Dezember 31st, 2021

BITUME (#201, 2020)

Posted in interview by Thorsten

ALLES SOLL KAPUTT SEIN!

Treffen sich zwei Vegetarier beim Metzger…, so könnte nicht nur ein schlechter Witz oder ein Song von ILLEGAL 2001 beginnen, sondern auch dieser Text. Das entspräche aber nicht ganz der Wahrheit, denn der Autor dieser Zeilen ist im Gegensatz zu Philip von BITUME kein Vegetarier, noch fand das Treffen beim Metzger, sondern beim Bäcker, der sich neben dem Fleischer befindet, statt, in dem Philip und der Autor sich seit über sieben Jahren öfter als auf Konzerten oder in Szeneläden – so genannte – treffen, rein zufällig natürlich, daran konnten nicht mal zwei Umzüge etwas ändern. Schicksal – oder ein guter Bäcker eben. Bei einem dieser Treffen berichtete Philip also vom neuen Album seiner Band mit dem Titel „Kaputt“. Und damit wären wir endlich beim Interview angekommen. Wenn dieser Text erscheint, befindet sich die in Oldenburg gegründete Band im 21en Bandjahr. Endlich volljährig! Also, so richtig, richtig, nicht nur auf dem Papier. Sieben Alben, plus einer Handvoll Singles und Splits, stehen in der Discographie. Zuletzt brachte die Band die akustische Werksschau „Aku“ heraus. „Das Aku Projekt hat sich ergeben, weil ein Freund uns gefragt, ob wir nicht Lust hätten, auf einem Akustik-Konzert mitzuspielen. Das hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir dann sogar ins Studio gegangen sind.“

Seit dem Jahr 2007 zeigt sich das geschmackssichere Label „Rookie“ für die Veröffentlichungen verantwortlich. Aus einer Gruppe jugendlicher Idealisten ist in der Zwischenzeit eine Band von Erwachsenen geworden. Und wie bei allen Erwachsenen fehlt eine Sache – Zeit. „Was die Leidenschaft für die Musik angeht, hat sich eigentlich nichts verändert. Da haben wir gefühlt die gleiche Energie – nur weniger Zeit. Es wird schwerer alles, Familie, Job, Band, unter einen Hut zu kriegen. Umso schöner ist es dann zu sehen, dass wir das trotzdem hinkriegen.“

Vielleicht ist Punk heute nicht mehr (nur) eine Lebenseinstellung, sondern zumindest teilweise ein Hobby geworden. Auch dieser Text entstand am Wochenende, zwischen Kinderspielplatz und Essenkochen, und abends, nach einem Tag auf der Arbeit. Andererseits hat die Punkszene schon immer vom Idealismus Einzelner gezehrt und ge- und vor allem überlebt. Vielleicht steht Punkrock heutzutage, eventuell sogar mehr als früher, für Aufbruch und Suche, statt für Zerstörung und No Future. Jedenfalls gibt es kein Punkrockstück, das die Schönheit des Istzustands beschreibt und feiert. Stets herrscht ein Zustand der Unzufriedenheit, des Wunsches nach Veränderung oder der Resignation. Bei BITUME steht häufig die Suche nach dem Sinn (oder irgendeinen Sinn) im Mittelpunkt. Wer aber immer auf der Suche ist, kann nirgendwo ankommen. Somit kann Punkrock nie ein Ziel, sondern bloß der Weg zu etwas sein. So sieht es auch Philip und hofft, dass Punkrock nie irgendwo ankommt oder stehen bleibt. „Das wäre ziemlich langweilig und nicht wirklich das, was ich mir unter Punkrock vorstelle.“

