November 27th, 2017

BIS AUFS MESSER PLATTENLADEN (#147, 04-2011)

Posted in interview by Jan

Was macht man als interessierter kleiner Typ, wenn man irgendwann im hässlichen März 2010 nach Berlin zieht? Genau – man sucht Plattenläden. Und wo kommt man in Berlin gar nicht vorbei, wenn man an Hardcore/Punk interessiert ist? Genau – Bisaufsmesser. Und wenn man sich dann ein wenig schlau macht merkt man erstmal, was hinter diesem Laden steckt. Zwei Labels, Zann und viel Leidenschaft. Dabei könnte es natürlich kaum ironischer sein, dass der Laden von Robert Schulze quasi 5 Minuten Gehweg vom übergroßen Universal Music entfernt liegt und in einer sympathischen Art und Weise vorlebt, woran die große Industrie stets auf peinliche Art und Weise scheitert. Es ist nämlich so: Man findet in besagtem Plattenladen nicht jede Neu-Erscheinung aus dem Cargo-Programm, man findet hier auch nicht allzu viel aus dem Nachbarssortiment. Dafür aber viele kleine Schätze, sowie ab und an sympathische Shows im kleinen Rahmen für höchstens 3Euro Eintritt. Zu alledem wollte ich Robert selbst befragen, doch terminliche Schwierigkeiten und eine Us-Tour seiner Band ZANN machten all das irgendwie unmöglich. Was blieb war das unbeliebte Format E-Mail, welches diesem prächtigen Laden nicht gerecht wird, aber wenigstens anregt, selbst hier vorbei zu schauen. Es lohnt sich.

 

Hallo Robert, wie geht es Dir?

Robert: Alles bestens. Nach der Tour muss ich erst einmal wieder in den Alltag finden, aber ansonsten gibt es nichts zu beklagen – mal abgesehen von dem Wetter 🙂 hahaha

Du warst mit ZANN zuletzt in den USA auf Tour. Wie lief es?

Die Tour war dufte. Wie immer ohne Erwartungen los gedüst, dass erhöht den Effekt der positiven Überraschungen und man geht mit dem Flow. Ich kann nicht meckern.

Man hört von hier tourenden US-Bands ziemlich häufig, dass sie hier wesentlich besser behandelt werden als in den USA. Dort soll es oft weder Schlafplätze, noch Essen, noch korrekte Deals geben. Kannst Du das ungefähr bestätigen oder erging es euch gut?

Das ist wohl wahr. Es gibt schon einige Unterschiede zu DIY Touren hier und da. Wir hatten bis jetzt immer Glück, was Schlafplätze betrifft – auf den letzen 5 US-Touren mussten wir erst 2 oder 3 mal in nem Motel schlafen und einmal auf nem Parkplatz bei Wendy´s 🙂 Was das Essen & Trinken betrifft, es hat sich schon ein wenig gebessert. Es ist zwar immer noch die Ausnahme, aber man merkt, dass Bands, die die Shows machen und schon einmal hier waren, versuchen das zu übernehmen. Auch wenn man das Essen dann vielleicht nicht mit hier vergleichen kann, aber es wird teilweise versucht.

Was das Geld betrifft, ja auch da geht es uns hier besser. Natürlich sind die Spritpreis in den USA bei weitem weniger und wir hatten immer Glück, mit Freunden auf Tour zur sein, was heißt wir mussten nichts wirklich mieten und das hat uns sehr geholfen. Da man oft mit 4 anderen Bands usw. zusammen spielt und alle irgendwie auf Tour sind, bleibt manchmal nichts übrig bzw. man bekommt dann mal nur 30$ nach der Show – was selten reicht den Tank aufzufüllen. Zum Glück hatten wir auf der letzten Tour kaum Donation Shows und haben auch ganz gut Merch verkauft, was auch hilft. Das ist der Unterschied zu hier, dass die Leute viel mehr Kram kaufen als in Europa – aber sie sind auch noch mehr übersättigt mit Shows. Jede zweite Band geht nach 5 Proben auf Tour und es ist einfach zuviel. Aber Ende war es eine dufte Tour und wir hatten Spaß, haben nette Leute getroffen und viel gesehen.

