Februar 27th, 2011

DIY/ANARCHOPUNK IN ST. PETERSBURG (#133, 12-2008)

Posted in interview by jörg

Im August reisten wir zu zweit mit dem Rucksack ins westliche Russland. Wir hatten die diffuse Vorstellung von einem Land, in denen alternative, insbesondere linke Subkulturen einer vielfältigen, massiven Bedrohung ausgesetzt sind. Die Nachrichten bei indymedia über von Boneheads abgestochene Punks, die Schilderungen von Bands, die ihre Konzerte verdeckt organisieren müssen und die Berichte über die Verflechtung von Polizeiapparat und militanten Faschisten prägten dieses Bild. 

Wir waren dementsprechend überrascht, wie viele „alternativ“ aussehende Jugendliche man in westrussischen Grosstädten sieht. In St. Petersburg bot sich schliesslich die Gelegenheit, uns mit Szarapow zu unterhalten, der seit Jahren in der DIY Punk Szene aktiv ist. Er hat verschiedene Fanzines herausgebracht, organisiert Konzerte, arbeitet derzeit am Aufbau einer anarchistischen Internetplattform, betreibt ein kleines Label und spielt selbst in der Band Svinokop.

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Du hast mit Svinokop gestern auf einem Konzert hier in St. Petersburg gespielt, das von der Band Crowd Control organisiert wurde. Der Rahmen in dem es stattfand, war aus unserer Sicht eher ungewöhnlich: Es war ein Treffpunkt an einer Metro-Haltestelle vereinbart, von wo aus alle gemeinsam zum eigentlichen Konzertort gegangen sind, einer leerstehenden Bauruine in einem Aussenbezirk. Ist es die Regel, dass Konzerte hier verdeckt und illegal organisiert werden?

Szarapow: Nein, das wird auch hier nur manchmal so gemacht. Normalerweise finden Konzerte hier in kommerziellen Rock-Clubs statt oder es werden irgendwelche beschissenen Vorstadtkneipen für Konzerte angemietet. Aber manchmal wird eben auch so ein illegaler Rahmen gewählt, v.a. wegen der Atmosphäre.

Das Konzert gestern wurde also nicht verdeckt organisiert, weil die Situation in der Stadt für politische DIY Konzerte irgendwie bedrohlich ist?

Szarapow: Das weiss ich auch nicht so genau. Das solltest Du sie Leute fragen, die das Konzert organisiert haben, ich selbst habe ja nur dort gespielt. Aber ich denke, es macht vor allem mehr Spass, ein Konzert in dieser Weise zu organisieren: Es gibt keine Security, du kannst Feuer machen, etc. Ich vermute, ein Grund für diese Form der Organisierung war aber auch, dass die Band Crowd Control bekannt dafür ist, Teil der antifaschistischen Bewegung zu sein. Wäre das Konzert öffentlich angekündigt worden, wäre es denkbar gewesen, dass Faschisten angegriffen hätten. (…) Aber eigentlich glaube ich nicht wirklich, dass die hiesigen Nazis so selbstmörderisch sind, ein Punk-Konzert anzugreifen.

Manchmal werden Punks angegriffen wenn sie alleine oder in kleinen Gruppen auf dem Hin- oder Rückweg von einem Gig sind, aber das passiert eher im Stadtzentrum. Dort haben die Nazis dann einfach mehr Möglichkeiten, nach einem Angriff in der Masse der Leute zu verschwinden. Generell finden derartig viele Punkkonzerte hier in St. Petersburg statt (2-3 pro Woche), dass die Nazis schlechterdings jeden Gig angreifen können. Sowohl die Nazis als auch die Bullen konzentrieren sich also dann vielleicht eher auf Konzerte von politischen Bands wie Crowd Control oder Komatoz. Denn einige von deren Mitgliederen wurden eben schon im Umfeld von Aktionen festgenommen oder sind schlicht dafür bekannt, antifaschistische oder anarchistische Aktionen zu organisieren.

Ist es denn eine Besonderheit in St. Petersburg, dass hier recht viele Punk-Konzerte stattfinden und dass die Situation verhältnismässig entspannt ist? Wie schätzt du die Situation in anderen Städten, insbesondere in Moskau ein?

