September 11th, 2017

FORGETTERS (#153, 04-2012)

Posted in interview by Jan

„New York is the Greatest City in America… for Stories“

Vor einigen Monaten schickte ein Freund ein paar MP3s. „Voll der Hammer und irgendwer von Against Me! ist auch dabei“, meinte er. Dass es sich dabei nur um den ersten Drummer Kevin Mahon handelte, der nach der heute zurecht vergessenen Frühphase von Against Me! bereits wieder ausgestiegen ist, erzählte er nicht. Dass bei Forgetters auch die erfolgreiche 90er Jahre Emo-Ikone Blake Schwarzenbach von Jawbreaker bzw. Jets To Brazil mit an Bord ist, wusste er wahrscheinlich nicht mal.
Trotzdem war er ganz hin und weg von der Musik. Dass die dritte im Bunde, Caroline Paquita, früher bei Bitchin‘ gespielt hat, fällt hingegen eher unter Spezialwissen. Zusammengefunden haben die drei sich in Brooklyn / New York und gründeten Forgetters mit der Idee die vorherige Geschichte zu vergessen und nochmal ganz von vorn anzufangen. Nach nur wenigen Monaten veröffentlichten sie vier Songs auf einer Doppel-7“ mit der sie nach Europa flogen, um sich ohne weitere Veröffentlichungen fünf Wochen lang für niedrige Eintrittspreise durch die örtlichen AZs, JUZe und Punkläden zu spielen.

Die vier Songs haben zwar durchaus unser Interesse geweckt, erreichen jedoch bei weitem nicht das Level von Schwarzenbachs Klassikern. Als die Band in Berlin auf der Bühne stand und hauptsächlich unveröffentlichte Songs präsentierte, wurde jedoch schnell deutlich, dass sie sich bereits in der kurzen Phase seit den Aufnahmen deutlich weiterentwickelt hatten. Vielleicht steht uns hier in naher Zukunft ein weiterer Klassiker bevor? Zu erzählen haben Forgetters bereits jetzt viel.

Wir treffen Forgetters schließlich am 8. Mai 2011, dem Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. An einem der ersten sommerlichen Tage des Jahres sitzen wir mit der Band im Hinterhof des räumungsbedrohten Schokoladens gemütlich zusammen, abgeschottet von der uns umgebenden Berlin-Mitte Unruhe. Vom benachbarten Theater schallen die swingenden Klänge Frank Sinatras über den Hof. Blake wechselt während des gesamten Gesprächs die Saiten seiner Gitarre und stimmt diese.

Die sicherlich meist beachtete Nachricht der letzten Tage war der Tod von Osama Bin Laden. Wie habt Ihr davon erfahren und wie habt Ihr Euch dabei gefühlt?

Blake: Wir waren hier auf Tour und von der Nachrichtenwelt ein wenig abgeschnitten.

Caroline: In Bremen waren wir.

Blake: Ich habe mich mehr oder weniger leer gefühlt, es hat mich nicht sonderlich bewegt. Damals am 11. September war ich in New York. Was genau das jetzt bedeutet, weiß ich nicht, ich vermute, dass es für viele Menschen ein wichtiger Abschluss ist. Aber ich glaube nicht, dass sich viel verändern wird. Unruhig war ich, weil wir so weit von den Meldungen entfernt waren. Wir mussten erst nach englischsprachigen Zeitungen suchen um herauszufinden, was genau passiert ist.

Caroline: Ich hatte nicht ausreichend Internetzugang, um viel darüber zu lesen. Dann habe ich versucht in die deutschen Zeitungen zu lesen. (lacht) Okay, I don’t know… Ich bin jedenfalls nicht glücklich und feiere nicht, wie viele andere zu Hause. Es ist jetzt eine gute Gelegenheit über die amerikanische Politik und die Kriege nachzudenken, die immer weiterlaufen.

Kevin: Ich frage mich, was die Medien und die US-Regierung jetzt machen, wo der Bogeyman fort ist. Wie werden sie in Zukunft Invasionen und militärische Operationen rechtfertigen, denn Bin Laden war bisher immer das Ziel. „Wir gehen nach Pakistan, um ihn zu finden und auszuräuchern.“ und so weiter… Jetzt bin ich gespannt zu sehen, was ihre nächste Karte sein wird.

