Februar 13th, 2020

GOLDUST (#144, 2010)

Posted in interview by Thorsten

Liz Wieskerstrauch ist Fernseh-Journalistin. Sie arbeitet für verschiedene Sender, produziert und recherchiert hauptsächlich auf dem Gebiet der Krankheiten, mit Schwerpunkt auf seelische Leiden. 2001 produzierte und drehte sie den Film „Höllenleben“, in dem es darum ging, dass eine Patientin im Kindesalter schwerster Misshandlungen zum Opfer fiel. Nicht im „herkömmlichen“ Sinne. Sie wurde Opfer ritueller Messen – Schwarzer Messen! Es mag im Endeffekt makaber klingen, dass ich, ohne damals den Zusammenhang gesehen zu haben, im Interview mit Goldust als Abschluss fragte, ob die Band je schwarze Messen halten würde. Eine Frage, so dämlich wie auch nicht ernst gemeint. Sänger Lars antwortete geradeaus: „Warum sollten wir? GOLDUST hat und wird niemals etwas mit umgedrehten Kreuzen zu tun haben. Es geht einzig um emotionale Dunkelheit, die aus uns selbst heraus entsteht.“
Das ist richtig. Und es lässt sich perfekt kombinieren mit meinem Aufhänger. Goldust haben nichts mit Satanismus oder ähnlichem zu tun. Aber die junge Frau aus dem Film zeigt als heftiges Beispiel das Erkrankungsbild der multiplen Persönlichkeit, Schizophrenie. Natürlich ist niemand bei Goldust schizophren. Und ich hoffe, niemand hier ist dem Wahnsinn nahe, auch wenn die neue Platte absolut wahnsinnig und sogar höllisch gut ist. Alles Phrasen, daher schnell zurück zum Eigentlichen: Die Dame in dem Film „Höllenleben“ macht sich auf die Suche an jene Orte, wo sie der Misshandlung zum Opfer fiel, wo sie den Schmerz empfand, der sie dazu brauchte, in sich verschiedene Persönlichkeiten zu bilden. In ihr, so sagt sie selbst, leben verschiedene Frauen, Kinder, Männer. Alle diese gründete sie auf einem Gipfel von Schmerz und Verzweiflung. Natürlich kann man nun darüber diskutieren, ob es nicht geschmacklos von mir ist, ein Kunstobjekt, nämlich ein Album und eine Band, mit einem solch heftigen Fall zu assoziieren. Aber das kommt nicht von ungefähr. Spricht man Sänger Lars auf seine Texte an, so erhält man schonungslose Antworten, die vor Ehrlichkeit strotzen:

„Ich bin im Alltag nicht wirklich fähig meine Gefühle und Gedanken auszudrücken. Wenn ich nicht schreiben würde, würde mir der Kopf platzen und die Adern unter Druck zerbersten. Ich bin kein Sänger, kein Frontmann, kein Animateur, ich halt meine Stimme auch nicht für sonderlich großartig oder abwechslungsreich. Ich kann einfach nicht anders als zu schreiben und es ist ein schmerzvoller Prozess. Ich tue was ich tue.“

Vielleicht versteht man meine Einleitung, wenn man sich mit „Destroyer | Borderlines“ und der darum umworbenen Thematik beschäftigt hat. Es geht um ein Wesen, welches nicht genau zwischen Männlich- und Weiblichkeit definiert wird, welches sein Seelenleben offenlegt. Dabei fordern Goldust den Hörer so, wie es in Deutschland eigentlich ewig keine Band mehr verlangt hat. In einer Zeit, in der der Mosh wichtiger ist, als die Thematik, verkamen solche Gedanken eben. Und wenn eine Band mal mit Thematik strotzt, dann ist es doch ohnehin eine Durchhalteparole, ein Youth-Crew Schrei oder eine Hetze auf Fashion und den heutigen Lifestyle. Aber welche deutsche Band positioniert sich auf einer Platte so punktgenau um ihren Sänger, der ganz offensichtlich, von sich und seinen Problemen singt, das aber in ein feines Kunstwerk verpackt und so eines der besten Alben der vergangenen Zeit aufnahm? Richtig: Keine!

