GOGOL BORDELLO (#102, 10-2003)
Zuerst konnte ich es kaum glauben. Gogol Bordello sollten im Schauspiel Frankfurt auftreten, einem Ort, an dem Hochkultur mit Hilfe städtischer Subventionen betrieben wird, Heimstätte der Oper. Hatte ich doch zuvor im TRUST gelesen, dass es sich bei der Musik von Gogol Bordello um wilden osteuropäischen Zigeunerpunk handelt.
Auf die musikalische Geschmackssicherheit meines Kollegen bauend, überwand ich meine Untergrund Borniertheit und fiel an einem Abend im November letzten Jahres im Yuppie Playground ein, der sich Bucovina Club nannte.
Und nichts, aber auch rein gar nichts, konnte etwas daran ändern, dass ich dort eines der besten Konzerte bis dato geboten bekam, weder die 0,33er Fläschchen Heineken zu einem horrenden Preis noch die Ansammlung von vermeintlich gutaussehenden, gut verdienenden Glänzern. Katzengold glänzt schliesslich auch…
Die Spielleidenschaft der Musiker, die Performance der beiden Tänzerinnen, die die Stücke aufs Vortrefflichste zu visualisieren verstanden, und nicht zuletzt Eugene Hütz, der wie ein Derwisch über die Bühne tobte, entluden massenhaft Energie ins Publikum. Der komplette Saal wurde nach kurzer Zeit von diesem osteuropäischen Wirbelsturm gepackt und befand sich im ekstatischen Taumel. Es war schlichtweg ein grandioses Erlebnis.
Frisuren verrutschten, Designerhemden bekamen Schweissflecke und die berüchtigte Frankfurter Coolness lief komplett den Abfluss runter als Eugene sich am Ende auf einer riesigen Trommel balancierend über die Köpfe der Leute von ihnen hinweg tragen liess und den Takt dazu angab…
Mittlerweile wurde ich sogar schon wieder im Bucovina Club gesehen. Allerdings kaum aus purer Vergnügungssucht, denn meine Mission war viel besser: Interview mit Eugene Hütz. Monate nach dem grossartigen Auftritt von Gogol Bordello stellte er seine Qualitäten als Live-DJ unter Beweis. Und trotz des Horror Settings, das ich zuvor beschrieb, war wieder viel Spass im Spiel…
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Fangen wir mit dem klassischen Standard an: Wann, wer, wo, wie und warum?
Eugene: Die Schlüsselwörter hier sind New York und Osteuropa. Die Band besteht zum grössten Teil aus osteuropäischen Einwanderern, die sich 1999 in New York trafen. Glücklicherweise entwickelten sich die Ereignisse so, dass die Band sich auf eine Art genau so zusammenschloss, wie ich mir das gewünscht oder davon geträumt habe.
Ich bin extra nach New York gezogen, um diese Art von Musikern zu treffen, denn in den anderen Orten, wo ich lebte, spielte ich mit amerikanischen Jungs und Mädels zusammen, und wenn ich an den Punkt kam, an dem ich versuchte, ihnen meine emotionale Botschaft zu vermitteln, hat es nie wirklich funktioniert. Das frustrierte mich schliesslich, so dass ich auf der Suche nach Zigeunermusikern, russischen und ukrainischen Musikern nach New York umzog, die ich sehr bald fand und mich eng mit ihnen befreundete. Danach waren auch zwei Leute aus Israel involviert.
Auf dem zweiten Album „Multi Kontra Culti Vs. Irony“ heisst es „love and maximum non-global respect to NYC immi-core“. Ist Gogol Bordello die Spitze des Eisberges dieser Szene?
Eugene: Ich denke, dass wir als musikalische Flagge dieser Szene betrachtet werden können, aber es gibt auch andere Stimmen aus anderen Bereichen von Film bis zu Mode. Ich denke, dass dies im Grunde genommen zum Ausdruck bringt, dass Amerikas eigene kulturellen Ressourcen komplett erschöpft sind und sich das Land eigentlich an einem interessanten Punkt befindet, zwar noch etwas zögerlich, aber schon realisierend, dass wenn sie nicht etwas, was fremd ist, annehmen, sie wirklich nur abkacken können.
