März 5th, 2020

BROKEN.HEART.COLLECTOR (#154, 2012)

Posted in interview by Thorsten

Balkan sind immer die andern

Eine Fragestunde mit Broken.Heart.Collector

Eine der Platten, die mich im letzten Jahr begeisterten, war das Debüt von Broken.Heart.Collector aus Österreich. Erschienen dazu auf Lieblings-Label Discorporate Records. Und ungefähr zur gleichen Zeit aufgetaucht wie die jeweils letzten Werke von Book Of Knots und Evangelista, zu denen (und zwischen denen) ich substanzielle Querverbindungen entdeckte: Erstens waren hier überwiegend gestandene Herrschaften zu hören, die sich mit einem Hintergrund, der von Improv bis Heavy Metal reicht, – zweitens – an eine Rockmusik machten, die mit Rock’n’Roll als Lifestyle fast nichts, mit einer neuen Gitarren-Musik auf der Höhe der Zeit sehr viel zu tun hatte. Da wollte ich mehr wissen und schickte der Band eine Runde Fragen und steile Thesen, die die Musikanten und Musikantinnen ganz in meinem Sinne gemeinsam beantworteten.

Die Mitwirkenden:

Maja Osojnik – Gesang, Bassflöte, Elektronik, Spielzeug, bekannt aus Projekten wie Rdeca Raketa, Maja Osojnik Band, FruFru, Subshrubs
Bulbul (Raumschiff aka Manfred Engelmayr – Gitarre, Gesang, Elektronik, DD Kern – Schlagzeug, Stimme, Field Recordings, Inside Piano, derhunt – Bass, Stimme, Elektronik)
Susanne Gartmayer – Bass- und Kontraaltklarinette, bekannt aus Formationen wie When Yuppies Go To Hell und dem Ersten Wiener Gemüseorchester

Was für Evangelista Los Angeles und Montreal ist, für Book Of Knots die Bay Area und New York City, ist für Broken.Heart.Collector Wien: der Ort, wo das alles zusammenkommt.

Raumschiff: Irgendwann laufen sich hier alle übern Weg, und mit manchen gehst du runter in den Proberaum. Falls eine auf der Hochschule Musik trainiert hat, und ein anderer gelernter Mechaniker ist, passt das trotzdem zusammen. Oder entsteht dadurch die Reibung, die uns gefällt. Es wächst sich so zusammen und es wächst sich auch wieder auseinander bzw. alle hier in der band wachsen andauernd mit wem zsamm.
Maja: Und das ist für mich das Schöne in Wien, diese Zusammentreffen, Verknüpfungen, Reibungen von verschiedenen Szenen. Die Zwischenbereiche sind für mich interessant. Da erlebt man spannende Sachen. Und Wien hat für mich eine gesunde Mischung zwischen der Langsamkeit und der Neugier, dem Treiben nach Neuem.

Ist denn die Konstruktion von so etwas wie Prog-Rock, wenn ich das mal so nennen darf, nach der Zertrümmerung der alten Formen eine Notwendigkeit, ein Rück- oder ein Fortschritt? Mehrere Antworten sind natürlich möglich.

S: Also neu is das ja sowieso alles nicht.
dd: Prog-Rock müsste man hier bitte genau erklären! In meiner Jugend gabs das Wort noch nicht. Es gibt halt softere und härtere Ansätze, aber bewusst ein Prog-Rock-Stück haben wir jetzt nicht drauf. Da wird die Gitarre mal etwas lauter, aber das wars auch schon wieder.
Raumschiff: In meiner Jugend gab’s den Begriff schon, er wurde für etwas verwendet, das so klang, als ob z.b. ein Song von Queen nur aus dem Gitarrensolo besteht – aber gleich lang dauert wie das ganze Lied. Also für mich war das nix. Musik in Begriffe zu zerteilen, ist ja eher der Ansatz von Leuten, die darüber plaudern, als von denen, die Musik machen. Sun Ra hat gesagt, es wäre wichtig, Platz zu lassen in der Musik, damit sich die Zuhörer selbst noch was dazu ausdenken können.
Maja: Genauso denke ich auch. Ich mag aber auch sehr, wenn Leute die Musik mit eigenen Bildern und Stimmungen und eignen Gefühlen beschreiben und nicht mit einem oder zwei ausgeborgten Begriffen. Ich lasse mich gerne in die Musik ein, ich mag sie erleben, mir eigene Gedanken darüber machen. Und da können von mir aus die Interpretationen, Bilder, gerne aufeinander stoßen und sich voneinander total unterscheiden und für weitere feuerige Gespräche bei einem Bier sorgen. Immer wieder passiert mir, dass die Leute nach unserem Gig zu mir kommen und können nicht aufhören zu reden, was sie alles gehört und erlebt haben. Das ist manchmal auch scary, aber auch schön.

