Januar 26th, 2020

Bremen-Core-Special mit Acme, Carol, Systral, Per Koro Records, Kusche-Rock-Studios aus # 199, 2019

Posted in interview by Jan

Bremencore-Special

Carol – eine Band wie aus der Zeit gefallen – Interviews mit Björn und Matze von Carol, Gregor von Acme, Dirk Kusche von Systral und Kusche-Rockstudios, Markus Haas von Per Koro Records und weiteren

Eine Band wird gegründet, tourt ein wenig, nimmt eine Platte auf und löst sich nach kurzer Zeit auf. Die Platte wird nie herausgebracht. Soweit, so gut. Solche Geschichten gibt es viele. Sie werden in der Regel nicht erzählt. Als ich las, dass die Bremer Band Carol nach 22 Jahren eine nie veröffentlichte Platte rausbringt und sogar vereinzelt Shows spielt, wurde ich aufmerksam. Mir war sofort klar, dass diese Geschichte erzählt werden sollte.

Der Mythos Acme – die Geschichte nimmt seinen Anfang
Das erste Mal nahm ich vor mehr als 10 Jahren Notiz von Bands aus Bremen, die weit über Deutschlands Grenzen hinaus einen Hype ausgelöst hatten und stilbildend waren. Sie hatten eine einzigartige Verbindung von Metal und Hardcore erschaffen, ein musikalisches Monster. Immer wieder fielen die Namen der Bands Acme, Systral, und Carol. Wenn US-amerikanische Bands in Deutschland tourten, dann wurde nach diesen Bands gefragt.

Vor allem Acme schien ein Begriff zu sein. Zahlreiche Mythen kursierten über diese Band. Die Bandmitglieder seien noch so jung gewesen, dass sie keine Führerscheine besaßen und sich von ihren Eltern zu den Shows fahren ließen. Kaum jemand kannte jemanden, der die Band je live gesehen hatte. Mit der Hardcoreszene hätten sie nichts am Hut gehabt. Das Acme-Demo sei damals durch Zufall in die USA gekommen, dort unautorisiert vervielfältigt und verbreitet worden. Sie veröffentlichten lediglich eine LP „…To Reduce the Choir To One Soloist“ auf dem US-Label Edison Recordings und zwar posthum. Eine Euro-Pressung hätte es nie gegeben. Wer diese Platte besaß, handelte sie wie den heiligen Gral. So wie Acme aufgetaucht waren, waren sie in der Versenkung verschwunden. Keiner wusste genaueres über den Verbleib der Musiker oder die Entstehungsgeschichte des Albums. Die Band war ein Mythos.

Die Geschichte von Bremencore und von Carol lässt sich nicht erzählen, ohne Acme. Acme war der Anfang von alldem. Der Schlagzeuger Gregor von Acme war bereit mir einige Fragen zu beantworten. Darüber, wie es zu Acme gekommen ist. So konnte ich dem Mythos dieser Band auf den Grund gehen. Und etwas darüber erfahren, wie die Geschichte von dem einzigartigen Sound aus Bremen seinen Anfang nahm.

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Interview mit Gregor Iwanoff von Acme

Hey Gregor, Du warst damals Teil der Bremer Hardcoreband Acme. Wie ist die Band entstanden und was waren Eure Vorbilder, also falls Ihr welche hattet?
Die Band ist auf dem Schulhof entstanden. In der 5. und 6. Klasse hab ich mir für Punk interessiert, aber war noch zu klein, um mir Platten kaufen zu können. In der 7. Klasse habe ich eine Kassette von einem älteren Schüler bekommen, A. Seite war Extreme Noise Terror, B. Seite war Napalm Death, das Scum-Album. Ich hab das rauf und runter gehört und wollte das auch machen. Irgendwann habe ich ein kleines Schlagzeug geschenkt bekommen und mit Freunden aus der Schule Acme gegründet.

Es war so wie es klingt. Wir waren noch ziemlich jung und alles war sehr beschaulich. Wir kommen ja auch alle aus guten Familienverhältnissen usw. Streetknowledge und all das CroMags-Gedöns, das kannten wir nur von Fotos. Meine Oma hat uns für die Aufnahmen zur ersten Single ins Studio gefahren. Es gab nie Fotos von uns, weil wir fanden, das wir nicht cool genug aussehen.

1989 war ich bei Youth of Today im Schlachthof/Magazin Keller. Die Band habe ich leider nicht gesehen, so wie fast alle Bands, deren Konzerte ich damals besucht habe. Meine Eltern haben mich gegen 12 Uhr nachts abgeholt, und das war schon echt spät für mich. Damals haben die Bands ja immer echt spät erst angefangen zu spielen. Trotzdem war ich aber Riesen-Fan. Ich mochte Hardcore auch viel lieber. Das Auflehnen gegen sämtliche Punk-Regeln fand ich super und Bier und Straßenpunk war auch nie so richtig mein Ding.

Wie auch immer, Acme hat sich durch diese Einflüsse so langsam entwickelt. Es kam eine Band raus, die sich Rorschach nannte. Sie haben unsere Musik sehr beeinflusst, weil ich sie so geliebt habe. Unser Gitarrist, mit dem ich die Songs geschrieben habe, hörte gerne Slayer. Die hatten wohl auch einen großen Einfluss auf unseren Stil. Damals war Metal für Hardcore und Punk ja im Grunde tabu. Das hörte man einfach nicht, war viel zu kommerziell. Deswegen habe ich auch nie Slayer gehört. Erst viele Jahre später, als in den Rezensionen stand, Acme klingen wie eine Mischung aus Rorschach und Slayer, habe ich mal reingehört – und fand das auch.

