Dezember 31st, 2021

BLACK SQUARE (#208/2021)

Posted in interview by Thorsten

Feminismus im Punk, Aktivismus gegen Europas Pushbacks und keine überflüssigen Utopien: Ein Interview mit BLACK SQUARE

Im Corona Jahr 2020 ging musikalisch gar nichts? Stimmt nicht! Das beweisen BLACK SQUARE mit ihrem ersten Tape mit dem großartigen Namen „Potatoes Gonna Potate“, welches alles hat „um aus dem Einheitsbrei von Punkrockkapellen herauszustechen“ (TRUST #206). Alles DIY und Corona-Regelkonform geschrieben, eingespielt, aufgenommen und 2020 released. Aber nicht nur die Musik gefällt. Mit Fini komme ich über negative Erlebnisse mit dem Ox Fanzine in Kontakt. Das Thema „Sexismus im Punk“ verbindet uns rasch als Musiker*innen aber auch politische Aktivist*innen. Ich merke, dass hinter BLACK SQUARE Menschen stecken, die was zu sagen haben, was auch ich relevant finde und möchte diese ohne große Vorrede lieber gleich selbst zu Wort kommen lassen. Also wünsche ich den geneigten Lesenden eine anregende Lektüre der klaren, ermutigenden Worte und notwendig radikalen Positionen zu politischen und persönlichen Themen der zwei Musiker*innen. Wie schön, dass der oftmals totgesagte Punk dann doch auch solche Leute noch als Teil seiner Szene benennen darf.

Erzählt doch mal, wer Ihr seid, seit wann es euch gibt und wie Ihr selbst eure Musik beschreiben würdet.

Bonny: Hello, wir sind Fini und Bonny und wir haben mit BLACK SQUARE vor einem guten Jahr gestartet. Ich würde sagen, dass wir deutschsprachigen Hardcore/Punk machen. Vor kurzem wurden unsere Songs als „politischer Post-Punk mit Hexenstimme“ angepriesen. Fand ich ehrlich gesagt auch ganz passend, wenn wir den „Post“ mit „Hardcore“ tauschen, haha.

Verortet Ihr euch in einer bestimmten (Punk)-Szene? Wenn ja, in welcher und was macht diese aus?

Fini: Wir würden uns eher so in der DIY-Politpunkwelt verorten, also für uns ist Punkrock nichts womit wir Geld verdienen (wollen), sondern eine Möglichkeit politische Wut auszudrücken und mit Gleichgesinnten zu teilen. Insbesondere ich nutze die Punkszene einfach auch als Fluchtpunkt vor dem Rest der Welt und meinem durchaus ökonomisch optimierten Alltag. Wenn ich auf ein Konzert gehe, erhalte ich mir den Glauben daran, dass Utopie möglich ist und ich einen Ort habe, wo ich damit anfangen kann, sie umzusetzen.

Ihr engagiert euch öffentlich politisch, z.B. für die Organisation SEA WATCH. Warum ist euch dieses Thema wichtig?