Blake: Es bleibt auch abzuwarten, wie die Vereinigten Staaten mit Pakistan weitermachen. Es scheint sehr klar, dass sie ihn gehortet haben, weil er ein Geldsegen war. Solange er nicht lokalisiert war, haben die USA ihnen jede Menge Militärhilfe zukommen lassen. Ich glaube allerdings nicht, dass die diplomatischen Beziehungen abgebrochen werden. Dafür ist Pakistan strategisch zu bedeutend. Aber sie haben ihn versteckt, das ist offensichtlich. Ich bin gespannt zu hören, wie die US Regierung unser Bündnis mit Pakistan nun bewertet.

Sein Gebäude war nur wenige Meter von einer Polizeistation entfernt. Sie müssen etwas gewusst haben. Zumindest in Deutschland gab es große Diskussionen darüber, dass Bin Laden erschossen wurde, obwohl er unbewaffnet war und dass es einen militärischen Einsatz in Pakistan ohne rechtliche Grundlage gab.

Kevin: Das ist egal…

Caroline: Vieles, was von Seiten der US-Regierung passiert, ist nicht legal! Es ist nicht überraschend, dass sie Spezialeinheiten hineingeschickt haben, die gemacht haben, was sie wollten. Das ist nur, was sie immer machen.

Kevin: Unbewaffnete Menschen werden jederzeit erschossen, deshalb ist das keine große Sache.

Caroline: Also für sie, nicht für uns!

Blake: Ich habe eine interessantes vorausschauendes Szenario von Lawrence Wright gehört, der viel über Al Qaida vor 9-11 geschrieben hat und sich für die Bombardierungen auf Botschaften interessiert. Er hat dem CIA vorgeschlagen, wie man am besten mit ihm umgehen soll, falls sie ihn finden. Er plädierte dafür ihn am Leben zu lassen und ihn in jeden Staat zu bringen, in dem er für Morde verantwortlich ist, um ihn dann in Saudi-Arabien und anderswo nach der Scharia zu belangen. Das würde niemals passieren, es war nur eine poetische Projektion. Aber ich mag die Idee, ihn zu jedem Ort der Verwüstung zu bringen und ihn nach dem einzigen Gesetz zu behandeln, an welches er und seine Anhänger geglaubt haben. Um zu sehen, was sie dann davon halten.

Vermutlich würde er nicht viele Staaten schaffen, da er im ersten oder zweiten zum Tode verurteilt werden würde. Wie hat Euch der 9-11 Anschlag als New Yorker, als Musiker und als Menschen verändert?

Blake: Es hat alles verändert! Ich bereue es, dass zu sagen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand 9-11 eine solche Bedeutung geben will, denn das Ereignis ist nicht unproportional zu anderen Tötungen. 3.000 ist eine enorme Anzahl von Personen, aber das passiert gleichzeitig auch überall anders auf der Welt. Deshalb möchte ich ihm eigentlich nicht eine solche Bedeutung zusprechen, die hat es aber. Wir haben es zum Thema von weltweitem Ausmaß gemacht. Alles hat sich verändert. Es geht nicht, nichts zu machen. Unser Land ist pleite, wütend, verwirrt – wie ein Jahrzehnt der Schizophrenie. Aber musikalisch war es belebend. Und man kann nun endlich wieder politisch werden, denn es gibt grünes Licht für diesen Diskurs. Lange Zeit ging das nicht, als wäre es klischeehaft oder so. Spricht man nun nicht darüber, wirkt es, als lebe man nicht in der realen Welt, zumindest auf gewissen Ebenen.

Man kann es nicht ignorieren, man muss eine Meinung dazu haben.

Blake: Obwohl man keine Meinung haben kann, haben viele Menschen keine (lacht). Aber es betrifft jeden.

Von der Band Bridge And Tunnel aus Brooklyn gibt es den Song „War time souvenirs“, in dem sie „they are still dropping bombs in the name of this city we live in“ singen. Könnt Ihr Euch in dieser Zeile wiederfinden?

