Juli 17th, 2019

FOETUS (#91, 2001)

Posted in interview by Thorsten

DIE RÜCKKEHR DES APOKALYPTISCHEN BILDERSTÜRMERS

Seine Musik hat mich seit Mitte der 80er kontinuierlich begleitet. „NAIL“ und „HOLE“. Der Apokalyptiker mit den unzähligen Gesichtern. „I´LL MEET YOU IN POLAND, BABY“ und „ENGLISH FAGGOT“.
Schwarzer Ritter, todessüsser Joker und Grand Arrangeur in einer Person.
FOETUS CORRUPTUS, FOETUS OVER FRISCO. Zynisch und weltabgewandt und voll von selbstzerstörerischer Energie. Der bastardisierte Sinatra, der ganze Orchester in Auflösung begriffen in den Abgrund marschieren lässt.
Ein Loner, der selten lächelt und sich in großartig-tragischen Gesten verliert. Herr CLINT RUIN alias JIM G. THIRLWELL. STEREOID MAXIMUS und MANOREXIA. Begnadeter Elektroniker, Performer und Multi-Instrumentalist. Großer Hexenmeister des strukturierten Krachs. Lange war keine Dissonanz aus seinem Musik-Laboratorium, dem „self-immolition-studio“ mehr zu vernehmen.
Mit „Flow“ und seinem remixten Zwilling „Blow“ (beide auf Noise-o-lution/Indigo) aber beweist er erneut seine aussenstehende Klasse, seine schillernde Unvergleichbarkeit.
Vor seinem Auftritt in Hamburg´ „Fabrik“ fand folgendes Gespräch statt.

Bist Du mit Muttermilch oder mit Instrumenten aufgewachsen?

Jim: (lächelt) Mit Muttermilch.
Yeah, weisst Du, live ist das eine ganz andere Behandlung als eine Studioaufnahme. Ich denke niemals daran, wie das einmal live klingt, wenn ich im Studio sitze und daran arbeite. Das würde wahrscheinlich die musikalische Palette dessen woran ich arbeite limitieren. Nur weil ich eine bestimmte Art von Band hätte, meinetwegen ohne Bläser und deshalb einen bestimmten Song nicht schreiben könnte, weil ich ihn live nicht aufführen könnte. Das schert mich überhaupt nicht, ob ich etwas live aufführen kann oder nicht. Das passiert halt, daß da nicht so viele Songs auf dem „Flow“-Album sind, die versucht wurden, live gespielt zu werden. Aus dem besonderen Grund, weil ich allein schon eine hervorragende P.A. benötige. Sogar in unseren Proben habe ich kein gutes Keyboard, um alles umzusetzen.

Oder ein Orchester zur Seite.

Ja, also klingt das nicht so gut… Und um wieder auf die Live-Performance zurückzukommen, so wollte ich diesmal das Gefühl dazu ändern. Auf der „Gash“-Tour `95 und `96, als ich viel unterwegs war, wurden die Auftritte etwas Monströses, etwas was jemand studentisch als „CYBERNETIC STOOGES“ beschrieb. Drei Gitarren spielten auf den Punkt und da gab es diese großen Rockgesten und wir spielten Covers von Alice Cooper und so `nem Zeug. Das nahm die ganzen Züge dieses Rock-Exzess-Dinges an, soweit ich da gehen wollte. Wenn aber viele Songs melodisch von Samples konstruiert sind, die gegeneinander reiben und ganz eigene Spannungen daraus entstehen und du diese Melodien dann versuchst mit Gitarren zu spielen, verflachst du das Ganze. Also entschied ich mich dafür, daß der Spannungsaufbau erhalten bleiben müsste, indem ich die Samples wieder hereinnehme, aber live behandelt und als Kern, der von allem anderen eingerahmt wird. Das ist es eigentlich, was die unterschiedliche Strömung der jetzigen Band ausmacht. Plus die Stimmungen, dynamischer und sexier denn je. Und es gibt keine Cover-Versionen, alles ist FOETUS-Zeug. Abgesehen von einem Stück, was in Zusammenarbeit mit den MELVINS entstand.

