Mai 7th, 2020

FINDUS (#172, 2015)

Posted in interview by Thorsten

Ein Kreis schließt sich

Delikatess Tonträger aus Hamburg hatte sich ursprünglich gegründet um das erste Album der Band Findus zu veröffentlichen. Freunde helfen Freunden, das war vor über fünf Jahren der Deal, aus dem so viel mehr wurde. Neben den Alben von Findus gab es erfolgreiche Veröffentlichungen von u.a. Frau Potz und Herrenmagazin. Ende Dezember verschickte das Label die traurige Nachricht. Delikatess Tonträger macht dicht, bzw. stellt das veröffentlichen von neuen Platten ein. Nicht, weil die drei Gründer Fred, Lisa und Kathrin sich nicht mehr verstehen würden, auch nicht weil die finanzielle Lage sie dazu zwingen würde. Die drei Labelbetreiber wollen aufhören, wenn es am schönsten ist, teilten sie mit.
Ganz auf leise Sohlen sollte das Label aber nicht verschwinden. Kreise müssen geschlossen werden. Deswegen brachte Delikatess Tonträger im Januar als letzte Veröffentlichung eine E.P. von Findus heraus. Von der Band, weswegen man ursprünglich überhaupt angefangen hatte. Viel Gesprächsstoff also, um sich mit Fred (Delikatess Tonträger) und Lüam (Findus) zusammenzusetzen und noch mal in Erinnerung zu schwelgen, die neue Findus E.P. zu diskutieren und auch einen Blick in die Zukunft zu wagen.

Fred und Lüam sind beide gut gelaunt, als ich sie treffe. Es ist der erste Tourtag zur neuen E.P. „Quatscherei“ und sowohl Fred als auch Lüam sind in Plauderlaune, kommen immer wieder von der eigentlich gestellten Frage ab, springen in ihren Gedanken, sagen aber durchweg interessante Sachen. Als Lüam erfährt, dass das Interview für das TRUST geplant ist, ist er hoch erfreut. „Gutes Magazin, lese ich gerne“, sagt er. Das ist keine Koketterie, hat er gar nicht nötig, das kommt im Interview klar durch. Lüam spricht ruhig und ehrlich. Die Antworten sind nicht einstudiert, sondern wohl überlegt und entspringen den Gedanken des Moments. Unbemerkt wird daraus fast so was wie eine Abrechnung mit dem „Business“ und ein Plädoyer für die DIY Kultur. Wir setzen uns und fangen an:

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Findus und Delikatess Tonträger gehören zusammen. Wie hat das mit Euch angefangen?

Fred: Bevor es das Label überhaupt gab, haben Findus ein Musikkollektiv gegründet. Das hieß Delikatess Musikkollektiv und war ein loser Zusammenschluss von Bands aus der Region, aus der wir alle kommen. Wir hatten damals noch keine richtigen Strukturen, wollten aber schon immer viel selber machen. Nachdem Findus ihr erstes Album fertig hatten, sollte es veröffentlicht werden. Da wir schon immer der Auffassung waren, dass selber machen gut ist, haben wir aus diesem Musikkollektiv 2009 Delikatess Tonträger gegründet, mit dem Bewusstsein, dass es die professionellere Variante ist, um Platten zu veröffentlichen. Wir haben uns also gegründet, um das erste Findus Album raus zu bringen.

Was war das genau für ein Kollektiv?

Lüam: Das war noch zu unserer Schulzeit in Schleswig Holstein und bestand im Prinzip aus den Leuten, die jetzt bei Findus Musik machen und Fred. Christian, unser Gitarrist hat damals angefangen befreundete Bands wie Robinson Krause aufzunehmen. Mit Fred zusammen haben wir gemeinsam Konzerte veranstaltet. Wir waren eine Gruppe, die alles rund ums Musikmachen zusammen gemacht hat, und sich dafür einen Namen gegeben hat, damit das Ganze eine Ernsthaftigkeit hat. Damals war es aber auch noch nicht aufgeteilt, nach dem Motto, wir sind die Band und das ist das Label. Sondern wir waren Freunde, es war nichts los, also haben wir dagegen etwas getan und dem ganzen einfach einen Namen gegeben. Daraus ist dann das Label entstanden. Fred fing gleichzeitig an in einem Hamburger Club zu arbeiten und kannte sich mit der geschäftlichen Seite von Anfang an viel besser aus. Außerdem hat mir dieser Aspekt bei der Musik auch nie besonders viel Spaß gemacht.