Caroline: Das ist vielleicht ein vereinfachte Version. Es geht nicht nur speziell um New York, es war nur die große Entschuldigung, um wegen Saddam Hussein und Bin Laden in den Krieg ziehen zu können. Ich habe damals aber nicht in New York gelebt, vielleicht bin ich auch nicht die qualifizierteste Person für diese Frage.

Blake: Ich denke, dass gilt für die gesamten USA. Sie werfen auch Bomben im Namen von Arizona ab. Im Namen von Ohio… New York steht einfach für Bin Laden. Es ist ein überzeugendes Symbol.

Caroline: New York ist auch die Hauptstadt der Medien.

Blake: New York ist die beste Stadt in Amerika… für Geschichten. (lacht)

Wie viel New York ist in Forgetters?

Blake: Wir sind eine wahre New York Band, sehr dreckig. Persönlich, als Songwriter schreibe ich viel düsterer in dieser Band und nutze viele Mollakkorde. Manchmal fühle ich mich wie Iggy Pop, wenn ich so tief singe. Das ist der New York Sound. Heruntergekommen und angepisst sein, das mag ich. (lacht)

Caroline: Es ist schwer fröhlich zu singen.

Kevin: Als Band in New York zu bestehen, bringt eine Menge Arbeit mit sich, die es in günstigeren oder kleineren Städten so nicht gäbe. Es ist schwer einen Van zu haben, es ist schwer einen Proberaum zu haben und all das wird in die Musik übersetzt. Wir müssen sehr viel Anstrengung reinstecken und manchmal ist es scheiße.

Wie viel New York kann überhaupt in einer Band sein, die nur aus Leuten besteht, die nach New York zugezogen sind? Oder muss das gerade so sein, weil die Geschichte New Yorks eine Geschichte der Immigration ist?

Blake: Wer wären denn die „echten“ New Yorker? Irgendwelche Niederländer? Oder die indigenen Bevölkerungsgruppen, die da vorher gesiedelt haben? Schizophrenie und Dissoziation ist der Teil von New York, der in der Band ist. Ich nutze die Stimme von Personen, die in einer Trennung oder einem Konflikt sind. Ich denke, das ist der Status von Personen in New York. Du bist immer Newcomer, Du bist immer aufgebracht gegenüber den neuankommenden Leuten. Es ist ein ständiger Wettkampf. Und Du bist immer stimuliert, weil es so lebendig ist. Und es verändert sich kontinuierlich. Dein Lieblingsgebäude? Niedergemacht. (lacht) Dort ist jetzt ein Wal Mart. Und dann wird Wal Mart niedergemacht und vielleicht kommt ein schöner Park dahin. Okay, wahrscheinlich nicht…

Caroline: Aber das ist wie Amerika ist. Amerika ist nicht so alt. Worüber sprechen wir? Über eine Geschichte von vielleicht ein paar hundert Jahren. Das ist nicht das gleiche wie hier.

War es eine bewusste Entscheidung mit Forgetters wieder bei Null anzufangen, also auf einer DIY-Basis?

Blake: Ja.

Caroline: Wie startet man sonst eine Band?!

Zumindest ein Mitglied von Euch hat schon auf Independent- und Majorlabeln veröffentlicht. Wahrscheinlich gibt es da noch Kontakte und vielleicht wäre es möglich, gewesen einen Deal mit einem Independent-Label auszuhandeln, wenn es Interesse gegeben hätte.

Blake: Es schien uns nicht so, als würde sowas klappen. Wir wollen selber produktiv sein. In Amerika geht es immer darum durchzustarten, man muss es also jedes Mal neu machen. Ich weiß Bescheid, ich war auf großen Independent- und Majorlabels. Aber ich fühle mich nicht, als hätte mir das viel gebracht in Bezug auf die Macht, die sie mitbringen. Auch hatte ich nie das Gefühl, an dieser Macht teilzuhaben.

Kevin: Das wäre komisch für mich und (deutet auf Caroline) sicherlich auch für Dich.