Ah, „Mine Is No Disgrace“ von der Trilogie.

Ja, das spielen wir manchmal.

Trotz des sehr geschmeidigen Titels „FLOW“ klingt Dein neustes Album nicht nach „in einem Fluss“ aufgenommen. Wie lange hast Du an diesem Giganten gearbeitet?

Einiges davon entstand schon in der Zeit der „GASH“-Tour, wurde teilweise verworfen oder radikalüberarbeitet. Anderes wurde in einem Zug aufgenommen… Das ist halt alles Zeug, das zusammengepackt worden ist. Viele meiner Alben sind doch so. Sie bestehen aus Songs, die über einige Jahre gekeimt sind. Das braucht schon seine Zeit. Songs, die während der „FLOW“-Sessions begonnen wurden, werden dann wohl auf dem nächsten Album sein. Und wenn das erscheint, enthält es wohl Songs, die zwei, drei Jahre zuvor begonnen wurden. Das ist der Weg, wie es geht. Nicht alles ist bereit, sofort herauszukommen. Du kannst es nicht gleich gebären, sobald du es empfangen hast.

Aber jetzt mal nach der Komposition dieses Albums gefragt. Wie lange hast Du daran gesessen?

Zieht man in Betracht, daß da einige Keime schon einige Jahre alt sind und daß der gesamte Inhalt eines jeden Albums live ist, würde ich sagen ungefähr ein Jahr. Mehr oder weniger. Weil ich gleichzeitig auch an anderen Ideen arbeite, die dann in ein STEREOID MAXIMUS-Album einfliessen oder am Ende als Remixe benutzt werden oder sonstwo landen.

Letztes Mal, als ich Dich gesehen habe, sahst Du ziemlich fertig aus… auch nicht gerade ganz clean und anschliessend herrschte hier längere Funkstille in Sachen FOETUS. Wie war Deine Zeit nach der letzten Europa-Tournee?

Nun, ich stand auf einer dieser Listen: „Bevorstehender Tod am wahrscheinlichsten“, denke ich. Ich gelangte an den Punkt, wo ich permanent den Tod aus meinen Poren dringen spüren konnte und ich hatte eine Entscheidung zu treffen. Weil ich lebte, als ob ich sterben wollte und ich immer noch einen starken selbstzerstörerischen Instinkt habe. Aber da ist ein anderer Instinkt, der Wille zu überleben und ich denke, daß der gewonnen hat. Ich brauchte einige Zeit, um Leben zu lernen. Ich war solange reduziert und blockiert und jetzt ist das Leben weitaus lebendiger. Die Gefühle treffen direkt mein Gesicht und nun muß ich lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen. Und es gibt so viele Dinge, die ich nicht fühlen möchte.

Ist Deine Arbeit eine Möglichkeit, dem Kampf der Instinkte Herr zu werden?

(sofort) Nein, nein. Ich denke ich kriege ganze 30 Sekunden Befriedigung aus jeder Sache, die ich erreiche.

Du beschreibst Deine eigene „NEED MACHINE“, die erschafft und im gleichen Moment schon wieder verbraucht? Alles Neue ist im nächsten Moment bereits alt und langweilig für Dich?

Nein, es ist nicht, als ob ich alles auspressen müsste, um etwas von der Befriedigung und Leistung aufzusparen. Ich habe mich einfach Neuem zuzuwenden. Es hat nichts damit zu tun, daß ich es hart fände, dieses Zeug reinzulassen. Es geht ausschliesslich darum, sich in seiner eigenen Haut wohlzufühlen und mit den Füssen auf dem Boden zu stehen. Alles Dinge, die ich nicht vorgebe, bereits zu haben.

Wo wir von Balance sprechen…

Genau, ich täusche nicht vor, Balance in meinem Leben zu besitzen. Aber ich bin inspiriert von dem „Flow“ in meinem Leben. Auf verschiedensten Ebenen. Und deshalb nenne ich das Album „FLOW“, weil du diesen Titel in meinem Zusammenhang beuzen kannst.

Deine „chemische Balance“ zumindest erscheint mir stabiler als vor fünf Jahren. Immerhin siehst Du besser aus. (lacht)

Yeah, yeah, nun, ich habe mit einigen Sachen aufgehört… Nur noch Diet-Coke (hält seine Flasche hoch).