Fini: Ich beschäftige mich seit über 10 Jahren mit dem NS und Rassismus, war auch lange im Bereich Flucht und Asyl unterwegs. Für mich sind das einfach die wichtigsten Themen, denn ich möchte später meinem Neffen nicht erklären müssen, warum ich nichts gemacht habe, als an unseren Grenzen Menschen getötet und Menschen in Lagern sterben gelassen wurden. Ich glaube, ganz am Anfang hatte ich tatsächlich noch die Hoffnung, dass es sowas wie einen Fortschritt diesbezüglich gibt, aber es wird alles einfach immer nur schlimmer – sowohl rechtlich als auch praktisch. Warum soll ich also weiter auf Staaten hoffen, die in sich rassistische Strukturen sind und deswegen auch nichts außer rassistischen Strukturen hervorbringen können? SEA WATCH hat inzwischen neben den Schiffen zur zivilen Seenotrettung auch noch Flugzeuge, um die Verbrechen, die auf dem Mittelmeer passieren, zu melden und zu dokumentieren. Das beides ist das einzige, was irgendwie noch Sinn macht zu tun: Menschen ganz direkt davor zu bewahren, zu ertrinken und andererseits alles, was die EU und ihre Mitgliedsstaaten an Widerwärtigkeiten machen zu beobachten und allen zu sagen. Ich hatte dazu im letzten Jahr schon mit meinem Blog ein Projekt mit denen gemacht, wo ich 10 Fälle der „Crimes of Malta“ – also der Menschenrechtsverletzungen durch Malta – auf Grundlage des Materials von den Flugzeugen rekonstruiert und politisch/philosophisch eingeordnet habe. Deswegen haben wir zu unserer Soli-Aktion (Beutel gegen Spende) auch einen Song mit den Videoaufnahmen von den Flugzeugen unterlegt: Jede*r soll sehen, wie so ein Pushback aussieht, wie Boote tagelang ohne Wasser und Essen auf dem Meer treiben gelassen werden, wie Menschen versuchen, ihr Leben für ein paar Minuten zu verlängern, indem sie das eintretende Wasser mit den Händen aus dem Boot schippen. Denn das ist Europa, das ist #stayhome und all die wirre Solidarität, die gerade überall verkündet wird. Die gilt halt nur für privilegiertes, weißes Leben und wir brauchen uns jetzt in unseren gemütlichen Wohnungen auch nicht wie die Retter*innen der Menschheit fühlen, weil wir verhindern, dass weniger Deutsche an Corona sterben.

Inwiefern hängt die Band/eure Musik und euer politischer Aktivismus zusammen?

Bonny: Meiner Meinung nach sollte das generell eigentlich Hand in Hand gehen. Ich hab keinen Bock mehr auf Bands, die mit ihren Texten immer was von Solidarität und „Refugees Welcome“ skandieren aber dann selbst nicht mal auf eine Gedenkkundgebung vom Jahrestag des Hanau-Anschlags gehen. Bestenfalls noch schnell bei Instagram Beileid bekunden oder den lokalen Treffpunkt posten und dann hat man ja sein Bestes gegeben. Ist ja auch kalt draußen. Wenn ich dann sehe, dass dieselbe Person am gleichen Tag ein Selfie postet, fehlt mir echt jedes Verständnis. Ich finde, dass der mindeste politische Aktivismus einer Band, die linkspolitisch orientiert ist, so auszusehen hat, dass man seinen weißen Arsch auf die Straße schleppt. Radikalisiert Euch erstmal selbst, statt die 10 Menschen im Publikum aufzufordern eben jenes zu tun. Und wo wir gerade beim Radikalisieren sind: Wie viele Bands gehen in linken Zentren, libertären Räumen oder AZ´s im Jahr ein uns aus und bedienen sich wie selbstverständlich am Kühlschrank? Wenn ich dann mitbekomme, wie wenige Menschen vor Ort sind, wenn jüngst ein Haus besetzt wurde, um beispielsweise den Bullen den Weg zu versperren, stehe ich echt da, zwischen Tränen in den Augen und unglaublichem Frust.

Ist es relevant Musik und politischen Aktivismus zu verbinden? Wenn ja, warum?

Fini: Ich höre sehr verschiedene Arten von Musik für jeweils verschiedene Dinge: Wenn ich tanzen will, hör ich Techno; wenn ich arbeite, kreativ bin oder mit mir selbst Zeit verbringe, höre ich gern so Indiekram und wenn ich negative Gefühle aus mir herausbringen will, höre ich Punkrock – so dieses „Welt, fick Dich, ich find eigentlich alles an Dir scheiße und ich schrei Dir das ins Gesicht.“ Und Politik oder sagen wir: die politischen Verhältnisse, in denen wir leben, bereiten mir extrem negative Gefühle und verursachen in mir auch deutlich mehr Hass auf Alles, als wenn ich persönliche Probleme habe. Ich versuche, da auch nicht den Blick abzuwenden, nur weil ich es nicht mehr aushalte, es mit anzusehen. Aber irgendwo muss das hin, dass ich es eigentlich kaum ertragen kann und zwar irgendwas tue, was aber keinen grundlegenden Unterschied machen wird. Dafür ist Punkrock ein Ausdruck, sowohl, wenn ich andere Bands darüber singen/schreien höre, als auch, wenn ich selbst schreie. Damit überzeuge ich keinen Menschen, der nicht vorher schon überzeugt war (dafür gibt es bessere Medien), aber vielleicht gebe ich ein paar Menschen das Gefühl, damit nicht alleine zu sein und stattdessen Kraft, ihre Wut in Aktionen umzuwandeln. Bei mir hatte das jedenfalls vor einer Weile – nachdem ich ein paar Jahre lang sehr wenig mit Punkrock zu tun hatte – diese Wirkung: Ich stand heulend bei irgendeinem Konzert und dachte „Stimmt ja, ich mach das gar nicht alleine! Hier sind 500 andere Verrückte, die auch denken, dass das anders sein muss!“ Musik und Aktivismus hängen für mich insofern zwangsläufig zusammen, weil es Menschen zusammenbringt, ihnen Raum und Anlässe gibt, Motivation zu finden, sich zu treffen und zu organisieren.