Ihr wart Teil einer Szene, so kann man vielleicht sagen, die einen gewissen Sound geprägt hat. Wie war das damals? Womit fing es an und wer war dabei?
Rückblickend war das wohl so, damals, als wir es gemacht haben, aber wir haben es nie so gesehen. Irgendwann wurde ja dieser gewisse Sound größer. Das lag auch daran, dass wir einige Jahre, nachdem wir uns aufgelöst hatten, eine Discographie in den USA veröffentlicht haben, auf einem Label, das gut vernetzt war. Es gab ein paar Titelstorys in den größten internationalen Hardcore und Punkmagazinen und damit wurde dann eine Menge losgetreten. Im Grunde ging es dann erst richtig los. Ich bekam kistenweise Briefe aus der ganzen Welt. Das war aber Jahre nachdem wir uns aufgelöst hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es, zumindest meinem Überblick nach, keine größere Szene dazu und erst recht keinen Bremen-Sound und wie auch immer man das später nannte. Wir hätten uns auch niemals angemaßt und solche Titel zu geben.

Wir haben mit Acme auch nahezu nicht in Bremen live gespielt. Wir hätten gerne, aber die Clubs, wie z.B. Wehrschloss, haben uns abgelehnt. Mit der Begründung, es sei nur Geschrei und Geschrammel. Dementsprechend hatten wir auch nicht das Gefühl etwas Neues zu kreieren oder etwas Tolles zu machen. Wir haben dann viel außerhalb von Deutschland gespielt, dort gab es damals mehr Interessenten. Insbesondere Norddeutschland war ja sehr dem Punk verhaftet. Im Ausland lief es nach einiger Zeit ganz gut. Dort war Hardcore größer. Refused waren unsere Vorband usw.

Acme waren eigentlich immer die gleichen vier Leute. Später, als Mörser, Systral und Carol entstanden, stand öfters in Anzeigen und auf Flyern „mit Mitgliedern von Acme“, aber das stimmte fast nie. Nur unser Bassist hat bei Systral Schlagzeug gespielt. Wir alle hatten im Grunde nur Acme. Nach unserem letzten Auftritt haben wir nie wieder Musik gemacht. Nicht alleine und nicht in anderen Bands. Bis heute nicht. Es gab nur Acme. Das alles ist viele Jahre her. Ich wurde eigentlich oft gefragt, ob wir wieder live spielen. The Dillinger Escape Plan hatten zum Beispiel eine gemeinsame US-Tour angeboten, auf der wir Headliner sein sollten. Wir haben das aber nie gemacht.

Heute freue ich mich, wenn ich Post bekomme, von ganz weit weg, Russland oder Indonesien oder so, und Leute schicken selbstgemachtes Acme-Merchandise.

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Der „Bremer Sound“ entsteht

Der Ort Bremen hatte für die Entstehung dieses prägenden Sounds sicherlich eine große Bedeutung. Aber nicht nur der Ort Bremen und damit vor allem die Bremer Musikszene der 90er, sondern vielmehr auch der Ort, an dem die Aufnahmen der Bands entstanden sind. Acme, Systral und Carol haben damals bei Dirk Kusche aufgenommen, in den Kusche-Rockstudios. Dirk hat damals nach den Aufnahmen mit Acme seine Band Systral gegründet. Die Kusche-Rockstudios waren damals überregional bekannt für seinen brachialen Sound. Das Studio gibt es heute nicht mehr, auch wenn der Sound bis heute in Bands wie Mörser weiterlebt. Ich hatte die Gelegenheit Dirk Kusche ein paar Fragen zu der Entstehung dieses für den Sound wichtigen Ortes zu stellen.

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Interview mit Dirk Kusche von Systral und den Kusche-Rockstudios

Hey Dirk, ich habe schon viel darüber gehört, dass Du früher die Kusche-Rockstudios hattest und dort unter anderem Carol aufgenommen hast. Erzähl mir doch ein bißchen über Dich und das Studio.
Ich hatte damals gar nicht geplant ein Studio zu betreiben. Das hat sich so ergeben. Ich hatte hobbymäßig ein bisschen Equipment für etwas besseres Homerecording und so ziemlich die erste Band, die bei mir aufgenommen hat, war Acme. Ohne Acme hätte es das Studio nicht in der Form gegeben und ich behaupte auch mal, dass es ohne Acme diesen Hype um Bremen in dieser Szene nicht gegeben hätte. Acme waren jung, stylish und brutal.

Mit den Bands, die Du damals aufgenommen hast, hast Du einen gewissen Stil geprägt. Manche nennen es Bremencore oder Northcore. Was war das Neue daran und wie ist dieser Sound damals entstanden? Und warum in Bremen?
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass dieser ganze brutale metal-lastige Hardcore aus Deutschland in den USA Beachtung gefunden hat, weil wir Dank unseres geschichtlichen Erbes die nötige Kredibilität dafür mitgebracht haben. Acme jedenfalls sind eingeschlagen wie eine Bombe. Irgendwie hat alles gepasst und die Aufnahmen sind wirklich gut geworden. Von da an wollten alle so klingen wie Acme oder zumindest in dem Studio aufnehmen, in dem Acme ihre 7“ aufgenommen haben.