Kunst wird in den Staaten ganz offenkundig von der Wirtschaft dominiert, aber eine Zeitlang überlebte sie im Rock`n`Roll und Jazz und war sehr mächtig überall auf der Welt. Aber jetzt sind diese vormals rebellischen Musikformen schon komplett abgekackt.
Werdet ihr deswegen so gut angenommen und seid an Orten der sogenannten Hochkultur wie der Tate Modern in London zu sehen?
Eugene: Es zeigt nur, dass die Leute der Spannung, die existiert, Aufmerksamkeit schenken. Es ist definitiv eine spannungsgeladene Sache. Ich persönlich scheisse darauf, im Museum wie z. B. der Tate zu spielen. Ich habe nicht viel Respekt vor mehr als einer Kunstform überhaupt. Ich liebe Musik, weil es die niedrigste Form von Kunst ist, die demokratischste und die, die am stärksten mit der ästhetik der Arbeiterklasse verknüpft ist.
Ich finde in der Kunstwelt zur Zeit nichts wirklich aufregend. Aber es ist gut für uns, da hineinzukommen, um die Dinge ein wenig aufzumischen und eine Reaktion von ärger zu erzeugen. Ich finde es noch immer ganz schön gut, ein paar Löcher in die Decke des Whitney Museums zu schlagen…
In Frankfurt seid ihr, die „ethno-punk terrorists“ wie euch das Billboard einmal bezeichnete, im Rahmen des Bucovina Clubs im Schauspielhaus vor einem Haufen Yuppies zu sehen gewesen, die sich die ärsche abgetanzt haben. Wie passt das zusammen?
Eugene: Ja, die Bezeichnung „ethno-punk terrorists“ mochte ich irgendwie. Selbst jetzt, wo das Wort „Terrorist“ nicht besonders populär ist, denke ich, das es eine ziemlich gute Beschreibung ist. Sogar unser erstes Album nannten wir „Voi-la Intruder“, was im Grunde diese Haltung beschreibt. Jemand, der in dein Fenster einbricht, letzten Endes positiv zu verstehen. Aber Yuppies, die zur Show kommen, das könnte ein spezielles Frankfurt Phänomen gewesen sein, denn meistes ist es eine sehr gemischte Menge.
Wie lief euere erste Europa Tour überhaupt?
Eugene: As a matter of fact, war das in Frankfurt eine grossartige Show, aber an einem Ort, an dem wir aufgrund seiner Lage natürlich Yuppies angezogen hätten. Die Sache mit der Band ist die, dass unser Stil im Grunde überall gleich unpassend ist. Es ist zu künstlerisch für einen Punk Squat und zuviel Punk für eine Kunstgalerie. Daher spielen wir auf der Tour jeden Tag an total unterschiedlichen Plätzen, den einen Tag spielen wir in einem Kulturzentrum in Warschau, den nächsten Tag in einem Rockclub in Berlin, danach in einem Jazzclub in Wien und dann zurück nach Slowenien in einem besetzten Haus. Es wird niemals zur Routine für uns, denn in jedem Veranstaltungsort ist die Behandlung anders und jeder hat total unterschiedliche Kriterien, das macht es aufregender.
„Iggy Pop meets Kafka“ schrieb die New York Times über Euch. Mit welcher (Punk) Musik bist du aufgewachsen und wo?
Eugene: Ich bin in der Ukraine aufgewachsen und war 20, als ich sie verliess. Seit 1992 bin ich in den Staaten, war zu dem Zeitpunkt, als ich dort hinkam, musikalisch aber schon sehr gut entwickelt mit Reggae und Punk. Bands wie Fugazi und Bad Brains, deren Platten waren einfach heftig. Das war die Glanzzeit von Punk, Hardcore sowie auch frühem Reggae Dancehall.
Ich habe diese Szene mit ganzem Herzen angenommen, verbrachte ein wenig Zeit darin und spielte in einigen Hardcore Bands. Dann hatte ich meine eigene Punkband, die The Fags hiess. Mein Geschmack wurde durch die Liebe zu beidem geformt, ethnischer Musik, speziell Zigeunermusik, und Punkmusik, die ich mit ungefähr 13 Jahren entdeckte mit Bands wie Birthday Party und Dead Kennedys.
So etwas konnte man in der Ukraine bekommen?