Die Texte eures Tapes zeigen bereits eine große Bandbreite an politischen Themen, die euch umtreiben. Könnt Ihr ein bisschen was darüber erzählen, worum es in den Texten so geht?

Fini: Also das Thema mit der Ausgrenzung und dem Rassismus ist schwer dominant, würde ich sagen – und da haben wir ja auch etliche Facetten zu beleuchten: Das fängt bei Othering an, wo Menschen als fremd definiert und damit grundsätzlich ausgeschlossen werden, geht über Lohnsklaverei und der Abwehr von Geflüchteten an den europäischen Grenzen hin zu rassistischen Polizist*innen, die BiPoC in Deutschland ungestraft ermorden können. Aber es geht auch darum, dass wir nicht für eine Utopie kämpfen, in der das dann alles anders sein soll, sondern, dass wir uns eher pragmatisch darauf konzentrieren, „die Leichen von den Lebenden zu trennen“ und für die Lebenden ein Überleben zu ermöglichen. Revolutionsromantik ist für mich eher Selbstbestätigung und Eskapismus, das bringt im Endeffekt denjenigen, die gerade gequält und vernichtet werden, nichts. Auf der anderen Seite hat uns gerade zur EP Corona natürlich schwer beschäftigt, deswegen sind da auch zwei Songs drauf, die sich einerseits mit der Einschränkung der Grundrechte zum Schutz von primär weißem, privilegiertem Leben beschäftigen und andererseits mit der „neuen Normalität“ – die zu einem seltsamen Winterschlaf von vielen um uns herum führt. Wir hatten gerade im ersten Lockdown sehr stark das Gefühl, dass viele in so einer Haltung sind: Wir machen jetzt alles ganz richtig, danach geht es weiter wie vorher und alles ist wieder gut. Für uns ist das Problem nur, dass vorher nichts gut war – warum wollen wir also überhaupt gerade dahin zurückkehren – und außerdem aktuell so massive Dinge passieren (gerade rechtlich), dass es kaum ein definiertes „danach“ geben wird. Das war ja schon immer das Problem an den Naturkatastrophen und dem Recht: Wann ist eine Naturkatastrophe vorbei und etwaige Ausnahmezustände werden aufgehoben?

Ihr habt im Sommer 2020 ein Interview für das Ox Fanzine gegeben, in dessen Rahmen von Dir Fini, als „die Freundin von“ gesprochen wurde, statt auch Dich, wie die anderen (männlichen) Bandmitglieder über eigene Aktivitäten zu definieren. Das ist schon unglaublich beschämend für ein so bekanntes Zine. Aber die Geschichte ging ja noch weiter, Deine Gegendarstellung hierzu wurde (obwohl zuvor zugesichert) nicht gedruckt, stattdessen schrieb der betreffende Schreiber lieber selbst darüber, wie zukünftig mehr Feminismus möglich gemacht werden sollte. Du hast die ganze Geschichte dann in der TAZ auf Deinem Blog öffentlich gemacht. Magst Du mal erzählen, was danach so passiert ist bzw. ist überhaupt irgendetwas danach passiert? Und: Sollte mensch Parzellen im Punk, die so offensichtlich diskreditierend handeln, abspalten oder das Gespräch suchen?