Ich hatte also plötzlich ein gut gebuchtes Studio. In dieser Zeit sind viele Leute aus dieser Szene nach Bremen gezogen und irgendwie war Bremen plötzlich angesagt. Und der Sound …die Musiker der Bands, die in der Bremensound-Schublade landeten oder zum Bremencore gezählt worden, waren Freunde oder zumindest gut untereinander bekannt. Man hatte dieselben musikalischen Vorlieben.

Metal war sehr populär. Wir haben zwar keinen Metal gespielt, aber man hat sich ziemlich ungeniert an Metalklischees bedient. Das war nicht neu, aber in dieser speziellen Verbindung vielleicht doch besonders. Und am Ende waren es zum großen Teil dieselben Musiker, die natürlich dieselben Verstärker, dieselben Instrumente und dasselbe Studio mit denselben Mikrofonen, Räumen etc. nutzten. Kein Wunder also, dass sich ein ähnlicher Charakter eingeschlichen hat.

Du hast damals bei Systral gespielt. Erzähl mir doch ein bißchen über die Band.
Systral begann als Witz und Zeitvertreib. Die ersten Aufnahmen waren First Take-Improvisationen mit ein paar wichtig klingenden Samples. Weil wir das in meinem Studio zusammengezimmert haben, hatten wir gleich ein Ergebnis, das wir aus Spaß ans Zap geschickt haben. Es gab ein ziemlich gutes Review. Man hielt uns versehentlich für hochpolitisch und anspruchsvoll. „Kann man nicht nebenbei hören.“ Markus von Per Koro hat direkt eine 7“ aus den Aufnahmen gemacht. Erst später haben wir mit Sönke, dem Bassisten von Acme und Andy, der später bei Carol dabei war, eine richtige Band gegründet, regelmäßig geprobt und Konzerte gespielt.

Wie erinnerst Du Dich an die Aufnahmen für die Carol-Platte, die jetzt nach 22 Jahren rauskommt?
Neben Acme waren vielleicht Carol die innovativste Band aus dieser Clique. Besonders die Aufnahmen, die jetzt nach über 20 Jahren endlich veröffentlicht worden sind, waren sperrig, ungestüm und aufreibend.

Funktioniert die Carol-Platte für Dich heute auch noch?
Wenn ich heute in die Platte höre, werde ich immer noch ganz unruhig. So gesehen, ja, die Platte funktioniert auch nach über 20 Jahren noch.

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„Wir wollten damals einfach hart und fett klingen.“
Philipp Styra, Gründungsmitglied von Carol

Bevor ich die eigentlichen Protagonisten von Carol zu Wort kommen lasse, will ich nochmal dem Gründungsmythos auf den Grund gehen. Hierzu habe ich dem damaligen Gründungsmitglied Philipp Styra ein paar Fragen gestellt.

Hey Philipp, Du hast damals in der Erstbesetzung von Carol gespielt, wenn ich das richtig verstanden habe. Wie war das damals? Wie ist die Band entstanden?
In der ersten Carol-Besetzung habe ich Schlagzeug gespielt. Andy und ich sind zusammen zur Schule gegangen und mit meiner anderen Band Queerfish und Acme haben wir uns den Proberaum geteilt. Andy und ich wollten auch eine härtere Band machen, und haben dann Björn und Matze Trenne gefunden – die aus Dirk Kusches Umfeld kamen. Acme, Queerfish und Carol haben damals in Bremen-Nord im Forsteck geprobt. Generell starrten wir damals auf Bands wie Neurosis, Slayer, Citizen Arrest, Burn, Inside Out und natürlich Acme.

Wir fanden aber auch Bands wie Iconoclast, Merel, „PC/EMO“ Hardcore Bands aus dem Ebullition Records/ Heartattack-Umfeld super. Erste Auftritte haben wir zusammen mit Abyss, Acme und Age gespielt. Öfters mal in der G18. Ich bin dann aber nach der Prefrabrikated Seven Inch ausgestiegen um mich ganz Queerfish zu widmen. Es war eine coole Zeit in der Hardcore Szene – ziemlich neu und aufregend mit vielen Bands…

Viele sprechen im Zusammenhang mit Carol von Bremencore. Gab es einen eigenen Bremer Hardcore-Sound?
Vielleicht ja eher der Bremen-Nord-Sound. (Lacht.) Es gab in Bremen ja mit Acme, Carol, Systral, Abyss und dann den Wolfsburgern und Age, Love Records und dann Per Koro-Markus Haas und nicht zu vergessen dem Gags’n’Gore Zine und Adelheit Streidel Experience ja und den Viertel/Wehrschloss-Bands eine coole Underground-Szene mit vielen verschiedenen Sounds.

Und wie würdest Du den Sound von Carol beschreiben?
Wir wollten damals einfach hart und fett klingen. Damals fanden alle den Entombed/ Dismember-Gitarrensound toll. Der Sunlight Studio-Sound. Aber natürlich sollte es nicht zu deathmetallisch klingen. Mal davon abgesehen dass wir als Musiker auch nicht so gut wie die Schweden waren.

