März 14th, 2007

GLEN E. FRIEDMANN (#76, 06-1999)

Posted in interview by andreas

„It`s not funny“, sagt Henry Rollins, dass Glen E. Friedman so viele coole Dinge von Anfang an miterlebt habe, und er hat recht. Seit 1976, als er mit 12 Jahren sein erstes Bild publiziert hat, ist Friedman Fotograf. Er fotografierte die Dog Town ära, Mitte der 70er, als Skateboarding seine Möglichkeiten entdeckte und radikal wurde. Er war dabei, als Tony Alva den ersten frontside Air über die Coping hinaus machte und damit die Welt veränderte.

Und er stand mit seiner Kamera mitten drin, als die zwei mächtigsten Bewegungen in der Musikwelt der letzten zwanzig Jahre sich anbahnten: Punk und Rap. Glen E. Friedman fotografierte die frühesten Konzerte der Dead Kennedys und schoss Bilder für die ersten Singles von Run-DMC.

Und er brachte all das auf den Punkt. Seine Fotos aus den Anfängen dieser drei Bewegungen zeigen das wahre Gesicht der Pioniere. Sie bilden die rohe Energie ab, die zum Aufbruch zwingt. Sie zeigen den Kern: der Willen und die Ausweglosigkeit, die Helden und ihr: „Fuck You!“

Glen E. Friedmans Werk liegt heute in drei Fotobänden vor. Sie fassen ein tiefes Fundament zusammen, ohne das die heutige Welt undenkbar wäre. Diese Bilder sind zeitlos, was sie sagen ist allgemeingültig geworden. Zeit sie mal wieder tief anzusehen und mit dem Meister zu sprechen.

***

Die „Dog Town ära“ gilt als der Ursprung des radikalen Skateboarding. Was war Dog Town genau?

Glen: Dog Town bedeutet viele verschiedene Dinge: Es war ein Ort, es waren Leute und es war eine Einstellung. Der Geist von Dog Town ist am besten auf den Punkt gebracht in den Geschichten von C. R. Stecyk lll. Er war ein verrücktes Genie, er fotografierte und schrieb für das SkateBoarder Magazine, die Bibel von damals. Seine Hauptdarsteller waren die Z-Boys, die für den Jeff Ho Zephyr Surfshop in Santa Monica fuhren. Sie skateten die Banks in den Schulhöfen und die Pools in den Hinterhöfen von West Side L.A.

Was da abging war einzigartig. Es war Skateboarding wie es die Welt nie wieder vergessen würde. Das klingt jetzt zwar kitschig, aber es ist wahr. Ich bezweifle, dass überhaupt irgendjemand heute skaten würde, wenn das damals nicht gewesen wäre. Die Z-Boys waren radikale und unkontrollierbare Rebellen und Künstler. Sie haben etwas Neues geschaffen, waren weit über die Vorstellungskraft der meisten Menschen von heute hinaus kreativ. Dog Town wurde auch zu einem Markennamen, das war etwa 1978. Damit ging für mich jedoch etwas verloren. Das Herz lebte zwar weiter in den Urhebern der Bewegung, aber die Seele hatte den Körper verlassen.

Du sagst Dog Town war auch ein Ort und Leute?

Glen: Wie gesagt, die Begründer und der Kern von Dog Town waren die Z-Boys: Tony Alva, Jay Adams, Paul Constantineau, Jeff Ho, Skip Engblom, Nathan Pratt, Jim Muir, Stacy Peralta, Shogo Kubo, Bob Biniak. Das waren die wichtigsten für mich. Und natürlich C. R. Stecyk lll. Sie skateten meistens in den Gebieten westlich von L.A., vor allem in Santa Monica und in Venice Beach. Das war Dog Town.

Was wurde denn damals geskatet?

