BACK CHATS (#111, 2005)
Tim tauchte schon ein paar Mal in meinem Leben auf: ein Freund aus Bergisch Gladbach fing 1997 an, für das damals richtig bekannte weil umstrittene Fanzine Anti-Punk aus Bonn (und von Tim aka Herrn Krüger mit-herausgegebene) zu schreiben. Mit Tim`s immer noch existierender alte Schule Coverband 1982, auch mit Dominik von Molotow Soda, hatten wir sogar mal ein Konzert veranstaltet und jetzt treffe ich Tim im Sonic Ballroom zu Köln. Er erzählt mir von seiner Band Back Chats und ich gebe mich natürlich total wichtig als Trustschreiber aus. Doof nur, daß ich jetzt tatsächlich was schreiben muß. J Aber eigentlich wollte ich Thorsten immer schon mal auf den Zahn fühlen. Per email schickte ich ihm im September 2004 ein paar Fragen.
Hi Tim, schön, dass du Zeit hast für ein Interview für das Trust Fanzine – du bist ja selber momentan als Mit-Herausgeber des Fanzines „Nowhere“ aktiv und hast früher beim Antipunk mitgemacht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie zeitaufwendig es ist, ein eigenes Heft zu machen, und mir war das nach 2 Ausgaben zu viel – aber ich freue mich immer sehr, wenn ich ein nettes cut and paste Heft in der Hand habe. Warum tust du dir den ganzen Stress mit deinem jetzigen Heft „Nowhere“ noch an?
Ich bin, mit kurzen Pausen, seit knapp 10 Jahren an Fanzines beteiligt. Das geht vom MÜLL (1993-1994), ANTIPUNK (1995-2000), QUEEN WORLD(2001-2003) bis zum NOWHERE (ab 2001). Mir ist die Existenz von Fanzines sehr wichtig, also mach ich selber eins. Sie sind Teil einer Gegenöffentlichkeit – solange sie independent von irgendwelchen Verlagen bleiben. Ich halte gute Fanzines für ebenso wichtig wie herausragende Platten. Sie sind neben den Tonträgern so ne Art Gedächtnis der Szene. Aber es macht auch einfach Spaß, zu schreiben, zu kleben, zu heften…
Gibt es im Bonner Raum eigentlich noch andere Fanzines, da war doch mal das „Rude and Red“, das „Suburbia“ oder das „Interpol times“ – alle auf Eis gelegt oder tot?
Die gibt es schon lange nicht mehr. Die Zeiten der Bonner Fanzine Hochkultur sind vorüber. Hängt vielleicht mit grassierender Entpolitisierung vieler älterer Punx und einer mit Rock`n`Roll Attitüden nur oberflächlich kaschierten inneren Leere zusammen. Wer nichts zu sagen hat, macht in der Regel auch kein Fanzine.
Warum ist das Antipunk eigentlich damals eingegangen? Soweit ich mich recht erinnere, wart ihr doch schon recht „bekannt“ im Sinne von umstritten bei der damals sich entpolitisierten Punkszene?
So weit ich mich erinnere, haben wir Anfang 2000 aus verschiedenen Gründen aufgehört. Zum einen weil wir das Gefühl hatten für den Moment alles gesagt zu haben und wir uns nicht wiederholen wollten und wir z.T. auch etwas frustriert waren. Was wir und andere Anarchopunk Zines wie z.B. das UNTER TAGE aus Hamburg oder der PAPIERTIGER aus Bremen vertreten hatten, wurde eine Art Mainstream in weiten Teilen der Punk Szene ohne weiteres Hinterfragen übernommen. Es war „in“ Anarchopunk zu sein. Was ganz allgemein ablief, ging auch am Antipunk nicht vorbei. Auch wir liefen Gefahr zum Produkt zu werden. Das wollten wir nicht und so hörten wir halt auf. Vor zwei Jahren haben wir einen Teil unseres Materials unter www.antipunk-archiv.de ins Web gestellt.
Der Begriff Fanzine, also dass sich Fans zusammentun und eine eigene Zeitschrift herausgeben – irgendwie finde ich den manchmal völlig unpassend, der echte Fan ist doch eigentlich der passive Konsument, der sich mit Merchandise – Artikel im posterüberhängten Zimmer wohlfühlt – Leute, die sich so viel Mühe machen, eine eigene Zeitung (welche Höhe die Auflage hat, ist ja erst mal egal) auch als Fans zu bezeichnen, finde ich irgendwie komisch, aber so manches im Punk ist komisch und vielleicht gehts auch nur mir so. Vielleicht ist der Begriff Punk-Aktivistinnen irgendwie besser?