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1996 reconstructed – Die Vollendung
Interview mit Björn und Matze von Carol

Per Koro Records bringt eine Platte der Band Carol heraus, die diese vor 22 Jahren aufgenommen hat. Der Ruf nach einer Reunion folgte unmittelbar, genauso wie Showanfragen. Wieso interessiert sich nach 22 Jahren noch jemand dafür? Carol hatte es nur kurze Zeit gegeben, zwei Jahre etwa, zwischen 1995 und 1997. Doch selbst jetzt, nach 22 Jahren, ist das Interesse daran groß. Und der Sound der Platte klingt keineswegs oldschool. Die Platte funktioniert immer noch. Genauso, wie sie damals funktioniert hätte. Auf einem Konzert in Hamburg hat ein guter Freund über Carol gesagt: „Carol ist eine Band, wie aus der Zeit gefallen.“ Dieser Satz trifft es ungemein gut.

Warum diese Platte rauskommen musste und wie es sich für die Band anfühlt, die Songs nach so langer Zeit zu spielen, das und einiges mehr wollte ich von Ihnen wissen. Kurz vor der ersten Show von Carol zusammen mit Mantar im Schlachthof in Bremen nach mehr als 20 Jahren habe ich Björn und Matze besucht und mit Ihnen darüber gesprochen, was das alles Ihnen bedeutet.

Ihr bringt eine Platte raus, die ihr vor 22 Jahren aufgenommen habt. Was steckt dahinter?
Björn: Die Sehnsucht nach Vollendung. Also, naja. (Lacht.) Es war wirklich der Wunsch, das zu Ende zu bringen, weil wie peinlich ist das, wenn wir erst 73 sind und dann merken: Ach scheiße, wir haben es immer noch nicht geschafft, die rauszubringen. Und das wäre sehr schade, denn wir sind ja auch stolz drauf und deswegen musste das irgendwann sein.

Matze: Ja, anfangs haben wir die Platte nicht rausgebracht, weil wir uns aufgelöst hatten. Da war das nicht mehr wichtig. Wir haben viel später gemerkt, dass die Aufnahmen doch irgendwie ganz gut sind. Sollten wir vielleicht doch nochmal rausbringen. Von da an hat das nochmal ewig gedauert, auch weil erstmal das Master nicht aufgetaucht ist. Wir haben alles in Bewegung gesetzt um dieses Masterband wiederzubekommen, haben wir aber nicht geschafft. Wir mussten daher eine Vorabmischung nehmen. Markus Haas von Per Koro und Dave Williams von Eight Floors Above haben daraus dann die Platte gezimmert und wir finden mit einem guten Ergebnis.

Warum weckt ihr immer noch Interesse bei Leuten nach so einer langen Zeit, wie erklärt ihr Euch das?
Björn: Ich glaube, das merkt man gerade, viele von den Menschen, die das früher gehört haben, die entdecken das jetzt wieder. Die haben das ja nicht 22 Jahre lang täglich gehört und gedacht: Ohja geil! Sondern die entdecken das so jetzt wieder und das ist ja, das kennt man bei sich selber, immer ganz schön, an so eine vergangene Phase, sone Zeit irgendwie wieder erinnert zu werden. Da kommt das wieder hoch, man holt nochmal diese Platte raus, schwelgt so in Erinnerungen. Und ich glaube, das genießen gerade mal n paar Leute, dass das wieder so auflebt, sie sich wieder damit beschäftigen und merken: Oah, das war irgendwie alles geil! Ist zwar schon lange her, aber irgendwie war das schön. Ich glaube das hält es jetzt noch am Leben.

Matze: Aber irgendwie war es auch nie so richtig weg. Wenn wir mit Mörser touren, ist das Thema schon da. Man kennt irgendwie diese Bands aus Bremen. Woher das kommt? Keine Ahnung. Ich frag mich auch immer, warum das Interesse so lange gehalten hat.

Die Hardcoreszene in Bremen in den 90ern, was war da eigentlich damals so los?
Björn: Was war da los? Also äh, wir waren gar nicht richtig in der Szene. Wir hingen viel in der Grünstraße rum, wir hingen in der Friesenstraße rum, wir haben privat ganz viel zusammen gemacht, viele von uns haben zusammen gewohnt, das war ein großer Freundeskreis. Wir haben uns auch gerne mit uns beschäftigt und uns meist selber genügt. Also ich würde das eher so sagen, es war ne kleine Szene in einer anderen Szene. Und da war ne Menge los natürlich.

Wir waren jung, haben uns statt ernsthaft zu studieren eben damit beschäftigt Musik zu machen und alle die man so kannte haben in irgendeiner Form Musik gemacht und dann kam es irgendwie dass die einen gesagt haben: Oah, wir müssen mal was zusammen machen! Und dann kam z.B. die Idee mit Mörser. Wir haben einfach zusammen am Tisch gesessen, was getrunken, laut Musik gehört und irgendwann die Idee gehabt: Oah geil, wir machen was total hartes. (Lacht.) Was hatten wir noch für n Bandnamen als erstes für Mörser?

Matze: Oah, das weiß ich nicht mehr.

Björn: Ich aber: Nuke Assault! (Alle lachen.) Also kannst Du dir das so ungefähr vorstellen, wie das damals abging, in der Küche, als wir da am Tisch saßen und uns gefreut haben: Nuke Assault ist ja geil.