„Auch wenn andere das nicht so sehen mögen, ich habe versucht dieses Mal mein menschenmöglichstes mit diesen Texten anzustellen. Sie kommen aus meinem Inneren, aus der dunkelsten Ecke, von der ich zwar weiß, dass sie existent ist, die ich auch zu einem gewissen Maß kontrollieren kann und doch musste es einfach raus. Ich saß nächte- und monatelang und habe Wörter auf’s Papier geblutet, Dinge von denen ich geglaubt habe, dass ich Sie vergessen habe oder die ich schon eine Scheißzeit lang mit mir rumschleppe. All das findet man in den Lyrics und dem Schriftwerk.“

Natürlich sind Goldust keine Totalverweigerer. Auch wenn sie den Hörer fordern, sie selbst sehen sich als Teil einer Szene, hassen es, wenn man von ihnen als Münsterländer behauptet, sie seien in irgendeiner Art und Weise dem Ruhrpott entsprungen und fühlen sich eben auch zugehörig. Zuletzt war man mit Storm & Stress auf Tour, absolvierte die Let It Burn Labeltour und überhaupt ist augenscheinlich bei Goldust alles normal. Wie unnormal im positiven Sinne diverse Angelegenheiten aber sind sieht man erst, wenn man Goldust mehrmals live erlebte. Zur Veröffentlichung ihrer 7“ „Noir“ sah ich die Herren beispielsweise mal im Cafe Nova in Essen. Das Cafe Nova, inzwischen ohnehin zum Ballungsort moderner Hardcore-Szenarien geworden, platzte fast vor Wut im Bauch von Goldust Lars. Die Band absolvierte ihren absolut besten Auftritt den ich je sah und erntete endlich auch mal die Publikumsbeteiligung, die ihr angemessen ist. Die Menschen türmten sich in der ersten Reihe, Stage-Diver kamen aus Ecken, in denen eigentlich gar kein Leben mehr erwartet wurde und am Ende lag eine ganze Fanschaar auf Sänger Lars um schrie seine Worte ins Mikrofon. Aber wie ist das eigentlich, wenn jemand sein Innerstes offenbart, seine Ängste und Sehnsüchte offen legt: Was ist, wenn ein „Fan“ plötzlich mitsingt, voller Inbrunst? Fühlt derjenige dann genauso? Hat derjenige dieselben, seelischen Schmerzen? Oder ärgert man sich, dass dieser Trottel dort vorne jetzt das persönliche Untergangsszenario für sich nutzt? Womöglich auch noch als coole Statusnachricht im Social Network? Lars betont, dass er keine Musik für den Status schreibt. Er schreibt, was er fühlt, was er denkt, was ihn fast auffrisst, woran er wächst. Was das für ein Gefühl ist, wenn die Kids plötzlich mitsingen, quasi die Krankheit feiern? Da ist dann, wie Lars erklärt, eine Art Zugehörigkeitsgefühl, gleichzeitig aber auch die Skepsis, ob jetzt wirklich mitgesungen wird, weil man in den Texten eine gewisse Verbundenheit fühlt oder eben weil es sich gerade anbietet. Immerhin ist ja ersterer der Grund, warum man Bands wirklich erst schätzt, liebt. Im krassen Kontrast sah ich Goldust übrigens auch schon, wenn kaum etwas vor der Bühne los war. Wenn man einfach nur lauschte. Wieder so eine Eigenschaft, die nicht viel Hardcorebands auf die Kette kriegen. Diesen Spagat zwischen Aufmerksamkeit und dem Desinteresse an der bloßen, teils hohlen, Zerstörung. Goldust halten die Waage. Sie fesseln. Egal wie.
Bemerkenswert ist aber, dass Goldust trotz dieser textlichen Virtuosität nie den Anschluss verloren oder nicht etwa geachtet werden. In einschlägig bekannten Foren werden sie als beste deutsche Band derzeit gehandelt, auch wenn die Herren das selbst nicht gerne hören:

„Es ist immer interessant aber auch lustig zu sehen wie Hörer alle Bands vergleichen um letztendlich eine Art Rangordnung aufzustellen. Ich verstehe nicht was das soll, das macht keinen Sinn. Prinzipiell gibt es nur gute Musik und schlechte Musik. Innerhalb der guten Musik ist dann alles nur noch Geschmackssache, mehr nicht, da gibt es kein „besser“ oder „am besten“.“

sagt Schlagzeuger Christoph. Auf dem Boden geblieben sind sie auch noch. Könnten Goldust also tatsächlich sowas wie eine Lieblingsband sein? Selbst wenn – sie würden es gar nicht wollen. Das merkt man allein daran, dass es immer noch einen Unterschied zwischen dem Interview und einem persönlichen Gespräch (zugegeben: Chat) gibt. Goldust drücken sich im Interview sehr gewählt aus, wählen keine albernen Zwischentöne, konzentrieren sich auf das Wesentliche. Die wirklich interessanten Dinge bekommt man aber dann aus Sänger Lars, der gerne Auskunft via Facebook-Nachricht gibt. Hier, man kann es bedingt sicherlich entfernte Freundschaft nennen, tauschte man sich aus, erzählte vom Eindruck der Platte und dem Eindruck des Künstlers auf das Geschriebene über ihn selbst. Vor allem in den Privatgesprächen fällt auf, dass Sänger Lars ein ziemlich eigener Typ ist, ebenso eine eigene Form von Humor pflegt, gleichzeitig aber auch Standpunkte hat, die er vertritt. Beispielsweise drückt er sich stets gegen große Ami-Touren aus, selbst wenn dort seine Lieblingsbands spielen würden. Und er hat ja Recht, was bringen einem die Shows, wo 7 Bands an einem Abend spielen und man jede nur kurzweilig genießen kann? Ob er mit Goldust auf so einem Event auftreten würde? Er selbst weiß nicht, ob die Band das ausschlagen würde. Für den Moment klingt er aber eher im Negativen verankert. Eine weitere Eigenschaft, die Goldust komplett auszeichnet: Hört man ihre Platten, studiert die Texte und das Auftreten der Band, so fällt schnell auf, dass hier alle Hoffnung verloren ist. Auf den ersten Blick das normale Prinzip einer derzeit angesagten Hardcoreband. Möglichst düster, möglichst abgefuckt. Aber Goldust sind anders.
Das sieht man allein daran, dass Sänger Lars zum Beginn seiner Geschichte auf dem aktuellen Album eine Einleitung gesetzt hat, auf die sich die Platte aufbaut. Wer „Destroyer | Borderlines“ also vollends verstehen möchte, der muss ohnehin zum Original greifen, was ja neben der Originalität auch ein gewisses Geschick von Seiten der Band aufgreift. Wieviele das im Endeffekt machen werden weiß niemand, hoffentlich genügend. Zurück zum Eigentlichen: Sänger Lars leitet ein, stellt die Person, also sich im fiktiven, vor und bereitet somit auch den Hörer vor, auf einen Höllentrip. Denn gewissermaßen, um an der Einleitung anzuknüpfen, haben flüchtet der Sänger sich hier in eine Zwischenwelt oder eben eine multiple Persönlichkeit, die nicht näher beschrieben wird. Er offenbart sein Seelenleben, seine Ängste, seine Sehnsüchte durch ein erwähntes Kunstobjekt, nämlich der Platte seiner großartigen Band. Und um den letzten Punkt anzuführen, der Goldust zu etwas außergewöhnlichem macht: Trotz dem offensichtlichen Bezug auf Sänger Lars als die Schlüsselperson zu Goldust, steht diese Band stets als stimmiges, komplettes Kollektiv zusammen. Niemand steht im Vordergrund, erst recht niemand im Hintergrund. Und dieses Spagat zwischen Band, Gedächtnis und klugem Hardcore ist heutzutage außergewöhnlich, weshalb Goldust ganz eindeutig, auch entgegen ihres Willens, zu den Besten ihrer Art gehören.

Text: Raphael Schmidt

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0