Fini: Also bis jetzt ist von Seiten Ox nichts passiert. Man postete in den Tagen und Wochen nach meinem Artikel und dem daraufhin anhebenden „Sturm im Wasserglas“ – wie die Herren ja gern die Forderungen von Feminist*innen diffamieren – immer mal ein Bild von Bands mit Frauenbeteiligung und ansonsten seufzt der Herausgeber in seinem Podcast schwermütig vor sich hin, wenn das Thema Feminismus oder Sexismus fällt. Auch der Schreiber hat sich bei mir nicht wieder gemeldet, obwohl ich ihm den Artikel noch persönlich geschickt hatte und im aktuellen Ox gibt’s auch nichts zu dem Thema. Es wird nur mal wieder ein Mann – diesmal Fat Mike – zu seiner Meinung zu Frauen im Punkrock befragt mit ähnlich diskriminierendem Resultat wie sonst auch („weibliche Stimmen passen einfach nicht so gut zu harter Musik“ – genau Michael, weil gerade Du auch ein so klassisch maskulines Organ hast…). Das zeigt für mich, dass wirklich gar nichts von dem, wofür sich inzwischen ein wirklich relevanter Teil der Szene einsetzt, beim Ox angekommen ist und damit hat sich jedes weitere Gespräch auch erledigt. Ich hatte ja in meinem Artikel schon eine strukturelle Ähnlichkeit zum Rassismus gezogen und dementsprechend verhalte ich mich da auch ähnlich: Wenn ein guter Bekannter von mir mit AfD-Parolen anfängt, dann versuche ich auf jeden Fall mit ihm zu reden und ihm zu vermitteln, was das verursacht, was er da macht. Wenn das nichts bringt und er sich weiter nach rechts radikalisiert, beende ich irgendwann die Freundschaft. Denn mit einem überzeugten Nazi rede ich nicht, wo soll das hinführen außer, dass wir uns irgendwann gegenseitig aufs Maul hauen? Und das halte ich mit Sexisten genauso. Sobald das Ox mal eine komplette Ausgabe dem Thema FLINTA* im deutschen Punkrock (und was sie noch so an Genres abdeckt) widmet und darin ausschließlich FLINTA* zu Wort kommen, würde ich noch mal drüber nachdenken, ob sich Gespräche wieder lohnen. Aber bis dahin halte ich es mit dem Ox so wie mit der BILD.

Wie können FLINTA* (diese Abkürzung steht für Frauen, Lesben, Inter- und Transpersonen, sowie Asexuelle, die in diesem Begriff sprachlich vereinigt werden, da sie Erfahrungen der Betroffenheit von strukturellem [Hetero-]Sexismus teilen) mit solchen sexistischen Verhaltensweisen umgehen? Was würdest Du FLINTA* raten, wenn sie diese Form von Sexismus erleben, welcher darauf abzielt, sie weiter „klein“ zu halten?

Fini: Ganz schwierig, denn insbesondere bei Menschen mit weiblicher Prägung greift diese Form des Sexismus extrem ungünstig in all das, was sie von klein auf immer wieder hören/spüren: Du bist für immer klein und wertlos, weil du kein Mann bist – ggf. bekommst du Anerkennung, wenn du besonders hübsch und (im neoliberalen Sinne) leistungsstark bist, aber dann auch nur, obwohl du eine Frau bist. Das heißt, dieser Sexismus stabilisiert sich selbst und ist gerade deswegen auch besonders schwer zu durchbrechen. Ich würde empfehlen, auf die kleine innere Punker*in zu setzen und erstmal trotzig auf den Boden zu stampfen, um eine emotionale Distanz zu gewinnen. So nach dem Motto: „Ich bin klein und wertlos?! Nein, DU bist klein und wertlos!“ Mir hilft es außerdem immer sehr, mit anderen FLINTA* darüber zu reden. Schildert ihnen die Situation, in der Ihr solchen Sexismus erlebt habt und schaut Euch an, wie sie reagieren – gerade, wenn mensch selbst nicht direkt betroffen ist, solche Situationen aber selbst kennt, kommt dann häufig eine sehr klare emotionale Reaktion, die Euch direkt gut tun wird. Ich möchte außerdem jede dazu ermutigen, diesen Sexismus zurückzuweisen und aufzudecken. Je mehr FLINTA* das tun und dafür Solidarität erfahren, umso weniger ist dieser Sexismus salonfähig und irgendwann werden wir vielleicht wenigstens in unserer Subkultur als Menschen wahrgenommen.