Matze: Eines Nachts sind wir durch die Kneipen gezogen und nach dieser Nacht waren die ganzen Texte fertig, also fast. Da kam noch ein bißchen was dazu, aber die erste Platte, die Two Hours to Doom, die ging echt schnell.

Björn: Genau, also ich glaube, das war so los…dass wir alle Bock hatten, miteinander Musik zu machen, genug Sachen, über die man sich aufregen konnte gab es damals ja schon und das haben wir dann so rausgelassen.

Und was waren Eure Einflüsse? Gab es Vorbilder oder irgendwas, was Euch dazu gebracht hat zu sagen, Ihr wollt richtig harte Musik machen, so wollt ihr klingen?
Björn: Rorschach!

Matze: Acme natürlich!

Björn: Acme, Rorschach, Assück, Bolt Thrower, das, wo man gedacht hat: Geil, das machen wir auch! Ich kann mich noch dran erinnern, dass die Rorschach-Platte mich persönlich total beeinflusst hat.

Matze: Neurosis! Die fand ich gut.

Björn: War ich nie so richtig…Ja, aber klar, Acme, Rorschach.

Matze: Acme hatten damals bei Dirk in seinem Studio in Meyenburg (Anm.: Dirk Kusche, Kusche-Rockstudios) aufgenommen und das hat er uns später gezeigt: „Hier, guckt euch mal an, was die kleinen Jungs aus Bremen Nord da machen!“ Das war ein Augenöffner.

Es waren also zahlreiche Einflüsse. Wieso ist dann ein bestimmter sogenannter Bremencore-Sound entstanden? Wie erklärt ihr Euch das?
Björn: Vielleicht weil in einer kurzen Zeitspanne so charakteristische Bands aus Bremen kamen. Acme, Systral, Carol, Mörser, und da das teilweise die gleichen Personen waren, war der Sound ein bestimmter. Wir haben alle bei Dirk aufgenommen. Dieser Sound wurde dann innerhalb einer Underground-Szene, die ich als damals gut vernetzt empfunden habe, weit gestreut und blieb nicht nur in Bremen. Und das fand irgendwie Anklang. Und wer jetzt da Bremencore draus gemacht hat, wissen wir auch nicht, aber alles braucht irgendwie so n Label und dann gab es das.

Was habt Ihr damals dann so alles erlebt mit Carol?
Björn: Auf die Frage hab ich mich ein bißchen vorbereitet (grinst). Da wollte ich unbedingt sagen, dass wir mal in Southampton im JOINERS gespielt haben, also wir alle natürlich, aber ich persönlich weiß genau, warum ich das so sag. Da stand ich auf der gleichen Bühne, wo nur kurz vorher Oasis gespielt haben als sie noch nicht so mega waren, sondern nur englische Kids, die Bock hatten auf breit sein und Musik machen. Da hingen nämlich in diesem Laden überall so kleine Bilder von Interpreten, die da aufgetreten sind und da war dann eben auch das von Oasis. Das fand ich damals irgendwie geil. Bin ja Oasis-Fan. Jetzt ist es raus.

Matze: Jetzt ist es raus. Was ich gerne erinnere: als Björn und ich die New Yorker Band Merel durch Großbritannien begleitet haben, als wir in Glasgow deren Merch in den Laden geschleppt haben, lief dann auf einmal unsere Single in dem Laden. Obwohl keiner wusste, dass wir da aufkreuzen, dass die Roadcrew von Carol ist. Das war der Hammer! Ich bin sofort nervös geworden.

Björn: Ey, Björn! Hör mal! Waaaaasss?

Matze: Unsere Platte! Hier! In Glasgow!

Björn: Ja, das war so ein Highlight!

Wieviele Touren habt Ihr mit Carol gespielt?
Matze: Ich glaube zwei.

Björn: Ja, zwei.

Matze: Ja, wir haben natürlich auch vereinzelt Konzerte in Deutschland gespielt, aber dass wir so richtig unterwegs waren, das waren zwei kurze Touren. Das war einmal England und einmal durch Deutschland.

Björn: Und dann eben oft so Wochenenden, viel in Holland. Das war dann meist so freitags mittags los, Freitag Abend und Samstag Abend gespielt, sonntags zurück. Also daran erinnere ich mich noch, dass wir das viel gemacht haben in Holland, ab und an in Belgien.

Matze: Ieper war ganz wichtig, das Ieper-Fest, als es anfing. Da waren wir auch mit Systral. Die ganzen Bremer Bands haben da gespielt.

Björn: Was mittlerweile richtig groß ist, ne?

Matze: Ja. Unglaublich. Jetzt spielen da Biohazard und sowas. Und macht nicht mehr soviel Spaß, finde ich.

Wie ist es die Platte jetzt zu hören, nach 22 Jahren?
Björn: Super!

Matze: Anstrengend! Weil ich immer raushören muss, was ich da eigentlich genau spiele und dann muss ich es üben. (Lacht.) Nee! Also wenn ich es entspannt höre, dann finde ich das auch, dann finde ich es super!

Björn: Darf man das sagen? Ja, ne?

Matze: Das ist so lange her, das habe ich ja gar nicht gemacht!

