Dezember 31st, 2023

Al und Andrea (#213/April/Mai 2022)

Posted in interview by Jan

„Es ist genau eine Minute im neuen Jahr, legen wir also nun meinen traditionellen „Neues-Jahr-Kick-Off-Song“ auf, „Data Control“ von Hüsker Dü.“
(magisches Ritual von Al bei gemeinsamer Silvester-Party Frankfurt 2009)

Im Gespräch mit den verdienten früheren Trust-Fanziner*innen Andrea und Al

Wissen Sie, was das Schöne daran ist, wenn man sich unter (Ex-) Trust-Fanziner*innen befindet, die teilweise gute zehn Jahre älter sind als man selbst mit 44 (2022)? Man lernt unglaublich viel, über Musik, Politik, Punkrock und das Leben. Und auch über Kunst! Denn es war circa vor vier Jahren, als ich mit Al vorm Plattenladen zu Frankfurt (Ort unseres wöchentlichen „Musik-Nerds“-Stammtisches) mein interessantestes Gespräch über Kunst jemals führen durfte, es ging um Sonic Youth.

Gedächtnisprotokoll: „Al, Stichwort „Daydream Nation“-LP-Cover von Gerhard Richter. Ist nichts gegen den, aber kann nicht im Prinzip jeder so ´nen Foto von ´ner Kerze machen, was ist daran so toll?“ – „Typ, das ist gemalt!“. Danke!

„Das dürft ihr nicht!“ (Al, als Thumb auf ´nem Festival ein Minor Threat-Cover ankündigten)
Ihr seht: wir Fans sind nicht nur zum Spaß unterwegs! Die Idee für ein Gespräch mit verdienten Ex-Trust-Schreiber*innen entstand, weil ich in unserem Trust #210 (2021) beim Interview mit Trustlerin Alva so viel Spaß hatte. Mir fiel da auf, dass ich bei meinem Einstieg ins Heft 2003 noch Teile der alten Trust-„90er-Brigade“ live kennenlernte (also nicht die People aus der 80er Crew (außer Dolf, Howie und Mitch natürlich): „damals“ waren die „Frankfurter“ noch stark im Heft involviert, u. a. eben Al, Andrea (beide waren in den 90ern für einige Jahre auch ein Pärchen), Joachim und Kollege PJ1 (freut euch auf ein bald kommendes Gespräch mit Daniel, es wird um Jawbreaker, Hot Water Music, die Hafenkneipen in der Südsee und die bald erspielte Weltmeisterschaft von Eintracht Frankfurt gehen!).

D. h. es gab unter den Frankfurter*innen sowieso eine enge Bindung, aber auch von dort zu den Bremern vom Heft, zu Stone, Jörg, Dolf, Lottes und zu Thorsten in Celle vor seinem Umzug nach New York (siehe mein Interview mit ihm in der #158 (2013)), heute residiert der feine Herr in Paris – und es gab auch Bindungen zu dem alten Layouter Mitch in Augsburg (vgl. unser Interview aus der #191 von 2018, das Trust-Headquarter war ja bis Mitte der 90er in Augsburg, Dolf zog dann nach Bremen). Und es gab mehr live-Redaktionstreffen BRD-weit (aber auch mal in Venedig), 2004 lernte ich bei meinem ersten Redaktionsbesäufnis in Nürnberg Al, Andrea, Daniel und Mitch etc. zum ersten Mal kennen, es gab den Trust-Stand bei der Kölner Popkomm und dort immer große Trust-Konzerte (schaut euch mal auf youtube.com/watch?v=XLgrWHcPHpY an, wie Al 1996 Tocotronic am Trust-Stand „abfertigte“).

Those were the days, my friends!
Nun, die Popkomm gibt es nicht mehr, die Frankfurter*innen stiegen peu á peu hintereinander aus und das bislang letzte echte Trust-Redaktionstreffen war 2006 ein Weekender im AJZ Bahndamm Wermelskirchen (Schwarz Auf Weiss (Bremen Ska-Punk-Band auch mit Trust-Personal), Quest For Rescue, Ideoblast) und im Kult 41 Bonn (The Other, World Downfall). Und heute sind die einzelnen Schreiber*innen zwar wie gewohnt in ganz BRD verteilt (mit unserem Rezi-Orga-Mensch Dietmar in New Jersey und Jochen in Sydney) und ja, doch, schon, man kennt sich, man besucht sich mal gegenseitig, ist in Kontakt, tauscht sich aus, sieht sich bei Gigs von Bands von Trust-Leuten in der jeweiligen Stadt und/oder bei runden Trust-Jubiläums-Gigs in Bremen und beim dortigen Endless Grind, aber man ist heute doch mehr Einzelkämpfer*in vor Ort.

Das ist definitiv anders wie in den 90er, ob das schlecht oder vielleicht auch gut ist, versuchen wir, hier noch zu klären. Denn vielleicht ist es auch einfach wegen dem Internet so? In den 90ern fuhr man noch zu Gigs, um XY kennenzulernen, man war gespannt, wie der/die in echt ist, heute gibt’s dafür soziale Medien und Messageboards. Mich interessiert einfach, was verdiente Gaspedale vom Trust heute so über das Heft und ihre Zeit beim Trust denken und auch wenn alle so ein Gespräch verdient hätten, machte ich jetzt eine kleine Auswahl. Ich bilde mir nicht ein, dass das für irgendwen von euch superinteressant ist, Fakt ist: mich interessiert’s – und vielleicht kommt ihr einfach mit in die „Time Warp“ auf der guten alten Memory Lane. Uns erreichen jedenfalls einige Male im Jahr E-Mails von euch, in denen gefragt wird „wie funktioniert das Trust eigentlich, wie tickt ihr?“. Wir versuchen, hier keine (De-) Glorifizierung von uns oder dem Heft zu betreiben, was wahrscheinlich nicht so zu 100% gelingt, habt dafür bitte Verständnis, der Anspruch ist auf jeden Fall da, ehrlich/fair/authentisch zu sein. Zu beiden Interviewpartner*innen noch Vorabinfos.