Eugene: Ja, überraschend genug, wie mir jetzt klar wird, hatten wir das Beste vom Besten an Underground Sachen, denn die Sachen wurden sehr stark heraus gefiltert. Du konntest nicht viel bekommen, aber was es auf dem Schwarzmarkt gab, kam von Leuten, die Verwandte im Ausland hatten, von Touristen oder internationalen Studenten, die den Sommer im Ausland verbrachten und Schallplatten mit zurückbrachten. Eine Person, die tatsächlich eine Schallplatte von Birthday Party besass, hatte genau denselben Status wie Nick Cave selbst. Wenn du eine Schallplatte der Einstürzenden Neubauten besessen hast, warst du ein Rockstar. Wir hatten natürlich Tapes.
Da gab es diese Typen, die wirklich so etwas wie eine Musiksammlung besassen, deren Verhalten ähnelte lustigerweise der eines Rockstars. Du konntest nicht ganz einfach zu diesem Typen hingehen und mit ihm reden. Dieser Typ war so fucking hot as shit. Tapes waren sehr weit verbreitet und sehr einfach zu machen. Ich erinnere mich, wie die Tapes anfingen zu kursieren. Das erste, was ich bekam, war Devo und Dead Kennedys, dann Joy Division und Birthday Party sowie Sex Pistols und Bauhaus.
Hast du zu diesem Zeitpunkt daneben schon traditionelle Musik aus der Ukraine gehört, die sich ja von der russischen auch unterscheidet?
Eugene: Sie ist zweifelsohne anders als die russische, viel melodischer, west- und ostukrainische Musik unterscheiden sich auch. Die Musik aus der Ostukraine ist mehr wie russischer und polnischer Kram. Musik aus der Westukraine ist mehr wie rumänische Musik. Es gibt darin tatsächlich orientalische Muster. Sie kam vom Balkan, durch Bucovina und durch die Grenzgebiete. Auch darfst du nicht vergessen, dass sich über 200 Jahre lang Mongolen und Tataren in unserem Gebiet befanden, und die haben definitiv einen asiatischen Einfluss hinterlassen. Ohne das weiter zu vertiefen, mochte ich eine Menge westukrainischer Musik.
Es war ziemlich erstaunlich, dass sie einerseits noch als ukrainisch bezeichnet wurde, aber so verdammt seltsam klang, und keineswegs die emotionale Botschaft von Kiew oder so etwas widerspiegelte. Andererseits wurde ich weitaus mehr von allen Arten von Zigeunermusik angezogen, was jedoch auch eine gänzlich andere Geschichte ist. Du würdest wohl eine Menge Leute, Künstler und Dichter in Russland und der Ukraine finden, die von Zigeunermusik fasziniert sind. Es war noch eine rebellische Stimme, eine Prä Rock`n`Roll Stimme der Rebellion. Das zog mich natürlich irgendwie ziemlich an.
Durfte diese vermutlich von der offiziellen Parteilinie abweichende Musik überhaupt öffentlich gehört werden?
Eugene: Zigeunermusik konnte man in der öffentlichkeit hören. Das war die coole Sache daran, sie war wirklich akzeptiert, aber dennoch ziemlich fremd aufgrund der Beschaffenheit der Zigeunergesellschaft, einem Kastensystem, in das du nicht wirklich einen Einblick bekommst. Also war es einfach diese Sache, die da ist. Du konntest nicht wirklich näher an sie herankommen als das, was sie bereit waren, dir zu geben. Du konntest nicht einfach losgehen und eine Menge ihrer Schallplatten bekommen.
Waren sie auf einem Staatslabel?
Eugene: Es gab nur ein einziges Label in der ganzen Sowjetunion, Melodja (??? – d. Verf.), das Staatslabel. Aber das war nicht wirklich wichtig. Zigeunermusik war so eine Art romantische Sache, die in der Luft lag. Auf einer Hochzeit, wenn alle Lieder schon gesungen waren und es den Anschein hatte, dass die Stimmung den Siedepunkt erreicht hatte, fingen die Leute an, Zigeunerlieder zu singen, wenn sie das Glück hatten, Geld zu haben, engagierten sie eine Zigeunerband. Damit wurde alles noch gesteigert, und es ist noch immer eine höchst emotionale, höchst leidenschaftliche Sache.
Zigeuner werden in der Ukraine bestimmt nicht anders als anderswo behandelt, nämlich als Aussenseiter. Woher stammt deine Faszination für ihre Kultur?