Glen: Im Grunde alles: Banks, Pools, die Strasse. Es ging darum zu cruisen, den Surf Style auf die Strasse bringen und radikal und aggressiv zu sein. Um 1976 herum kamen dann auch Skateparks auf, aber die waren nie das Zentrum für die Dog Town Leute. Wenn jemand einen guten Pool in irgendeinem Hinterhof gefunden hatte, legal oder nicht, ging man dorthin.

Ihr seid in O. J. Simpsons Pool geskatet. Stimmt das?

Glen: Ja, als sein Haus im Bau war gingen wir da manchmal hin. Eines Tages sah O. J. sogar Skater in seinem Pool und jagte sie nicht einmal weg. Das war cool – sowas war selten.

Es liegen Welten dazwischen, für einen Skatepark Eintritt zu bezahlen und in einem Hinterhof das höchste Gut der amerikanischen Gesellschaft, den Privatbesitz zu schänden.

Glen: Das stimmt. Ich denke, darin liegt auch ein Grund, warum Skateboarding in den frühen 80ern an Kraft verlor. Man musste nicht nur bezahlen für die Parks, man wurde auch gezwungen Schoner zu tragen. Es wurden Regeln und Grenzen gesetzt. Man versuchte die rohe Energie einzupferchen, sie kontrollierbar zu machen. Mit Schonern sollten die Skater sich „schützen.“ Schutz und Grenzen, genau das war es aber, wogegen sich Skateboarding im Grunde immer gerichtet hatte.

Wenn Skateparks gebaut werden konnten, bedeutet das doch, dass auch Geld im Spiel war. Was sagten die Dog Town Leute zu Sponsorships?

Glen: In den frühen 70ern gab es keine Sponsorships. Man skatete weil man es liebte. Und das macht diese ära in meinen Augen so verdammt faszinierend, intensiv und kreativ. Es war wie bei den Punks der späten 70er und frühen 80er. Es gab überhaupt keine Wahl, man musste das was man tat hunderprozentig wollen.

Die Allerbesten bekamen ein wenig Equipment gratis. Aber niemand konnte es tun, um reich oder berühmt zu werden, weil das noch gar nicht möglich war. Das machte es natürlich auch einfacher, nur auf sich selbst zu hören und auf nichts anderes Rücksicht zu nehmen. Der Anfang kam also von innen.

Es war eine intensive Zeit und du hast die intensivsten Bilder davon gemacht. Es sieht so aus, als wärst du immer genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.

Glen: Ich hatte das Timing und ich wusste, was ich abbilden wollte. Timing muss man haben oder es sich selbst beibringen. Niemand kann dir das zeigen.

Du warst 12 Jahre alt, als dein erstes Bild im SkateBoarder Magazine herauskam. Wie kam es genau dazu?

Glen: Ich war immer selbst ein Skater und ich fand einfach, dass zu viele schlechte Bilder gedruckt wurden. Ich dachte: Ich kann das besser. Es geschah so viel in dieser Zeit und ich war immer dabei. Was SkateBoarder Magazine am Ende des Monats brachte war schon lange wieder veraltet. So versuchte ich es einfach.

Hat Skateboarding von heute etwas verloren im Vergleich zu damals?

Glen: Nicht unbedingt. Es ist immer noch alles da, aber schwieriger zu finden. Die Dinge verändern sich und das ist oft gut so. Aber wer die Beziehung zu seinen Wurzeln verliert, der steht oft schwach da.

Ein Skater, der nicht weiss wie es ist, eine Bank einfach zu carven, ist wie ein Surfer, der nicht weiss wie es ist, nass zu werden. Skateboarding hat tiefe und starke Wurzeln und wer sie sucht, den wird es pushen.

Was denkst du über die X-Games?

Glen: Etwas das mir lieb ist wird kommerzialisiert und ausgebeutet, damit irgendjemand anderes es fressen kann. Das Resultat ist kitschig. Ich habe Lincoln Ueda und Tony Hawk letzthin gefragt, was sie von solchen Events halten. Sie fanden beide, es spiele keine Rolle woher das Geld komme, solange es einer guten Sache diene: Skateboarding.