Das Fanzine der Punk Kultur war immer ein Ding von Fanatiker/in zu Fanatiker/in. Im Punk ist jeder fanatisch, liegt in der Natur der Sache weil Punk alle Lebensbereiche in Anspruch nimmt. Punk sein kann niemand ausschalten oder wie eine Jacke ablegen. Jede/r kann auf seine Weise an der gemeinsamen Weltanschauung bzw. Lebensführung teilhaben und mitgestalten. Das ist Teil der Magie, welche Punk auch noch nach 30 Jahren ausstrahlt. Außenstehende sind Konsumenten – aber ein Fan ist aktiv für und in seiner Sache und wird stets mehr tun als bloß konsumieren und wenn er nur ein Fanzine liest. Deswegen passt der Begriff „Fanzine“ in meinen Augen schon.
Seit wann machst du eigentlich bei der Band Back Chats als Gitarrist mit – übrigens, hat es mit dem Namen eurer Band irgendwie ne tiefere Bedeutung, ich kenne nur aus den alten Straight Edge Texten den Begriff Backstabber 🙂 Und warum eigentlich dein Pseudonym „Tim June“?
Die Back Chats existieren in der Form seit Herbst 2000 ich bin seit 1999 am Start. Bisher haben wir zwei Alben und eine Single veröffentlicht. Der Name bedeutet in etwa: „aufmüpfiges Widersprechen“, „hinter dem Rücken reden“. Zudem heißt nen Stück von Queen so, daher die Inspiration. Der Name Tim June hängt zeitlich eng mit dem Entstehen der Back Chats zusammen, mir war es irgendwann zu blöd, dass es ständig hieß: Krüger hier, Krüger da – denn sonderlich fasziniert hat mich mein Erzeugername nie– also habe ich mir einfach einen neuen Namen ausgedacht, so wie es ja auch Pattie Patex oder Kai Hawaii getan haben, hehe.
Ist es ein Klischee, dass man bei Frauen Gesang und 77er Punk direkt an Avengers denkt? Zumindest nen guten Touch davon meine ich rauszuhören. Habt ihr als Band irgendwie eine Konsensband, die ihr alle als Fundament für euren Sound seht oder so?
Ha, ha… Konsensband. Wir haben uns im Studio mal fast aufgelöst über die Frage ob nun Ärzte oder Hosen mehr Punkfaktor haben. Die Avengers find ich sehr symphatisch aber in der Band war das nie Thema. Tendenziell gehen Anke und Lars mehr in Richtung Rock `n` Roll so was wie Shemale-Trouble. Dem Pöppel gefallen im Moment Emo Sachen aber auch traditioneller Punk ganz gut wie z.B. The Clash, Michele hört glaube ich viele schräge Sachen und ist sicher auch mit Oma Hans zufrieden. Ich mag viele Punk, Wave und Hard-Rock Sachen. Mir ist wichtig das bei der Musik eine gewisse Hingabe zu vernehmen ist. Der Sound entsteht durch unser Zusammenspiel. Im Proberaum klingen wir meist sehr rau und es wird viel rumprobiert. Das Gesamtbild eines Songs wird meistens erst im Studio sichtbar, dort werden aus persönlichen Teilstückchen Back Chats Songs. Das gilt besonders für die Gesangs Arrangements.
Wer macht bei euch eigentlich die Texte – finde das ne recht gute Mischung aus politisch-persönlichen Sachen und zwei Fremdsprachen, Englisch und Spanisch, mit dabei, Hut ab… Achso, ist das eigentlich deine Stimme, die manchmal in den Chören zu hören (Anm: schicker Reim, wa :)) ist? Klingt gut.
Im Prinzip schreiben alle Songs, Musik wie Texte. Bei uns wird viel diskutiert. Das betrifft auch einige Texte aber die Auslese kann sich dann auch sehen lassen. Beim Gesang macht in aller Regel Lars den männlichen Part. Aber auch der Rest ist vereinzelt mal zu hören. Was die Sprachen angeht, finden wir es interessant mal ungewöhnliches probieren, mir hätte z.B. COME QUIET auch mit französischem Text sehr gut gefallen.
Kompliment übrigens zu eurer CD „Protect me from what I want“ – echt feiner Punk mit netten Texten, hab irgendwie länger nicht mehr klassischen Punk gehört. Klingt alles recht sauber aufgenommen und sogar auffem Label (Matula Records) erschienen – wie kam es zu dem Deal und was habt ihr mit der Band so vor, ich finde, das wirkt schon richtig angenehm professionell?