Szarapow: Ich weiss nicht, so viel komme ich innerhalb Russlands auch nicht herum. Ich würde sagen, in Moskau spielen die meisten Underground / DIY Punk Bands in letzter Zeit ausserhalb der Stadtgrenze. Clubs machen mittlerweile keine Punk-Konzerte mehr, weil die Gefahr gegeben ist, dass es zu Gewalt kommt: Im Frühjahr diesen Jahres wurde dort ein Antifaschist bei einem geplanten überfall erstochen, als er auf dem Weg zu einem Konzert war. ähnliches passierte vor ca. 2 Jahren schon einmal. Gleichzeitig denke ich, dass es bei Punk/ Hardcore Kids in Moskau irgendwie verbreiteter ist, auf der Strasse zu trinken oder auch die Konzertläden zu zerlegen.

In St. Petersburg scheint es mir so, als wäre die Szene da reflektierter. Klar, hier werden auch die Wände zugetaggt und Flaschen landen mal auf dem Gehweg, aber es nimmt selten solche Ausmasse an, wie man es in Moskau manchmal sehen kann. Es gibt z.B. diesen Laden in Moskau, der mit der anarchistischen Bewegung verbunden ist, den Jerry Rubin Club. Dort machen sie nun gar keine Hardcore Konzerte mehr, weil BesucherInnen regelmässig die Inneneinrichtung zerlegt oder den NachbarInnen die Vorgärten zugepisst haben. (…)

In jenen kleineren Städten hier in Russland, in denen es eine aktive Underground/ DIY Punk- Szene gibt, werden die Konzerte normalerweise eher klandestin / heimlich organisiert. Dort wird dann irgendein Loch angemietet und es wird nur über Mund-zu-Mund Propaganda innerhalb des Freundeskreises bekannt gemacht. Vor ein paar Jahren haben Nazis ein Punk-Konzert in der Kleinstadt Volzhskiy angegriffen, in der Nähe von Volgograd. Als sich die BesucherInnen des Konzerts verteidigten, wurde ein Nazi so schwer verletzt, dass er später im Krankenhaus starb. Eine sehr ähnliche Geschichte passierte im Jahr 2000 in Moskau, als Faschisten ein Konzert der Skapunk-Bands Spitfire und Distemper angegriffen haben. Dort starb ein 18-jähriger Nazi an Messerstichen.

An diesen Fällen sieht man sehr gut den zentralen Unterschied in der Gewaltanwendung: In den Fällen, wo Nazis durch AntifaschistInnen zu Tode kamen, handelte es sich um Selbstverteidigung, um das Zurückschlagen eines Angriffs, der von Naziseite ausging. Wenn Punks oder AntifaschistInnen getötet werden, sieht es hingegen normalerweise so aus, dass 12 organisierte Nazis mit Messern bewaffnet eine Kleingruppe angreifen, die durch die Stadt spaziert. Das erklärt die hohe Zahl an toten AntifaschistInnen, der nur eine kleine Zahl toter Nazis gegenüber steht.

In St. Petersburg ist die Situation also deshalb entspannter, weil das Zahlenverhältnis zwischen Antifas / Punks auf der einen und Neonazis auf der anderen Seite es den Nazis nicht erlaubt, Konzerte regelmässig anzugreifen?

Szarapow: In St. Petersburg ist es wohl eher so, dass die Nazis in den Strassen „patroullieren“ und Leute angreifen, die sie als Antifas identifizieren oder die vermeintlich aus Asien, Afrika oder dem Nordkaukasus stammen. über die tatsächliche Grösse der Naziszene hier kann ich nicht wirklich etwas sagen, ich verfolge die Entwicklungen da nicht im Detail.

Bei dem Konzertreffpunkt an der Metro gestern kam es ja z.B. zu einem Zwischenfall, als ein Passant anfing, die Punks zu beschimpfen. Irgendwann im Laufe der Auseinandersetzung bekam er dann eine Ladung CS-Gas ins Gesicht. Wie sieht es denn generell mit Vorurteilen oder Aggressionen vonseiten der „Normal“bevölkerung aus?