Wolltest Du nie selber Musiker sein oder Musik machen?

Fred: Ich war immer der, der in keiner Band war. Das stimmt schon. Aus meiner Kindheit habe ich nie Musik mitbekommen, bei mir im Elternhaus wurde keine oder kaum Musik gehört. Ich bin da später erst reingeraten und konnte auch kein Instrument spielen. Ich war dann immer eher der, der aufgelegt hat und Sachen veranstaltet hat. Ich konnte dafür gut mit dem Computer umgehen. In der Stadt aus der wir kommen gab es zu der Zeit drei DSL-Internetanschlüsse und einer war bei mir Zuhause.

Nun hört Ihr mit Delikatess Tonträger auf. Neil Young hat mal getextet: „It’s better to burn out, than to fade away“. Bei Euch trifft ja weder das eine noch das andere zu. Ihr hört ganz bewusst auf. Fast schon mit einem Statement. Aber warum eigentlich?

Fred: Wir haben das Label fünfeinhalb Jahre gemacht und waren auch, wie ich finde, ziemlich erfolgreich. Wir haben viel erreicht, wir haben gute Bands veröffentlicht, haben sogar eine Menge Platten verkauft, sind in die Charts eingestiegen, daran hatte niemand gedacht, als wir angefangen haben. Wir haben das allerdings immer nebenberuflich gemacht und sind jetzt an einen Punkt angekommen, wo wir gemerkt haben, entweder müssen wir das jetzt richtig aufziehen, also jemand von uns muss Vollzeit für das Label arbeiten, oder es geht nicht mehr. Wir haben das Risiko gesehen, dass wenn jemand jetzt nicht komplett nur noch die Labelarbeit macht, kann es für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend sein. Das konnte von uns aber keiner darstellen. Außerdem wollten wir uns auch nicht diesen Druck aussetzen unbedingt wieder in die Charts einzusteigen und noch mal so viele Platten verkaufen zu müssen, damit wir es uns leisten können eine Person zu beschäftigen. Das hätte in der letzten Konsequenz auch bedeutet, dass wir Deals mit den Bands hätten machen müssen, die für uns besser, und somit für die Bands schlechter sind. Wir machen das Label zu dritt und jeder von uns hat noch andere Sachen am Laufen, die auch unsere Aufmerksamkeit erfordern. Darum wollten wir nicht das Label nebenbei laufen lassen und dann jemanden enttäuschen. Auch die Künstler müssen sich auf uns verlassen können. Das wäre einfach nicht mehr gegeben gewesen. Deswegen haben wir lieber gesagt, bevor es an einem Punkt kommt, wo es sich zerrüttet, lieber in einem Moment aufhören, an dem alles geil ist und niemand damit rechnet. Bis hierher war es richtig cool. Wir können uns zu 100% damit identifizieren und dabei belassen wir es jetzt.
Lüam: Ich habe auch großen Respekt vor dieser Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Es lief gut, es ist auch cool ein Label zu haben, man kommt rum und lernt eine Menge Leute kennen. Aber sich selber zu fragen: Warum haben wir angefangen das zu machen? Und die Antwort ist: Aus einem freundschaftlichen Kontext. Denn niemand hat sich hingesetzt und gesagt wir machen jetzt eine Firma, mit der Geld verdient werden soll. In erster Linie sollten immer gute Platten und gute Veranstaltungen angeboten werden. Mittlerweile sind die Bands auf dem Label so groß geworden, dass das Gegenüber, also das Label, selber mitwachsen müsste, um dem ganzen gerecht zu werden. Fred hat mal eine schöne Geschichte erzählt, da bestellt jemand im Delikatess Shop und wundert sich, dass er nicht Amazon-mäßig innerhalb von 24 Stunden seine Bestellung erhält. Die Anforderungen von allen Seiten sind im Laufe der Jahre einfach immense gestiegen. Dann lieber aufhören, bevor wir Sachen machen müssen, die wir so nicht wollen. Dabei sind die Deals für so ein kleines Label, wie Delikatess Tonträger es ist, unglaublich gut. Die zahlen mehr, als so manch großes Major Label. Das fängt bei dicken Booklets an und hört bei speziellen limitierten Veröffentlichungen auf. Das würden andere nie machen, weil bei denen der Gedanke hinter steht, etwas verdienen zu müssen.
Fred: Genau, das Label muss oder soll sich selber tragen. Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, wie Platten sich anfühlen und aussehen. Es kam überhaupt nie infrage daran zu sparen. Nur damit einer dann davon leben kann. Ein Booklet kostet vielleicht 1 Euro und das ist viel Geld, welches hängen bleiben könnte. Aber ein dickes Booklet zu haben ist einfach viel wichtiger. So etwas wollten wir nicht ändern. Wir waren an einem Punkt, an dem eine Umstrukturierung stattfinden hätte müssen und die hätte sich in eine Richtung bewegt, die uns nicht gefiel. So wollten wir das nicht.
Lüam: Und für die Band kam es auch nicht in Frage, dass weniger passiert. Da wäre der Reiz am Label verschwunden.