Was für Ignoranten! Natürlich spielt es eine Rolle, ausser man ist geldgierig. Wem ausser den Siegern und den Sponsoren nützt es etwas, wenn die Intensität der Sache ausgebeutet und ausgewaschen wird? Vielleicht wird Skateboarding somit populärer und mehr Leute können davon leben, aber ist das wirklich der Sinn? Denkt mal darüber nach!

Skatest du selbst noch?

Glen: Klar. Nicht so oft, wie ich gerne wollte, aber jedesmal wenn ich in L.A. bin, skate ich die Banks der Kenter Canyon School. Das war damals das Epizentrum der Dog Town Bewegung.

Themawechsel. Du hast nicht nur die Entstehungszeit des radikalen Skateboardings miterlebt und fotografiert, sondern auch die Anfänge von Punk und Rap. Wie bist du zum Punk gekommen?

Glen: Punk war für mich der perfekte Soundtrack des Skateboarding. Der Anfang des Punk war genau wie der Anfang von Dog Town: blosse Energie. Die Punks waren genauso entschlossen wie wir. Meine Freunde und ich gingen zu den Konzerten und ich begann Fotos zu machen. Ich war fasziniert von der Intensität, von den Energieausbrüchen dieser Bands. Und ich musste einfach versuchen, diese Bilder in die Magazine zu bringen, weil ich wusste, das sie wichtig sind.

Die Liste der Punkbands, die du fotografiert hast ist lang: Black Flag, Minor Threat, Dead Kennedys, D.O.A., Bad Brains, Cercle Jerks, Germs, Adolescents, Fugazi, Suicidal Tendencies. Hast du überhaupt Bands ausgelassen?

Glen: Ja. Egal ob Skateboarder, Punks oder Rapper, ich habe immer nur Leute fotografiert, die mich in ihrer Echtheit überzeugt haben. Ich habe die Bands immer schon gekannt bevor ich sie zum ersten Mal fotografiert habe. Bands, die mir nicht gefielen, habe ich nicht fotografiert, auch wenn ich die Bilder hätte verkaufen können.

Du warst sehr eng mit der Szene verknüpft. Was hast du sonst noch getan, ausser fotografiert?

Glen: Ich produzierte das erste Suicidal Tendencies Album und war etwa eineinhalb Jahre Manager für die Band. Ausserdem schrieb ich jahrelang eine Kolumne in Maximumrocknroll, einem der ältesten Punkfanzines aus San Francisco. Ich versuchte einfach immer denjenigen Dingen, die mir wichtig waren, Gehör zu verschaffen.

Was hälst du vom California Punk Revival?

Glen: Einige wiedervereinte Bands spielen zwar besser als damals, aber ich finde sie trotzdem nicht allzu interessant. Fand ich auch damals nicht. Holt euch die frühen Alben von Black Flag und den Dead Kennedys, alle von Minor Threat und das Roir-tape von den Bad Brains! Hardcore Punk, der nach „83 rauskam ist meistens Einheitsbrei.

Ist Punk tot heute?

Glen: Nein, aber dasselbe, was ich über Skateboarding gesagt habe gilt auch hier: Man muss sich auf seine Wurzeln besinnen um weiterzukommen.

Punk hat Tradition bekommen. Ist Tradition nicht die Feindin von jeglichem sozialen Wandel?

Glen: Nicht unbedingt. Es gibt durchaus Tradition, welche den sozialen Wandel fördert. Es ist gefährlich, das so zu verallgemeinern.

Was hältst du von Musikartikeln, Punk oder Rap, in heutigen Skatemags?

Glen: Nicht viel. Die meisten Mags sind sowieso eine Verschwendung von Zeit und Bäumen. Sie sollten seltener rauskommen, dafür mit Inhalten, die etwas hergeben und nicht einfach den Platz zwischen Werbungen ausfüllen.