Caroline: Sicher, das ist nicht der Weg, wie ich Musik mache. Ich habe mit Blake einfach Musik gemacht und Kevin gefragt, ob er mitspielt. Er war biologischer, als Blake einfach mit Fremden bei Warner unterschreiben zu lassen.

Kevin: Wir sind Freunde geworden.

Caroline: Wir beide waren auch schon vorher Freunde.

Kevin: Ja, Caroline und ich sind schon lange befreundet.

Haltet Ihr DIY also für den besten Weg in allen Situationen?

Blake: Es hängt davon ab, was Du willst. Wir sind in der komfortablen Situation, einiges an Aufmerksamkeit zu erhalten, weil ich in der Band bin. Es ist okay für mich. Wenn Leute Jawbreaker und Jets To Brazil mögen, möchte ich auch, dass sie unsere neuen Songs mögen. Ich verstecke mich nicht davor. Ich bin Blake Schwarzenbach und niemand anders. Der Teil von DIY ist super, es ist sehr komfortabel. Wenn Du aber Popstar werden willst, dann solltest Du zu einem Major oder einem großen Indie gehen, die können Dich definitiv dahin bringen. Wenn Du auf Festivals spielen willst, dann wirst Du das mit Deinem eigenen Label wahrscheinlich nicht schaffen.

Caroline: Mach einfach das, was sich für Dich richtig anfühlt.

Wenn Ihr keine Popstars werden wollt, was wollt Ihr mit Forgetters erreichen?

Blake: We wanna blow minds! Neue Orte und Musik entdecken.

Caroline: Einen gesunden Lebensstil promoten. Und uns unterdrückerische Tendenzen positionieren.

Blowing minds ist ein hohes Ziel, nur wenige Bands kommen so weit!

Blake: Mein Ziel ist es als öffentliche Person stets Teil der Diskussion zu bleiben, also als Texter einer Band. Ich glaube an historische Aufnahmen. Es ist nicht wichtig, wie groß es ist, aber solange etwas aufgezeichnet wurde, als Geschichte oder als Stück Journalismus und es da draußen ist, kann es von jemandem gefunden werden. Das ist genauso wie Zines machen. Ihr macht wahrscheinlich nicht das größte Zine, aber es erscheint.

Menschen sollen irgendwann über mich sagen, selbst wenn ich nur selbst als alter Mann es sage, dass ich nach dem 11. September etwas gesagt habe und dass ich nicht damit aufgehört habe, dass ich über staatliche Macht gesprochen habe oder darüber wie schwer es ist, in der Welt lebendig zu sein. Es entlastet mich und gibt mir eine ethische Zufriedenheit, Teil der Diskussion zu sein. Außerdem haben wir einen künstlerischen Anspruch, weil wir Musik mögen. Der politische Aspekt ist Teil unseres Lebens, wenn Konflikte auftreten, sprechen wir darüber. In Bezug auf die Musik wollen wir Musik machen, die uns Spaß macht und interessant erscheint.

Diskutiert Ihr über Politik oder habt Ihr stets die gleiche Meinung?

Kevin: Nein, wir haben schon jeder unsere eigene Sicht.

Caroline: Aber wir sind Verbündete.

Blake: Wir gehen nicht auf Demonstrationen und stehen uns dann auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden gegenüber. Die grundlegenden Sachen sehen wir natürlich gleich. Darüber hinaus haben wir persönliche Ansichten.

Blake, Du erwähntest bereits, dass Du Dich vor der Geschichte von Blake Schwarzenbach mit Jawbreaker und Jets To Brazil nicht verstecken willst. Nervt es Euch, wenn Forgetters nur als Blakes neue Band gelten? Passiert das überhaupt?

Blake: Ja, es nervt. Es hängt aber davon ab, wer das Konzert veranstaltet und wie sehr es betont wird. Wir ändern das jedes Mal, wenn wir spielen. Hoffentlich sehen sie, dass wir nur eine Band sind.

Caroline und Kevin, wie seht Ihr das?

Kevin: Du zuerst.

Caroline: Oh, danke. Machmal ist es ärgerlich, manchmal ist es das nicht. Es ist nicht einfach. Mir ist natürlich klar, dass wir deshalb von Anfang an mehr Aufmerksamkeit genossen haben, als ich es gewohnt bin. Aber die Leute werden sich daran gewöhnen, dass es drei Leute in der Band gibt.