Ladies first: „Standing in the shower thinking“
Andrea kommt aus dem Großraum Frankfurt am Main, 1987 Jesus and Mary Chain auf den legendären Kurz-Krawall-Gigs gesehen (Al war auch da, ich führe das hier deswegen auf, damit ihr versteht, dass beide schon viele Jahre vor ihrem Trust-Einstieg Anfang der 90er aktive Punk-Fans in den 80er waren), Lieblingsbands Jane´s Addiction, Fugazi, Gun Club, hübsche Plattensammlung mit 1.000 Vinyls, seit einigen Jahren aktiv im Hula tanzen und beim Frankfurter Ukulele Stammtisch, dazu wurde 2019 ein Sabbatical genommen, um ein Kulturfestival auf den Marquesas zu besuchen und die Südsee zu bereisen.

Neben Fotos fürs Heft, einigen Kolumnen (siehe Zwischenüberschrift), vielen Rezis und der Koordinierung der Trust-Schwerpunktausgabe „The sexiest thing is Trust: Sex + Musik“ mit mir (Trust #116 (2006), über einige Treffen 2005 zur Inhaltsplanung wurden dann wir ein Pärchen) führte Andrea diese Interviews [alles nachfolgende, auch bei Al, ist ohne Anspruch auf Vollständigkeit aus unserem Online-Index, anzumerken ist noch, dass Al und Andrea am Anfang viele Interviews zusammen führten, Al jedoch der „eher aktivere Part“ war]:

Trust #44 (1994) – Hard-Ons, #47 (1994) – Gwar, #53 (1995) – Mudhoney, #58 (1996) – Bikini Kill, #58 (1996) – El Vez, #64 (1997) – Jon Spencer Blues Explosion, #65 (1997) – One Foot In The Grave, #67 (1997) – Cramps, #68 (1998) – Horror in der Straßenbahn. Bericht über TRUST-Treffen in Frankfurt/Main, #71 (1998) – Frank Kozik, #71 (1998) – Tito & Tarantula, #73 (1998) – Rancid, #74 (1999) – Rocket From The Crypt, #75 (1999) – Teen Idols, #76 (1999) – The Makers, #78 (1999) – Frau Doktor, #78 (1999) – Kick Joneses, #78 (1999) – Man Or Astro-man?, #79 (1999) – Konzerttourismus: Mein allerliebster Laden Vol. 1: Schlachthof Wiesbaden, #83 (2000) – The Zeros, #86 (2001) – The Woggles, #94 (2002) – Bob Log III, #97 (2002) – Pretty Girls Make Graves, #98 (2003) – The Moonlighters, #99 (2003) – The Immortal Lee County Killers, #101 (2003 ) – Gogol Bordello, #102 (2003) – Spaß mit Georges Valensin – Teil I, #102 (2003) – Handarbeitsanleitung für Black Flag-Topflappen, #103 (2004) – Chung, #103 (2003) – Handarbeitsanleitung für Tattoo -Handschuhe, #103 (2004) – Spaß mit Georges Valensin – Teil II, #104 (2004) und #106 (2004) – Been caught drinkin… Fotoserie, #107 (2004) – Hanau A Go-Go Filmrezension, #107 (2004) – The Locust, #109 (2004) – Punk Rock Aerobics, #110 (2005) – Handarbeitsanleitung für Germs-Tasche, #116 (2006) – Fuck For Forest Umwelt NGO, #116 (2006) – Bebe Buell, #119 (2006) – Anne Ullrich, #134 (2009) – Boy Division, #140 (2010) – Übersetzung Skate-Punk-Artikel aus Texas, #143 (2010) – Horror Special, Teil 1, #144 (2010) – Horror Special, Teil 2, #146 (2011) – Horror Special, Teil 3, #155 (2012) – Punkrock Topflappen, #157 (2012) – Vinyl Special.

„Immer weitergehen“
Andrea und Al sind auch Teil der schon erwähnten legendären „Langer Donnerstag“-Stammtischrunde in Frankfurt, die es seit Joachims früherem Plattenladen „Get Happy“ ab Anfang der 90er gibt (als die Läden donnerstags bis 20:30 Uhr aufmachen durften). Aus dieser Runde kamen ja im Heft Mitte der 2000er auch 15 Folgen der Rezi-Seven-Inch-Reihe! Anzumerken wäre noch, dass Al und Andrea viele Jahre lange in verschiedenen Konzertgruppen hauptsächlich im Exzess Frankfurt aktiv waren.

„It´s a beautiful world we live in!“
Das erste Konzert von Kollege Al war Mitte 70er Smokie in der Ostseehalle Kiel. 1982 dann SSD in Boston gesehen (dumme Sau!). „Lebt und arbeitet in Frankfurt“ seit Anfang der 80er. Viele Gigs in den 80er getapt, auch u. a. für die Veranstaltung-Zeitschrift „AZ“ in Frankfurt geschrieben. Mit fast 15.000 Vinyls auch eine „ganz hübsche“ Plattensammlung, er hört nicht auf mit raren US-HC-Seven-Inchs und THE STALIN-Flexis Sammeln. Lieblingsbands immer noch DEVO, Tuxedomoon und U2 nach 1984 (kleiner Spaß Digger, ich meinte EA 80).