Als Pendler zwischen New York und L.A. hast du den Rap von Anfang an miterlebt und hast vor allem seine Energie wahrgenommen. Du gehörtest zu den ersten Fotografen, die die „second generation“ um Run-DMC, Public Enemy, Ice-T, L.L. Cool J, KRS 1 und die Beastie Boys dokumentierten und unterstützen.

Glen: Ich habe immer promotet, was mich überzeugte. Die Rapper standen kulturell und politisch im Abseits, das brachte sie im Grund den Skatern und Punks sehr nahe. Und sie hatten denselben Willen das zu tun, was sie tun wollten.

Ich spürte dieselbe Energie. Ich habe Posters für die frühesten Run-DMC Konzerte gemacht, ihre Single Covers gestaltet usw. Später war ich der Vertreter für Def Jam an der Westküste. Ich habe ihre Bands auf Tour unterstützt, ihre Werbung gemacht, wenn sie in L.A. waren und Fotos geschossen. Die meisten Bands, die ich fotografierte waren noch nicht berühmt.

Es fällt auf, wie oft du Ice-T fotografiert hast.

Glen: Ich kannte Ice-T schon, als er noch mit Darlene in einer Garage hauste. Alle Fotos auf seinen frühen Alben und Singles sind von mir.

Was hältst du von aktuellem Rap?

Glen: Einzelne Songs sind cool, aber kaum ein Künstler als Person. Ich mag es, wenn eine gute Stimme mit ein wenig Melodie und fetten Texten zusammenkommt. Sobald aber R&B im Spiel ist muss ich gehen.

Um das Bild von dir zu schliessen: Du trinkst nicht und rauchst nicht und du lebst seit über zehn Jahren vegan. Irgendein Kommentar dazu?

Glen: Wichtig ist dabei vor allem die Erkenntnis, dass sich alles was du tust auf die Umwelt auswirkt, auch dein Essen. In den westlichen Ländern isst man extrem verschwenderisch. Ich hasse es zuzusehen, wie die Menschen aus Gier und Ignoranz sich selbst und auch andere gefährden.

OK, Glen. Danke für Deine Zeit.

Glen: Peace.

***

Glen E. Friedmans Bücher:

-Ein Selbspubliziertes erstes Fotozine:

My Rules. 1982.

Das Konzentrat, die Essenz:

Fuck You Heroes. 1994. Burning Flags Press.

ISBN 0-9641916-1-X.

Ein Sammelalbum weiterer Bilder:

Fuck You Too. 1996. Burning Flags Press / 2.13.61 Pubications Inc.

ISBN 1-880985-500 (paperback), ISBN 1-880985-888 (hardback).

Das künstlerische Statement:

The Idealist – In My Eyes Twenty Years. 1998.

ISBN 0965653544.

Check out www.BurningFlags.com!

Alle verwendeten Fotos sind von Glen E. Friedman. Mit der freundlichen Erlaubnis von ConSafos und Burning Flags Press.

Interview: Martin Schrader

C. R. Stecyk lll:

„Ein richtiger Skater lässt nichts aus. Er nimmt, was sich ihm bietet und packt sich noch den Rest. Er überlässt nichts dem Zufall. Die einzige Zuflucht in einer Gesellschaft, die stagniert und einer Welt, die sich selbst zerstört, ist die Verrücktheit. Und die Fähigkeit, sich aus vorgegebenen Umständen das herausholen zu können, was man will und den Rest wegzuwerfen. Skater sind im Grunde Stadtguerillas. In einer von der Vergangenheit regierten Gesellschaft durchwühlen sie die Gegenwart auf der Suche nach der Zukunft. Jeden Tag benützen sie die unnützen Errungenschaften und Altlasten der Technik. Als Anarchisten der Städte verwenden Skater die Werke von Regierungen und Konzernen so vielfältig, wie deren Architekten es sich niemals erträumt hätten. Somit wird Alles neu geordnet.“

Links (2015):
Wikipedia
Homepage

 

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0