Es ist schon komisch, es gibt kaum eine Musikrichtung, die konservativer ist als Punkrock, die sich in den letzten 30 Jahren im Kern kaum gewandelt hat und trotzdem bleibt das Gefühl, dass ausgerechnet diese Musik nicht stehen bleiben darf und zumindest bis heute in Bewegung ist. BITUME fordern deswegen, die Suche zu genießen, denn sie sind der Meinung, dass jeder auf der Suche ist, „nach dem Sinn, dem besten Song, einer schönen Zeit oder dem besten Weg.“ Den guten Dingen im Leben, das bestätigt die Aufzählung. Wie aber passt das mit „Kaputt“, was eher Destruktives vermuten lässt, zusammen? Gemäß Definition auf Wikipedia bedeutet Kaputt; zerrissen, zerbrochen, zerstört, ein vormals funktionierender Zustand ist weg. Aber wie klingt etwas, das kaputt ist? Meistens rattert was oder es knirscht oder scheppert. Generell ist auf dieser Welt ziemlich viel kaputt und bedarf einer Reparatur. Für BITUME klingt „Kaputt“ jedoch nicht nach Resignation, sondern soll als Neuanfang verstanden werden. „Insofern hat kaputtes ja sein gutes, denn einen radikalen Wandel kann man ja nur einleiten, wenn etwas richtig im Argen liegt. Mit ein paar Kratzern können wir leben.“

Kaputt – das erinnert auch unweigerlich an „macht kaputt was euch kaputt macht“, dem Prototyp eines Punksongs, auch wenn das damals eher unter Rock’n’Roll lief, die Energie und Aussage des Liedes hatte jedenfalls eine Menge vom späteren Punkrock in sich. Bei BITUME wird aber nichts kaputtgemacht, sondern ist bereits alles kaputt, vor allem das Leben. Wovon das Leben kaputt ist verschweigt die Band auf dem Titelstück oder überlässt die Interpretation dem Hörer. Ich würde sagen, vom Internet, einer, sich durch jede Branche durchziehende Kommerzialisierung, die nicht mal vor Punkrock oder einer Subkultur halt macht, von einer immer schnelleren Welt, in der viele Menschen das Gefühl haben nicht mehr gehört zu werden. Das zeigt sich einerseits in so unterschiedlichen Protesten, wie in Hong Kong, Chile, Bolivien oder dem Irak und andererseits, vornehmlich in NATO-Ländern, in der Rückbesinnung aufs Heimatland und rechtsnationalen Tendenzen. Da kann man sich nur wünschen, dass endlich alles einmal kaputt geschlagen wird. „Kaputtmachen um wieder aufzubauen“, heißt es auf einem CASPER Song. Und Philip führt aus: „Wenn alles in Trümmern liegt, dann hat das was Mobilisierendes – einen Neuanfang eben.“

Wer sich derweil mit den zwei bis drei beliebtesten Punkbands des Landes identifizieren kann, findet sich vermutlich auch bei BITUME gut aufgehoben. Der norddeutsche Einschlag in den Texten lässt sich bei BITUME nicht verleugnen, zu oft wird von Meer, Strand oder Möwen gesungen und grenzt sich, zumindest zum Teil, von der ein oder anderen Band aus dem Süden ab. Andererseits sind weder Musik noch Text mit einem aktuellem „Norddeutschen“ oder gar „Schleswig-Holsteinischen“ Einschlag zu vergleichen. Dafür sind BITUME zu direkt in ihren Texten und die Musik zu voll, drängend und energetisch, mehr Punkrock im klassischen Sinne. Da finden sogar Skaelemente Eingang in den einen oder anderen Song, was zugegebenermaßen beim ersten Hören etwas gewöhnungsbedürftig ist. Sowieso braucht „Kaputt“ mehr als einen Durchgang, um sich festzusetzen. Grundsätzlich ein Indiz für gute Kompositionen, wenn die Melodien sich erst später rauskristallisieren. Das kommt im Punkrockkosmos dann doch eher selten vor. Mir ist diese Art von Musik grundsätzlich lieber, denn solche Alben behalte ich länger im Kopf und mag sie in der Regel auch Jahre später noch. Ja, im besten Fall, fallen mir sogar dann noch feine Nuancen auf. „Was das Songschreiben und die Arrangements angeht, sind wir heute ausgereifter, stimmiger, aber manchmal auch komplizierter, was ja nicht immer gut ist. Manchmal suchen wir ganz bewusst wieder nach der Einfachheit in den Songs und entkomplizieren sie, damit die Energie richtig durchkommt.“ Gerade deswegen gibt es Punkrock ja auch erst überhaupt, Einfachheit und Energie sind die tragenden Säulen dieser Musik und der Haltung dahinter. BITUME haben mit „Kaputt“ ein weiteres Kapitel zu dieser Geschichte beigetragen.

Text und Fragen: Claas Reiners

 

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0