Neben vielen Kolumnen (siehe Titel dieser Zwischenüberschrift), der transportiven Bereitstellung des Trust-Bierkühlschranks für den Popkomm-Stand dort jedes Jahr und vielen Rezis führte Al diese Interviews fürs Trust: #42 (1993) – Itch, #43 (1994) – NO FX, #44 (1994) – Hard-Ons, #44 (1994) – M. D. C., #46 (1994) – All, #46 (1994) – D. I., #46 (1994) – Kick Joneses, #47 (1994) – Badtown Boys, #47 (1994) – D. O. A., #47 (1994) – Green Day, #47 (1994) – Gwar, #47 (1994) – Peach, #47 (1994) – Spermbirds, #49 (1994) – Gum, #49 (1994 ) – Offspring, #50 (1995 ) – NRA, #52 (1995) – Al‘s fröhlicher Retro-Abend: DEVO I, #52 (1995) – Beowülf, #52 (1995) – Lagwagon, #52 (1995) – Loudspeaker, #52 (1995) – Naked Aggression, #53 (1995) – Mudhoney, #54 (1995) – The Muffs, #54 (1995) – SNFU, #55 (1995) – Lee Hollis, #55 (1995) – Supersuckers, #55 (1995) – Toxic Reasons, #56 (1996) – Magic Splatters, #57 (1996) – Al‘s fröhliche Retro-Ecke: DEVO II, #57 (1996) – Pere Ubu, #58 (1996) – Nachruf Uwe Hebe Heberer, #58 (1996) – Misfits, #59 (1996) – Stereo Lab, #60 (1996) – Jawbox, #60 (1996) – Glen Matlock, #62 (1997) – Ratos De Porâo, #62 (1997) – Social Distortion, #63 (1997) – Apt. 3 G, #63 – (1997) Descendents, #63 (1997) – Toe To Toe, #65 (1997) – Misfits, #65 (1997) – Superfan, #65 (1997) – T. V. Killers, #66 (1997) – Millencolin, #67 (1997) – Cramps, #67 (1997) – Euroboy, #70 (1998) – Dropkick Murphys, #70 (1998) – Hellacopters, #71 (1998) – Frank Kozik, #71 (1998) – Rantanplan, #71 (1998) – Stunde X, #71 (1998) – Tito & Tarantula, #73 (1998) – Rancid, #74 (1999) – Rocket From The Crypt, #75 (1999) – Teen Idols, #76 (1999) – The Makers, #78 (1999) – Das TRUST-Kochbuch: Heute serviert Chef Al: LSD, #78 (1999) – Frau Doktor, #78 (1999) – Man Or Astro-man?, #81 (2000) – NRA, #83 (2000) – The Zeros, #85 (2000) – Gaza Strippers, #86 (2001) – Boxhamsters, #87 (2001) – Tuxedomoon, #90 (2001) – White Flag Teil 1, #91 (2001) – White Flag Teil 2, #96 (2002) – Melt Banana/Nippon Connection, #103 (2003) – Nippon Connection Filmfestival.

„If the legend becomes fact, print the legend!“
Fast alle Interviews von Andrea und Al sind online. Sicher, man hätte noch auf die gemeinsame USA-Reise 1991 von ihnen eingehen können, wo Al direkt am ersten Tag in San Francisco seine ganze Urlaubskohle für sechs Wochen USA im legendären Epicenter-MRR-Plattenladen verballerte, aber nun: viel Spaß jetzt mit Andrea und Al! Wir werden eure Taten fürs Trust natürlich nie vergessen, wobei Dolf: tu doch bitte in der Augsburg-Trust-Gedächtnis-Vitrine endlich mal deren Pokale und Urkunden in den Keller und hänge bitte meine schönen L.A.-Punk-Gedenkteller ´nen bisschen höher!

Tja, wie sagte es ein unbekanntes Genie vor circa zweihundert Jahren: „Der Fehler der Alten: sie denken, dass alles mit ihnen aufhört. Der Fehler der Jugend: sie denken, dass mit ihnen alles beginnt.“ Und um eure Frage direkt vorab zu beantworten: was für Penner*innen schreiben für Fanzines, sind das verhinderte Musiker*innen und oder Selbstdarsteller*innen/Besserwisser*innen? In erster Line sind wir einfach nur DIY-HC-Musik-Fans. Und Musik-Fans, da bin ich mir sicher, das werden Al und Andrea immer bleiben, aber fragen wir sie doch jetzt am besten einfach selbst, sie fanden sich in meiner und Andreas Butze bei Dosenbier, Apfelwein „Meisterschoppen“, Schwip Schwap, Holzofenpizza und 100 Kippen zusammenfanden.

Ihr Lieben, danke für eure Zeit! Ich dachte so nach dem Motto „Ladies first“, Andrea, du hast viele Interviews fürs Trust gemacht, wenn du zurückschaust: dein bestes Interview war nicht Bikini Kill, eher der Phoner mit Bob Log III?

Andrea: Also, Bikini Kill war jetzt nicht mein tollstes Interview, denn mein allerbestes Interview war das mit EL VEZ, dem mexikanischen Elvis. Das war auch deshalb so, weil das tatsächlich mein erstes eigenes Gespräch war, ich hatte vorher bei vielen Interviews Al eher so „assistiert“ und EL VEZ führte ich dann komplett eigenständig. Der hat ja früher bei THE ZEROS mitgespielt, und das hatte ich live gemacht. Er war in den 90ern relativ regelmäßig für Auftritte in Frankfurt. Und vorher waren es immer Interviews mit Al, ich hab dann „Hallo“ zu den Bands gesagt und mal so eine oder zwei Fragen gestellt. Das mit EL VEZ freute mich einfach total. Ich habe es dann später noch einmal weiterverwendet und zwar war das, als ich ein Praktikum bei Associated Press in Frankfurt am Main machte. Da durfte ich was Redaktionelles für die Musikredaktion schreiben. Und es wurde dann auch von zwei Tageszeitung abgekauft, inklusive meinem schönen szenischen Einstieg, was ich stilistisch auch echt gerne in den Beiträgen fürs Trust verwendet habe.

Das Bikini-Kill-Ding 1996 war also gar nicht so geil?

Andrea: Naja, das war sicherlich mein wichtigstes Interview fürs Trust, also das relevanteste, weil die damals ja in aller Munde waren und es auch blieben über die Jahrzehnte. Aber ich kann jetzt hier auch tatsächlich mal die Wahrheit sagen: zwei Drittel der Fragen waren vom Daniel vorgeschrieben. Der hat mir die Recherche abgenommen, ein Drittel war von mir oder hat sich spontan ergeben. Und Kathleen Hanna fand ich extrem einschüchternd. Mit ihr habe ich es gemacht, Tobi Vail war noch mit dabei, die Schlagzeugerin.

Du hattest die Live-Energie der Band gelobt, diese mit der Live-Energie deiner Lieblinge von Red Hot Chili Peppers verglichen und das pisste dann Kathleen irgendwie an? (lacht)

Andrea: Nee, das war anders, führt jetzt allerdings zu weit und gehört hier nicht hin. War auch eher witzig, ich will das jetzt jedoch nicht weiter öffentlich ausführen. Sie hat mich während des Interviews – so wie wahrscheinlich jede weibliche Person, die sie auf der Tour getroffen hat – natürlich gefragt: „Was heißt auf Deutsch „Girls to the Front“?“. Das sagte ich ihr dann und fand das beim Auftritt dann schon sehr toll, dass sie extra die Mädels aufforderte, zum Tanzen nach vorne zu kommen. Es war gut, diese Band zu sehen.