Szarapow: Naja, seit bestimmt 10 Jahren wurde ich nun nicht mehr wegen meiner Ohrringe als Schwuchtel o.ä. beschimpft. Es ist mittlerweile eben auch zumindest in den russischen Grosstädten verbreitet, dass Jugendliche Ohrringe, Piercings oder Tattoos tragen. Dennoch glaube ich kaum, dass z.B. offene Homosexualität von der Mehrheitsgesellschaft hier toleriert würde. Auch Rassismus und „Fremden“feindlichkeit ist in der Gesellschaft sehr weit verbreitet.

Also sind nicht Subkulturen in erster Linie das Objekt von Vorurteilen und Ausgrenzung, sondern eher Leute aus Aserbaidschan, Mittelasien, Usbekistan oder so. Die Gewalt der Neonazis ruft hier in weiten Teilen der Gesellschaft zwar vordergründige Empörung hervor, das bedeutet aber nicht, dass eine „fremden“feindliche Grundhaltung oder auch antisemitische Tendenzen bei der Mehrheit nicht weit verbreitet sind. (…)

Existiert neben der unkommerziellen DIY Punkszene auch so etwas wie eine kommerzielle Punk-Kultur in St. Petersburg?

Szarapow: Ja, klar. Auf dem Sex Pistols Gig hier im Juni -bei dem ich übrigens selbst war und der brillant war- waren allerdings z.B. „nur“ 2300 Leute, was nicht unbedingt viel ist. Als Exploited vor 10 Jahren hier gespielt haben, war das Publikum ungefähr doppelt so gross. Vielleicht sterben also hier auch die Altpunks so langsam aus.

Es gibt aber auch hier kommerzielle Bands, die in Stadien spielen und eher Melody-Core o.ä. machen. Oder eben alte Punk-Bands aus den Anfangsjahren, die heute auch grössere Hallen füllen.

Du hast mal eine Zeit lang in Australien gelebt und warst auch mehrfach in Westeuropa. Gibt es deiner Wahrnehmung nach grosse Unterschiede zwischen den DIY HC / Punk Szenen dort und hier, z.B. im Hinblick auf Sexismus o.ä.?

Szarapow: Ja, ich denke derartige Themen werden in Australien oder auch Westeuropa wesentlich mehr thematisiert als in Russland. Hier fängt man gerade erst an zu begreifen, was diese Dinge bedeuten. Ich würde sagen, dass einer der Hauptunterschiede darin besteht, dass es in der sog. „westlichen Welt“ eine gewisse Kontinuität in der anarchistischen Ideengeschichte gibt, während der sog. „Kommunismus“ in Russland die anarchistische Bewegung in den 1920er und 30er Jahren weitgehend ausgelöscht hat. In Westeuropa, den USA oder Australien gibt es hingegen Projekte mit jahrzehntelanger Geschichte.

Als offen bekennender Anarchist wurdest du dort eben nicht in jedem Fall ins Gefängnis geworfen, sondern hattest im Gegensatz zur Situation hier in Russland z.B. die Gelegenheit, Bücher zu veröffentlichen. Erst jetzt werden viele dieser Bücher hier in Russland veröffentlicht, erst jetzt finden einige der Ideen hier Anklang und es bilden sich feste politische Zusammenhänge. ähnliches gilt für die DIY Szene: In Westeuropa gab es schon in der 1960er / 70er Jahren alternative Musikszenen wie Proggare in Schweden, die Hippies sonstwo oder auch die HausbesetzerInnen-Bewegung Westdeutschlands mit Bands wie Ton Steine Scherben. So etwas gab es hier nicht, selbst die ersten Rock-Clubs entstanden erst Anfang der 1990er Jahre.

Das heisst, wir haben hier heute viel weniger gewachsene Infrastruktur. Hier gibt es nicht in jeder grösseren Stadt ein Jugendzentrum wie bei euch in Deutschland. Es gibt auch nicht genügend Leute und Ressourcen, um Dinge wie Infoläden, Zeitschriften u.ä. auf die Beine zu stellen. Die Zeitung „Abolishing the Borders from Below“ (internationales Anarchomagazin mit Beiträgen aus ganz Osteuropa) wird ja z.B. auch von einem Kollektiv herausgebracht, welches in Berlin sitzt. Das liegt wohl auch daran, dass in keiner osteuropäischen Stadt die nötige Infrastruktur hierfür vorhanden wäre.

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Die Homepage von Szarapows Vertrieb und seiner Band findet sich unter http://svinokop.narod.ru

Interview: Daniel Z. + Peter T.

 

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