Wenn das also weder Prog noch neu ist: Ist Rock nur noch mit einem geradezu enzyklopädischen Wissen möglich?

dd: Nein, Rock ist auch völlig naiv und mit viel Gaudi möglich!
rr: Ich glaub, es kann nie schaden, zumindest in etwa eine Ahnung davon zu haben, was schonmal passiert ist, um nicht in die Dumpfbacken-Plagiatslatsche zu hüpfen, sondern eine destillierte Version ins 21. Jahrhundert zu transportieren.
Maja: Retro nach retro über retro, neben retro. Ist ja auch schön, wenn man immer wieder auch ein bisschen nachdenkt und reflektiert, was schon alles passiert ist. Viele gute Musik aus dem 20. Jahrhundert, vor allem die neue Musik, hat die Gesellschaft noch längst nicht verstanden und somit auch akzeptiert. Es wäre schön, wenn sich die Leute mehr damit auseinandersetzen würden und somit eigenen Sinn für die Hörerlebnisse schärfen und bilden könnten…

Carla Kihlstedt, die in meines Erachtens durchaus verwandten Zusammenhängen musiziert, hat mal gesagt, sie könne partout keine Hierarchien zwischen Musik denken. Wobei dieser Ansatz ja dann in der Praxis doch nie ohne Gegenentwurf (Corporate Rock…) verläuft. Ist Rock eher Spaß, Dekonstruktion eher Arbeit? Ist Improvisation Voraussetzung und Vorarbeit, Heavy Metal Resultat? Wie gehen diese „Konfrontationen“ (Gruß nach Nickelsdorf)?

S: Ja doch, Improvisation ist für mich Voraussetzung, um so eine Musik spielen zu wollen. Und zwar nicht nur als Vorarbeit sondern als allem innewohnende Möglichkeit.
dd: Rock ist eher Spaß, dass für das ältere Semester auch was dabei ist 😉
raumschiff: Dekonstrukiton ist doch wohl die größte Gaudi! Aber insgesamt sind mir das jetzt entweder zuviel oder zu wenig Begriffe, in die unsere Musik zerlegt wird. Musikalische Hierarchien gibts nicht, weil es darum überhaupt nicht geht. Weißt du, was das Beste am Musik machen ist? Das Musik machen!
rr: Und Musik machen heißt für mich auch, sich nichts scheissen und vor allem keine Gedanken an etwaige Genreschubladen, in die man gesteckt werden könnte, zu verschwenden. Improvisation, Dekonstruktion und Komposition sind ja auch nur Werkzeuge, um was zu machen? Eben: Musik.
Maja: Jap, jap, jap… My thoughts also…

Es gibt ja via BulBul und Carla Bozulich eine persönliche Verbindung zu den angeführten Modellen Book Of Knots und Evangelista. Arbeitet man da an etwas Ähnlichem auch im Sinne eines persönlichen Austauschs? So: Schon die neue Dings gehört, was die da mit Komposition machen – unerhört… Nee, aber wir waren jetzt mit Bums unterwegs, die haben so einen total verrückten Obertonsänger, der Manowar-Songs covert, mit dem machen wir jetzt ein Projekt mit Weill-Songs auf Kyrillisch…

dd: Die Zusammenarbeit mit Carla Bozulich war eher ein Zufall! Und dass die Frau Osojnik mit einem änlichen Ansatz daherkommt, ist auch eher Zufall. Da wir uns aber durchaus Musik wie Evangelista auch anhören, gibt es natürlich eine Verwandtschaft. Aber bewusst wurde da nichts abgekupfert. Nachdem wir ja selber auch schon lange musizieren, gings eher drum, mal kompositorisch für uns was Neues zu probieren und von den klassischen Songstrukturen wegzukommen. Und die Improvisation ist die Komposition der Zukunft!
Raumschiff: Ich bin einer, der sehr auf Strukturen steht, aber das so hinzubiegen, dass innerhalb einer Struktur die wildesten Sachen passieren, wär mein Kompositionsziel. Also eine Art Song, in dem du eine gewisse Narrenfreiheit hast, wo du dann aber trotzdem weißt, wo’s langgeht. Bei Evangelista kommt mir manchmal vor, dass die das draufhaben.
Maja: ich finde es lustig, mit wem ich alles verglichen werde: Sonic Youth, Nico von Velvet Underground, Nina Simone, Carla Bozulich. Ich kannte Carla, tut mir leid für meine Ignoranz, nicht, bis ich alle diese Vergleiche gehört, in Rezensionen gelesen habe. Ich habe mich dann tatsächlich ins Google begeben und sie angeklickt und somit ihre Musik kennen gelernt. Ich finde die Carla großartig und mag ihre Musik sehr, kein Zufall, ha, ha, und freue mich sehr, sie am 24.11. in der Postgarage in Graz auch kennen zu lernen, wo wir uns die Bühne teilen werden.