Eugene: Well, um mit der Tatsache zu beginnen, dass sie Aussenseiter sind, ist das schon ein guter Anfang für die Faszination. Auch sollte ich erwähnen, dass ich das bin, was man archetypischen, osteuropäischen „Schlamm“ nennt. Die Mixtur meiner Abstammung ist eigentlich nicht sehr charakteristisch für die Ukraine, sie ist charakteristischer für Yugoslawien. Es ist eine Mischung aus russisch-ukrainisch, Zigeuner, litauisch und sogar deutsch.
Der Nachname meiner Ur-Grossmutter war Hagen. Eine Zeitlang wusste ich nichts mit den vielen verschieden Nachnamen in unserer Familie anzufangen. Es zog mich irgendwie stärker zum Roma Teil der Familie. Die Familie meiner Grossmutter war sehr gross, sie hatte13 Geschwister, die nicht mehr leben. Nach dem Krieg ging ihr ganzer Zigeuner Lebensstil zur Hölle. Sie wurden in verschiedenen Städten sesshaft.
Aber es war noch immer Teil unserer Familie. Wenn ich auf Familienbesuch in verschiedenen Städten war, dachte ich, dass ist so seltsam, wie kommen die ganzen Schwarzen in unsere Familie, sind das wirklich unsere Verwandten, warum sind die so verdammt dunkel. Denn meine Familie hat es versteckt, weil es nicht gut für den Ruf in Kiew war. Niemand hat je darüber gesprochen, erst als ich schon 15, 16 Jahre alt war, eigentlich präzise mit 14, als die Tschernobyl Katastrophe passierte, wurde ich zur Evakuierung aus Kiew gezwungen und kam zu Familie in die Westukraine.
Als ich dort lebte, rief ich meine Mutter an und fragte, was verdammt los sei, diese Leute seien komplett dunkel, ist das wirklich unsere Familie. Und je mehr ich darüber sprach, sagte mir meine Grossmutter eines Tage, dass es das typische Zigeuner Aussehen sei. Ich hatte nie darüber nachgedacht, es nicht gewusst, denn wenn du in Kiew lebst, musst du es nicht wissen oder zur Universität gehen wolltest, zu der Zeit gab es noch keine Pläne, die Ukraine zu verlassen. Aus guten Gründen für meine Zukunft versteckte meine Familie diese Tatsache.
Als ich im Ausland und den Staaten war, entwickelte ich dort eine grössere, ich will es nicht Nostalgie nennen, denn so funktioniere ich nicht, da ich dies für eine Form von Faulheit halte… kam es irgendwie auf, dass ich wirklich anfing zu fühlen, dass dies meine Wurzeln sind, in der Zigeunerkultur meine heiligen Wurzeln liegen. Ich fing an, mehr und mehr Leute zu treffen, Mischlinge oder Roma aus verschiedenen Ländern, die in New York leben, fuhr zu Zigeuner-Festivals nach Frankreich, Italien und beschloss schliesslich eine Band zu gründen, die meine Liebe zu beidem, Punk und Zigeunermusik ausdrückt.
Die Besetzung von Gogol Bordello hat sich vom ersten zum zweiten Album sehr geändert. Wird sie für das nächste Album wieder ausgetauscht oder bleibt ihr nun für den Rest eueres Leben zusammen?
Eugene: Ich weiss nicht, ob wir alle aus der Band die nächsten 30 Jahre im gleichen Apartment leben werden, aber die Gründe, weswegen sich die Besetzung änderte, ist kein Wechsel, sondern die Band wurde dreimal so gross. Wir fingen mit vier Leuten an, nun sind es acht.
Du hast vier verschiedene Leute am Anfang und zwei davon waren im Grunde nicht fähig, dem Druck, der mit der Band Perfomance einher ging, standzuhalten. Einer konnte damit nicht umgehen, denn er war ein diagnostizierter Schizophrener. Das, was auf der Bühne passieren würde, brachte zuviel Paranoia für ihn mit sich, führte dazu, dass er zu sehr ausflippte. Es war nichts, woran er Spass haben konnte, wenn Sachen aus dem Ruder gerieten, Dinge durch die Luft flogen, zerbrochene Gläser überall. Der andere hat sich schlichtweg fast zu Tode getrunken.