Björn: Das war das andere ich. (Alle lachen.) Nee, aber es macht Spaß die zu hören, weil das in meinen Augen noch immer funktioniert. Und es ist nicht so, dass wir sagen: Alter Schwede, heutzutage würden wir das ja viel viel besser machen! Oder: Boah, der Sound ist aber Vintage! Sondern der Sound funktioniert noch und es macht auch ein bißchen stolz, dass es schon so lange her ist, aber irgendwie die Zeit überdauert. Ohne das man denkt: Joa, komm, es waren die Anfänge von harter Musik, das machen andere Leute heute viel viel besser. Stimmt nicht!

Matze: Ja, ich fand damals, die Platte ist einfach nicht sauber eingespielt. Das hat mich früher viel mehr gestört. Jetzt sehe ich das so mit dem Abstand, sehe das als ganzes Produkt und dann wirkt es auf mich wie ein zusammenhängendes Gemälde. So habe ich das empfunden. Also ich finde die Verspieler jetzt ganz charmant.

Björn: Nichts ist so charmant wie sein Instrument nicht zu beherrschen. (Alle lachen.)

Ihr spielt jetzt ja ein paar Shows mit Carol, war es eine Herausforderung die Songs wieder zu spielen?
Björn: Ja.

Matze: Inwiefern eine Herausforderung. Von der Musikrichtung her?

Oder auch technisch eine Herausforderung und sich daran zu erinnern, was genau man spielt?
Matze: Also von der Musikrichtung her, da machen wir ja mit Mörser mehr Metal, aber immer noch harte Musik. Deshalb war das nicht so das große Problem. Spielerisch habe ich mich wieder genau an die Dinge von damals erinnert: Oh, hier muss ich das ja so schnell spielen und das da ist schwierig! Ich kriege es aber mittlerweile vielleicht einen Tick besser hin als früher, aber es ist immer noch manchmal schwierig. Äh dann, was uns letztes Mal lustiges passiert ist, soll ich das erzählen aus dem Proberaum?

Björn: Ja klar!

Matze: Wir müssen ja öfter mal ohne Andy proben, weil er in Berlin wohnt. Wir haben also nur mit Schlagzeug und Gesang geprobt. Wir haben ein Lied angefangen und dann nach einem Break – wir haben weiter gespielt und gemerkt, irgendwas stimmt nicht. Warte mal! Irgendwas machen wir falsch! Aber was?

Björn: Wir haben gemerkt, dass wir alle drei genau das gleiche andere Lied weiter gespielt haben. (Alle lachen.)

Matze: Und in vier Wochen muss das alles klappen!

Was macht ihr aktuell und was ist weiterhin von Euch zu erwarten?
Matze: Aktuell üben wir unsere alten Stücke. Und dann machen wir noch ein paar Shows und ich nehme an, das ist dann spätestens im Oktober vorbei. Wir wollen das nicht wieder aufleben lassen.

Björn: Weil es zu anstrengend ist. Für mich war das schon so, dass ich das ausprobieren musste und nicht sagen konnte: Ja klar! Wir machen das, wir spielen wieder live. Ich wusste nicht, was passiert, wenn ich da wieder so rumschreie. Es war dann bei den Proben so, dass ich gedacht habe: Okay! Ich fühl mich nicht total bescheuert und es ist mir nicht zu fremd. Vom technischen her ist das schon krass und nicht so, dass ich denke, das ist gut für die Stimme, aber es macht doch soviel Spaß, dass ich das jetzt einfach riskier, auch wenn ich danach wahrscheinlich erstmal nicht mehr sprechen kann.

Matze: Als wir angefangen haben darüber nachzudenken wieder aufzutreten, haben wir gedacht, dass wäre echt ein schöner Schlussstrich. Früher hat sich das ja einfach so aufgelöst, also nicht weil wir uns gestritten hätten, oder so. Es war einfach so, Andy ging nach Berlin und damit gab es die Band nicht mehr. Das letzte Konzert kann man noch auf YouTube sehen, ganz schön anzugucken und dann war es das? Das war irgendwie traurig.

Björn: Hätte auch keiner mit gerechnet. Vor einem Jahr war gar nicht dran zu denken, dass wir irgendwann nochmal live spielen. Das ging so im Mai los, dass es doch ernster wurde, dass es mit Markus (Markus Haas/ Per Koro Records) mit dem Cover und allem ernst wurde.

Matze: Markus Haas, Per Koro, hat immer mal nachgefragt, die letzten zehn Jahre: „Was ist denn mit der Carol? Könnte nächste Woche rauskommen.“ Es hat dann ja nochmal ein paar Jahre gedauert, aber durch seine Anregung ist das alles nochmal wieder ins Laufen gekommen. – Ich spiele übrigens immer noch den selben Bass! Als ich unsere Fotos durchgeguckt habe, hab ich gesehen wie lange ich den schon hab. Mein erster Bass, mit 15 gekauft, von Dirk (Dirk Kusche/ Kusche-Rockstudios). Inzestuös! Wir haben später dann auch alle zusammen gewohnt, Dirk, Sönke von Acme, wir (zeigt auf Björn).

Björn: Alle im gleichen Haus. Das war so ein Austausch da. Und Hajo, der dann auch mal bei Carol gespielt hat. Ne Art HC-WG.

Wo war die WG?
Matze: In Walle.

Björn: Direkt unterm Fernsehturm. M-m-m-merkt man aber nicht. (Alle lachen.)