Al: Ganz kurz eine Anekdote zum besagten Konzert von Bikini Kill, das war ja in Baden-Baden. Ich habe mit irgendeinem Kumpel von Armin X-Mist Records vor dem Konzert einen gekifft und es so schlecht vertragen, dass ich dem Mischer seinen Stuhl geklaut habe, auf dem Stuhl saß und völlig paralysiert dieses Konzert gesehen habe. Was okay war, weil als Mann durftest du ja eh nicht nach vorne. Also, ich saß da wie ein Zombie auf dem Stuhl und habe das Konzert so durch Watte beobachtet. Es gab nachher auch ein Foto davon, wie ich auf dem Stuhl hing. Es war aber kein schlechtes Konzert, es war n guter Trip! (lacht)

Du hast ja auch tierisch viele Interviews fürs Trust gemacht. Dein tollstes Interview war dann schon mit den Cramps, Andrea war da ja auch mit, die Band freute sich über den totalen Cramps-Fan?

Al: Sagen wir mal so: es war bestimmt nicht das tollste, also, ich habe ja auch die Spermbirds in den späten 80ern interviewt, das war auch noch vor dem Trust für mein eigenes Heft damals. Und es hat mich irgendwie völlig überrascht und völlig geflasht, dass die so freundlich waren. Das war auch so eine schöne Erfahrung. Okay, aber jetzt mal so insgesamt betrachtet, dann na klar, dann war das Cramps-Ding schon das Lustigste. Wir hatten eigentlich eine halbe Stunde vom Management in einem Hotel in Düsseldorf für das Interview bekommen, das wurde so ziemlich durchgetaktet an einem Pressetag, so dass jedes Medium nur immer einen Slot hat und dann kommt der nächste dran. Ich weiß, dass wir nach einem Radiosender dran waren und nach uns wäre der Metal Hammer an der Reihe gewesen.

Wir haben dann angefangen mit ganz normalen Fragen an Poison Ivy und Lux Interior, es war total nett. Und dann habe ich irgendwann, nachdem so die üblichen Fragen zur neuen Platte blablabla durch waren, den Kassettenrekorder ausgemacht, unsere Zeit war auch beinahe rum, ich meinte dann nur noch, dass das schade wäre, dass ich jetzt überhaupt keine Plattensammler-Nerd-Fragen stellen konnte und Lux Interior sagte dann: „Ja wieso hast du denn keine solche Frage gestellt, das sind doch die wichtigsten Fragen!“. Und dann habe ich doch noch eine gestellt, irgendetwas, was ist die Platte, dieses Schellack von 1978, das alle immer suchen. Er sagte „Mach das Tape wieder an“ – also damals waren es noch Kassettenrekorder zum Aufnehmen – „Das ist jetzt wichtig!“.

Und dann hat er angefangen aufzulisten und mir sogar die Namen der Leute richtig buchstabiert. Dann kam aber schon die PR-Managerin rein, ich sah die Frau vom Metal Hammer, so mit langen Haaren und Lederjacke, die scharrte schon mit den Hufen, sozusagen, aber die beiden plauderten halt über rare Platten. Das ging dann noch 15 Minuten, richtig cool, derweil die PR-Managerin uns ja eigentlich zu verstehen gab, dass unser Slot längst durch wäre. Lux meinte aber „Nein, das ist hier gerade wichtig, wir müssen weitermachen“. Und dann haben wir weitergemacht und kamen auch auf die Kostüme von Poison Ivy zu sprechen, sie meinte, dass ihr größter Traum wäre, dass sie mal ein echtes Showgirl-Kostüm aus Las Vegas findet. Aber die Showgirls geben die nicht her, weil sie die ja selbst brauchen zum Tanzen, deshalb hat sie sich welche nachmachen lassen, weil sie die halt super fände, um auf der Bühne gut auszusehen und so weiter.

Es war einfach total klasse und irgendwann waren wir dann wirklich fertig. Dann kam aber sofort die PR-Managerin um zu sagen, dass sie zum Konzert mussten und es war klar, dass das Interview nach uns nicht mehr stattfinden konnte, und diese Metal-Hammer- Frau hat uns natürlich hasserfüllt angeguckt! (lacht) Ich weiß aber nicht, ob das jetzt das Beste war, denn richtig toll war auch das mit White Flag, obwohl das per E-Mail war. Also eine Sache, die ich eigentlich damals das erste Mal gemacht habe. Und das war sehr enervierend, weil ich Pat Fear die Fragen schickte, der hat geantwortet, dann hatte ich wieder Rückfragen, also, das war kein normaler Rhythmus eines Interviews, du musst dann auf jeden Fall Stunden warten, bis eine Antwort kam.

Die meisten Interviews waren ja damals tatsächlich live im Rahmen eines Gigs oder?

Al: Ja, auf jeden Fall, White Flag war per Mail gemacht und dann gab es noch vielleicht zwei andere, die nicht live waren.

Dein Gespräch mit The Offspring ist ja auch immer noch legendär, so quasi, als die mitten im Gespräch die Info bekamen, dass die „Smash“ auf Nummer eins gegangen ist.

Al: Naja, ich habe die ja damals im KOZ in Frankfurt gesehen, genauso wie Green Day, wobei die im Negativ auftraten. Da spielten die noch vor 150 Leuten in so einem kleinen Laden. Und Green Day habe ich dann mit Daniel zusammen interviewt, als wir das dann transkribiert hatten und es in der nächsten Trust rauskommen sollte, da war dann aber die „Dookie“ schon raus und auf Nummer eins in Deutschland, d. h. es wäre dann das Heft mit einem Interview rausgekommen, wo sie halt noch anders erzählen, so nach einem Konzert mit 150 Leuten, obwohl sie dann direkt zum Zeitpunkt des Erscheinens des Interviews auf einmal eben die Offenbacher Stadthalle ausverkauft hatten mit 8.000 Leuten und Superstars waren. Deswegen haben wir damals gelassen, es kam gar nicht im Heft.

Andrea: Moment, hier im Index steht aber, dass es erschien.

Al: Ach so, ja gut, warum auch nicht! (lacht)

Ihr beiden habt ja auch unheimlich viele Rezis geschrieben, gibt es da noch eine schöne oder vielleicht auch ärgerliche Erinnerung dran?

