Mai 26th, 2025

Ähren im Wind – Politische Orientierung in fordernder Zeit, Julian Nida-Rümelin

Posted in bücher by Dolf

Piper, Damaschkestraße 4, 10711 Berlin, www.piper.de

Der Klappentext fasst es oberflächlich gut zusammen: „In diesem Buch aus Anlass seines 70. Geburtstags verbindet er seine persönlichen Erfahrungen mit Reflexionen über die Zivilkultur der Demokratie und ihre Gefährdung durch rechten Populismus und linke Intoleranz.“ Das kann man mal machen, auch wenn man schon ein echter Fan von JNR sein muss damit einem seine persönlichen Erfahrungen so wichtig sind, das man sie hier nachlesen will. Auch das nachträgliche Zurechtrücken von Streitigkeiten in seiner Laufbahn wird ihm sicher von einigen als kleinkariert vorgeworfen, auch wenn es aus seiner Sicht irgendwie nachvollziehbar ist. Hätte aber auch nicht sein müssen.

Durch die Vielfalt der Geschichten kann man leicht den vielleicht wichtigen Kern des Buches übersehen, nämlich die Ähren im Wind, die sich nie in Richtung des Windes beugen, sondern immer von ihm gebeugt werden. Wenn der Wind von rechts kommt, dann beugen sie sich nach links und von links eben nach rechts – das ist so banal wie wahr, ist aber wichtig, finde ich. Es geht also um die Bürger, die mal so, mal so denken. Ganz im Gegensatz zum Autor, der immer ein großartiger Wissenschaftler, Politiker und Mensch ist, mit einer rationalen erstellten Urteilskraft die sich bei Bedarf – Erkenntnisgewinn – anpasst, aber nie verbiegt. So weit so gut und die nicht unsympathische Eitelkeit sei ihm gegönnt. Dabei übersieht der Mann, der aus einer durch und durch akademischen Familie mit Geschichte stammt, das auch er selbst nur Mensch ist und so funktioniert wie alle anderen auch und eben in seine Zeit geboren wurde. Auch wenn er das nicht so recht wahrhaben will – denn, so schreibt er, das würde ja bedeuten, wenn wir alle nicht verantwortlich sind für unser tun, dann wäre ja alles egal. Ganz so schlimm ist es nicht, aber auch nicht so einfach. Denn das Bewusstsein der Menschen ist das eine, das ganze dann aber in Handlung und Verhalten umzusetzen das andere. Trotzdem, der Autor schreibt einige gute Sachen, hat eine sehr akademisch, kluge, staatstragende, demokratische Einstellung und das ist aber eben auch all das zu viel. Hier mischen sich Geschichte, Privates und Politik mit Philosophie, ich fand es immer am interessantesten wenn es darum ging. So schreibt er zum Beispiel: „Solange ein solches globales Klimaregime nicht etabliert ist, müssen sich die einzelnen Staaten, sofern sie guten Willens sind, strukturell rational verhalten, das heißt so, wie sie es von allen Staaten der Welt erwarten, unabhängig davon, was die jeweiligen Konsequenzen ihres Handelns auf den Weltmärkten sind. Das Argument, dass Einsparungen hier nur dazu führen, dass anderswo billigere Energie stärker nachgefragt wird, was zum Beispiel vom vormaligen Präsidenten des ifo Instituts Hans-Werner Sinn vorgebracht wurde, ist zutreffend, zeigt aber nur, wie wichtig globale Übereinkünfte und die Etablierung einer institutionellen Absicherung sind, ist aber kein Argument gegen strukturell rationales Handeln von Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen. Es ist mir auch in den Beratungen des Deutschen Ethikrates aufgefallen, wie schwierig es ist, dieses Argument klarzumachen. Auch dann, wenn mein Verzicht auf einen Überseeflug nichts an der CO2-Bilanz ändert, weil der Flieger auch ohne meine Buchung fliegen wird und mein zusätzliches Gewicht von achtzig Kilo für den Kerosinverbrauch keine Rolle gespielt hätte, ist es sinnvoll, auf Fernflüge zu verzichten, die nicht nicht notwendig sind. Es ist deswegen sinnvoll, weil ich mich als rationale Person so verhalte, wie ich hoffe und erwarte, dass sich auch andere Personen guten Willens verhalten. Ein solches Verhalten wird erst dann irrational, wenn ich davon ausgehen muss, dass ich die einzige Person bin oder nur eine von wenigen. Es ist die wechselseitige Erwartung von Kooperationsbereitschaft, die strukturell rationales Handeln vernünftig macht.“ Das klingt sehr überlegt, vernünftig und rational logisch – theoretisch. Ob und wie der oder die einzelne es dann in die Praxis umsetzt ist wieder eine andere Frage (ich will jetzt hier nicht nachfragen ob die Flitterwochen des Autors unbedingt in Brasilien haben stattfinden müssen…). Noch eine andere Frage ist ob wir Menschen das überhaupt können, so wie wir meinen, das mit dem freien Willen. Oder wird er doch von der Herkunft, der persönlichen Lebensgeschichte sowie von Hormonen, Stoffwechsel und Nervenzellenaktivität eingeschränkt? Hier kann man sich dann zurecht fragen ob in diesem Fall das Individuum überhaupt eine Wahl hat sein Verhalten zu bestimmen. Und, hier streiten auch die Fachleute und es ist klar, das sich grade überzeugte Menschen wie JNR sich das nicht gern eingestehen wollen und davon überzeugt sind alles rational zu überdenken und dann auch so zu handeln. Es sind, wie immer nur die anderen die das nicht tun. Aber lassen wir das. Klar ist auf jeden Fall das ein Rechtssystem oder eine Gesellschaft von der Autonomie des Individuums ausgehen muss – auch wenn diese vielleicht eine Illusion ist. Ich schweife ab, das Buch liest sich gut, es wäre schön wenn alle Politiker mindestens so rational reflektiert wären wie JNR, aber zwingend lesen sollten es nur JNR-Fans. Alle anderen können aber auch getrost zugreifen, wenn sie gern schlaue, staatstragende Philosophie lesen die in JNRs Geschichte eingebunden ist. 301 Seiten, Gebunden, 24,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3492072939
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