Habe ich schon gesehen. Du trinkst gar nicht mehr Alkohol?

Einfach Diet-Coke.

Eine Frage, die Dich vielleicht langweilt, aber hat sich Dein Leben in New York City in irgendeiner Weise durch die Anschläge vom 11.09.01 verändert?

Ich weiß es nicht, weil wir genau an jenem 11. September die Stadt verlassen haben. Wir waren noch in der Luft, als das alles passiert ist.

War das etwas, was Du als alter Apokalyptiker erwartet hast? Wie sah Deine erste Reaktion aus?

Nein, ich war total schockiert. Ich fühlte mich auch zu weit entfernt davon, um überhaupt eine Vorstellung zu entwickeln, welche Auswirkungen das auf das Leben in New York hat. Ich habe keine Ahnung. Die ganze Sache ist surreal. Ich frage mich, warum wir ausgerechnet an jenem Tag abhauten, um sechs Wochen fernzubleiben. Das ist zu merkwürdig, daß das auf genau den gleichen verfickten Tag fiel. Und… Ich habe keinen Einblick, in was zur Hölle gerade vorgeht, was hinter allem steckt, abgesehen von dem was auf CNN und anderen Kanälen gezeigt wird. Das weiß wohl nur Gott allein.

Freunde von Dir oder Dein Arbeitsbereich sind also weniger betroffen.

Nein, glücklicherweise nicht.

Bist Du mit Deinem „self-immolition-studio“ eigentlich umgezogen? Ich hörte davon, daß Du die Örtlichkeit gewechselt hättest?

Nein, mein Studio ist immer noch an seinem Platz in Brooklyn.

Arbeitest Du dort nur an Deinen Projekten oder produzierst Du auch andere Bands?

Meine Remixe habe ich dort gemacht, das letzte Album wurde dort aufgenommen, eigentlich ist die ganze Einrichtung ziemlich auf mich zugeschnitten. Das ganze Gebäude ist voller versteckter Fallen. Jeder andere, der da reingeht, stolpert sofort über Bodenregale, verfängt sich in einer der unzähligen Mäusefallen, wird eventuell von etwas getroffen, was von der Decke fällt oder stürzt die Treppe herab.

Ein leicht gespentischer Ort also.

Es ist halt nur vollgestopft mit Fallen gegen Eindringlinge. Ich glaube, ich bin der einzige, der den Weg da
durch kennt.

Was treibst Du neben Deinen Arbeiten an der Musik sonst dort? Von Dir wird ja immer behauptet, Du würdest sehr zurückgezogen leben, Dich nicht besonders „sozialisieren“, wie das so schön genannt wird.

(langgezogen) Yeah. Vielleicht tue ich das, vielleicht auch nicht. Teile meines Lebens sind privat.

Sich unter Menschen zu begeben geht nicht automatisch einher mit dem Ablegen eigener Masken.

Natürlich nicht. Das mache ich auch nie. Immer in voller Rüstung.

Warst Du als Kind auch so unterwegs? Ich meine, wenn wir schon über Methoden der Selbstverteidigung reden?

Ja, ich denke auf eine Art bin ich immer sehr schüchtern gewesen. Ich hatte immer bestimmte Arten und Weisen, mit der Welt umzugehen. Ich öffne mich Menschen gegenüber erst, wenn ich in ihr Inneres sehen kann. Das dauert eine Weile, da durchzukommen.

Kommen wir nochmals auf Deine Musik zu sprechen. Hast Du jemals daran gedacht, einen eigenen Film zu drehen? Vielleicht in der Art der RESIDENTS „FREAK SHOW“? Die FOETUS FREAK ROAD SHOW.

