März 28th, 2020

Bauchgefühle: Joe Strummer und chinesischer Punk im Kino aus #124, 2007

Posted in artikel by Jan

Die selbst gemachten Weihnachtskarten waren gerade verschickt, viele von ihnen trafen erst nach dem Todestag ein – ein letzter Gruss aus dem Jenseits sozusagen. Dann starb Joe Strummer am 22. Dezember 2002 und zwar tatsächlich plötzlich und völlig unerwartet, wie es so oft heisst. Der Sänger hatte ein Herzleiden, das unerkannt geblieben war. Es hätte ihn auch viel früher treffen können. Jetzt, fünf Jahre später, legt Regisseur Julien Temple eine Dokumentation über dem ehemaligen Clash-Sönger vor, ‚The Future Is Unwritten‘, und die ist überaus sehenswert.

Nicht dass Temple eine wirklich originelle Idee gehabt hat. ‚The Future Is Unwritten‘ ist der – zählen wir hier richtig? – dritte Film über Strummer; mindestens ein weiterer ist in Arbeit. Das sollte man positiv deuten: Das Interesse an The Clash ist eben ungebrochen, was auch nur allzu verständlich ist – die Sex Pistols waren für 15 Minuten aufregend, The Clash für fünf Jahre und die Ewigkeit. Was aber kann ein weiterer Film noch großartig Neues erzählen? Und sieht man da nicht die gleichen Bilder wieder und wieder?

Tatsächlich ist ‚The Future Is Unwritten‘ anders. Temple orientiert sich stark an den Ideen des späten Joe Strummers. Der hatte beim World Service der BBC eine Sendung, in der er Musik aus allen Teilen der Welt gespielt hat – Dub aus Jamaika, Pop aus Afrika, alten Rock’N’Roll. Die Musik musste nicht bekannt sein, nur gut. Strummer bewies damit eine Offenheit, die wenige Hörer und noch weniger Musikschaffende haben. Temple benutzt Mitschnitte dieser Radiosendungen, um seine Bilder zu vertonen (die Soundtrack-CD traut sich übrigens weit weniger, wenn wir das richtig in Erinnerung behalten: Sony hat viele dieser Lieder weggelassen, weil sie ihnen vermutlich zu obskur waren. An den Rechten zu den Songs kann das kaum gelegen haben, die dürften nicht allzu teuer sein. Die CD ist trotzdem interessant, aber da wurde eine Chance vertan.)

Dass so viele fremde Künstler in ‚The Unfuture Is Unwritten‘ zu hören sind, führt übrigens dazu, dass der Film schon eine ganze Weile läuft, bis zum ersten Mal ein Clash-Song auftaucht. Das ist immerhin eine mutige Entscheidung, mit einem Best-Of-Kaleidoskop wären die Produzenten auf einer weit sicheren Seite gewesen.

Die andere Idee, die Temple aus Strummers Leben auf die Leinwand transportiert: Strummer war besessen von Lagerfeuern (ist das nicht hippiesk?), und so platziert der Regisseur seine Interview-Partner fast durchgehend ebenfalls vor einem brennenden Holzhaufen. Schon das ist eine visuell ungewöhnliche Umsetzung, zudem hat der Regisseur eine ganze Reihe Aufnahmen ausgegraben, die nicht bereits überall zu sehen waren. Auch wenn sich das nicht vermeiden lässt: Es gibt eben nur eine Aufnahme davon, wie Mick Jones zehn Tage vor Strummers Tod während eines Benefiz-Festivals zu ihm auf die Bühne steigt und mehrere Clash-Songs spielt. Also tauchen diese Bilder in sämtlichen Filmen auf. Auch aus der aktiven Zeit von The Clash gibt es ein paar Standards – Festivalaufnahmen, der Auftritt mit Grandmaster Flash in New York -, die sich nicht vermeiden lassen. Aber ohne diese Bilder würde schliesslich etwas fehlen.

Inhaltlich folgt Temple der Biografie Strummers, er erzählt aus der Jugendzeit des Diplomaten-Sohns, von der schwierigen Schulzeit und dem späteren Besuch der Kunstschule, die Hausbesetzer- und Hippie-Tage kommen vor und dann der Wechsel zum Punk. Was danach passierte, dürfte bekannt sein. Temple lösst aber auch jene Jahre nicht aus, in denen Strummer fast vollständig abtauchte, bis ihn Sony endlich aus seinem Vertrag entliess. Auch das ist ein Unterschied zu den anderen Dokus, die 1982, spätestens aber 1985 ausblenden, um sich noch kurz den letzten Lebensjahren zu widmen. Allerdings führt dieser Unterschied dazu, dass ‚The Future Is Unwritten‘ für eine Dokumentation recht lang geworden ist. Temple also erzählt auch von Strummers Versuchen, als Schauspieler Fuss zu fassen, von musikalischen Experimenten etwa mit Techno und natürlich von den Radiosendungen. Dazu gibt es zahlreiche Interviews mit Freunden und Kollegen, die auch kritisch sind – Strummer muss 1982 ein mittleres Arschloch gewesen sein. Warum allerdings Bono seinen üblichen pathetischen Senf dazu geben muss und Johnny Depp ein paar Sätze sagen darf, bleibt unverständlich. Die hätte Temple auch rauskürzen können.