Was steht derzeit sonst bei ZANN so an? Schreibt ihr an neuen Songs?

Wir versuchen immer neue Songs zu schreiben, aber auf Grund fehlender Zeit ist es manchmal ein langwieriger Prozess. Wir haben gerade nen neuen Song fertig bzw. fast und der ist echt super geworden. Dann wollen wir ein Sandow Cover machen und der soll dann auf eine Split 7″ mit Hammers – die Kate Bush covern wollen. Mal sehen 🙂

Du bist ja ein ziemlich aktiver Typ. Erstmal bist du Sänger bei ZANN, dann hast Du noch das Label Adagio830 und ebenso hast Du Deine Finger bei Vendetta Records im Spiel. Desweiteren gibt es natürlich Bis aufs Messer. Stimmt das alles so oder habe ich etwas vergessen? Hast Du Lust etwas über den Laden/die Labels zu erzählen?

Ja, eigentlich stimmt fast alles so. Bei Vendetta habe ich eigentlich nicht wirklich die Finger im Spiel. Das ist das Label von Stefan, mit dem ich den Laden / Mailorder zusammen mache. Auf Vendetta hat er auch ne Split 7″ von uns und unsere erste LP veröffentlicht und wir kennen uns schon lange und sind seit Ewigkeiten befreundet.

Deshalb hatte wir uns auch vor über 4 Jahren dazu entschlossen, den Laden zusammen zu machen – da wir beide an einem Punkt im Leben angelangt waren, wo wir etwas ändern wollten. Der Laden war die logische Konsequenz für mich, da der Mailorder über die Jahre immer größer wurde und der Platz nicht mehr reichte etc. und man muss eben manchmal auch etwas riskieren. Und Stefan hat ja auch Plattenkisten gehabt und sein Label seit Jahren geführt und dann haben wir irgendwann alles zusammen geworfen … sozusagen auch eine Art Verwirklichung eines Traumes?! Da wir beide sehr unterschiedliche Geschmäcker haben, wo wir uns hier und da immer Treffen, ergänzen wir uns ganz gut. Uns bis jetzt können wir uns noch super gut leiden. hahaha

Seit wann gibt es Bis aufs Messer in Berlin-Friedrichshain und betreibst Du den Laden ganz alleine?

Den Laden haben wir vor 4 Jahren am 03.10. aufgemacht und wie schon erwähnt, sind wir zu zweit. Stefan und ich. Dann gibt es noch Helge, der uns aushilft und uns beim dem ganzen Computer/ Websiten/ Photoshop Kram etc unter die Arme greift, weil da haben wir beide keine Ahnung von.

Man findet im Bis aufs Messer ja eigentlich alles. Von der neuen Dillinger Escape Plan bis hin zur Demo einer unbekannten Screamo-Band auf Kassette. Wie läuft das bei dir ab? Arbeitest Du viel mit den üblichen Vertrieben zusammen oder kaufst Du da lediglich die Sachen ein, die deiner Meinung nach zu Euch passen?

Stefan und ich haben beide einen sehr unterschiedlichen Geschmack und somit kommt es, dass wir den Laden sehr weit gefächert haben. Wir sehen uns schon lange nicht mehr als reinen Punk/ Hardcore / Emo / Metal Plattenladen. Wir versuchen immer interessante Sachen zu haben, die wir gut finden und da sich der Musikgeschmack immer mehr erweitert, haben wir auch immer mehr verschiedene Sachen. Das macht es manchmal auch schwer, weil man immer am Ball bleiben muss, Blogs & Fanzines verfolgen und lesen muss etc.. Aber es macht Spass neue Sachen zu entdecken und sich auch von Kunden mal Empfehlungen geben zu lassen und sich auszutauschen. Bei der Masse an Releases verliert man schnell mal den Überblick …

Da hilft es sehr, dass man Leute aus den reinen Mailorderzeiten kennt und man auch viel tauscht etc. Wir kaufen viel direkt bei Labels, die wir interessant finden und die keinen Vertrieb haben usw … wir wollen halt versuchen nicht die Standardwaren zu haben, die jeder andere Plattenladen hat, der nur bei Cargo & Co. einkauft. Natürlich benutzen wir diese auch, aber es gibt soviel mehr coole Sachen da draußen …

Was ist mit all den unbekannten Sachen die man findet, die gar nicht auf irgendeinem Label zu finden sind. Schreibst Du die Bands da oft selbst an oder kommen die auf Dich zu?

