April 14th, 2020

Gastbeitrag zum Thema „Die Krise“ Teil I – Rainer Roth aus #141, 2010

Posted in artikel by Jan

Gastbeiträge zum Thema „Die Krise“ Teil I/2 und Schluss von Teil I, Teil II in der nächsten Nummer

Wie schon in Religionskolumne geschehen, möchten wir die Einbeziehung von Gastautoren, die wir gut finden, gerne erweitern und uns für 2010 einem ebenfalls aktuellem Thema widmen, Stichwort „Krise“: Systemfehler, Naturkatastrophe, Fehler der Werktätigen? Ihr habt also künftig im Trust die Kritik des Überbaus (der Religion) und parallel die Analyse des Fundaments, des Unterbaus. In den folgenden Trusts werden wir die Krisen-Analysen von dem Kollektiv Zeitschrift Wildcat, von Rainer Roth, Prof. em an der FH Frankfurt / Main für Sozialwissenschaften und Autor des Buches „Nebensache Mensch. Arbeitslosigkeit in Deutschland“ und von Sylvia Bayram, Autorin des im Pahl Rugenstein Verlag erschienenen Buches „Globalisierung Macht Krise“, abdrucken.

Autor dieses Beitrags: Reiner Roth, Prof. em an der FH Frankfurt / Main für Sozialwissenschaften, Mitglied des Rhein-Main-Bündnisses gegen Sozialabbau und Billiglöhne, Mitglied des Kampagnenrats des Bündnisses 500-Euro-Eckregelsatz (500-euro-eckregelsatz.de). Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Finanz- und Wirtschaftskrise: Sie kriegen den Karren nicht flott …“, Anmerkungen zu Ursachen und „Lösungen“, Frankfurt 2009 (klartext-info.de). Die Broschüre kann über info@klartext.de bestellt werden (3 Euro plus Porto).

Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft?
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und ihr Hauptgeschäftsführer Göhner beobachten mit Sorge ein „rasant abnehmendes Vertrauen der Menschen in die soziale Marktwirtschaft und die Führungseliten der Wirtschaft“ (WiWo 03.11.2008). Schäuble und von der Leyen erklären deshalb unter dem Titel: „Was die Gesellschaft zusammenhält“: „Ein stärkeres Miteinander ist nötig, damit ein Gefühl der Zugehörigkeit entsteht“ (FAZ 06.01.2009). Merkel bezeichnete in der Regierungserklärung vom Oktober 2008 die Wiederherstellung des Vertrauens als wichtigstes Ziel aller Regierungsmaßnahmen von CDU und SPD (Die Welt 07.10.2008). Da mag der DGB-Chef nicht fehlen. Die Aufarbeitung der gegenwärtigen Krise müsse „ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und gegen den Shareholder-Value-Kapitalismus beinhalten”, sagte Sommer. Er strebt eine „wirklich soziale Marktwirtschaft“ an, die „solche auch aus Gier geborenen Krisen künftig vermeidet“ (http://dgb.de ->PM 008 vom 22.01.2009). Da liegt er auf einer Linie wie Merkel: „Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft müssen weltweit beachtet werden.“ (FAZ 31.12.2008).

War es aber nicht gerade das geforderte Vertrauen in die Kapitalverwertung als Wohlstandsmotor, das den Weg in die Krise mit geebnet hat? Vertrauen auf den Nutzen von Lohnverzicht, auf steigende Aktienkurse, steigende Häuserpreise, private Altersvorsorge, die Riester-Rente, mit AAA bewertete Zertifikate, Derivate und andere Zaubertränke? Nüchterne Bestandsaufnahme der Funktionsweise der Kapitalverwertung ist angesagt, nicht die Wonne des Vertrauens in die Funktionäre des Kapitals, die zu jeder Behauptung fähig sind, wenn sie nur der Profitmacherei nützt. Statt Illusionen über den Kapitalismus zu verbreiten, sollte seine Funktionsweise schonungslos dargelegt werden.

Die Enttäuschung und Resignation ist dann erheblich geringer, wenn das Kapital sich nicht so „sozial“ verhält, wie man es immer und immer wieder erhofft. „Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft müssen weltweit beachtet werden. Erst das wird die Welt aus der Krise führen“ (FAZ 31.12.2008), sagte Merkel. „Kampf dem shareholdervalue- Kapitalismus“, schließt sich Sommer an. Richtig ist, dass die Gesamtverschuldung der USA mit rund 50 Bio. Dollar, also dem 3,8- fachen des Bruttoinlandsprodukts, besonders hoch ist. Die Gesamtverschuldung Deutschlands dürfte nur etwa beim zwei- bis dreifachen des BIP von 2,5 Bio. Euro liegen. Richtig ist, dass ein bedeutender Teil der US-Kredite und damit auch der Ansprüche gegenüber zahlungsunfähigen US-Schuldnern als Wertpapier verbrieft und weltweit verkauft worden ist. Um die Wertpapiere loszuschlagen, wurden sie mit Kreditversicherungspapieren ohne ausreichende Deckung versichert. Das hat die Finanzkrise ausgelöst.

Aber: deutsche Banken haben „Finanzprodukte aus der Wall-Street begeistert ins eigene Haus” geholt, so die FAZ (29.01.2009). Allein das Volumen der CDS-Papiere in den Bilanzen deutscher Banken und Konzerne beträgt 890 Mrd. USD (Thomas Lukscheider, Linkszeitung 11.12.2008). Für diesen Betrag müssten sie im Versicherungsfall eintreten. Die Ursachen für die Bereitschaft zu abenteuerlichen Geschäften der Banken waren in den USA, in Europa und in Deutschland gleich. Das Überangebot an Geldkapital drückte das Zinsniveau nach unten und untergrub damit die Hauptquelle der Bankprofite, den Zins, damit auch die Zinsspannen und die Eigenkapitalrenditen. Der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Jochen Sanio, wies darauf hin, dass es „vielfach … auch die unterdurchschnittliche Ertragslage gewesen (sei), die sie (die Kreditinstitute) dazu getrieben habe, ihr Heil auf gefährlichem Terrain im Ausland zu suchen“ (FAZ 18.01.2008).

Die Methoden, den Fall der Bankrenditen zu bewältigen, sind der Ausgangspunkt für die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007. Die Gründe, weshalb die Müllpapiere in den USA produziert und u.a. in Deutschland gekauft wurden, waren die gleichen: enorme Probleme bei der Verwertung von Überschusskapital. Die Kapitalverwertung, egal ob unter der Umetikettierung Shareholder-Value-Kapitalismus oder Soziale Marktwirtschaft, egal ob in den USA, in Europa oder in Deutschland, führt in die Finanzkrise hinein, nicht hinaus. Auch die „Soziale Marktwirtschaft“ verjubelt den Reichtum dieser Gesellschaft lieber in Spekulation, als ihn für höhere Löhne, höhere Renten oder Arbeitslosenunterstützungen zu verwenden. Unverdrossen strebt aber DGB-Chef Sommer als Ziel der bundesweiten DGB-Demonstration am 16.Mai 2009 die „echte Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft” der 50er und 60er Jahre an. Doch ein Rückwärts gibt es nicht.

 

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