Wie auch immer: Vor allem ist ‚The Future Is Unwritten‘ ein Film, der Mut macht – auch wenn das nun pathetisch klingen mag. Joe Strummer hat zwar nach dem Ende von The Clash lange nach einem Weg gesucht, ihn dann aber auch gefunden. Und zwar ganz unbeirrt und ganz eigen. Er hötte auch einfach mit Mick Jones eine Reunion starten können, um viel Geld zu verdienen. Ein bisschen, und das klingt noch pathetischer, ist er damit auch Vorbild: Man soll eben seinem Bauch folgen und machen, woran man Interesse hat, von rationalen Aspekten abgesehen. Richtig!

Susanne Messmer und Georg Lindt haben genau das getan: Aus rein privater Neugier sind sie nach Peking gereist, haben dort eine Punk- und Indie-Band nach der anderen kennen gelernt, ihre Erlebnisse mit einer billigen Kamera festgehalten und daraus einen Film gemacht. ‚Beijing Bubbles‘, bereits seit April im Kino und ab Jahresende (hoffentlich) auch auf DVD. Mehr DIY geht überhaupt nicht.
Der Film ist der krasse Gegensatz zu ‚The Future Is Unwritten‘. Man muss sich auf ‚Beijing Bubbles‘ einlassen, so gewöhnungsbedürftig und billig sind Erzählstruktur. Teilweise seien die Kameras der chinesischen Touristen technisch besser und teurer gewesen, erzählen die beiden. Man sieht es dem Film an. An einer Stelle fallen sogar die Bilder aus, nur der Ton ist zu hören. Und trotzdem wurde die Passage nicht geschnitten. Auch erzählerisch ist der Film ungewöhnlich; er gleicht eher einem Reise-Tagebuch als einer echten Dokumentation. Es gibt kein offensichtliches Konzept, ausser der Begeisterung für die in Peking entdeckten Bands, die Messmer und Lindt mit den Zuschauern teilen möchte. Man lässt sich davon aber gerne anstecken.

Um Punk geht es nur im weitesten Sinne: New Pants sind die Band, die am ehesten unter den Genre-Begriff fallen könnten; ihre Vorliebe für die Ramones wird sehr deutlich. Joyside, deren Sönger mitsamt Freundin das Kinoplakat ziert, hingegen klingen wie Garagenrock, der sich für die Stooges genauso begeistert wie für Jim Morrison. Und im Laufe des Films lernt der Zuschauer auch noch sehr ungewöhnliche, aber schwer aufregende mongolische Volksmusik kennen.

Punk ist hier eher eine Geisteshaltung: Sämtliche Bands positionieren sich abseits des chinesischen Mainstreams, der offenbar noch stärker von Karrieredenken geprägt ist als der westliche. Allerdings fällt auf, dass die wenigsten Musiker rebellieren wollen – mag sein, dass das in einer Kultur wie der chinesischen eine Seltenheit ist. Stattdessen ziehen sich die Musiker zurück ins Private. Ausgehen sei eh langweilig, sagt ein Bandmitglied von Hang On The Box. Und Politik, über den Platz des Himmlischen Friedens, ist auch nur am Rande ein Thema.

Die beiden Filmemacher, die ‚Beijing Bubbles‘ privat finanziert haben, folgen den Musikern bei ganz alltäglichen Dingen, beim Einkaufen etwa, im Restaurant oder sogar bei den Eltern. Die häufig ihre Kinder in ihrem Tun unterstützen, ansonsten könnten die wohl kaum überleben.

Auf der zugehörigen Soundtrack-CD gibt es noch weitere Bands zu entdecken; hier ist der Griff zum Album ein Muss. Die Filmemacher haben nämlich zum Filmstart ein eigenes Label gegründet, Fly Fast Records, auf dem außerdem ein komplettes Album von Joyside erschienen ist. Beide Platten sind sehr schick und kommen im Digipak, die CDs sehen ein bisschen wie 5″-Vinyl aus. Schön, wenn Menschen tatsächlich all ihre Energie in etwas stecken, woran sie glauben.

Dietmar Stork

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0