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Nägel mit Köpfen machen
Interview mit Markus Haas von Per Koro Records

Die Bandmitglieder der Bands, die heute dem Bremencore-Sound zugerechnet werden, waren befreundet. Sie haben sich gegenseitig beeinflusst und das war sicherlich ausschlaggebend für die Entstehung des Bremencore-Sounds. Alle Veröffentlichungen dieser Gruppe von Bands sind damals bei Per Koro Records herausgebracht worden. Markus Haas, der Gründer von Per Koro Records, wohnte zu der Zeit in Bremen. Mittlerweile lebt er in Bielefeld. Das Label existiert aber immer noch und Markus hat den wohl entscheidenden Anteil daran, dass „1996“ reconstructed“ nach 22 Jahren doch noch veröffentlicht wurde. Ein guter Grund auch hier nochmal nachzufragen, was ihn dazu bewegt hat, das zu tun.

Wann und wo wurde per Koro Records gegründet und mit welchem Ziel?
Per Koro habe ich binnen meiner Zivildienstzeit im Jahre 1992 gegründet. Damals war ich noch in Heidenheim (Schwäbische Alb) ortsansässig. Das hört sich hochtrabender an, als es wirklich war. Ich hatte schon mit ungefähr 14 angefangen internationale Tape-Sampler zusammen zu stellen und hab einen kleinen Mailorder namens Terror Vertrieb für hauptsächlich Fanzines, Tapes und etwas Vinyl betrieben. Schon damals war ein Traum von mir mal eine Platte zu veröffentlichen.

Während meiner Zivildienstzeit hatte ich dann erstmalig etwas Geld über, so dass ich dieses investieren konnte/wollte. Ich war zu der Zeit relativ umtriebig was Konzertreisen und Tierrechts-Gedöns anbelangte und so lernte ich die Luxemburger Bands Subway Arts & No More kennen. Es kam eins zum anderen und das erste Vinyl Release war geboren.

Damaliges Ziel: ich wollte schlichtweg mich ein Stück weit selbst verwirklichen, etwas veröffentlichen, was mir was bedeutet, musikalisch und inhaltlich gefällt und Bands supporten, die ähnlich dachten, tickten…wie auch immer.

Du hast mit deinem Label Per Koro Records kürzlich eine Platte 22 Jahre nach der Entstehung rausgebracht. Warum musste die Platte erscheinen und durfte nicht einfach in der Versenkung verschwinden?
Weil ich ein geiziger Schwabe bin und ich die damaligen Aufnahmen bezahlt habe. Nein… Die Platte hätte ja ursprünglich 1996 1997 als Split-LP mit Hard To Swallow aus Großbritannien erscheinen sollen. Sowohl Carol als auch Hard To Swallow hatten sich aufgelöst und die Mitglieder haben zum Großteil in neuen Bands ihre musikalische Ader ausgelebt. Nach dem Ableben von Carol ging es z.B. mit Mörser steil nach oben, so dass die Carol-Aufnahme irgendwie immer weiter in Vergessenheit geriet, weil sowohl die Carol-Mitglieder, als auch ich als Label neues, aktuelles veröffentlichten wollten.

Die Hochzeit von Per Koro war so von 1995 bis 2000, wo ich recht viel veröffentlicht habe. Aus meinem eigenen Selbstverständnis heraus wollte ich auch lieber Geld in aktuelles/neues investieren, als in ein posthumes Release. Das Thema Carol-Discography-LP wurde zwar über all die Jahre immer wieder mal zwischen der Band und mir thematisiert, aber nie in die Tat umgesetzt. Zu meiner Verteidigung – ich schieb mal den Schwarzen Peter der Band zu – muss ich auch sagen, dass ich nie wirklich im Besitz brauchbarer Aufnahmen war und keinerlei Artwork hatte.

2018 habe ich Langweile bedingt mal alle meine Releases digitalisiert, beziehungsweise für mich mal persönlich archiviert und hatte nach mehrmaligen hören der Aufnahmen dann Björn und Matze kontaktiert und wollte endlich Nägel mit Köpfen machen. Hat zum Glück dann endlich alles geklappt und ich bin mit dem Ergebnis mehr als zufrieden.

Im Zusammenhang mit Carol und einigen weiteren Bands der Zeit spricht man von Bremencore oder Northcore. Was hat es mit diesen Labels auf sich? Gab es einen speziellen Sound in der norddeutschen oder in der Bremer Hardcoreszene?
Hm, wo anfangen und aufhören. Der Begriff Northcore wurde meines wissens von Gonzo/Lebensreform, einer damaligen Band aus Hamburg, die auch auf meinem Label waren, hierzulande ins Spiel gebracht. Der Begriff wurde aber geklaut. Er hatte seinen Ursprung in der ’90er schwedischen Hardcore Scene. Unter dem Northcore-Banner gab es auch drei Festivals in Bremen-Farge, bei denen zumeist Bands aus Norddeutschland spielten. Letztlich adoptieren halt ein paar Bands aus dem Norden dieses Adjektiv, um nach außen Zusammenhalt, Freundschaft…etc. zu signalisieren.