Kevin: Auf oberflächigen Ebenen ist es beängstigend. Sowas wie „Blakes neue Band“, „Blake ist in der Band“. Niemand sonst ist in der Band, aber…

Blake: Wir heißen nicht „Blakes neue Band“!

Kevin: (lacht) Aber wir wurden so genannt und vielleicht macht es auch ein wenig Sinn. Ich möchte trotzdem, dass sich diese Band in den Augen der Menschen als etwas Unterschiedliches entwickelt. Ich möchte meine Arbeit bestätigt sehen und ich möchte Carolines Arbeit bestätigt sehen. Ich möchte, dass die Arbeit von jedem von uns in der Band gleichwertig anerkannt wird. Es entwickelt sich auch immer mehr in die Richtung. Die Leute wollten, dass wir Songs spielen, die nicht von dieser Band sind. Das hat aber mittlerweile aufgehört. Das ist auch gut so, schließlich arbeiten wir alle hart an dieser Band. Das sollte anerkannt werden.

Ist dieses Abstoßende nicht einfach der Preis, den Ihr bezahlen müsst für die Vorteile, die ihr habt, einen bekannteren Namen in Eurem Line-Up zu haben? Es war sicherlich ein Türöffner auf manchen Ebenen. Und ist es das wert, diesen Preis zu bezahlen?

Kevin: (lacht) Ich werde die Frage übernehmen. Sicher, uns haben sich einige Möglichkeiten eröffnet, aber das entschädigt nicht dafür mit diesem betrunkenen, alten Mann und seinen Scharen von Fanboys abhängen zu müssen. Am Ende des Tages denke ich jedoch nicht viel darüber nach.

Blake hat mal in einem Interview gesagt, dass eine neue Band fünf Jahre braucht, um sich zu entwickeln und reif zu werden. Euch gibt es jetzt vielleicht zwei Jahre, wie ausgereift sind Forgetters am jetzigen Punkt?

Kevin: Als Menschen? (lacht)

Blake: Wir sind als Band sehr schnell erwachsen geworden. Unsere Musik hat sich auch nach der Single innerhalb eines Jahres nochmal sehr verändert.

Dann braucht diese Band keine fünf Jahre?

Blake: Ich weiß es nicht.

Kevin: Ich habe gar keine Lust, Begriffe wie „reife Band“ zu benutzen. Wir haben unsere Songwriting-Struktur, wir haben eine Formel, machen eine Platte.

Caroline: Viele meiner Lieblingsbands wie The Ex, Mission Of Burma oder Sonic Youth gibt es seit Ewigkeiten. Die Dinge verändern sich und sie entwickeln sich, als Menschen, als Musiker und in ihrem Zusammenspiel. Hoffentlich wird es mit unserer Band auch so sein, schließlich stagniert niemand von uns. Vielleicht werden wir auch verrückt…

Kevin: Wir durchlaufen saisonal schon eine Bandbreite von Emotionen (lacht). Sommer komm‘ endlich! Da schreiben wir vielleicht ganz andere Songs.

Caroline: Dann machen wir vielleicht Poppunk-Songs. Ach nein, nicht wirklich. Vielleicht fangen wir mit Ska an. Just kidding. (lacht)

Mit einer Frage wollen wir nochmal auf Jawbreaker zurückkommen. Blake, 1995 haben sich Jawbreaker mit ihrem letzten Album und Major-Debut Dear You sehr mit ihrem Publikum angefeindet. Erstens, weil es eine Sell-Out-Platte war und zweitens weil sie so anders als die vorherigen Jawbreaker-Platten klang. Einige Jahre später wird diese Platte jedoch als großer Klassiker verehrt. Wie fühlt es sich an, seine ganze Energie in eine Platte zu stecken und dafür so viel Ablehnung zu erhalten, aber wenige Jahre später für die gleichen Sachen glorifiziert zu werden?