Du hast gerade eine Chartplatzierung erwähnt. Um welche Band handelte es sich und hat das mit Euch irgendwas gemacht, wurden z.B. dadurch Erwartungen geweckt?

Fred: Das war das Herrenmagazin Album. Wir haben uns auf jeden Fall darüber gefreut. Das zeichnete sich aber auch schon etwas im Vorfeld ab und das Management der Band wollte damals auch den gesamten Vorverkauf auf Amazon lenken. Da mussten wir sagen, ihr habt Euch für uns als Label entschieden und wir wollen die Platten selber verkaufen, weil wir dann einfach mehr verdienen.
Lüam: Und vor allem verdient es nicht Amazon.
Fred: Genau. Drei Tage nach dieser Diskussion gab es im TV diesen „Ausbeuter Bericht“, und wir dachten: Zum Glück haben wir uns da durchgesetzt. Wir haben es dann ziemlich abgefeiert, mit unseren Mitteln so einen Erfolg zu haben. Das Absurde ist, wir sind auf Platz 92 eingestiegen, wenn wir mit den gleichen Verkaufszahlen die Platte zwei Wochen vorher veröffentlicht hätten, wären wir auf Platz 56 gewesen. Es werden so wenige Platten verkauft, dass in den unteren Regionen ein paar Hundert Einheiten mehr, gleich ein großer Sprung nach oben bedeuten könnte. Wir haben uns sehr darüber amüsiert. Wir haben aber nicht gedacht, die nächste Platte muss jetzt auch wieder Top 100 gehen. So ein richtiger Knaller ist das ja auch nicht. Da musst du schon Top 10 sein. Sonst ist es egal, ob du auf Platz 30 oder 90 bist.

Nun habt Ihr mit Quatscherei von Findus die letzte Platte rausgebracht. Kommt da Wehmut auf?