Nichts großes – letztlich war das alles andere als ein elitärer Zirkel von Gleichgesinnten, bei dem mensch um Aufnahme betteln musste. Der Begriff Bremencore, bzw. geläufiger ist Bremer-Schule geht wohl zu drei gleichen Teilen auf Kosten meines Per Koro Labels, natürlich den großartigen damaligen ortsansässigen Bands (u.a. Acme, Carol, Systral, Mörser) und Dirk Kusche mit seinem Kusche-Rockstudio. Schlichtweg auf den Punkt gebracht war ich ortsansässig, liebte den Sound der hiesigen Bands und veröffentlichte deren Sachen und sorgte dafür, dass sie europa oder weltweit zu bekommen waren. Allesamt waren die Bands bei Dirk im Kusche-Rockstudio um ihre Aufnahmen zu machen. Denke, sowohl der Begriff Northcore als auch Bremer-Schule können auch gut und gerne als geschicktes Promotion-Attribut herhalten.

Wie konnte dieser spezielle Sound entstehen?
Naja…wenn salopp gesagt Anfangs ein Dutzend Leute sich inzestuös Bands teilen und mehr oder weniger die gleichen musikalischen Vorlieben haben und das gleiche Studio nutzen, kristallisiert sich denke ich ein gewisser Sound heraus. Der charakteristische Bremer Sound ist ja, wenn mensch ehrlich ist auch nur ein perfekter Cocktail aus geklauten Samples von Bands wie Rorschach, Citizens Arrest, Slayer u.a. standen da ja auch Pate.

Durch die Veröffentlichungen der bahnbrechenden Acme 7″ und meinen eigenen Per Koro Releases, Carol, Systral und etwas später Mörser, und dem verhältnismäßig guten Vertrieb dieser Releases, wurde der spezielle Sound schon Deutschland europa- oder weltweit wasweißich publik und letztlich auch teils abgefeiert. Wie zuvor schon geschildert hatte meiner Meinung nach auch Dirk Kusche (Systral) mit seinem Studio einen Löwenanteil an diesem wegen mir auch Kleinst-Genre in Anführungszeichen.

Nach den ersten Releases kamen Bands aus der ganzen Republik um Aufnahmen bei ihm zu machen. Seine musikalische Vorlieben sind dann natürlich auch in die jeweilige Aufnahme geflossen, so dass auch Bands aus dem Süden mit dem Stempel Bremer-Schule oder Bremen-Sound dekoriert wurden. So nahm das irgendwie seinen Lauf und der spezielle Sound machte seine Runde.

Einige Bands aus der Zeit waren sogar über dem großen Teich bekannt. Wie kam es dazu?
Das lag im Grunde daran, dass ich damals einen Großteil der Releases nicht nur im Großhandel verkauft habe, sondern diese in großen Stückzahlen weltweit getauscht habe. Für mich war und ist es immer noch wichtig, dass ein Release möglichst weitläufig zirkuliert – die Band freut sich darüber, wenn ihr Release international angeboten wird etc. Tausch ist da meiner Meinung nach effektiver.

Mache da mehr oder minder eine Mischkalkulation. Tauschsachen aus den Staaten gehen traditionell hierzulande immer gut weg, hingegen Sachen aus z.B. Polen, Slowenien etc. trotz guter Qualität wie Blei im Regal stehen. Mein Freund Jan (macht heute Assault Records in Bremen) hatte mich seinerzeit unterstützt, da es zu der Zeit damals 1995 bis 1998 kein flächendeckendes Internet etc. gab. Er hat dann vom Uni-Rechner aus die Amis per E-mail angeschrieben. So konnte der Kram weltweit zirkulieren.

Gibt es heute noch Bremencore oder Northcore-Bands?
Wohne ja knapp 15 Jahre nicht mehr in Bremen. Aber aus der Ferne betrachtet gibt oder gab es auch noch zum späteren Zeitpunkt Bands, die diesen typischen Bremer Sound machten und heute noch machen. Minion, Zodiac, Mizanthrop und Mörser gibt es ja zum Glück auch noch.

Wie sind aktuell die Reaktionen auf die Carol-Platte? Funktioniert die Platte auch noch nach 22 Jahren?
Für mich funktioniert die Platte auch noch nach all den Jahren. Finde den Sound auch nach heutigen Standards nicht allzu antiquiert oder so. Mir gefällt das Teil extrem. Letztlich freut es mich zwar wenn ein Release von mir auch Anklang findet, aber in der Regel gehe ich ganz egoistisch an ein Release. Es muss in erster Linie und vorrangig mir gefallen. Das tut es bei Carol auf alle Fälle. Klar haben sich das Teil wohl zum Großteil die Leute zugelegt, die auch in den ’90ern die 7″ und den Bremen-Sound abgefeiert haben. Also eher das +35 Klientel.

Ich denke für den Aufwand, den ich betrieben habe – eine handvoll Promos rausgeschickt, etwas Facebook und Newsletter Alarm, ist das Teil mehr als zufriedenstellend weggegangen. Ich habe zumindest seit dem einigen Monaten das Teil aus meiner Großhandelsliste genommen. Von den 500 Stück bin ich schon allein über meinen Shop circa 120-140 via Einzelbestellung losgeworden. Es würde sich wohl auch eine Nachpressung lohnen, sofern die Herren noch ein paar Live-Shows nachschieben würden. Livepräsenz ist meiner Meinung nach die beste Promotion.

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Interviews: Claude Müller
Fotos: Reunion Show April 2019 Schlachthof, Foto: J. Weingärtner, Carol

Vielen Dank an alle, die mich bei der Recherche für diesen Artikel unterstützt haben.

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