Es ist teils teils – auf Grund der Flut von neuen Bands / Platten die jeden Tag erscheinen, kann man nicht alles kennen etc. und somit kommen auch Bands / Labels etc auf uns zu und wir hören uns das an und sehen ob das was für uns ist und dann kaufen wir es für den Laden oder eben auch nicht. Aber ich finde es spannend Sachen zu entdecken und dann ist es viel lustiger, wenn dann die tollen Musikjournalisten kommen und denken sie haben was tolles entdeckt und erzählen uns dann von Best Coast oder Zola Jesus und du denkst, als wir deren Singles hatten – hast du dich null dafür interessiert … es ist schon verrückt wie der Hype die Geschmäcker bestimmt und wie wenig Leute selbst etwas auszuprobieren … so standen zB Best Coast & Zola Jesus am Anfang ewig rum und dann plötzlich greifen alle Magazine das auf weil Pitchfork & co ihr Gütesiegel drauf gepackt haben und dann kaufen die Leute es … naja. 🙂 Leider werden dann viele solcher Bands auch schnell beliebig und langweilig, da sie unter dem Druck stehen neue Sachen zu machen etc …

Man hört ja allerorts stets diese Misere der Musikindustrie. Kannst Du das bestätigen? Ich habe zunehmend das Gefühl, dass das Verständnis für die gekaufte Platte, allen voran Vinyl, wieder zunimmt. Gerade bei euch gibt es hauptsächlich ja nur Vinyl.

Ich denke schon, dass die Musikindustrie in der Krise steckt. Sie hat ihre Kunden Jahre lang mit überteuerten CDs ausgesaugt und einen Haufen Müll veröffentlicht und somit haben die Kunden ihren Unterstützercharakter verloren. Sie sehen sich halt nicht als Teil der „Szene“ und sie sehen die unnötig grossen Bürogebäude der Majors, die ganze Kohle die da im Spiel sinnlos verbraten wird und da denken sie sich, dass die die 16.99€ von mir brauchen sie nicht – die laden sich ihren kram dann eben runter. Die Platten sind einfach auch teilweise ihr Geld nicht wert bzw. die Halbwertszeit viel geringer und viele Bands haben viel weniger Relevanz als andere Majorlabel Bands von damals. Ich meine, Leute reden immer von den Rolling Stones, Bruce Springsteen etc. – aber redet noch von Vanille Ice – mir fällt nicht einmal eine aktuelle coole Majorlabelband ein, die zeitlos wäre?!

Ich denke in der Welt, in der wir uns bewegen fühlen sich Konsumenten & Produzenten immer noch als eins und es gibt mehr Unterstützercharakter. Es ist alles einfach spannender, weil es kaum Grenzen gibt in dem was du machst … viel mehr Leute checken Sachen aus und sind interessiert.

CD´s gingen im Punk / Hardcore etc. nie wirklich gut – es war immer das böse Medium der Massenproduktion – wo Gewinn im Vordergrund stand / steht. Ich meine, wenn man die Produktion einer CD und einer Lp und dann deren VK vergleicht – steht das in keinem Verhältnis. Und da die kleinen Labels auch ganz anders operieren und auch weniger Geld haben, wird auch weniger Geld verschwendet. Wenn man überlegt wievielt überflüssige Leute ihr Geld bei den Majors verdienen und wer über was vom Kuchen abhaben will. Das ist wohl eher die Krise, man kann nicht alles auf den Kunden schieben, der nichts mehr kauft.