Fred: Bis jetzt immer noch nicht so richtig. Zwischen der Entscheidung und der Veröffentlichung hatten wir die ganze Zeit zu tun. Das hat so viel Spaß gemacht und die Platte ist so toll geworden, dass wir uns eher darüber freuen. Nun sind wir noch auf Tour. Ich glaube ein Gefühl der Wehmut kommt erst später, wenn nichts Neues nachkommt und wir an keinem neuen Projekt arbeiten können. Die Entscheidung zu treffen – aufzuhören – hat mich traurig gemacht. Wir hängen das Ding an den Nagel und machen nur noch eine Platte. Der Gedanke machte traurig. Aber die Platte in Auftrag zu geben und das Cover zu gestalten, die Band hat ja jedes Booklet selber gefaltet, und endlich das Produkt in den Händen zu halten und zu denken: Alter ist das geil. Das war alles andere als traurig.
Lüam: Ich kann mir auch vorstellen, dass so ein Gefühl erst später kommt. Für uns als Band hat sich ja noch nichts geändert. Wir spielen jetzt eine Tour, im Sommer dann Festivals. Aber wenn es darum geht eine neue Platte zu machen, müssen wir mit anderen Labels sprechen. Dann werden wir das schon merken. Es wird anders sein.

Wie geht es denn jetzt mit Euch (Findus) weiter und was machen die anderen Bands nun eigentlich?

Fred: Mit Herrenmagazin hatten wir einen Vertrag über zwei Platten. Die Band hat ihr Album schon aufgenommen. Wir haben deswegen sogar schon die ersten Gespräche geführt. Aber wir hatten noch keine konkreten Absprachen, eigentlich sollte die Band eine Platte aufnehmen und dann wollten wir sehen, was man damit machen kann. Jetzt müssen die Jungs sich mit der Platte wo anders vorstellen. Bevor sie zu uns gekommen sind, war es ähnlich. Sie haben sich nach einem Label umgesehen und sich dann für uns entschieden. Und jetzt sagen sie, es ist in etwa so wie vor uns, nur ohne uns. Ich glaube sie haben jetzt ihr bestes Album aufgenommen und das es mega gut laufen wird. Die werden auf jeden Fall jemanden finden. Uns ist aber auch bewusst, dass es gegenüber den Künstlern scheiße ist, wir setzten praktisch alle auf die Straße. Auf der anderen Seite, können wir auch nicht einfach so weiter machen, wenn wir wissen, es wird so nicht mehr lange funktionieren.
Lüam: Bei uns hat sich, wie gesagt, nicht so viel geändert, wir sind noch mittendrin. Im Anschluss von dieser Tour und den Festivals möchten wir eine neue Platte aufnehmen. Mit dem fertigen Album wollen wir dann gucken was wir damit anfangen. Welches Label wird zur Platte passen, welche Angebote haben wir, welche Leute kennen wir eh, welche Leute lernen wir noch kennen? Es gibt aber noch keinen konkreten Plan. Wir finden, es muss auch mit den Leuten passen, die die Platte dann rausbringen. Es muss menschlich funktionieren. Sonst machen wir es eben selbst.

Kommen wir zum zweiten Teil des Interviews: Die E.P. ist frisch draußen, dabei ist Euer Album gerademal zehn Monate alt. Handelt es sich bei den Songs von Quatscherei um neue Songs oder sind das Überbleibsel von den Albumaufnahmen? Und wenn nicht, seid Ihr solche Workaholics und müsst immer etwas zu tun haben?