Al: Es war ja damals so, dass man sich untereinander vom Heft viel getroffen hatte, und da bekam man dann, als Dolf beispielsweise noch in Augsburg wohnte, so eine Tüte mit Platten und CDs in die Hand gedrückt. Dolf ist an den Schrank gegangen und gab uns dann so eine Art Wundertüte, was weiß ich, zehn LPs und 20 CDs. (lacht) Manchmal wurden die auch bei Redaktionstreffen verteilt oder per Post verschickt. Oder bekam Sachen von Leuten, die man kannte, direkt geschickt. Aber so viele Rezis machte ich gar nicht. Das Geilste, an was ich mich erinnern kann: Ich habe irgendwann mal in dieser Wundertüte von dem schwedischen Label DISTORTION fünf oder sechs CDs bekommen, das war alles so Crust, relativ lieblos gemacht, aber doch so ganz seltene und ganz frühe Crust-Geschichten aus Skandinavien.

Dieser Skandi-Hardcore würde mir heute viel besser gefallen als damals, glaube ich, aber ich habe das dann angehört und viel davon verrissen. Und auf irgendeiner Popkomm steht dann da so ein wirklich prototypischer Punk-Typ – Nietenjacke, Nietengürtel, ein Ultra-Punker – am Truststand und fragte nach Al. Das war der Labeltyp, der war irgendwie im Urlaub eben zur Popkomm in Köln. Dolf meinte „da hinten ist Al“, und ich dachte mir dann nur „oh, jetzt kriege ich aufs Maul, weil ich mal schlechte Kritiken geschrieben hab“. Der war aber total nett, er meinte, „alles wunderbar, hier, das sind unsere letzten 10 bis 15 Releases für dich zum Reviewen“.

Und ich meinte dann zu ihm „Du pass mal auf, mache ich gerne, aber jetzt mal ernsthaft, ich verreiße das doch, weil mir da vieles nicht gefällt“. Der guckte mich an und sagte dann so „Ja, aber wenn man das liest, merkt man, du hast dir das angehört und dich damit beschäftigt“. Der war also gar nicht sauer oder angepisst, der fand das okay. Früher konnte man im Maximumrocknroll auch nach Reviewern gehen. Du wusstest, wenn Kirk etwas schlecht findet, dass dir das dann wahrscheinlich auch nicht gefällt, aber wenn Mykel Board etwas zu plakativ fand, dann könnte das bestimmt etwas für dich sein! (lacht). D. h. du wusstest es dann irgendwann, wenn bestimmte Schreiber Sachen nicht gut finden, dass das für dich ein Indikator ist, dir das dann auf jeden Fall zu besorgen.

Andrea, und bei dir so mit den Rezis, gibt’s da Erinnerungen dran?

Andrea: Ich denke, das war ein Album von der Band Crisis, das habe ich halt angehört, besprochen und den Text an Dolf abgeschickt. Danach hatte ich noch ein bisschen weiter recherchiert. Also, du musst dir das so vorstellen in den Neunzigern: da habe ich vor einem riesigen Rechner gesessen, vor so einem echten Rechner-Turm. Das Modem wurde immer extra eingestöpselt. Das ratterte dann, bis eine Verbindung ins World Wide Web entstanden ist. Und ich habe dann dort weiter geguckt, nach Crisis geschaut und dann so oh fuck, das ist ja gar kein Mann, der da singt, das ist eine Frau.

Irgendwie stand das auf dem Waschzettel nicht drauf. „Oh mein Gott, wie konnte ich? Wie konnte mir das entgehen?“. Später habe ich dann viele weitere Bands kennengelernt, wo du, wenn du die halt auf nem Album hörst, es nicht wirklich mitbekommst, ob da ein Typ oder eine Frau am Gesang ist, aber dass ich damals das bei Crisis nicht erkannt habe, war natürlich ein grober Fehler. Wie gesagt, wir haben immer nen Stapel von Dolf gekriegt, viele Sachen kannte ich nicht, Einiges kam von außen. Manche Sachen, die Dolf schickte und mir auch gut gefallen haben, da stand dann meistens „Zurück“ drauf…

Al: Es war aber auch so, also, ich wusste auch nicht immer, was es war. Es gab irgendeine Single, die habe ich reviewt, eine deutsche Band. Da wurde ich später auch angehauen, was ich da für eine Scheiße geschrieben hätte, denn ich hatte die Platte auf 45 statt auf 33 abgespielt und so auch besprochen. Das waren jetzt nicht irgendwie zwölf HC-Songs wie bei irgendeiner alten Amiband, ich dachte, das muss man auf 45 hören, das war so totales Geknüppel. Und das fand ich jetzt ganz okay und habe das auch geschrieben, nur, es hat sich dann herausgestellt, dass man es zwar auch auf 45 ganz okay hören kann, aber eigentlich auf 33 hören sollte! (lacht).

Das ist ja auch zu geil, hattet ihr damals schon Internet?

Al: Naja, die ersten 15 bis 20 Interviews schickte ich noch auf einer Diskette per Brief nach Augsburg.

Stichwort „Zurück“-Vermerk: Es ist ein urbaner Mythos, dass manche Redakteure*innen diesen legendären (bis heute existierenden) „Zurück“-Vermerk von Dolf auf Rezi-CDs – d. h. er will die CD dann vom Reviewer zurück für seine Sammlung – durch Nagellack entfernten, oder? (lacht)

Andrea: Nee! Ich hab das, glaube ich, nur ganz ganz selten gemacht! (lacht)

Al: Ich habe es zwei oder drei Mal gemacht. Also, es war ja auch so, dass viele Sachen davon nichts für mich waren und wenn Dolf die dann halt zurückhaben wollte, nachdem wir die reviewten, dann war das ja kein Thema, es gab da eigentlich wenig Überschneidungen. Aber dann war es mal irgendetwas, das ich richtig gut fand. Und da habe ich mit Feuerzeugbenzin dieses „Zurück“ weggemacht, Arschlecken! (lacht) Naja, ich hab Dolf das auch gestanden, als wir uns nach einem halben oder dreiviertel Jahr wiedergesehen haben, so „Übrigens die CD X und die CD Y, die habe ich behalten“. Das fand er natürlich nicht unbedingt toll, klar, aber viel konnte er ja dann auch nicht machen. (lacht)

Andrea: Also, auch hier muss ich es noch mal ins Feld führen: es gab noch keine Brenn-Möglichkeiten!

Ihr hattet ja auch nichts, damals nach dem Krieg!