Blake: Ich glaube, Ihr könnt Euch das vorstellen, weil Ihr es ja schon beschrieben habt. Ich wollte die Musikwelt danach für einige Jahre verlassen, um zu lernen meine Erwartungen zu verändern. Aber Werke brauchen auch einige Zeit bis die Menschen einen Bezug dazu finden. Ich habe gesagt, dass eine Band fünf Jahre braucht um sich zu entwickeln, also etwa zwei Alben. Diese brauchen dann oftmals auch ein paar Jahre um ihr Publikum zu finden. Am Anfang kaufen Leute Forgetters Platten, weil es ex-Mitglieder von Bands sind, das sind aber Menschen, die uns vielleicht gar nicht so mögen.

Es dauert ein paar Jahre bis wir die Leute erreichen, die uns hören und uns einfach mögen, weil sie es für interessante Musik halten. Ich habe keine großen Erwartungen mehr. Wenn Du auf Geffen Records bist, dann werden sie Dir erzählen, dass alles großartig wird. Immer. Es wird aber nicht großartig werden! (lacht düster und fängt an eine Melodie auf der Gitarre zu spielen)

Glaubt Ihr, dass es Sinn macht darüber nachzudenken, wie Eure Platten in der Zukunft wahrgenommen werden? Oder geht es darum, im jetzigen Moment zu leben und dabei das beste zu hoffen?

Blake: Freundlich sein und im Moment zu leben, ist ein guter Weg um in der Zukunft bestehen zu bleiben.

In seinem Buch „Die Unsterblichkeit“ setzt sich der Autor Milan Kundera unter anderem mit der Frage auseinander, dass Künstler, die ihre Werke in die Welt bringen, damit in gewisser Weise unsterblich werden. Durch Aufnehmen Eurer Musik werdet Ihr unsterblich, beängstigt Euch das?

(langes Zögern)

Kevin: Nein.

Caroline: Im Zeitalter des Internets ist alles so verrückt. Das bedeutet ja, dass jedes Mal, wenn jemand etwas veröffentlicht… jeder ist ein Autor, jeder ist Fotograph und jeder hat sein eigenes Aufnahmestudio auf dem Computer.

Blake: Jeder ist unsterblich.

Das ist ein demokratischer Gedanke.

Blake: In diesem Falle, also wenn es um Kultur geht, bin ich echt nicht für Demokratie. Ich denke derzeit viel darüber nach. Ich denke nicht, dass jeder unsterblich ist oder eine Plattform bekommen sollte. Normalerweise sollte man etwas Üben oder Studieren, um einen gewissen Grad an Autorität zu erlangen, bevor man anfängt öffentlich Werke zu produzieren. Privat ist jeder für sich verantwortlich und soll natürlich machen können, was er will. Aber in der Öffentlichkeit, wo auch immer die jetzt ist, halte ich es für keine gute Idee, dass jeder ein Album, ein Fanzine und eine Talkshow hat.

Aber wie willst Du festlegen, wer etwas veröffentlichen darf und wer nicht?

Blake: Dann ist es eine demokratische Frage, denn ich denke das Publikum wird das beurteilen. Aber dabei kommt nicht immer das Richtige raus, denn es gibt schrecklichen Schrott, der unglaublich populär ist.

Und viele großartige Sachen, von denen noch niemals jemand gehört hat. Das ist unfair.

Blake: Es gibt diese menschliche Hoffnung, dass Zeit ein Indikator ist. Dass lange nach dem Tod einer Person ihre Arbeit in eine respektvolle Umgebung gebracht wird. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich glaube viele Menschen arbeiten mit dieser Überzeugung. „Es ist mir egal, ob jemand glaubt, dass ich während meiner Lebenszeit cool bin. Aber vielleicht glaubt es irgendjemand eines Tages mal.“


Nachtrag: Nach dem Ausstieg von Caroline Paquita haben Forgetters sich im Oktober 2011 aufgelöst. Blake Schwarzenbach und Kevin Mahon wollen jedoch offenbar weiter zusammen Musik machen und auch einige Songs der Forgetters in die neue Band hinüberretten.

Benjamin Schlüter / Jan Tölva

Links (2017)
Forgetters Blog
Forgetters auf Wikipedia

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