Lüam: Das sind keine Überbleibsel. Es war von vornerein so geplant. Die vier Lieder von der E.P. sind geschrieben worden, als das Album fertig war. Es waren Skizzen für die Lieder vorhanden. Wir haben dann aber gesagt, wir machen das Album zunächst fertig, und dann die E.P..
Wir sind schon Workaholics. Wir machen das natürlich auch gerne. Wir stecken gerne Zeit in die Musik. Die zählen wir nicht unbedingt, nach dem Motto, heute haben wir noch keine sechs Stunden gearbeitet, aber wir merken eben, wenn wir die letzten vier, fünf Tage jeden Tag geprobt haben. Bei uns geht es nicht um das reine Ergebnis, uns geht es ums Machen. Und was wir machen, machen wir einfach gerne, alles andere ist nur ein Produkt dieser Arbeit. Es ist nicht das wir ein Produkt brauchen und darum müssen wir arbeiten. Sonst könnte ich als Tischler arbeiten, was ich auch gerne mache, aber dann arbeite ich eben um Geld zu verdienen. Wenn wir Musik machen, geht es um die Ideen die wir haben. Erst danach schauen wir, wie wir das realisieren können. Bei der E.P. haben wir wirklich alles selber gemacht. Das Booklet, das Cover, das Video, das haben wir zwar nicht selbst umgesetzt, weil niemand von uns Kameramann ist. Das haben dann Freunde von uns gemacht. Die Idee die gesamte E.P. mit einem Film zu bebildern, kam aber von mir. Zwischen Weihnachten und Silvester haben wir diesen Kurzfilm noch gedreht. (Anmerkung des Verfasser: Zu allen vier Songs auf der E.P. hat die Band vier zusammenhängende Musikvideos gedreht, die so einen 18-minütigen Film ergeben). Das machen wir nicht, weil wir denken, wir brauchen unbedingt noch einen Film, sondern weil wir die Idee nett fanden. Die E.P. gibt es nur auf Vinyl und jetzt auch digital. Das war die ursprüngliche Idee, zu sagen wir haben mit Vinyl ein analoges Produkt und nun stellen wir dem auch noch eine digitale Version, in einem eigenen Format zu. Für jede Form also die ansprechendsten Medien. Für das Digitale den Film und für das Analoge eine 180 Gramm weißes Vinyl. Dann wollten wir noch ein bestimmtes Booklet haben, das es so standardmäßig in der Druckerei nicht gibt. Darum sind wir für zwei Tage selber in die Druckerei gegangen und haben die Druckdaten angelegt, uns da hingestellt und die Booklets zusammengeheftet. Fertig!

Euch wird nicht langweilig.

Lüam: Nein, tatsächlich nicht. Manchmal komme ich aber auch an einen Punkt, und ich tue es dann ja eh wieder, an dem ich mich frage, warum mache ich das eigentlich immer wieder? Es ist also nicht so, dass man nicht auch mal zweifelt. Gerade auch weil wir nicht in einer Band sind, bei der es besonders honoriert wird, indem einem die Sache hinterher aus den Händen gerissen wird.

Kann ich gut nachvollziehen.

Lüam: Die Frage ist dann immer wieder: Warum gebe ich mir eigentlich diese Mühe? Warum habe ich jede Bookletseite in der Hand gehabt? Warum scheiße ich da nicht einfach drauf, dass es festeres Papier ist? Diese Fragen sind natürlich auch da. Es ist nicht so, dass man das einfach macht. Genauso mit dem Film. Warum haben wir den überhaupt gedreht? Es gibt so viele, wie ich finde, beschissene Videos, von so vielen beschissenen Bands, die aber bei You Tube geklickt werden und die Bands dadurch richtig groß werden, wenn diese Videos etwas total skandalöses oder Witziges haben oder von mir aus auch sexy sind. Alles wird konzeptionell überlegt und geplant, auch schon bei Bands unserer Größe. Wir mussten uns dieser Diskussion auch schon stellen, dass wir doch was richtig Krasses machen müssen, etwas das schockiert. So was finden wir Panne, denn das wollen wir ja gar nicht. Wir wollen einfach nur gute Musik machen, wir wollen einen Film drehen, mit der Handlung wie sie jetzt ist und wir wollen ein Booklet machen. Die Frage ist immer wieder präsent: Geil, dass wir es gemacht haben, cool für uns. Im Endeffekt, wenn es niemanden interessieren würde, zum Glück interessiert es ja Leute, aber wenn es niemanden interessiert, würden wir es dann auch noch machen? Sind wir da wirklich so von überzeugt oder versprechen wir uns nicht doch etwas davon? Diese Frage stellt man sich natürlich in jedem Bereich.

Als erstes möchte man ja ein positives Feedback haben. Jemand der sagte; das gefällt mir oder bei dem Song habe ich meine Freundin zum ersten Mal geküsst. So etwas in der Art. Einfach die Selbstbestätigung zu bekommen, etwas bewirkt zu haben.