Al: Ja genau! Ich glaube aber, dass dieser Mythos, so Motto „dass wir alle CDs mit Feuerzeug-Benzin so behandelten“, einfach nicht stimmt, weil man ja auch ehrlich sagen muss, das Dolf jetzt auch nicht sooo einen guten Musikgeschmack hat! (lacht)

Vor 25 Jahren wart ihr Frankfurter Trustler ja befreundet, es gab viel mehr Freundschaften unter den Schreiber*ìnnen, weil man sich ja auch viel öfters bei der Popkomm, auf Gigs in Bremen, Augsburg, Celle oder von euch veranstalteten Trust-Konzerten-Treffen in Frankfurt sah. Hatte das für neue Leute Nachteile, dann in ne bereits bestehende Heft-Clique reinzukommen?

Andrea: Also die Popkomm war natürlich ein großer mehrtägiger Event im Sommer, „Event“ in Anführungszeichen, eben ein Anlass, wo sich die ganze Redaktions-Crew getroffen und einen drauf gemacht hatte.

Al: Ich finde das mit der Clique, was du angesprochen hast, das spielte überhaupt keine Rolle! Neue Leute waren immer willkommen, weil das Trust ja das verbindende Element war. Es war egal. Wir hatten alle völlig unterschiedliche Musikgeschmäcker.

Andrea: Ja, und das Trust, unsere gemeinsame Arbeit an dem Heft, das verband uns, wir waren und sind halt alle totale Musik-Nerds.

Al: Es gab auch immer Bands, auf die sich alle alten und neuen Trustler einigen konnten. Und wir waren ja auch in ähnlichen Lebenssituationen, ich meine, wir waren da fast alle so um die Ende 20 bzw. Anfang 30, und da ist man ja noch fit und hat nicht die Sorgen, so wie man es vielleicht jetzt mit seiner Arbeit hat, denn die meisten haben irgendwas studiert und man hatte dann so einen Job, der einem im Prinzip total scheißegal ist. Das heißt, wir waren sowieso an sechs Wochenenden im Monat irgendwo unterwegs und man lernte sich dann gut kennen. Das heißt also „wir Frankfurter waren ja nicht nur die Frankfurter in Frankfurt“, weil wir eben oft in Bremen waren, man traf sich in Düsseldorf oder sonst wo. Das Trust verband uns dann immer, egal ob alte oder neue Mitglieder.

Das Trust galt für einige in den 90ern und auch bis heute als „zu PC“, zu elitär „und nicht mehr Punkrock, da ist ja nur noch Noise-Rock drin“. Speziell die 90er waren ja eure Dekade, hatten euch so Kritiken von außen beschäftigt oder scheißegal?

Al: Also, ich kann jetzt nur von mir sprechen, mir war das eigentlich völlig egal. Ich gebe zu, dass das Heft 1995 oder 1996 anders war wie das Heft 1986. Es war nicht so wichtig wie 1986, klar, aber damals hattest du ja auch sehr wenige Fanzines, es gab auch viel mehr legendäre Bands bzw. die dann legendär wurden im Laufe der Jahre. Das war in den Neunzigern anders, aber okay, es gab natürlich so ein Hauen und Stechen zwischen den verschiedenen Heften. Ich meine, uns, also dem Trust, wurde immer nachgesagt, dass es so „akademisch“ ist.

Mit den Leuten, die andere Hefte hatten, bei denen Leute mitmachten, die uns total Scheiße fanden – bestes Beispiel wäre Sven Bock vom Plastic Bomb – also mit der Bombe kamen wir trotzdem sehr gut aus und gesoffen wurde ja auch immer zusammen.

Andrea: Mit dem „zu akademisch“, das gab’s immer bei uns als Kritik. Ich meine, es stimmt, es haben viele beim Trust mitgeschrieben, die auch tatsächlich studiert haben. Nur hat eben auch ein Moses studiert, aber dem Zap wurde nie vorgeworfen, dass es zu akademisch wäre.

Al: Und für die vom Plot waren wir ja sowieso so was Superkommerzielles wie Gangsta-Rap! (lacht) Also, mir persönlich war das nie so wichtig, was andere Hefte über uns dachten.

Ich finde das so lustig, denn als ich jetzt eure Interview-Diskografie durchschaute, so Stichwort „Noise-Rock“, tauchte das zumindest bei euch beiden gar nicht auf.

Al: Ja, an Interviews haben wir beide tatsächlich Garage und Punkrock gemacht. Ich finde aber auch ein bisschen, dass der „echte“ Noise-Rock, also, als wir dann 1993 beim Heft anfingen, der war ja auch schon wieder durch.

Andrea: Tom Dreyer hat sehr viele Bands aus dieser Richtung gemacht. Und Al war damals Punkrock, ich war Blues-Trash!

In den 90ern wart ihr noch jung und schön und konntet acht Tage hintereinander einen heben (lacht). Heute mit Mitte 50 ist das Leben anders: wie sah eine typische Woche bei euch zu Trust-Hochzeiten in den 90ern aus, wie sieht eine klassische Woche heute aus?

Al: Also, damals wäre es so gewesen: am Montagabend ins Antifa-Café ins Exzess gehen und super viel trinken. Dienstag ausschlafen, mittags total verkatert aufstehen und sich zu seinem Studentenjob schleifen. Am Mittwoch arbeiten, Donnerstag arbeiten. Immer so 20 Stunden an drei Tagen. (lacht) Dann am Donnerstag schnell zum Plattensammler-Stammtisch fahren und total viel trinken. Am Freitag ausschlafen und mittags total verkatert aufstehen, abends auf ein Konzert in die Au in Frankfurt oder nach Karlsruhe fahren und super viel trinken und am Samstag genau das gleiche nochmal, nach Köln oder Bremen, sich einfach ins Auto setzen und irgendwo auf einen Gig fahren, um zu feiern.

Und wie ist das heute, naja, vielleicht ist es auch wegen Corona momentan nochmal ganz anders, aber heute stehe ich unter der Woche um halb sieben auf und gehe 40 Stunden arbeiten. Unter der Woche weggehen ist selten und dann auch gemäßigter. Es war einfach eine andere Zeit damals, dieses „Lass uns nach Köln oder Düsseldorf fahren und Party machen!“. Das man mindestens bei einem Konzert am Wochenende war und jedes zweite Wochenende irgendwohin fährt, das geht halt nicht mehr. Ich muss auch ehrlich sagen, dass es eben auch einfach der Zahn der Zeit ist, man wird älter, ich vermisse es auch nicht. Ich meine, ich hätte schon mit meiner Arthrose in den Knien Probleme, das wie früher durchzuhalten, geschweige denn, dass ich noch so viel Alkohol trinken kann oder will.