Er hatte auch keine Ausweispapiere weder für Amerika noch für Russland, hatte seine Dokumente komplett verloren, somit war es unmöglich, ins Ausland zu gehen, um irgendwelche Sachen zu machen. Es wurde zu einer prinzipiellen Notwendigkeit, ins Ausland zu anderen Leuten zu gehen. In der Zwischenzeit hatte es Sascha, über den ich gerade rede, traurigerweise zum Hardcore Alkoholismus getrieben, es ist zu tragisch, um es weiter auszuführen….
Alkohol scheint doch eine grosse Rolle zu spielen, der Arbeitstitel des neuen Albums lautet „Alcoholimpics“, bei euerem Gig floss der Wodka in Strömen, so dass ich annahm, es sei Leitungswasser…
Eugene (leicht süffisant lachend): Oh, come on… Wir sind Russen! Du musst wissen, im Grunde sind wir noch immer Russen, und du kannst sagen, dass es ein Stereotyp ist, aber mit Sicherheit wahr. Wenn wir als Band zu einer Party gehen, wirst du ganz schön schnell herausfinden, dass wir, während andere noch bei ihrem ersten Drink sind, schon bei unserem vierten oder fünften angelangt sind.
Selbst wenn ich mit meinen Eltern auf irgendeiner Hochzeit eingeladen bin… Wir setzen uns, um uns herum die anderen Leute, und wir versuchen nicht aufzufallen, aber bevor du dich versiehst, ist es der Tisch von mir, meinem Vater und meiner Mutter, der schon mit leeren Flaschen übersät ist, obwohl gerade mal eine Stunde vergangen ist.
Das ist passiert und meine ganze Familie lacht im Grunde darüber, so in der Art das spricht für sich selbst. Es ist unsere Kultur. Die Sache ist die, dass wir so etwas wie funktionierende Alkoholiker sind und Sascha, der nicht mehr in der Band ist, wurde zu einem sehr dysfunktionalen Alkoholiker, der fast diese Vizepräsidentin von Chanel, oder ich weiss nicht mehr genau, wer sie war, umgebracht hätte. Wir hatten diesen grossen Kunstpreis gewonnen und wurden zur Verleihungszeremonie eingeladen. Er hat sich schlichtweg so getrasht, dass er sich ein Messer schnappte und damit nach ihr warf.
Wenn er besoffen war, kam er an einen gewalttätigen Punkt, wo er anfing sogar uns in der gleichen Weise anzugreifen. Oder wir spielten ausserhalb der Stadt und mussten am Tag danach die Krankenhäuser abtelefonieren und Polizei anrufen, weil wir ihn suchten, während er im Motelzimmer nebenan irgendeine Frau vögelte. Das war zu weit entfernt davon zu funktionieren. Weisst du, was ich meine?
Und die jetzige Bandchemie oder -mitglieder funktionieren besser?
Eugene: Ja, es funktioniert sehr gut. Die Band hat einen grossartigen Humor. Die Besetzung der Charaktere ist eingekocht und du fühlst es wirklich, wenn es an diesen Punkt kommt. Wir geniessen die Gesellschaft des anderen während der Tour, nach der Tour. Zuerst einmal ist der wichtigste Punkt für uns, dass eine Band auch enge Freunde sind. Glücklicherweise erwiesen sie sich auch als grossartige Musiker.
Wir haben drei Weltklasse Musiker, Sergey, Yuri und Ori, die im Grunde keine technischen Grenzen kennen und wir haben drei Punks, mich, Oren und Eliot, die nicht wirklich viel davon verstehen eine Menge zu spielen. Aber wir tragen unseren Teil bei… Ich konzentriere mich meistens aufs Schreiben und Performen.
Auf dem ersten Album hast du allein alle Songs geschrieben, auf „Multi Kontra Culti“ tragen die anderen Bandmitglieder zur Musik bei. Bist du so etwas wie der „Banddiktator“?
Eugene: Ich denke oder rede nicht wirklich darüber, es passiert einfach irgendwie. Ich komme mit einem Song an und wenn jemand einen grossartigen Zusatz hat, nehmen wir den. Wenn ich ein Stück schon fertig arrangiert habe, bleibt es so. Das ist kein Thema. Nicht jeder will ein Bandleader sein.