Lüam: Genau. Diese Bestätigung bekommen wir zum Glück auch viel. Wir bekommen E-Mails oder nach der Show kommen Leute zu uns und wollen ein Foto haben, weil ihre Freundin 18 Jahre alt wird und ein riesiger Fan ist oder die sich auf einem Konzert kennengelernt haben. Als wir auf dem Highfield Festival gespielt haben, hat uns einer erzählt, dass er „Hafencity“ immer seinem Sohn zum Einschlafen vorgesungen hat und dass der immer noch auf dieses Lied reagiert. Das berührt einen dann einfach. Das ist so „wow“. Das ist genau was du meinst und darum machen wir das auch alles. Deswegen haben wir diese Energie noch. Was man aber auch nicht verleugnen sollte ist, dass es heute schon bei den kleinsten Labels und den kleinsten Booking Agenturen, nicht mehr um die Musik geht. Eigentlich interessiert es die Leute nicht wirklich was wir sagen wollen, solange es sich verkaufen lässt. Das ist wahrscheinlich heutzutage so. Richtig dagegen ansteuern können wir auch nicht. Davon wollen wir uns aber so gut es geht entziehen. Wir sind auch nicht dagegen, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wenn wir ehrlich zu uns sind, wissen wir auch, dass sich jemand ein 18-minütiges Video wahrscheinlich nicht zu Ende anschaut.

Kommt es mir nur so vor oder stehen die Songs auf der E.P. in einem Zusammenhang? „Hafenklang“ ist so etwas wie der Beginn einer Liebe, „Quatscherei“ das von jemanden genervt sein, dann kommt „Handflächen“, was eine gewissen Unentschlossenheit behandelt, ob die Beziehung weitergeführt werden soll oder nicht, und am Ende mit „Gold“ steht so was wie ein Neuanfang. Zusätzlich habe ich das Gefühl, dass die Musik diese Thematiken auch unterstützt, so ist bespielweise „Quatscherei“ der lauteste Song und „Gold“ der Hellste. Bilde ich mir das alles ein?

Lüam: Ich weiß, was Du meinst. Es war nicht so geplant, das kann ich schon mal sagen. Vielleicht haben wir das unterbewusst so gemacht. Die Reihenfolge haben wir als Band aufgestellt. Da sind wir schon in diese Richtung gegangen, aber nicht thematisch, sondern stimmungsmäßig. So kam auch die Idee zu dem Film, denn es ist wirklich ein bisschen so wie eine kleine Geschichte. Ich kann es total verstehen, was du sagst, aber so richtig bewusst geworden ist mir das erst später. Für mich ist das eh gerade crazy, denn ich wurde am Tag des Releases von meiner Freundin verlassen. Einige diese Lieder, habe ich an einem Punkt geschrieben, der sich jetzt bewahrheitet hat. Für mich kommen ganz viele Dinge zusammen, die diese E.P. so aufladen. Deswegen kann ich Dir die Frage gar nicht richtig beantworten. Ich kann nur sagen, wir haben es nicht als Geschichte zusammengesetzt. Aber die Auswahl ist als Spannungsbogen trotzdem bewusst getroffen.

Musikalischer Spannungsbogen oder auch textlich?

Lüam: Auch textlich. Das gehört schon zusammen. Der Text zu „Quatscherei“ ist ja absichtlich auf den etwas rotzigeren Song gelegt und hätte auf das Instrumental von „Hafenklang“ wahrscheinlich nicht so gepasst. Es passiert was, dann folgt das, dann folgt was anders und am Ende ist noch mal etwas Positives. Du bildest Dir also nichts ein und ich finde das total gut, dass dir so was auffällt.

Ihr habt letztens in der Roten Flora gespielt. Das ist ja auch ein politisches Statement gewesen. Ist es Euch, speziell in Verbindung mit Hamburg, wichtig politisch zu äußern? Textlich seid Ihr vordergründig erstmal nicht stark politisch ausgerichtet.