Andrea: Also, in den Neunzigern, da kann ich mich noch gut daran erinnern, dass es viele Konzerte im Cooky‘s in Frankfurt gab und die fingen auch unter der Woche immer erst um 23 Uhr an…

Al: Frankfurt wollte da ein bisschen wie London sein! (lachen)

Andrea: Also, die fingen echt sehr spät an und da haben wir damals – auch in unseren verlängerten Jugendzeiten – schon geächzt und gesagt „wir schlafen heute vor, bevor wir dann zu den Fleshtones ins Cooky‘s gehen“. Naja, aber ich würde auch sagen, die Frequenz von Konzertbesuchen war viel, viel höher, am Wochenende mehr Auswärtsspiele. Heutzutage ist es sehr langsam und halt geplant. Oder ein bisschen geplanter wie früher. Mein Ding heute ist immer „entweder Konzert und trinken und am nächsten Tag total kaputt sein“ oder „Konzert und nicht trinken, um am nächsten Tag anständig arbeiten gehen zu können“.

Erzählt doch mal die lustige Anekdote, dass ihr Fugazi in Mainz Mitte der 90er Backstage das Bier weggesoffen habt! (lacht) Al, war das nicht auch das Konzert, wo du Ian davon in Kenntnis gesetzt hast, dass du bei deiner Seven-Inch zu deinem 30sten Geburtstag – vier Cover mit dir am Gesang und Kumpels als Backing Band als Geschenk für dich selbst und deine Partygäste – u. a. auch Minor Threat´s „Out of Step“ covertest, aber aus „Don´t Drink“ dann „Do Drink“ machtest? (lacht)

Al: Ja, das stimmt! Das war damals im KUZ in Mainz und, Fugazi liefen über jemanden, den wir über das Heft kannten, und es waren auch mehrere Schreiber*innen da, super Party! Wir hatten dann auch alle so bescheuerte Backstage-Pässe, das war geil, ein gefalteter A4-Zettel in ner Plastikfolie eingeschweißt, der war grell und da stand die Stadt drauf plus „Ich bin wichtig“.

Großartig! (lacht)

Al: Ja und deshalb konnten wir in den Fugazi Backstage-Raum gehen. Weil das ja wichtig war, dass wir umsonst trinken können! (lacht) Die hatten da halt so riesige Kühlschränke, zwei Drittel davon war voll mit Bier. Schönes kaltes Bier. Jetzt trinken die ja eh nichts, aber ich wollte auch unbedingt kurz mit Ian McKaye reden, weil ich diese von dir schon erwähnte Single zu meinem 30sten gemacht hatte. Naja, Daniel und ich waren unter großem betrunkenem Gelächter am Kühlschrank, das war alles erst mal gut und erlaubt, weil Fugazi, die tranken ja nur so Mandelmilch.

Andrea: Mandelmilch gab es doch in den 90ern noch gar nicht! (lacht)

Al: Ja okay, stimmt, aber da war halt niemand, der das Bier trinken wollte und wir dachten uns: „Ja super, da rennen wir dann immer rein und holen uns nen paar Bier und fertig“. Das Ding war aber nur, dass wir alle Raucher waren und teilweise noch sind, das hat Ian und Sven dann natürlich doch genervt. Und wir brachten dann auch schon mal Andere mit in den Backstage Raum, das war halt ne Party, wir haben uns auf den Sofas breitgemacht, Kette geraucht und gesoffen wie die Blöden und waren einfach auch laut. Naja, die Band meinte dann eigentlich ganz nett, ob wir nicht vielleicht mit dem Rauchen aufhören könnten. Und mit meiner Single war Ian dann doch zuerst etwas sauer, ich hatte den Text bei „Out of Step“, bei beim Refrain, in „Do Drink/Do Smoke“ usw. abgeändert.

Er war zuerst sauer, dass ich seinen Text geändert hatte, aber ich konnte ihm verständlich machen, dass ich einfach Fan bin, und für mich – aus meiner Sicht – diese Textänderungen besser passte, das andere wäre irgendwie nicht richtig gewesen. Nachher schickte ich dann fünf Singles an das Dischord-Haus nach Washington DC, die Adresse war ja bekannt von den Platten.

Andrea: Ich fand das Schöne an dem Konzert, das habe ich nie wieder so in der Konsequenz erlebt, das war einfach so supercool von Fugazi, also da waren vorne wieder so Jungs hart am Pogen, Fugazi haben ihren Song dann unterbrochen und eine Ansage gemacht, Richtung „Wenn ihr hier nicht aufeinander aufpassen könnt, spielen wir nicht mehr weiter“. Und damit war irgendwann alles gut. Aber dass die Band da drauf geachtet hat, dass jede/r nach vorne kommen und sich das Konzert anschauen kann, ohne Angst haben zu müssen, unter die Räder zu kommen, also, das fand ich richtig, richtig gut! Sehr beeindruckend.

Al: Ja, das Konzert war total super. Aber ich muss sagen, als die zweite Platte rauskam, die „Repeater“ Anfang der 90er, da habe ich die in Mainz im Eltzer Hof gesehen und damals auch „kennengelernt“, weil ich sie für mein damaliges eigenes Dödel-Heft interviewte. Eigentlich war das auch total super. (lacht) Aber der Punkt ist, dass sie da noch „frischer“ waren, klar, das waren ja auch so die ersten Touren, da gab es die ja gerade erst drei oder vier Jahre und sie waren noch nicht so total riesig. Und alleine dieser Anfang von „Waiting Room“, das hat alle damals unheimlich aufgepumpt, endlich ein Song, den man kennt und liebt, das war schon eine total großartige Atmosphäre. Es gibt ja auch so alte Videos, wo auf einmal der gesamte Raum unisono als ein Block anfängt, nach oben zu springen bei dem Song. Später das zweite Konzert war auch super, aber man wusste schon so ein bisschen, was kommt.

Al, du stiegst irgendwann Mitte der 2000er aus, Andrea etwas später. Freut ihr euch, dass das Trust-Schiff noch immer weitersegelt ohne euch an Bord, um bei dieser maritimen Metapher zu bleiben oder hört man irgendwann auf, an das Heft zu denken, es war ja doch lange Zeit Bestandteil eures Szenelebens. Denkt ihr, gedruckte Punk-Fanzines werden in 50 Jahren noch Sinn ergeben?