Es ließe sich auch ein kulturidentitärer Zugang finden: Österreich als Schnittstelle zwischen Ost und West, eine slowenische Sängerin, eine westeuropäische Rockband – taugt der Gedanke was für euch?

dd: Maja ist bei uns dabei, weil sie schön singt und auch sunst ein recht ein Kapazunder (hochdeutsch: Kapazität, besonders fähiger Mensch) ist. Die Herkunft ist für mich Nebensache.
Raumschiff: So gesehn, taugt der Gedanke leider nix, nein.
Maja: Musikalisch finde es ich heutzutage auch nicht mehr so sinnvoll, darüber zu reden. Durchs Internet, Myspace, Soundcloud, Bandcamp etc. kann man ja die Musik von verschiedenen Ländern im eigenen Wohnzimmer kennen lernen und ist somit auch beeinflusst von einer “Welt”-Musikszene. Vor allem in der Musik, die wir machen. Vielleicht könnte man davon noch eher in Volks- oder Ethnomusik sprechen, aber nicht in dem, was wir tun. Ich meine, letztendlich sind wir ja die Generation, die die ersten großen Musikvideo-Sender wie MTV und Viva erlebt hat. Klar komme ich von woanders, und in meiner kleinen Stadt, vor allem in meiner Familie, Jugend ist alles bissi langsamer verlaufen und mehr regional. Das hat aber für mich einen Reiz, wenn ich zurückdenke. Ich war nie überfuttert mit dem ganzen Krimmkramm und habe somit viel Zeit gehabt, “Neues” für mich zu entdecken. Ich nehme an, das hat aber jede kleine Stadt an sich, egal von wo man kommt. Balkan ist natürlich durchs musikalische Balkan Fever ein Thema in den letzten Jahren geworden. Wird aber oft falsch verstanden, da die meisten damit nur Bläserkapellen, Guca-Festival und Unca-Unca-Beat verbinden. Auf einer seite ist Balkan “a magic word” für das Fremde, Eksotische, und auf der anderen Seite für Wildes, Ungezügeltes, Unkultiviertes. Man erlebt es gerne, man redet darüber gerne, man will nur nicht damit identifiziert werden. Viele Vorurteile sind also mit dem Begriff verbunden. Balkan befindet sich immer ein bisschen südostlicher von dort, wo man lebt und ist, bzw. ich zitiere den Slavoj Zizek: “Der Balkan ist also immer der Andere, er liegt irgendwo anders, immer ein wenig weiter im Südosten.” Mir persönlich ist das alles egal. Dann bin ich halt eksotisch, wild, ungezügelt, ist ja sexy oder nicht? Ha ha! Ich kann mich erinnern, dass ich mich sehr gefreut habe, als ich Kind war und meine Familie in Kranj von einer Seite auf die andere Seite der Stadt umgezogen hat, da hat mein Papa lachend gesagt: Kinder, packt eure Koffer, wir ziehen aufs Balkan. Das hat mir damals sehr gefallen.

Wie läuft das mit dem österreichischen Musikfonds eigentlich, der die Produktion eures Albums unterstützt hat? Was fördert der noch? Seid ihr damit so etwas wie Staatskunst?

S: Ich seh das eher so wie ein Roulette. Abgesehen von all dem damit verbundenen Zettelkram!
Maja: Staatskunst, Stadtkunst, Dorfkunst, Almkunst, Weltallkunst, Klokunst, Schlafzimmerkunst…
raumschiff: Der Musikfonds untertstützt Albumproduktionen, die in Österreich produziert werden, ist also irgendwie hauptsächlich eine Unterstützung von Tonstudios, welche von Musikern abgewickelt wird. Die Ingenieure freuen sich einen Haxen aus, und wir sind auch froh, weil sonst kann sich sowas keiner leisten. Wenn du einmal eine Förderung bekommst, heißt das noch lange nicht, dass du wieder eine bekommst – also kannst das mit der Staatskunst vergessen. Ist mehr wie Betteln. Die für mich relevantere österreichische Förderstelle ist der SKE-Fonds, der sich aus der Leerkasettenvergütung speist und der der ganzen Musikmacherei hierzulanden enorm weiterhilft, auch Labels, Veranstaltern …

Interview: stone

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