Am Ende hoffe ich das Qualität sich durchsetzt und die Leute weiterhin gute Sachen / Musik unterstützen und die genießen, anerkennen und sich daran erfreuen. Es ist ein Luxusprodukt und ein Stück Kultur und sollte das Leben bereichern – deswegen ist es auch wichtig Qualität zu liefern. Wir haben alle zu wenig Geld, um es für Schrott auszugeben 😉

Darf ich fragen ob ihr am Ende des Monats das Geld für die Miete zusammenkratzt oder läuft der Laden bedenkenlos gut?

Das ist eine berechtigte Frage und wir können nicht sagen, dass wir super duper von dem Laden leben können. Über die Jahre ist es immer besser geworden und das motiviert uns natürlich unser bestes zu geben. Es gab und gibt Monate wo wir auch ganz schön im schlingern sind und jeden Cent 5x umdrehen, aber wir kommen über die Runden. Da wir beide an einen niedrigeren Lebensstandard gewöhnt sind, geht es auch ganz ok. Wir haben billige Wohnungen usw. und es macht Spass und ich bin zufrieden.

Es könnte immer besser laufen, das ist klar. Aber wir sollten nicht meckern … wir müssen uns immer bewusst sein, dass Platten und all das keiner zum Leben braucht und das die Leute immer bei solchen Sachen zuerst sparen. Also Danke an alle, die noch immer Geld für gute Musik ausgeben und sich genauso dran erfreuen wie wir 🙂

Ihr habt ja auch noch den Online-Mailorder. Wird der regelmäßig genutzt und was setzt ihr am meisten ab? Gibt es so ein paar Produkte die ständig gekauft werden?

Der Mailorder ist unser zweites Standbein … wir brauchen beides und es ergänzt sich auch beides. Mit dem Mailänder hat alles angefangen und wir haben auch Leute, die schon mehreren Jahren online bestellen – was wirklich super ist. Ich denke Laden & Mailänder sind so 50:50 … je nach dem.

Im Vergleich zu anderen Plattenläden verfügt ihr über eine ziemlich große Ecke an Fanzines und Büchern. Wie ist da der Bedarf und verkauft ihr viel davon?

Der Verkauf von Büchern und Fanzines ist wieder besser geworden, leider gibt es gerade immer weniger coole interessante Fanzines, die über Interviews / Reviews usw. hinweg gehen – aber der Bedarf ist, wird eben nur leider nicht komplett gedeckt – da wie gesagt die interessanten Fanzines immer weniger werden.

Ich habe bei euch auch schon ein paar selbstgemachte kleine Fanzines gefunden, die es wahrscheinlich gar nicht großartig im Verkauf gibt. Auch hier die Frage: Gehst Du da auf die Leute zu oder kommen die von selbst bei Dir an?

Da kommen die Leute meist auf uns zu und wenn wir es cool finden, nehmen wir sie ins Programm – auf Kommission oder in Tausch etc …

Was genau ist eigentlich Dein Antrieb, all das weiterzuführen? Neben Label/Laden/Band veranstaltest Du ja auch regelmäßig kleine In-Store Shows für wenig Geld.

Ich glaube ich kann mir im Moment nichts anderes vorstellen, da ich es so lange schon mache. Es macht einfach immer noch viel Spass und ich habe grosse Motivation. So lange das Feuer noch brennen ist, werde ich auch nicht aufhören. Es ist einfach ein Teil von meinem Leben geworden.

Die Instore Shows machen wir, weil wir denken, dass ein Teil vom ganzen ist und es in Berlin einfach für gewissen Arten von Musik keine Möglichkeiten zu auftreten gibt und wir sehen uns als Bestandteil davon und wollen den Leuten auch eine Plattform geben … von daher ist es uns wichtig, diese Shows zu haben und wir danken hiermit auch unseren Nachbarn für ihr Verständnis.

Wenn ihr als mal in Berlin seid, kommt vorbei 🙂

Danke.

Interview: Raphael Schmidt

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