(schmunzelt) Lass jemand anderes die Arbeit eines solchen Projektes erledigen. Aber ich denke grundsätzlich nein. Ich würde es lieben, wenn jemand eines meiner Projekte wie MANOREXIA aufgreifen und umsetzen würde. Oder einmal wurde ich gefragt, Musik für einen Film zu schreiben, der dann nie fertiggestellt wurde. Du weißt schon, dieses Kommödien-Ding, das mich resistent gegen die Arbeit an Soundtracks für Filme machte, weil ich plötzlich mit Eingaben von schätzungsweise 1000 verschiedenen Produzenten umzugehen hatte, die mit ihren Multiple-keyboards ankamen und fragten, ob ich dieses nicht so und jenes nicht anders machen könnte und so`ne Scheiße. Und natürlich fällt denen immer alles erst im letzten Moment ein. Und bis du dann endlich in der Position bist, bestimmen zu können, wie etwas ausschaut und gemacht wird… Nein, ich stehe da nicht drauf, all´ diese Leute, die kommen und etwas bemäkeln. Da ziehe ich es doch lieber vor, an etwas niedriger angesetztem zu arbeiten, wo jemand eine mutige Vision hat und meine kreative Version versteht. Wo sich etwas auf diese Art aufeinander zu bewegt.

Ein Typ wie Richard Kern, wäre das kein idealer Regisseur für Dich?

Nein, glaube ich nicht. Du kennst doch seine Filme. Da geht es doch nur um unanständige Leute, die unanständige Sachen treiben. Und überhaupt dreht er seit zehn Jahren keine Filme mehr. Das funktioniert nicht. Aber ansonsten ist mir jeder willkommen, der Zugang zur entsprechenden Ausrüstung und zu einer Vision hat. Ich bin mir sicher, daß es solche Leute dort draußen gibt. Ich habe sie nur noch nicht getroffen.

Was hast Du für die Zukunft denn noch auf dem Zettel?

Im Augenblick konzentriere ich mich darauf, ein weiteres STEREOID MAXIMUS-Album fertigzustellen. Ich würde darüberhinaus gerne noch ein weiteres MANOREXIA-Album machen, weiter Touren. Mal sehen, wo das hinführt. Das erscheint mir weit genug in die Zukunft geplant, ich meine zwei Veröffentlichungen.

Dein letztes Album erschien vor fünf Jahren noch bei Sony/Columbia…

„GASH“.

Ja, und es schien mir als ob Du endlich auch den nötigen kommerziellen Respekt bekommen würdest, den Du Dir solange verdient hattest. Wieso ging das wieder zu Bruch?

Es war eine dieser Totengräber-Entscheidungen, die aus einer geschäftlichen Verwicklung mit Japan entstand. Sie kamen eine Woche vor oder nach Veröffentlichung des Albums mit der Ansage an, das folgende Album nicht mehr fördern zu wollen. Bevor die Räder sich also in Bewegung setzten, hatte ich diesen Vertrag schon wieder verloren. Das ging so schnell, daß ich nicht mal die Chance hatte, die Maschinerie dieses Modells zu nutzen. Mich hat da schon enttäuscht. Ich musste mir ein anderes Label suchen; das war wirklich ein großes Durcheinander.

Wenn Du in diesem Zusammenhang Geldverdiener wie die NINE INCH NAILS oder MARILYN MANSON betrachtest, deren musikalischer Geburtshelfer u.a. auch ganz klar Du warst, kommt da nicht manchmal ein seltsames Gefühl auf? Warum hast Du es nie vermocht, in diese Kerbe zu schlagen? Bist Du nicht smart genug oder passt Du nicht in die entsprechenden MTV-Muster?

Vielleicht habe ich nicht so gute Strategien wie die. Ich denke aber auch nicht, jemals derart ausgerichtete Ziele gehabt zu haben. Vielleicht ist mein Scheiß auch einfach durchsetzter von Dada und mehr Obskurität und mehr Perversität und nicht so sehr bestimmt von Marketing-Strategien. Wenn ich auf meine Karriere zurückschaue, kann ich sehen, daß ich mir hier, hier, hier und hier immer wieder selbst in den Fuß geschossen habe. Als Resultat von Idealismus, Naivität und anderen Dingen ist meine Musik so geworden, wie es nun mal passiert ist. Wenn ich so nicht gewesen wäre, … also, so läuft das eben. Über so`n Zeug kann ich nicht verbittert fühlen.

Danke.

Interview: Tom Dreyer

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