Die erste LP haben wir im Prinzip bei Pöppels Label WEIRD SCIENCE selbst rausgebracht, dass war aber sehr zeitintensiv. Also haben wir uns mal umgehört, Falk von Matula hatte dann Interesse das zweite Album rauszubringen. Wir haben bei unseren Aufnahmen schon immer Wert auf Qualität gelegt und diese steigt zusammen mit der Erfahrung im Laufe der Zeit. Wenn wir schon im Studio sind und viel Geld dafür bezahlen, wollen wir auch die Technik dort ausnutzen. Ansonsten könnten wir ja auch live Platten rausbringen. Natürlich wollen wir, wie die meisten anderen Bands auch möglichst viele Hörer/innen finden. Uns allen ist diese Band sehr wichtig es steckt viel Herzblut darin, die unglückliche Liebe, die Wut über die Bestie Mensch, die Hoffnung auf bessere Zeiten, der Schmerz der Melancholie, die gemeinsamen Auftritte, dass gute Gefühl anderen Freude bereiten zu können. Wenn dann auch noch die eine oder andere Textzeile wenigstens nachdenklich macht… ist die Mission erfüllt!
Kommt ihr eigentlich alle aus Bonn? Wie lebt es sich denn da so? Ich hatte die Bonner Szene lange Zeit nur durch die Band Hammerhead gesehen, aber eigentlich hat Bonn ja zumindest für einen Aussenstehenden eine recht spannende Mischung: wirres Hardcore Zeug von Scene Police (RIP), alte Schule Punk von euch, 1982 und Molotow Soda, und dann noch Assi-Core à la Hammerhead – oder sind das alles isolierte Teile, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben? Vielleicht ist ja auch in Bonn eher die Glamour Studenten-Punk-Szene und die richtigen DIY-Punks sind im SJZ in Siegburg?
Wir wohnen alle in Bonn, zum Großteil seit vielen Jahren. Die Stadt ist nicht zu groß und ein sehr freundlicher Ort in dem es sich gut aushalten lässt. Bonn hat auch eine sehr lange Punk-Rock Tradition und eine lebendige Szene, wir sind gerne ein Teil von dieser. Aber auch in Bonn gibt es natürlich Unterszenen, aber im Großen und Ganzen kennen sich alle. Das SJZ Siegburg ist die Bonner Außenstelle, es wohnen mittlerweile auch fast alle SJZ Aktivisten/innen in Bonn. Ich finde Bonn hat schon immer sehr viele sehr gute Bands hervorgebracht z.B. CANAL TERROR, GUTS PIE EARSHOT, FFF, AMOK, THE PUKE, MOLOTOW SODA, ESTRELLA NEGRA etc. Da brauchen wir uns, qualitativ gesehen, sicher nicht vor Hamburg oder Berlin zu verstecken. Wer das nicht glaubt, dem sei z.B. der BEETHOVENS ALPTRAUM – Bonn Sampler II ans Herz gelegt. Irgendwann werden mal irgendwelche alten Leute ein Buch über Punk in Bonn schreiben und das wird sicher ein ganz schöner Wälzer. Typisch bönnsch ist im Moment auf jeden Fall die Experimentierfreude vieler Bands, niemand will sich auf eine Schublade reduzieren lassen. Da zählen z.B. die POPPERKLOPPER, ESTRELLA NEGRA und natürlich auch die BACK CHATS zu.
Ok, am Ende einfach nen paar kurze Fragen mit der Bitte um kurze Antworten.. Du bist ja völlig zu recht Queen Fan – Greatest Hits I oder II?
Sowohl als auch und die restlichen Alben. Haben mich immer stark beeinflusst. Sehr geniale Band. Ohne Queen wäre bei mir vieles anders gekommen.
Bei der Rheinkultur 2004 wurde ja neben dem Stagediving und crowd-surfing im offiziellen Programmheft auch das Pogen verboten, was ich ja recht erheiternd fand – wie wars denn dieses Jahr dort und wie findest du die Rheinkultur so, machen ja auch Leute von Revolution Inside da mit oder?
Ich bin nicht der große Rheinkultur Fan, finde es aber sehr respektabel was dort für lau (sofern Mensch dort nichts trinkt) geboten wird. Dieses Jahr habe ich mir nur TURBOSTAAT wirklich angesehen, die sind mir sympathisch. Dann ging mir aber das feuchte Wetter auf den Keks und ich habe leider THE DARKNESS verpasst.
Hast du irgendwie noch mal Lust, völlig aus Bonn wegzugehen, also, gibt es irgendwie eine Stadt hier in Deutschland oder im Ausland, wo du noch mal Lust hättest, für längere Zeit zu leben?
Gute Frage. Beim Konzerte spielen sieht man ja schon die ein oder andere Stadt und deren Menschen. Mit Bremen und Leipzig verbinde ich viel positives, ansonsten bin ich halt aus Bonn. Hier bin ich aufgewachsen, hier sind meine sozialen Bezugspunkte. Habe nicht vor diese aufzugeben. Außerdem hat diese Stadt den Bonner SC.
Homepage: www.backchats.de
Interview: Jan Röhlk