – na und? Verstehe mich nicht falsch: Es gibt natürlich Themen in Songs von Frauen, die Männer schwerer nachvollziehen können, und es gibt Songs von Männern, die Frauen anpissen. Aber grundsätzlich wollen wir runter von dieser Geschlechtersache, auf den Boden zurück – und dieser Boden ist die Musik. Feministische Song-writerinnen und Riot Grrrls sind ja auch nicht automatisch gut, weil sie politisch auf der richtigen Seite stehen – gut werden sie immer nur, wenn auch ihre Songs klasse sind.
Ein Grundproblem bleibt immer noch die Repräsentation, das Image: Gewünscht ist entweder die „harte“ und „starke“ Frau im Stil von L7 oder das unschuldige Mädchen, das Beschützerinstinkte wachwerden lässt wie im Fall vom BJöRK, so sehr sie sich auch gegen dieses Image zu wehren versucht. In einem von Männern geprägten Geschäft (es gehen eben mehr Männer auf Rockkonzerte, es sammeln mehr Männer Platten) verwirrt noch immer das Bild von einer Frau, die keinem der gängigen Klischees entspricht. Vielleicht liegt es daran, dass HAZELDINE hierzulande mit ihrem Debut „How Bees Fly“ (Glitterhouse) sehr spärliche Presseresonnanz bekamen. Zwar wurde ihre Platte, abgehangen und old school wie sie nun einmal klingt, direkt vom „Zweitausendeins“-Versand gefeatured, allerdings ist doch fraglich, ob die Band sich in diesem Birkenstock- und „Massier dein Tier“-Verein gut aufgehoben fühlt.
Shawn: Wenn du als Musiker, vor allem als Musikerin, ein Bild der Normalität abgibst, schockierst du mehr, als wenn du dich rotzig gibst. Eine Frau, die selbstbestimmt Musik macht, gilt noch immer als etwas Exotisches und hat sich dementsprechend auch exotisch zu verhalten. Wir tun das nicht: Wir sind Musikerinnen, die in ganz normalen Klamotten auftreten, keinerlei Schock-Image haben und einfach nur unsere Songs vor-tragen. Sehr vielsagend, dass so etwas heute gewisse Zeitgenossen am meisten provozieren kann.
Die Tradition von HAZELDINE geht zurück auf NEIL YOUNG, JONI MITCHELL, auf GIANT SAND und die COWBOY JUNKIES – ruhig, abgeklärt, leicht herbstlich. Eine Band, die biographisch mit Punk hätte grosswerden müssen, macht da den Eindruck, als habe sie Punk verschlafen. Was ihnen in diesem Fall ganz gut bekommen ist.
Shawn: Live sind wir wesentlich lauter und kratziger. Insofern glaube ich, steht unsere Musik in einem Schnittfeld aus der alten Sin-ger/Songwriter-Tradition und der Punk-Tradition. ähnlich wie bei Gary Floyd und Penelope Houston, die zwar vom Punk her kamen, heute aber sehr beschauliche Musik spielen. Ich kann die Entwicklung sehr gut nachvollziehen – das hat nichts mit Alter zu tun und so einem Quatsch, nichts damit, dass du irgendwann ruhig und etwabliert wirst… im Gegenteil, ich kenne viele Folknummern, die wesentlich weniger angepasst sind als so mancher Punkrock. Ich glaube, dass die Qualität einfach im guten Song steckt.
So ist das im Folk und so ist das auch im Punk gewesen. Gary Floyd war auch schon zu Punk-Zeiten ein begnadeter Songwriter. Für uns ist es ein ganz besonderes Erlebnis, einerseits eine sehr ruhige Platte aufgenommen zu haben, andererseits einen oft unberechenbar harten Live-Set zu spielen. Das heisst: Die Bandbreite der Stimmungen und Gefühle, die wir in unsere Musik legen können, ist viel grösser als wenn eine Band sich selbst nur erlaubt, schnell und hart zu spielen.
Cool ist höchstens, wenn eine Punkband sich live entschei-det, ihre Stücke akustisch und völlig ruhig vorzu-tragen. Aber die wenigsten Bands trauen sich das… haben wohl Angst, das Publikum würde das missverstehen. Evan Dando von den LEMONHEADS war ja früher so drauf, dass er live teilweise nur mit Akustikgitarre gespielt hat.
Folk scheint in Amerika sowieso viel stärker mit dem verwurzelt zu sein, was über „College Radio“ unter dem Schlagwort „Alternative“ gehandelt wird. Ist das mögli-cherweise ein Grund dafür, dass Techno sich in den USA weniger weitreichend entwickeln konnte?
Shawn: Zu Techno kann ich nicht viel sagen, nur, dass es tatsächlich eine grosse Distanz gegen-über Techno gibt. Nichts kann sich eigentlich ferner liegen als Techno und Folk. Eher noch könnte ich mir Gemeinsamkeiten zwischen Techno und Punk vorstellen. Wenn ich mir nun aber Deutschland betrachte, scheint es fast so, als ob Techno hier zum Folk geworden ist. Weil Deutschland keine Folk-Kultur hat wie die USA, sondern nur den Yodel, scheint mir, prägte die junge Generation eine ganz eigene Folklore – den Techno.
Ich meine, Amerikas Musikkultur ist selbstbewusst, manchmal sogar chauvinistisch. Selbst Underground-Musiker kommen nicht an Folk und Country vorbei, sondern hegen eine heimliche oder sogar offene Liebe zu dieser Musik. Nimm zum Beipiel WEEN, die gerade erst eine hervorragende Country-Platte gemacht haben.
Country selbst steht ja im Ruf, häufig konservativ und politisch rechts zu sein.
Shawn: Das stimmt für viele Elemente, aber natürlich nicht für alle. Es gibt ja auch eine ganz alte, linke Songwriter-Kultur, Woody Guthrie zum Beispiel. Andererseits muss man bei Country wirklich aufpassen – da tummelt sich übles Zeug, vor allem im Radio. Ich glaube, dass sich unsere Generation so stark mit dieser Musik beschäftigt, weil sie nicht hinnehmen will, dass dieser an sich schöne Stil nur den alten Säcken überlassen wird. Es besteht so eine Art Bemühen, die Country-Musik denen aus den Händen zu reissen und daraus etwas Eigenes, Nicht-Konservatives zu machen.
Dann müssten die Texte für Euch auch wichtig sein.
Shawn: Oh ja, das sind sie! Und zwar deshalb, weil Bands, die in ihren Texten Geschichten erzählen, immer mehr aussterben. WEEN, ich muss sie schon wieder nennen, sind ein positives Gegenbeispiel. Ihre Nummern wimmeln von obskuren Geschichten aus dem Alltagsleben. Was Folk von herkömmlicher Popmusik unterscheidet, ist, dass dort aus dem Leben von den normalen oder sogar von den eher armen, auf der Strecke gebliebenen Leuten erzählt wird.
Da werden keine Traum- und Kunstwelten aufgebaut, sondern da werden Stories geschildert, die durchaus auch krass sein können. Wahrscheinlich fühlen wir uns auch deshalb zum Folk so hingezogen, weil uns die narrative Form so gut gefällt. Wenn du Aussagen über unsere Gesellschaft treffen willst, ist es das beste, einfach nur zu erzählen, wie das Leben ist.
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Interview/Text: Martin Büsser
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