Warum gibt es eurer Meinung nach im Punk so viel Ausschluss, Traditionalismus und Beharren auf „das war schon immer so“ wie mensch es auch vom dörflichen Schützenverein oder der örtlichen CDU gewohnt ist?

Bonny: Ich kann mir vorstellen, dass hier sehr oft das „never change a running system“ Ding läuft und viel zu arg verwurzelt ist. Das fängt schon im Kleinen an, wenn man im selbstverwalteten Raum eine Show macht und die Idee einbringt, dass man ja auch mal Monitore aufbauen könnte. Ist dann aber erstmal Arbeit und hat bisher auch immer ohne geklappt. Das Ganze endet dann irgendwo da, dass Mann mit 40+ immer noch mucken will, obwohl er eigentlich nichts mehr zu sagen hat. Ich hatte diesbezüglich mit einem sehr guten Freund vor Kurzem ein Gespräch, in dem er meinte, dass er mit Mitte 30 das Gefühl hat, textlich nichts Neues zu erzählen zu haben und deswegen auch gar keine Shows mehr spielen will. Die Aussage fand ich so großartig und gleichzeitig gewinnbringend für so viele neue, FLINTA* Bands, denen nicht schon wieder ein Slot geklaut wird, weil Mann Mitte 30 dann doch wieder von den guten alten Zeiten singen muss. Was waren wir wild damals…meine Fresse. Ich überlege seitdem, ob ich mir (als Typ) auch eine Deadline setze, ab wann ich es dann zukünftig sein lassen werde, Konzerte zu spielen. Ich finde, dass das ein ziemlich guter Ansatzpunkt ist, um Ausschluss von FLINTA* und Traditionalismus aus den Angeln zu heben. Beides würde sich einfach von selbst erledigen. Punk entwickelt sich weiter und das ist auch verdammt gut so. Lustigerweise komme ich tatsächlich aus einer teils „Schützenfamilie“, die gerne CDU wählt. Ich find, ich hab mich da ganz gut rausziehen können und funktioniere trotz Ausstieg. Kann also auch grundlegend nicht so schlimm / schwer sein.

Wie können Cis-Männer Allies (engl. Verbündete) beim feministischen Aktivismus und Kampf um Emanzipation benachteiligter Gruppen werden?

Fini: Ganz wichtig ist das viel geforderte: Raum geben! Dazu gehört auch, sich als Mann grundsätzlich ein bisschen zurückzunehmen, vielleicht nicht als erster drauflos zu plappern, wenn es gerade niemand anderes tut (Stichwort: Soziales Vakuum aushalten) oder die Sichtbarkeit von FLINTA* zu erhöhen – und sei es zunächst „künstlich“ mit sowas wie Quoten oder positiver Diskriminierung. Darüber hinaus kann Mann seine angeborenen Privilegien nutzen, indem er sie direkt oder daraus resultierende Vorteile FLINTA* zur Verfügung stellt. Auch ein Schritt in die richtige Richtung ist es, wenn Männer grundsätzlich weniger patriarchale Verhaltensmuster zeigen und äußern. Dafür müssen sie sich natürlich erstmal damit auseinandersetzen, welche ihrer Verhaltensmuster patriarchale Ursprünge haben – insofern ist auch die Auseinandersetzung mit kritischer und toxischer Männlichkeit eine Möglichkeit den feministischen Kampf zu unterstützen. Hier hilft es vielleicht auch, sich bewusst zu machen, wo und wie so eine heteronormative Prägung wirken kann – so wie wir das eben hatten mit dem „klein gemacht werden“ bei Frauen: Eine männlich geprägte Person kann sich vielleicht grob vorstellen, was da passiert, wenn er Situationen ausgesetzt ist, in denen er als „Feigling“ bezeichnet wird. Als Frau steh ich da dann nämlich auch neben und denk mir: who cares? Aber für Männer kann das durchaus eine schmerzhafte Erfahrung sein und damit wird die Perspektive von Frauen, die von Sexismus berichten, vielleicht etwas verständlicher. Letztendlich ist also hier all das von Bedeutung, was wir auch in Bezug auf Rassismus von der Durchschnittsgesellschaft fordern und selbst versuchen in unserem Alltag umzusetzen. Irgendwie scheint es da gerade Männern im Punkrock immer noch etwas leichter zu fallen, sich unterstützend zu betätigen, wobei mir nicht ganz klar ist, warum.