Das ist so eine Sache, die Leuten unter 25 Jahren passiert. Glücklicherweise ist jeder in der Band über diesen Punkt hinaus. Es gibt eine Menge Sachen in der Musik zu tun, ohne Bandleader zu sein. Zum Beispiel denke ich, dass Sergey einen Scheiss darauf gibt überhaupt Musik zu schreiben. Ich denke er ist ehrlich daran interessiert, Musik auf der Bühne zu performen. Das ist seine Leidenschaft, das Live Engagement, denn er ist Theaterregisseur. Er hat 15 Jahre lang in einem Theater in Russland Regie geführt. Er schert sich nicht darum, Songs zu schreiben.
Wie wird die Zusammenarbeit zwischen Gogol Bordello und Big Lazy auf Stinky Records klingen?
Eugene: Es klingt nach keiner der beiden Bands. Es klingt so, als ob du ein Nachttaxi in New York City nehmen würdest und beim Einsteigen zuerst, wenn du einen hispanischen Auto-Service aus Brooklyn genommen hast, puerto ricanischen Dancehall hörst. Zehn Minuten später lässt er dich im East Village raus und du gehst um vier Uhr morgens in ein Punjabi Restaurant und hörst Banga (???- d. Verf.). Dann gehst du raus, um noch einen Drink in einem Late After Hour Place zu nehmen, wo Dub gespielt wird. Ganz schön bald wirst du mit all diesen verschiedenen Sachen im Kopf herumlaufen.
Es ist eine Art von Projekt, das unsere Wertschätzung für die kulturelle Vielfältigkeit ausdrücken soll, es geht nicht um Song-Writing, sondern eher darum, unsere Eindrücke von Musik, die wir mögen, wiederzugeben. Das ist der Grund, warum es im Grunde so klingt wie die Fuck Musik (?????- d. Verf.) aus aller Welt zu kriegen. Es klingt wie puerto ricanischer Dancehall, jamaikanischer Dancehall, Zigeunermusik. Aber nichts davon zur gleichen Zeit. Es ist eine Art Disco Dub, ein sehr unverantwortliches Projekt mit arabischen Gastsängern und Rai Songs darauf. Es ist eher DJ Musik.
Wer hat die Zusammenarbeit initiiert?
Eugene: Ich deejaye ziemlich viel, und es kam ursprünglich von mir, dass ich gesagt habe, dass die Tracks, die ich gedeejayt habe, grossartig sind, aber es noch grossartiger wäre, wenn dieser Track auch eine verzerrte Gitarre hätte. Also habe ich Remixe der Songs angefertigt und schliesslich gesagt, scheiss drauf, lass uns unsere eigenen Tracks machen, die werden sogar noch besser. Es ging darum, das Material, das ich deejayte, zu übertreffen und hat viel Spass gemacht.
Seid ihr Freunde?
Eugene: Ja, sicher. Wir alle mögen ähnliche Musik, Balkan, Rai, Dub, Punk. Das war dann so etwas wie, hey, lass uns dieses scheussliche Ding aufnehmen. Vielleicht kannst du ahnen, dass der ganze Name des Projektes, JUF, was für Jewish-Ukrainishe-Freundschaft steht, sich offensichtlich bezieht auf….
Deutsch Amerikanische Freundschaft?
Eugene: Ja, damit kannst du wahrscheinlich nicht erwarten, dass unser Projekt so ernst zu nehmen ist.
Wie seid ihr auf Gogol Bordello gekommen, was sich ja sicherlich auf Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Meister der Ironie und Groteske, bezieht?
Eugene: Natürlich bezieht er sich auf Nikolai Gogol, weil ich dachte, dass wir etwas brauchen, was beides, osteuropäische Mythologie und schon avantgardistische Auseinandersetzung damit, symbolisiert. Und die einzige andere Person neben Gogol war Kafka, aber, weisst Du, wir hätten uns vermutlich Kafka Whorehouse nennen können, aber Gogol wurde sehr viel näher zu meiner Heimatstadt geboren, also fiel die Wahl auf ihn.
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Outtakes: „New York ist ein grossartiger Ort für eine psychotische Band. Es ist ein einfaches akzeptiertes Kriterium. Es läuft ein Wettbewerb, wer am psychotischsten ist. Und ich bin ganz schön stolz, dass wir momentan gewinnen.“
„Ich bin froh, dass das Interview für ein Punk Fanzine ist.“
www.gogolbordello.com / checkt die Tourdaten!!!
Interview & Fotos: Andrea Stork
Links (2015):
Wikipedia
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