Lüam: Ist richtig. Wir sind politisch unterwegs, der eine mehr, der andere weniger, aber nicht als Band, weil ich finde, dass eine Band nicht unbedingt Politik ist. Wir sind fünf weiße Jungs, aus relativ gut behüteten Elternhäusern, die deutschsprachige Rockmusik machen. Das ist erst mal nichts Politisches oder Revolutionäres. Das ist fast schon Luxus, überhaupt die Möglichkeit zu haben so was zu machen. Deswegen würden wir uns blöd vorkommen konkret politisch zu werden. Wir versuchen politische Themen eher auf eine persönliche Ebene zu behandeln. „Feuer in Paris“ ist ein Song mit einem politischen Hintergrund. Da geht es um die Aufstände in den Pariser Vororten. Speziell um die Wut, die ich mir selber manchmal auch wünschen würde, gegen Missstände aufzustehen. Aber auch eher auf einer erzählerischen Weise.

Also nicht als Parole.

Lüam: Genau. Ich glaube das kann ich auch gar nicht. Ich finde es nicht einfach, gute politische Lieder und Parolen zu schreiben. Ton Steine Scherben haben das natürlich wahnsinnig gut hinbekommen.

War aber auch eine andere Zeit.

Lüam: Richtig, waren auch die ersten die deutschsprachige Rockmusik gemacht haben. Das hat aber ganz viel losgetreten, z.B. wurden nach den ersten Konzerten in Berlin Häuser besetzt. Die haben das auch gelebt. Die Leute haben dadurch so eine Energie bekommen und nach dem Konzert was gemacht.

Bei Slime war es dann 10 Jahre später auch so.

Lüam: Slime sind auch ein super Beispiel. Aber man misst einen dann auch daran. Ich halte mich für politisch und von meinen Gedanken und Sozialisation links gerichtet. Ich habe aber eine Aversion, wenn Leute für Leute reden. Ich finde es dann interessanter persönliche Geschichten zu erzählen, die anhand dieser Geschichten bei den Leuten Fragen aufwerfen. Hiermit beschäftige ich mich, womit beschäftigst Du Dich? Und nicht: Du musst Dich damit beschäftigen. Wenn andere das machen, finde ich das gut. Feine Sahne Fischfilet können das. Aber die leben das auch. Und dann gibt es andere Bands, bei denen ich das Panne finde. Ich habe immer Angst, dass es schnell beliebig wird. Außerdem habe ich einfach Schwierigkeiten damit, wenn ich für andere Leute reden müsste. Das will ich nicht. Ich will das die Leute nachdenken und das wir in der Flora spielen ist so was, worüber jemand nachdenken kann. Es ist ein politischer Akt, wenn wir einen Monat vorher das Knust in Hamburg ausverkaufen und dann die Rote Flora bei einem Soli Konzert auch voll ist. Damit haben wir nicht einen Cent verdient, das Geld geht konkret in den Ausbau des neuen Cafés, das gerade gebaut wird. Die Rote Flora ist ein unfassbarerer wichtiger Ort. So können wir als Band politisch sein. Und nicht wenn wir auf dem Hurricane Festival auf der Bühne stehen und was erzählen.

Man wird sonst ja auch schnell unglaubwürdig, wenn man die eigene Meinung im Laufe des Lebens vielleicht auch mal ändert. Auf der anderen Seite weckt man als Künstler auch Erwartungen, die bedient werden wollen.

Lüam: Das ist ja auch der Grund warum die Ton Steine Scherben sich am Ende aufgelöst haben, zumindest stand das so in der Autobiografie. Das Publikum wollte immer die Parolen Songs hören und Rio Reiser lieber die etwas melancholischen späteren Lieder spielen. Die Leute haben dann teilweise gar nicht mehr zugehört.

Das war letzte Woche, auf der aktuellen Tour immer noch so. Bei „Keine Macht für Niemand“ oder „Macht kaputt was Euch kaputt macht“ war die Stimmung am besten.