Warum sollte Punk diverser werden? Was hat der Punk davon?

Bonny: Mit mehr Diversität würden direkt eine ganze Menge Menschen vergrault, die in meinen Augen eh nichts (mehr) in den verschiedenen Punk-Kontexten verloren haben. Also die, die beispielsweise Queerness und Feminismus nicht ernstnehmen, sich aber auch über Political Correctness, Awareness oder Veganismus lustig machen. Ronja von Plastic Bomb hat Mitte Februar einen Verriss für ein Magazin geschrieben und sich daraufhin unfassbare, sexistische und generell beleidigende Kommentare eingefangen. Das ist so die Kategorie Mensch, die ins Essener Don´t Panic geht und sich über die Ruhrpott Rodeo Werbung freut, in der ein weibliches, nacktes Normmodell abgebildet ist. Genau diese Menschen, wird der Punk durch mehr Diversität verlieren. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich darüber freuen würde, wenn ich keinem Macker im Jack Daniels oder Lokalmatadore T-Shirt an der Theke mehr erklären muss, dass Anbaggern kein Kompliment ist.
Fini: Und dadurch würde Punk auch seine Relevanz als Subkultur behalten und nicht zu einer seltsamen konservativen Parallelstruktur zum Rechtsrock oder einfach nur einem Musikgenre werden. Punk als Szene hat ja schon seit Jahren ein enormes Nachwuchsproblem, weil es für junge Menschen einfach keinen Grund mehr gibt, „Punk“ zu sein – politisch aktiv geht auch ohne und schockiert ist eigentlich auch niemand mehr durch den Style (Mamas und Papas finden das am Ende noch individuell und kreativ).

Was würdet Ihr FLINTA* die gern Musik machen wollen (oder damit angefangen haben) mit auf den Weg geben wollen?

Fini: Sprecht mit ganz vielen anderen FLINTA*! Unabhängig davon, ob sie auch Musik machen oder nicht. Nichts ist heilsamer und hilfreicher, als der Support von Menschen, die wirklich wissen, wie es Euch geht und wie Ihr Euch fühlt. Und nutzt gemeinsam die Ressourcen und Unterstützungen, die Typen Euch geben können – als diejenigen, die derzeit noch den Großteil der Privilegien halten, können sie sie auch Euch zur Verfügung stellen und Ihr solltet sie schamlos nutzen.
Bonny: Traut Euch raus und versucht auf all die Typen zu scheißen, die sich mit dicker Hose auf eine Bühne stellen und sich nicht anmerken lassen, dass sie entweder zittrige Knie haben oder ihr Instrument nicht beherrschen. Wenn Euch Bühnen fehlen, macht gerne jede meiner Dude-Bands Platz für Euch im Line-Up. Ihr könnt mir auch an Red Beard Tour Services Nachrichten schreiben und ich unterstütze Euch sehr gerne beim Booking.

Welche Musik hört Ihr aktuell und welches Buch empfehlt Ihr?

Bonny: Bei mir ist die Musik immer recht abhängig von Gefühlslage und Stimmung. Momentan laufen da eher düstere Sachen, ich habe gerade heute beide Patsy O´Hara Platten gehört und sonst laufen Amen81 recht regelmäßig. Als Buch kann ich Nagels „Wo die wilden Maden graben“ empfehlen, das habe ich zu Weihnachten geschenkt bekommen und es verschafft mir wenigstens einen Hauch von Konzert- und Tourgefühl. Muff Potter find ich aber weiterhin scheiße.
Fini: Ist bei mir ähnlich mit der Musik und den Gefühlslagen, aber da gerade ganz viele neue Playlists mit FLINTA*-Beteiligungen rausgekommen sind, höre ich da ganz viel drin herum. Da kann ich einerseits die „zornig.“ Playlist vom Klubkrach empfehlen oder Deine „Sabrina lügt“ hat mir einige neue Impulse gegeben. Bücher lese ich viel parallel und dann wieder wochenlang nichts. Gerade einerseits Hans-Peter Duerr mit der „Traumzeit“ – sehr schwurbelig geschrieben, aber spannende Rekonstruktion des Mythos der „Hexe“ und gesellschaftlicher Grenzziehungen (insbesondere Zivilisation und Wahnsinn) – und andererseits lese ich noch mal „Corpus Delicti“ von Juli Zeh. Da geht es letztendlich um dasselbe wie bei Duerr, nur als dystopischer Roman und ist insofern schon echt gruselig in der aktuellen politischen Situation.