Al: Ich find es OK! Aber ich muss ehrlicherweise auch sagen: für mich ist es eigentlich relativ egal. Ich glaube, dass das mit dem Alter zu tun hat. Aber ganz, ganz wichtig: deine Frage ist im Grunde genommen falsch gestellt, denn es heißt ja „Fanzine“ und eigentlich, ideal gesehen, ist es ja so, dass irgendwer etwas macht, was er ganz toll findet, von dem er Fan ist. Und dann sieht er da halt einen Sinn drin, kopiert Hefte und verschenkt die an Leute in seiner Schulklasse oder so und später verkaufst du das für ein paar Euro. Deshalb ist es eigentlich unwichtig, also die Frage, ob ein Heft noch Sinn macht. Die ist der eigentlichen Definition, was ein Fanzine ausmacht, völlig entgegengesetzt. Für den, der es macht, macht dass total Sinn, das zählt. Ich habe Dolf irgendwann gesagt, er brauche mir das Heft jetzt nicht mehr zu schicken, weil ich es dann auch irgendwie nur noch quergelesen habe. Aber ich finde es schön, dass es das Heft gibt.

Andrea: Ich würde auch sagen, das ist nach wie vor wichtig. Denn ich finde es super, dass es eben ein unabhängiges Heft ist! Klar, die Frage ist halt, ob es auch dem Zeitgeist noch gerecht wird, d. h. ob man sich nicht über kurz oder lang ein digitales Format wird überlegen müssen. Aber ich mag das analoge Heft weiterhin sehr.

Al: Das war ja mit gedruckten Heften in den 80ern absolut wichtig für mich, das war ja quasi damals unser Internet. Ich bin schon sehr früh auf Fanzines Anfang der 80er gestoßen, wenn ich damals ein 1,5 Jahre altes Maximumrocknroll-Heft irgendwo fand, war das total krass, super interessant, die Interviews, die Reviews, aber auch die Anzeigen, du hattest ja damals echt keine andere Möglichkeit, irgendwelche Informationen zu bekommen. Heute ist es aber auch fast schon wieder genauso, dass du beinahe ebenso wenige Möglichkeiten hast, weil es viel zu viele Formate für die Musik gibt. Du kannst dir nicht mehr alles durchlesen, da bräuchte es ja drei Leben dafür. Aber ich würde sagen, dass ein gedrucktes Heft immer noch so sinnvoll ist wie eben eine gute alte Vinyl-Schallplatte, an der habe ich ja auch immer noch sehr viel Spaß.

Andrea: Ich finde auch, das Trust verändert sich ja immer alle paar Jahre durch neue Schreiberinnen und Schreiber, die einen anderen Fokus und einen anderen Musikgeschmack haben, das ist richtig gut. Also, das Trust ist eben nicht wirklich festgelegt, mir gefällt das, dass da nicht nur Sachen aus einer ganz bestimmten Richtung drin sind.

Tja, würdet ihr in Bezug aufs Trust alles nochmal so machen, was war das schönste oder vielleicht auch nicht so schöne, was ihr mit dem Heft noch verbindet? Ok, ist ne schwere Frage, denn es war ja nicht nur „das Trust vor 25 Jahren“, sondern eben auch die eigene „verlängerte Jugend“ so zwischen Ende 20 bis Ende 30.

Al: Ja, ist schwer, es ist ja auch alles ein paar Jahre her, aber ich würde jetzt sagen: das passte schon alles so, wie es war. Und ich sitze eben jetzt hier als der Mensch, der ich bin, auch dadurch, weil ich damals so viel Scheiße baute, aber auch so viel Spaß hatte, ich weiß nicht, irgendwie, das war alles schon sehr cool. Natürlich wird mir jetzt irgendeine Band einfallen, die ich besser interviewen hätte können – oder die ich vielleicht am besten gar nicht interviewt hätte. Wie auch immer, irgendwie unwichtig. Aber das mit der verlängerten Jugend, das ist ein guter Punkt.

Das ist eine Sache, die hat alle Leute im Trust immer verbunden. Dass wir so „Berufsjugendliche“ waren, so im Sinne „Die Sachen, die wir machen, die machte man eigentlich so mit 18 oder 20“. Und wir waren da ja schon 30. Aber das ist ja auch cool, ich habe meinen ersten Arbeitsvertrag erst mit 39 unterschrieben, worauf ich heute noch stolz bin, wobei ich deswegen auch mal eine recht beschissene Rente bekommen werde, wenn es irgendwann mal so weit sein wird! (lacht)

Andrea: Das mit dem „Berufsjugendliche/r“ sehe ich ganz genau so!

Al: Und bei schlechten Erinnerungen, da müsste ich jetzt echt nachdenken, ich finde, das brauchen wir hier eigentlich nicht im Interview. Eine schöne Erinnerung, auch heute noch, habe ich immer an diese ganzen Weihnachtskonzerte in Frankfurt. Ich habe die ja auch mitveranstaltet und diese Treffen an Nikolaus, das war schon extrem geil und sehr lustig. Oder eben die Trips nach Karlsruhe und da die anderen Trustler kennenzulernen, das war immer klasse.

Andrea: Was würde ich anders machen? Na ja, gut, ich glaube, ich hätte gerne mehr Interviews gemacht. Aber da habe ich mir dann selbst im Weg gestanden und hatte an einem bestimmten Punkt dann keine Lust mehr. Mir fällt das jetzt gerade schwer, so spontan auf die „schönste oder schlechteste Erinnerung ans Heft“ genauer einzugehen. Es gibt keine schlechten Erinnerungen ans Trust, so!!! (lacht)

Das ist doch ein schönes Schlusswort! Al, wichtige Frage: KISS oder AC/DC?
Al: PISSE! Die beste Band momentan aus Deutschland, die sind so geil, die „Mit Schinken durch die Menopause“-Scheibe läuft bei mir andauernd.

Dann sage ich hier nochmal Thx an euch beide und lasst uns nun endlich diesen Eierpunsch trinken!

Interview: 1L

Kontakt: ukulele-stammtisch-ffm.com

Pics: Ticket Jesus and Mary Chain Batschkapp 1987: Andrea, Trust-Konzertplakat Popkomm Köln 1997: HQ (da war ich als Besucher da, nachts in Heimat Leverkusen noch schön vom Rad gefallen, danke Spermbirds und Kölsch).

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