Lüam: Man kann als Mensch politisch sein und sollte es auch. Aber alles andere ist nur eine Kunstform. Ob jemand über Liebe singt oder über einen Naziaufmarsch oder Bullenschweine. Macht für mich alles keinen Unterschied. Es ist sicherlich ein anderer Text, für eine andere Klientel, aber das ist alleine noch nichts politisches, sondern politisch ist, was faktisch dahinter steht. Ich mochte Slime früher trotzdem, ich mag Ton Steine Scherben und auch Feine Sahne. Auch im Rap gibt es viele faszinierende Bands wie z.B. Antilopen Gang, die offen linksradikal sind oder auch Neonschwarz und die ganzen Soloprojekte. Ich finde das gut, wie die das leben. Aber es ist dann immer nur eine Facette. Aber was Du gesagt hast, es ist erst mal toll für eine Szene, das finde ich okay. Aber ich finde oft werden diese Bands nicht für das geliebt was sie sind, sondern für das wofür sie stehen. Das wollen wir auf gar keinen Fall. Bei Feine Sahne stehen im Publikum immer Leute, die rufen die ganze Zeit Parolen. Das ist so ein gegenseitiges sich selbst Beweihräuchern und auf die Schultern klopfen. Das reizt mich überhaupt nicht.

Feine Sahne zieht mittlerweile leider auch ein Publikum, dass im Konzert noch die Parolen ruft und hinterher vor der Halle eben genau die Sprache drauf hat, gegen die sie noch vorher angesungen haben. „Schwuchtel“ ist da noch eins der harmloseren Wörter, die dann fallen.

Lüam: Fürchterlich. Was mich viel mehr stört, das gerade im Rockbereich Frauen, Homosexualität und so ein Macker Ding…. [bricht den Satz ab] Damit habe ich gerade viel größere Probleme, als mit FreiWild oder so. Die sind halt scheiße. Das ist klar. Wie weit könnte ich Sachen ändern? Ich verstehe gar nicht, warum es so wenig Bands mit Frauen gibt oder keine offen homosexuelle Rock Band. Und zwar im Indie / Punk Bereich. So was würde ich viel wichtiger finden, als noch eine politische Deutschpunkband. Beim Fußball regt man sich darüber auf, dass es so was nicht gibt. Im Rockbereich aber nicht. Jennifer Rostock haben das z.B. Mal zum Thema gemacht. Ich finde die eigentlich ganz fürchterlich, war aber letztens auf einem Konzert von denen und ich fand das klasse, dass die sich ganz klar für Homosexualität ausgesprochen haben und dazu auch einen Song gespielt haben, so dass wirklich jeder im Publikum verstehen musste, worum es geht. Das fand ich spannend, weil die auch ein viel größeres Publikum erreichen, um das abzuschließen: Rote Flora haben wir ganz konkret gespielt, weil uns die Rote Flora wichtig ist.

Zum Schluss noch mal eine Frage zu den Texten allgemein. Einen bestimmten Nordbezug kann man Euch nicht absprechen. Häufig kommen Wörter wie Hafen, Wind, Meer, Piraten usw in Euren Texten vor. Werdet Ihr in Süddeutschland gleich aufgenommen wie in Norddeutschland?

Lüam: Kann ich nicht sagen. Im Norden sind die Konzerte voller. Das ist ein ganz banaler Unterschied. Es gibt kein Verständnisunterschied. Ich glaube auch dieser Nord/Süd Unterschied wird eher im Süden gemacht. In Hamburg selbst ist es kein besonderes Thema. Ich bin da vielleicht auch zu sehr drin. Ich bin direkt an der Küste aufgewachsen, bin dann nach Hamburg gezogen und der Hafen prägt das Stadtbild. Die Umgebung fließt natürlich in die Texte mit ein. Vielleicht habe ich mir das auch etwas bei anderen Bands, die ich früher gehört habe, abgeguckt. Ich finde die Frage aber interessant, woher das kommt. Aber beantworten kann ich sie nicht.

Interview und Text: Claas Reiners

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0