Welches Konzert sollte es 2022 unbedingt geben bzw. welche Band(kombination) wollt Ihr unbedingt mal (wieder) live sehen?

Bonny: So eine Frage könnt Ihr mir doch nicht stellen, haha! Ich glaube ich würde mich arg über eine Hysterese Show freuen, vielleicht zusammen mit Törsö und Nuvolascura. Gewagtes, aber geiles Line-Up! Und sonst trauere ich ja immer noch der Auflösung von Trainwreck aus Aachen hinterher. Die können von mir aus gerne 2022 noch eine Show spielen, organisiere ich auch gerne selbst, falls ihr das lesen solltet!
Fini: Okay, jetzt kommen meine konservativen Seiten doch noch zum Vorschein: Ich würd mich echt freuen, wenn eine der Pascow-Shows stattfinden würde.Und ich will unbedingt auf ein HC Baxxter und auf ein Snarg Konzert! Glaub, das AZ Mülheim hatte ein gemeinsames Konzert für Dezember 2020 schon geplant, also soll das am besten einfach nachgeholt werden. Und wenn sie dann schon dabei sind, können sie Björn Peng gleich nachbuchen und ich würd` mich tottanzen.

Welche Pläne habt Ihr aktuell mit Black Square?

Bonny: Wir haben im Januar begonnen unser Album aufzunehmen. Bis auf ein paar wenige Parts ist sogar schon alles im Kasten. Das Album soll dann bestenfalls dieses Jahr noch auf Vinyl rauskommen, da investieren wir gerade vermutlich die meisten Stunden rein. Außerdem können wir seit Ende Februar auch final technisch auftreten. Wir planen daher jetzt die erste Show als Stream für eine Spendenaktion für die Alte VHS in Bonn und für 2022 haben wir zumindest ein Festival gebucht, was hoffentlich richtig stattfinden wird!

Bitte gebt noch ein abschließendes Statement zu folgendem Textteil aus eurem Song „Schmerz und Negativität“ ab: „Jeder Aufruhr ist immer nützlich, so erfolglos er auch sein mag.“

Fini: Das ist ein Zitat, das dem russischen Anarchisten Michail Bakunin zugeschrieben wird. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich von ihm ist, aber ich finde, es drückt den anarchistischen Kampf sehr gut aus – insbesondere, wenn er außerhalb einer revolutionären Situation stattfindet. Denn anders als in anderen Sozialismen geht es dabei nicht darum, einen fertigen Weltentwurf auf Basis historischer Bedingungen vorzulegen, sondern das Individuum als Initiator*in revolutionärer Veränderungen zu sehen und dezentral zu agieren. Ich habe während meines Studiums mal ganz begeistert die Briefe zwischen Marx und Bakunin gelesen, die sind tatsächlich unterhaltsam und Bakunins Ablehnung jeglicher Form von Staatlichkeit und Herrschaft fand ich deutlich spannender, als die Revolution der Arbeiter*innen, die mit einem durch Philosoph*innen vordefinierten Ziel losmarschieren. Insbesondere, wo wir in einer Zeit leben, in der keine ernsthafte revolutionäre Bewegung in Sicht ist, müssen wir uns aber eben nicht mit der großen, ganzen Scheiße abfinden, sondern sind weiterhin Individuen, die nach Freiheit streben. Ob wir die dann wirklich erreichen, ist für diesen Kampf sekundär – ihn aber aufzugeben, ist keine Option. Da wir uns in dem Song ja gegen politische Romantik wenden, wollten wir diesen Gedanken in aller Hoffnungslosigkeit mitgeben.

Vielen Dank für das Interview!

Text/Interview: Sabrina Lügt

Kontakt und Musik:

facebook.com/blacksquarefeminists
instagram.com/blacksquarefeminists
https://blacksquarefeminists.bandcamp.com/

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0